Touren auf die Scesaplana

Sektion St. Gallen. Die Sektion St. Gallen des S. A. C. hat letzten Sonntag und Montag die in ihr Sommerprogramm aufgenommene Besteigung der Scesaplana ausgeführt. Der Frühzug am Sonntag brachte die Clubisten, elf an der Zahl, nach der Station Landquart. Von dort ging’s über Pardisla nach dem freundlich gelegenen schmucken Seewis hinauf, wo in dem schönen und gut eingerichteten Gasthof zur Scesaplana das Mittagessen eingenommen wurde. Es lag in der Absicht, um 3 Uhr Nachmittags von Seewis aufzubrechen, um frühzeitig die zum Uebernachten bestimmte Alp Fasons zu erreichen, aber ein um 2 Uhr sich erhebender gewaltiger Sturm, sekundirt von Blitz und Donnerschlägen, vereitelte diesen Plan, und der Landregen, der sich nach dem Gewitter einstellte, liess nachgerade wenig Hoffnung mehr, dass die Bergpartie überhaupt noch ausgeführt werden könne.
Hoffnung auf Hoffnung geht zu Scheiter
Doch der Mensch hofft immer weiter.
Das thaten unsere Clubisten und siehe da, gegen fünf Uhr gelangte der Ostwind wieder zur Herrschaft, das Gewölk lichtete sich und um halb 6 Uhr konnte sich die kleine Caravane guten Muthes in Bewegung setzen. Ein Viertel nach 8 Uhr war das Feldhaus der Alp Fasons erreicht. In kurzer Zeit brodelte das Wasser im Kessel und bald nachher beglückte der geschäftige Koch die in der kleinen Stube beim düstern Lampenlicht harrenden Clubisten mit einer kräftigen Mehlsuppe.
Montag früh 4 Uhr wurde wieder aufgebrochen. Vom tüchtigen Führer Sprecher geleitet, stieg man langsam und sicher in die Höhe, zuerst zwischen herrlichen Alpenrosengruppen hindurch auf die sehr steilen Schutthalden des Schaftobels, von dort über ein kleines Schneefeld nach der fast senkrecht sich erhebenden Felswand, an deren unterm Theil man sich über lockeres Geröll, das sich fortwährend unter den Sohlen löste und bald in kleinen, bald in grösseren Massen nach der Tiefe rollte, hinaufbewegte zu den schiefrigen Kalkfelsen, von wo aus man in wenigen Schritten auf das prächtige Schneefeld gelangt, das einen wunderbar schönen Anblick gewährte, der ausserordentlich gehoben wurde durch das tiefe Blau des Himmels, das herrlich abstach von dem glitzernden weissen Firnschnee.
In einem schwachen Stündchen war das Schneefeld überschritten und in einer weitern Stunde, um 9.15 Vorm. die Spitze des Felsens erreicht.
Der Himmel war klar und die Luft rein, die Rundsicht äusserst lohnend. Majestätisch erhoben sich im Südosten die Bündnerberge mit ihren Gletscherpanzern, nordöstlich die Tyroleralpen mit ihren silberglänzenden Firnen, während gegen Norden, hinter den blauen Fluthen des Bodensees, die Rauhe Alp und Schwarzwald sichtbar wurden. Nordwestlich begegnete das Auge den bekannten Formen der Appenzellerberge, der Churfirsten, gegen Westen dem Falknis, dem Glärnisch, den Mythen und dem Pilatus, indes mehr südwestlich der Calanda, der Piz Sol und Ringelspitz mit dem Tödi und den Urnerbergen im Hintergrund ihre stolzen Häupter erhoben.
Bei der Menge von Bergspitzen, die sich nach vielen Hunderten zählen liessen, war es natürlich nur möglich, einige der bekannteren anzudeuten. Wir können uns aber von der majestätischen Scesa nicht trennen, ohne noch einen Blick auf den dunkelblauen Lünersee hinabzuwerfen, der dem Thalkessel gegen Osten hin einen äusserst malerischen Abschluss gibt. An diesen stillen See hinunter wanderten nun die Clubisten. Der Weg führte über zwei mächtige Schneefelder und einen kleinen Gletscher; dabei fehlte es nicht an frei- und unfreiwilligen Rutschpartien, die dem allzeit guten Humor der Reisenden neue Nahrung boten.
Munter abwärts schreitend über die Todtenalp gelangte man gegen halb 1 Uhr Mittags in die Clubhütte an den von himmelsanstrebenden Felsen umgebenen, mit reicher Alpenflora geschmückten Lünersee, dem die Mehrzahl der Clubisten leider nur zu schnell Valet sagen musste, um den unerbittlichen Bahnzug in Bludenz, der sie noch gleichen Abends ihrer Heimat zuführen sollte, nicht zu versäumen. Die sehr gelungene Scesaplanatour wird den Theilnehmern in langer und freundlicher Erinnerung bleiben. Vivat sequens!
(Quelle: Alpenpost 1873)

