Wildheuer

Auszug aus Doazmol Band 6: PDF

Artikel über die Wildheuer aus “Die Neue Alpenpost” 1875:
Der Wildheuer: Wenn wir im Thalgrunde am schönen Augustmorgen vor die Thüre des Hauses treten und unsere Blicke im Umkreis des Gebirges schweifen lassen, so sehen wir da und dort einen blinkenden Punkt – es ist die Sense des Bergheuers. Wenn unser Ohr aufmerksam lauscht, so hört es von Zeit zu Zeit einen fröhlichen Jodel – es ist die Stimme des Bergheuers. Bei der ersten Morgendämmerung hat er sich dort oben entweder schon vom Thale aus eingefunden oder von seinem Lager erhoben. Kurze Unterbrechungen abgerechnet, die durch die Zubereitung und den Genuss der einfachen Mahlzeiten veranlasst werden, mäht er den ganzen Tag rüstig fort; bald bringt er ordentliche «Mädlein» zusammen, die er mit der kurzen Sense sogleich etwas verzettet, bald ist er genöthigt (durch die Unebenheiten des Bodens, das Gerölle oder grössere Felsstücke), statt des eigentlichen Striches der Sense dieselbe nur behutsam zu «ziehen», bald muss er sich aufs förmliche Schaben legen und in diesem Falle vertauscht er gerne die Sense mit der Sichel. In der leichten Luft und umgeben von grossartigen Naturschönheiten ist’s ihm fröhlich zu Muthe, er gedenkt nicht der müden Arme und Beine, nicht der rieselnden Schweisstropfen, bis die untergehende Sonne ihn zur Heimkehr oder zur Ruhe ruft.
Mannigfaltige Gefahren umschweben den Wildheuer während seines Tagewerkes und schon Mancher sah die Sonne des Morgens aufgehen und dachte nicht daran, dass bis am Abend seine Augen auf immer geschlossen würden. Trotz der Fusseisen, deren man sich in einzelnen Berggegenden bedient (in andern sind sie ganz unbekannt; starkgenagelte und mit Spitzen versehene Schuhe ersetzen dieselben), kann der Fuss ausgleiten und damit verliert der Leib sein Gleichgewicht, oder es weicht unter der Last des Heuers ein Stück Rasen und beraubt ihn seines sicher geglaubten Standortes. Durch den Tritt einer Gemse, durch einen starken Windstoss, durch das Abschmelzen von Lawinenschnee gerathen über dem Haupte des emsigen Arbeiters Gerölle und kleinere Felsstücke in Bewegung und rollen den Abhang hinunter; eh’ er sich’s versieht, hat ihn ein Stück erreicht, so dass er entweder verwundet oder in den Abgrund geschleudert wird. Man denke sich nun, in welcher verzweifelten Lage sich ein so an den Beinen oder am Kopf verwundeter Bergheuer in seiner Einsamkeit befindet: er ruft um Hülfe, aber Niemand hört ihn, zwischen Himmel und Erde schwebend, vermag er sich kaum festzuhalten an der steilen Berghalde, die Nacht, deren schneidende Kälte seine Schmerzen vermehrt, bricht herein. Wohl ihm, wenn er des Abends zu Hause erwartet wird, oder sein Nachtquartier so liegt, dass das Abendfeuer vom Thale aus den Seinen bemerkbar ist – in beiden Fällen ahnt man das Unglück und beherzte Männer halten Nachforschungen, bis sie den Unglücklichen gefunden und in Sicherheit gebracht haben! Aber wie mancher ist schon nach langem Harren und Hoffen unter entsetzlichen Qualen doch endlich noch zu Grunde gegangen, weil keine rettende Hand ihm zu Hülfe eilen konnte!
Dass die Wildheuer von Schwindel ganz frei sein müssen, um ihr Handwerk zu treiben, versteht sich von selbst, denn sie gehen oft mit einer schweren Bürde auf dem Nacken durch Pfade, wo den andern Menschenkindern, auch wenn sie gar nichts zu tragen haben, Hören und Sehen ausgeht.
