Oesterreichische Alpenzeitung Nr. 344, 1892:
Der Gamsberg (2385 m) (Oestliche Kurfürsten- oder Balfries-Gruppe). Von Dr. Carl Blodig in Bregenz:
Wie oft hören wir in Bergsteigerkreisen darüber klagen, dass es fast unmöglich sei, unerstiegene Berge zu finden, besonders wenn man den Begriff «Berg» etwas genauer nehme und sich nicht mit der Erkletterung eines Gratzackens vierter oder fünfter Ordnung begnügen wolle. Um so erfreuter war ich, zu vernehmen, dass die zweithöchste Erhebung einer ganzen Gruppe, in unmittelbarer Nähe meines Wohnortes gelegen, von vielbesuchten Aussichtspunkten trefflich sichtbar, noch unerstiegen sei.
Für die in der Oro- und Hydrographie der Ostschweiz weniger bewanderten Leser dieser Blätter erlaube ich mir eine kurze Übersicht des betreffenden Gebietes vorauszuschicken. Im Süden des Bodensees erhebt sich westlich vom Rheinthale, nördlich von dem aus dem Weisstannenthale kommenden Selzbache und östlich von einer von Walenstadt am Walensee über den Voralpsee nach Grabs im Rheinthale führenden Senkung eine Gruppe prächtiger Berggestalten, die wohl schon Tausende und aber Tausende von Reisenden durch ihre schönen Formen entzückt haben und weit hinaus in das Alpenvorland über den Spiegel des Bodensees, in das Rheinthal, auf den Walen- und Zürichersee blickend, auf Karten und Panoramen bald als Oestliche Kurfürsten-, bald als Balfries- (Pallfries-), bald als Alvierkette erscheinen.
Die Haupterhebungen sind, von Südosten nach Nordwesten dem Hauptzuge der Kette folgend, der Gonzen (1833 m), ein von Sargans oder Trübach oft besuchter Aussichtsberg, der mit einer Clubhütte des Schweizer Alpen-Clubs versehene weitberühmte Alvier (2363 m), der Faulfirst (2413 m), die Rosswies (2369 m), der Gamsberg (2385 m) und der zuckerhutähnliche Schönplank (2270 m). Die österreichische Specialkarte (Zone 17, Col. 1 Bludenz und Vaduz) hat den Gamsberg zwar treffliche eingezeichnet, doch nicht namentlich angeführt; da ich in folgender Beschreibung mich immer auf diese Karte beziehen werde, welche der Mehrzahl meiner verehrlichen Clubgenossen leichter zugänglich ist als die Dufourkarte, so bemerke ich, dass der Gamsberggipfel sich südlich des Buchstaben a im Worte «Glanenkopf» im Hauptkamme befindet.
Schon im Jahre 1885, als ich gelegentlich einer geschäftlichen Reise Bregenz besuchte, fiel mir vom Pfänder aus der mit anscheinend ganz unnahbaren Wänden gepanzerte Gipfel auf. Durch mannigfache grössere Unternehmungen abgehalten, kam ich jedoch erst im Herbste 1890 dazu, dem Gamsberg meinen lang zugedachten Besuch zu machen.
Ich verliess Buchs am 20. September um 8h45m morgens und wanderte zuerst gegen Grabs, bog bei Stauden scharf nach Südwest ab und stieg über den Staudenerberg, eine etwa unter 25-30° geneigte Graslehne, über die Alpe Gampernei nach dem zwischen dem Margelkopfe und dem Punkte 2041 gelegenen Sattel.
Durch militärische und Berufspflichten verhindert, seit der Mitte Juli unternommenen Montblanc-Besteigung auch nur den kleinsten Hügel zu erklimmen, gestaltete sich mir dieser Weg mühsam. Die Hänge waren mit ca. 15 Centimeter Neuschnee bedeckt, es war infolge des Föhnwindes sehr schwül und kostete mich Untrainirten die Ueberwindung der 1550 Meter von Buchs nach dem etwa 2000 Meter hohen Sattel manchen Schweisstropfen!