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Auf den Sommer 1890 hatte ich eine Reihe schöner Pläne für eine vielseitige Bereisung des neuen Excursionsgebietes des S.A.C. entworfen. Rhätikon und Plessurgebirge sollten in den verschiedensten Theilen und Richtungen durchwandert werden, theils aus rein touristischem, theils aus wissenschaftlichem Interesse. Natürlich wollte ich dabei mein Itinerar, sowie die Excursionskarte auf die Probe stellen, resp. Stoff sammeln zu allfälligen Ergänzungen und Berichtigungen. Alles war mit Reisegenossen und, wo nöthig, mit Führern verabredet und vorbereitet. Es kam nur noch auf das Wetter an. Aber eben das Wetter! Das lässt sich nun einmal weder bestellen, noch bestimmen. Wie manche freudig begonnene Tour wurde da verregnet, wie mancher schöne Plan durchkreuzt! Eine planmässige Durchwanderung des Excursionsgebietes wurde durch das fast beständige Regenwetter und durch zeitweiligen Schneefall unmöglich gemacht. Man musste sich mit einzelnen kleinen Spritztouren von je ein oder zwei Tagen begnügen und die Ausfüllung der Lücken auf kommende Jahre verschieben. So bin ich z.B. fünf Mal nach dem westlichsten Abschnitt des Rhätikon aufgebrochen, jedesmal in der Absicht, mehrere Tage dort zu verweilen und die ganze Grenzkette von der Kleinen Furka bis zur Luziensteig zu begehen. Zwei oder höchstens drei Tage hätten dazu genügt. Aber es sollte nicht sein. Jedesmal hielt das gute Wetter nur einen Tag oder einige Stunden an, dann folgte wieder mehrtägiger Landregen, oft verbunden mit Schneefall in den Höhen. An Geduld, Ausdauer und gutem Humor hat es mir und meinem trefflichen Führer, Fortunat Enderlin von Maienfeld, nicht gefehlt. Wir haben es auch versucht, uns in Alphütten einzuquartieren und so die Regentage vorübergehen zu lassen. Aber was half es? Es regnete eben immer zu, die Wolken hingen in schweren, undurchdringlichen Massen am Himmel, die Nebel strichen trübselig und kalt an den Bergwänden umher, erfüllten überall die Thäler und Schluchten und gestatteten oft kaum, einige Schritte vor sich hin zu sehen. So war man auf der Stelle festgebannt und zu langweiligem Nichtsthun verurtheilt. …

Auf und um die Scesaplana
Der 28., 29. und 30. Juli 1890 waren wunderschöne Tage, eine der wenigen Schönwetterperioden des sonst so regnerischen Sommers, und sie werden mir immer in der angenehmsten Erinnerung bleiben, weil ich während derselben eine meiner genussreichsten Bergtouren ausführen konnte. Zwar war es keine gross angelegte Hochgebirgs- und Gletscherfahrt, es handelte sich nicht um Eroberung noch unbetretener Spitzen oder Auffindung netter Wege, es galt kein kühnes Wagen und Ueberwinden von Gefahren; aber die Tour führte in ein herrliches Gebirge, reich an reizenden Landschaften und grossartigen Scenerien, an weiten Rundsichten und lieblichen Idyllen, und das prächtige Wetter gestattete, all das Schöne und Grosse auch voll und ganz zu geniessen.
Am 28. Juli, Morgens 7 Uhr, trat ich mit meiner Frau eine Wanderung auf und um die Scesaplana an. Für sie war es die vierte, für mich die siebenzehnte Tour auf diesen herrlichen Berg, den Liebling der Prätigauer und Vorarlberger. Wenn man aber einen Berg mehrmals bestiegen hat, so ist er Einem zu einem Stück Heimat geworden, zu dem man sich immer wieder hingezogen fühlt. Die vermehrte Kenntniss erhöht das Interesse, und dieses treibt zu neuen Anstrengungen; nie hat man ausgelernt, denn die Natur ist auch auf dem verhältnissmässig kleinen Raum eines einzelnen Berges oder einer einzelnen Gebirgsgruppe unendlich reich. Ich für meine Person muss gestehen, dass jetzt, nachdem ich siebenzehn Mal auf der Scesaplana gewesen, das Verlangen nach der achtzehnten Besteigung nicht kleiner ist, als vor 15 Jahren das Verlangen nach der ersten Besteigung war. Nur suche ich, wenn ich kann, dem Berg neue Seiten abzugewinnen und scheue dafür auch Umwege nicht. Also wird sich Niemand verwundern, wenn wir, meine Frau und ich, auf unserer letzten Scesaplana-Tour für Auf- und Abstieg etwas weit ausholten.
(Von E. Imhof, Section Scesaplana)
(Quelle: SAC Jahrbuch 1890)

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