Am zweiten (im Spätherbst am dritten) Tage ist das abgemähte Futter trocken, wenn auch nicht immer dürre, nachdem es nur an den dichtesten Stellen ein wenig gewendet worden ist. Jetzt beginnt das «Aufmachen». Mit dem kurzen Rechen wird von oben herunter das Heu in «Wälme» zusammengezogen, bei welcher Arbeit man wiederum die grösste Vorsicht zu beobachten hat, denn der Boden ist, weil die Arbeit Nachmittags geschieht, trocken und glatt, so dass der Fuss leicht ausglitscht.
Muss das aufgemachte Futter getragen oder gezogen werden, so recht der Heuer jeweilen nur soviel zusammen, als hinreichend ist, um ein Garn («Seiltuch,» «Bläche») zu füllen. Jetzt wird dieses Garn auf einer ebenen Stelle oder hinter einem Felsblock ausgebreitet und geladen. Dann trägt er Bürde um Bürde in Sicherheit. Sind die Heuscheunen («Gaden», «Gädmer», «Finel», «Heuställe») am Fusse des Abhanges gebaut, so lässt er das erste Garn ruhig auf seinem Platze und ladet in senkrechter Richtung darunter ein zweites, ein drittes u.s.w. Hat er die Arbeit des Ladens vollendet, so zieht er das erste Garn herunter zum zweiten, knüpft die beiden zusammen, schleift sie zum dritten, hängt, so viel er zu ziehen vermag, aneinander und bringt seine Ernte endlich unter das schützende Dach des «Finels». In der Region der Tannen werden einige Tannäste unter die Seiltücher gelegt, um dieselben besser zu schonen.
In vielen Berggegenden kennt man die «Heugaden» gar nicht, sondern alles trockene Futter wird in s. g. Tristen (Feimen, Schober) aufgestockt und hält sich in denselben vortrefflich. Zur Anlage solcher Tristen wird ein ebener, geschützter Platz ausgewählt, der, wenn irgend möglich, von den Lawinen nicht erreicht wird: hier rammelt man vorerst eine tannene Latter (junger, abgeästeter Tannenstamm) von 15-20’ Höhe in die Erde und macht ihn mit eingekeilten Steinen recht fest. Dann wird aus Tannenästen eine runde, trockene Unterlage («Tristbett») gebaut und auf diese das Heu kegelförmig aufgelegt. Die «Tristlatte» bildet den festen Haltpunkt, um dieselbe herum wird das dürre Futter in immer engerem Kreise festgestampft und zuletzt auf die Spitze ein Hut von längerem Grase (wo möglich Halmen) aufgesetzt. Um das Kunstwerk gegen Regen und Schnee möglichst sicher zu stellen, zieht man mit dem Rechen den ganzen Schober recht sorgfältig ab, so dass Regen- und Schneewasser an den abwärts gerichteten Halmen abträufelt. Es kann dabei natürlich nicht verhütet werden, dass nicht die äussere Oberfläche des Schobers ausgewaschen wird, allein bei guter Anlage des Triststockes ist der Schaden gering und im Innern bleibt das Heu unversehrt – schöner und «lauterer» als in den Fineln.
Der Wildheuer bindet im letztern Falle (Auftriften) sein Futter selten in Seiltücher, es sei denn, dass das Tristbett höher liegt, als ein Theil seines «Maades»: er zieht vielmehr seine Wallmen allmählig gegen die Schober zusammen und, wenn erstere zu gross werden, so trägt er von Hand, was er mit den Armen zu fassen vermag (in «Arfeln»), denselben zu.
Ist der Triststock vollendet, so gilt es noch, denselben gegen ungebetene Gäste zu schützen, denn die Gemsen, Berghasen, verlaufene Ziegen und Schafe sind dem zarten Heu sehr aufsässig. Zu dem Zwecke wird ein eigentlicher Zaun um den Schober eingerammelt, oder man bedient sich eines Flechtwerks von Sträuchern, das durch eingeschlagene Zaunstecken gehalten wird.
Wenn der Wildheuer seine Arbeit in den Bergen vollendet hat, so kehrt er zufriedenen Sinnes wieder ins Thal zurück und überschlägt dabei, ob sein Futterbedarf für den Winter mit seiner Arbeit gedeckt sei oder wie viel Gewinn er von derselben zu erwarten habe, wenn er seinen gesammelten Vorrath verkaufen will. Und «der Arbeiter ist seines Lohnes werth», um den er nicht nur im sauren Schweisse seines Angesichtes, sondern unter täglicher Todesgefahr gerungen hat.