Doch wurde ich durch die mit jedem Schritte prächtiger sich entfaltende Aussicht mehr als schadlos gehalten: die in unmittelbarer Nähe sich erhebende Säntis-Gruppe, das mit seinen zahlreichen Ortschaften wie aus der Vogelschau gesehene Rheinthal, weiter draussen der herrliche Bodensee, dann die Berge des Algäu bis zum schlanken Hochvogel, die mannigfaltigen Formen der mir so liebgewordenen Vorarlberger Gipfel, entzückten das Auge durch ihre immer wechselnde Scenerie. Als ich um 11h30m auf dem Sattel angelangt war, da tauchte plötzlich eine schwarze klotzige Masse, mit prallen Wänden und von zerrissenen Graten flankirt, vor mir auf. Finster starrte seine fast ungegliederte trapezförmige Gestalt in die Luft, und bedächtig holte ich mein Fernglas hervor, um von diesem so günstigen Standpunkte aus meines Gegners schwächste Seite zu finden.
Da ich nach sorgfältigem Studium der Berichte des Schweizer Alpen-Clubs und durch mündliches Nachforschen bei meinen Vorarlberger und Schweizer Bekannten nichts über einen Besteigungsversuch des Gamsberges erfahren hatte und die Alpenhütten verlassen waren, so war ich auf meine eigenen Augen angewiesen. Oefteres Betrachten des Berges von Norden und Süden, ferner ein Blick auf die von den Sectionen Alvier und St. Gallen herausgegebenen Panoramen vom Alvier und Säntis liessen die nach Süden und Norden abfallenden Wände des Berges als unbezwinglich erscheinen. Hatte ich den Berg doch oft bei Neuschnee gesehen und waren die Felspartien desselben kaum wie überzuckert erschienen. Von meinem Sattel nun sah ich, dass die oberen Partien des Berges aus sehr steilen, durch kleine Wandeln unterbrochenen Grashalden bestanden. Dann kam nach unten ein gewaltiger Plattenschuss, ganz schwarz, trotz 15 Centimeter Neuschnee, und dann dick mit Schnee bedeckte Geröllhalden, die, auf der Karte deutlich eingezeichnet, sich bis gegen den Rand des Plateaus, welches in stellenweise senkrechten Wänden zum Voralpsee abstürzt, hinziehen. Es musste also einer der beiden Flankengrate des mauergleich von Ost nach West ziehenden Berges versucht werden.
Zu diesem Behufe stieg ich zuerst über einen ganz abnorm steilen Grashang zur Alpe Oberlangen, die sich in der Nähe des Punktes 1785 befindet, hinab. Dann stieg ich in rein südlicher Richtung auf eine zwischen dem Glanenkopfe und dem Gamsberge selber gelegene, tief eingerissene Scharte, welche ich um 1h erreichte. Gewaltig war der Anblick der gegen Süden abstürzenden Steilwände: 550 – 600 Meter tiefer traf der Blick, ohne den Fuss der Wände zu sehen, auf Schuttkare und Matten! Ich entledigte mich sofort meines Rucksackes und legte den Eispickel bei Seite, denn die Beschaffenheit des Grates liess keinen Zweifel darüber aufkommen, dass es harte Arbeit geben würde. Vorerst jedoch konnte ich es mir trotz der vorgerückten Stunde nicht versagen, einen Blick auf das nach Süden gelegene Gebiet zu werfen. Trat man nämlich einige Schritte nördlich von der Scharte nach abwärts, so rahmten die die Scharte bildenden steilen Felsgrate die im röthlichgelben Lichte erglänzende Bernina-Gruppe in ganz zauberhafter Weise ein. Ein entzückendes Bild und allein eine Tagreise im Neuschnee werth!
Messerscharf schwingt sich der Grat von der Scharte nach Westen auf, und in immer steigenden, 65 und 70° erreichenden Neigungswinkeln übertrifft er in seinen Zacken die bekannten Gendarmen im Weisshorngrate bedeutend an Schwierigkeit und kann beispielsweise die Kletterarbeit an der Trettachspitze als viel leichter bezeichnet werden.