Vorausgesetzt, Lawinen und Stürme haben in der ersten Hälfte des Winters die «Tristen» und «Heugaden» verschont, so war das Auge des Wildheuers täglich nach den Bergen gerichtet, um den günstigen Augenblick zum Heimholen seiner Ernte zu erspähen. Je nach der Höhe und Lage der Vorräthe ist mehr oder weniger Schnee nothwendig, um dieselben zu Thal zu bringen; führen ordentliche Alpwege, die wenigstens die Breite eines (Zug-)Schlittens haben, bis in die Nähe derselben, so kann beim ersten bedeutenden Schneefall das Heu «gezogen» werden. Die Nachbarn gehen sich in dem Falle hilfreich an die Hand – «heute mir, morgen dir». In der Frühe des Wintermorgens ziehen sie aus, jeder mit seinem Schlitten auf den Schultern (bergauf werden die Schlitten mit leichterer Mühe getragen als gezogen und sind eigens dazu eingerichtet); an dem Fuhrwerk sind 4-5 Heugarne angehängt; bei frisch gefallenem Schnee geht’s langsam voran, Tritt für Tritt muss zuerst gebahnt werden und es wechseln die Leute bei dieser mühsamen Arbeit in dem Vortritt mit einander ab; man macht da keine Complimente, denn Jeder weiss, dass es sich hier nicht um eine Ehre, sondern um eine Plage handelt und dass der Erste die grösste Beschwerde hat. Die Schlitten werden so hoch in den Berg hinauf genommen, als es sich thun lässt – wenn möglich bis an den Fuss des Abhanges, auf dessen abschüssigem Rücken die Heuschober und Stöcklein der Befreiung von ihrem winterlichen Gewande harren. Wenn von da an die Last durch Zurücklassen des Fuhrwerks leichter geworden und nur noch die Garne auf den Schultern liegen, so ist damit nicht viel gewonnen: denn nun muss die steile «Halde» erstiegen und durch langes Zickzack die grosse Anstrengung des Schneetretens so viel als möglich gemildert werden. Wenn der Boden unter dem Schnee gefroren und dieser letztere trocken (staubig), so ist das Unternehmen nicht nur anstrengend, sondern sehr gefährlich, namentlich an solchen Stellen, wo jähe Felsabstürze und Abgründe den Weg umgeben.
Wir sind endlich glücklich am Ziele der Bergfahrt angelangt und gehen nach kurzer Ruhe und Erfrischung an die Arbeit; die Sonne ist unterdessen aufgegangen und ein scharfer Morgenwind umweht unsern hohen Standort. Die Heugarne werden ausgebreitet, eines nach dem andern geladen und in Reih und Glied aneinander gestellt. Der Triststock muss natürlich ganz gefasst werden, weil, einmal angegriffen, er seiner schützenden Bedeckung entbehrt und das Futter sich leicht verderben würde; auch mit dem «Gadenheu» wird, wo möglich, in einer «Führe» aufgeräumt, weil man ungern mehr als einmal den beschwerlichen Weg unter die Füsse nimmt.
Ist die Arbeit des Ladens glücklich vollbracht, so werden eine gewisse Zahl von Bürden zusammengebunden (sie wechselt nach der Steilheit des Abhanges), dann stellt sich ein Mann vorn an den gekuppelten Zug, bringt denselben in Bewegung und so werden alle durch den gleichen Schleif in möglichst gerader Richtung bis an den Schlitten geführt. Ist keine Lawinengefahr und überhaupt der Tag zur Arbeit günstig, so jodeln die Heuzüger aus vollen Kehlen und geben damit ihren Weibern und Kindern im Thale das Zeichen, dass Alles gut von Statten geht.
Bei unsern Schlitten angelangt, binden wir die einzelnen Bürden (Seiltücher) los, laden ihrer drei oder vier aufs leichte Fuhrwerk und dann geht’s unverdrossen weiter. Ist der Weg gefahrlos, so ist die Arbeit ein Kinderspiel, mit Ausnahme der Stellen, wo etwa die Schlitten mit ihrer schweren Last bergan gezogen werden müssen: da werden freilich Arme, Beine und Lungen fast über Vermögen in Anspruch genommen, und wir müssten, wenn wir nicht abermals von dem Vortheile der Association Gebrauch machen könnten, fast verzweifeln. So aber helfen wir einander, bis es geht und der letzte Schlitten die Steigung hinter sich hat.
Eine halbe Stunde heimwärts des heimischen Dörfchens kommen uns die «Buben» entgegen, wollen wenigstens den letzten gefahrlosen Theil unserer Schlittenfahrt mitmachen, sitzen aufs Fuder und träumen – zwischen den wohlriechenden Heubündeln majestätisch thronend – von der goldenen Zeit, in welcher sie die ganze Winterparthie mitmachen werden.
Aber nicht alle Heuzüge verlaufen so leicht, wie der beschriebene. Einzelne Tristen und Heustöcklein können nur dann von ihren Standorten und «Fineln» weggeführt werden, wenn eine grosse Masse Schnee in den Bergen liegt, so dass einzelne gefährliche Graben gehörig mit demselben ausgefüllt sind. Auch werden die Heuzüger nicht selten gezwungen, ihre gefüllten Garne über Felsabstürze hinunterzuwerfen, weil sie dieselben nirgends um die Felswand herum tragen oder ziehen können. Sollen nun die Ladungen nicht zerfahren und das Futter grossen Schaden nehmen, so muss ein Tag abgewartet werden, wo unten (am Fusse) der Wand eine sehr tiefe und lockere Schneedecke liegt, auf welche alsdann die Bürden unversehrt niederfallen. Natürlich ist bei einem solchen Stande des Schnees die Arbeit des Erklimmens der Tristbette und Heugaden ausserordentlich beschwerlich, und wenn erst noch an demselben Tage die Lasten streckenweit auf dem Rücken getragen werden müssen, so wird des Heuzügers Kraft ausserordentlich in Anspruch genommen. Man denke sich, was das heisst: mit einer zentnerschweren Bürde auf dem Rücken auch nur fünf Minuten weit durch den tiefen Schnee zu marschiren!
Aber zum Glück sind diese Bergheuer meistens eiserne Naturen, von deren Arbeitskraft und Ausdauer gewöhnliche Menschenkinder sich kaum eine Vorstellung machen können. Wir waren Zeugen, dass Bergleute in mondheller Winternacht und bei einer Kälte von 14° R. nachts um 1 Uhr sich auf den Heuzug begaben, zuerst 2 ½ Stunden ihre Schlitten thaleinwärts abwechselnd zogen und auf den Schultern trugen, dann eine Stunde lang einen steilen Berghang erklommen – und das Alles bei tiefem und lockerm Schnee! Am Ziele ihrer Winterfahrt angelangt, hatten sie mehrere Stunden zu thun, bis sie die «Heubalm» (an einzelnen, wenigen Orten im Gebirge hat die Natur selbst für «Heubehälter» gesorgt: es sind dies die sogenannten «Balmen», gebildet durch schräg einfallende Felswände oder grosse, schiefstehende Felsblöcke, unter deren schützendem Obdach das Bergheu aufgestockt wird) geleert und ihre Garne gefüllt hatten. Jetzt mussten die Bürden erst eine Strecke weit getragen (ein Jeder hatte diesen Weg viermal, d. h. mit vier Lasten zurückzulegen) und dann mehr als eine halbe Stundte bergabwärts bis an den Rand einer Felswand gezogen werden. Da ging die Reise der Heubündel schnell von Statten, sie flogen senkrecht der Wand nach hinunter in den weichen Schnee, ihre Eigenthümer aber mussten einen weiten Umweg machen, bevor sie wieder in Besitz ihrer flüchtigen Habe gelangten. Endlich wurde dieselbe wieder erreicht und auf die Schlitten verladen, aber nun waren erst wieder die 2 ½ Stunden des Thalweges zurückzulegen, bis das mühevoll gesammelte und mühevoll heimgeholte Futter in den Scheunen des Thales eingebracht und dem «theuren Veehli» vorgelegt werden konnte. Es war Nachmittags 3 Uhr, als die Gesellschaft im Dorfe anlangte.