Obgleich ich nur drei Monate früher die Felsen unter dem Glacier carré kennen gelernt, welche meine Auffassung von gewöhnlichen Kletterschwierigkeiten einigermassen verschoben hatten, gestehe ich gerne ein, dass Freund Schmitt’s Gegenwart mir hier sehr angenehm gewesen wäre; dennoch glaube ich nicht, dass er bei seiner grossen Vorsicht den wackeligen Gratthurm, der mich um 1h45m umkehren liess, zu erklettern versucht hätte. So war ich wieder einmal abgeschlagen und kam im Abstiege in ernstliche Bedrängniss, da eine im Anstiege mit Hilfe der Kniee und Ellenbogen erkletterte windschiefe, sehr glatte Platte mich allen Ernstes in die Tiefe befördern zu wollen schien; nur zollgrosse Vorwärtsbewegungen und diese in ganz liegender Stellung ausgeführt, brachten mich endlich über jene bedrohliche Stelle hinweg. Ich brauchte volle ¾ St., um etwa 50 Meter zu überwinden, und war herzlich froh, in der Scharte angelangt, etwas Limonade mit Rum nehmen zu können.
Da ich unter allen Umständen am nächsten Morgen in Bregenz sein musste und die Uhr bereits auf 2h30m nachmittags wies, so ging ich die Schneefelder zur Oberlangenalpe hinunter, umging den Punkt 1785 westlich und folgte einem über das i des Wortes «Schlössli» führenden, in wundervoller Anlage unter den Wänden der Bodmen sich zum Voralpsee absenkenden Wege. Bei der Kalkofenhütte östlich vom p des Wortes «Voralp» gelang es mir, einen eben in Thalfahrt begriffenen Sennen zu sprechen. Der Gamsberg sei unersteiglich, schon öfter von Jägern und Wilderern versucht worden (?) und nur der Gemsjäger N. (ich verschweige aus später anzuführenden Gründen seinen Namen) in Grabs wisse noch die am ehesten begehbaren Stellen. Ich lief nun im Dauerlauf nah Grabs und traf nach mancherlei Irrfahrten meinen Mann friedlich auf dem Felde arbeitend; früher ausschliesslich und seit seiner Verheiratung periodischer Gemsjäger ohne behördliche Autorisirung, lebt er mit allen zünftigen Jägern der Gegend auf gespanntestem Fusse. Einmal stieg er von Jägern verfolgt vom Sattel zwischen Gamsberg und Schönplank unter grosser Gefahr über eine entsetzlich steile Schneide gegen den ersteren und brachte einen Tag und eine Nacht etwa 60 – 70 Meter unter dem Gipfel in einem Felsenrisse zu. Endlich seien die Jäger des Wartens müde fortgegangen und sei er mit wahrer Todesverachtung hinabgeklettert. Der andere, von mir gewählte Grat sei der brüchigen Gratzacken wegen gänzlich ungangbar, doch glaube er, dass an der nördlichen Fläche des Berges ein Felsenriss bei günstigem, d. h. möglichst hoch hinaufreichendem Schnee vielleicht erklettert werden könne; habe man die unteren Wandpartien einmal überwunden, so stellen sich, dem Anblicke mit dem Fernrohr nach zu urtheilen, keine grossen Hindernisse mehr in den Weg.
Mit diesen wichtigen Nachrichten versehen fuhr ich nach Hause, und schon acht Tage später rückte ich meinem Berge wieder auf den Leib. Ich ging diesmal von der Voralpe direct nach Oberlangen und stieg südlich vom l des Wortes «Glanenkopf» über eine grosse Schutthalde gegen das Massiv des Berges. Aber das schon am Morgen sehr zweifelhafte Wetter ging in ein ganz unleidliches Schneetreiben über; eine halbe Stunde hielt ich es, von einem grösseren Blocke halbwegs geschützt, aus, als aber der Wind stärker und stärker wurde und ganze Ladungen Schnee auf einmal auf mich warf, musste ich für diesmal leider wieder verzichten und erreichte in Eilmärschen Buchs gegen 2h nachmittags.