Das «Bergheu» ist in den Gegenden, welche Alpwirthschaft treiben, eine sehr willkommene Zugabe zu dem «Thalheu». Die schmalen Thalsohlen und tieferen Seitengehänge liefern in seltenen Fällen genugsame Winterung für alles Vieh, welches auf den Alpen gesömmert werden kann, und so wird durch die Zufuhr aus den höhern Bergregionen der Futtervorrath bedeutend erhöht. Namentlich sind es die ärmeren Leute, die durch fleissiges Einsammeln von Wildheu einiges Schmalvieh zu halten in Stand gesetzt werden und sich dadurch die nothwendigsten Lebensbedürfnisse auf wohlfeilem Wege verschaffen.

Der Ertrag der Heubezirke ist ein sehr wechselnder. Manche Määder können ohne Schaden alle Jahre gemäht werden, andere mit Vortheil nur im 2. bis 3. Jahr. Sehr abhängig bleibt immerhin die Heuernte von der Winter- und Frühlings-Witterung: Am grasreichsten sind im Allgemeinen diejenigen Jahrgänge, in welchen zur Winterszeit tiefer Schnee fällt, der bis im Mai oder Anfangs Brachmonat liegen bleibt und dann bei der Hitze des Sommers plötzlich wegschmilzt. Ein schnelles, üppiges Pflanzenwachsthum folgt dann in der Regel während des Sommers, das späte Schneewasser düngt den Boden, gibt ihm die nöthige Feuchtigkeit und die Sonnenwärme treibt die Alpenkräuter schnell hervor.
Bleibt hingegen im Winter ein tiefer Schneefall aus oder schmilzt der Schnee schon zu Anfang des Frühlings ab, mangelt so den Pflanzen die zu ihrer gedeihlichen Entwicklung nothwendige Feuchtigkeit, so ist in den Alpen und Heumäädern der Grasertrag spärlich, wenn nicht durch häufigen Sommerregen der Schaden einigermassen ausgeglichen wird. (R. Schatzmann)
(Quelle: Die Neue Alpenpost 1875)

(Quelle: Neue Alpenpost 1875)
(Quelle: Neue Alpenpost 1875)

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