Nach dem schier endlosen Winter traf mich der 10. Juli 1891 wieder in Buchs, welches ich gegen 5h nachmittags verliess. Um 7h10m langte ich bei herrlichstem Wetter auf der Voralpe an, nahm im See rasch ein Bad und erreichte um 8h30m bei einbrechender Nacht Oberlangen. Aber die Alpe war noch nicht bezogen. Ich lief nun, im Waldesdunkel unzählige Male stolpernd, nach der Voralpe hinunter und sagte dem Sennen in ganz unumwundenen Worten meine Meinung! Hatte man doch gehört, dass ich oben übernachten wolle und mich auf diesen nicht ganz unwesentlichen Umstand nicht aufmerksam gemacht, dass die Alpe erst in einer Woche bezogen werde!
Da es am 11. Juli bis gegen 5h30m regnete, so brach ich erst um 6h auf und erreichte um 7h Oberlangen; hier wartete ich einen neuerlichen Regenschauer ab und ging um 8h das im October benützte Schuttfeld, jetzt noch mit Schnee bedeckt, hinan. Ziemlich durchsichtiger Nebel bedeckte die oberen Partien des Berges, die unteren lagen dagegen klar vor mir, fast senkrecht starren die gleich Strebepfeilern die Wand verstärkenden Rippen aus den zu Schneefeldern gewordenen Geröllhalden auf, und trotz eifrigen Betrachtens will sich meinem Blicke keine Stelle zeigen, die Aussicht auf einen Erfolg bieten würde. Ich ging nun ziemlich nahe den Felsen, in einer Isohypse nach Westen spähend und forschend, wo man wohl den Einstieg bewerkstelligen könnte. Endlich, als ich schon an einen Versuch über die von dem Gemsjäger seinerzeit erstiegenen Kante dachte, bemerkte ich einen mit der Bergesbreitseite parallel laufenden Kamin, der auf einen der vorstehend beschriebenen Strebepfeiler zu führen schien; meine langzinkigen Steigeisen brachten mich ziemlich rasch über harten Schnee an seinen Fuss, schon des Abstieges halber schlug ich aber in dem die Rinne auskleidenden Eise eine Reihe solider Stufen. Eine Stunde nach meinem Aufbruche von der Alpe Oberlangen setzte ich meinen Fuss auf die unterste Partie der Rasenhänge, und nun ging es in einer Falllinie im Sturmschritt über diese hinauf nach dem Hauptgrate, welcher um 9h30m erreicht wurde. Diesem folgend stand ich, immer westlich über kleinere und grössere Buckel steigend, um 9h45m auf dem höchsten Punkte des Gamsberges. Ich legte Pickel und Rucksack ab und stieg sofort westlich bis an das Ende des fast horizontalen Stückes. Da brach der Grat in einem einzigen Absatze vielleicht 30 Meter ab, und auf der nun folgenden, wenige Meter im Gevierte messenden, ebenen Stelle dürfte seinerzeit das unfreiwillige Bivouak bezogen worden sein.
Um 11h stand ich wieder auf meinem Gipfel und hatte sich inzwischen das Wetter so weit gebessert, dass ich wenigstens die nächste Umgebung gut sah; es wird wenige so niedere Berge in den Alpen geben, die den Hochgebirgscharakter so deutlich zum Ausdruck bringen. In schwindelnder Tiefe sieht man nach Norden und Süden Wiesen und Geröllhalden, und seltsam contrastiren damit die schwellenden Rasenpolster, die den Gipfel bedecken; von dem zwei bis drei Schritte breiten Grate kann man den Fuss der Wände weder im Norden noch im Süden erblicken, und die beiden nach Ost und West ziehenden Grate dürfen, von dem fast wagrechten Mittelstücke abgesehen, unbedenklich als ungangbar bezeichnet werden.
Gerne würde ich etwas über die Aussicht berichten, doch sah ich nicht einmal die nächsten Gipfelbauten in wünschenswerter Klarheit. Da mir jedoch Herr Dr. Carl Diener die Aussicht von dem höchsten Gipfel der eigentlichen Kurfürsten als die lohnendste der Ostschweiz und eine der schönsten, die er jemals gesehen, bezeichnete, da der Gamsberg etwa 10 Kilometer östlicher liegt als obengenannter Gipfel und den letzteren noch um etwa 82 Meter an Höhe übertrifft: so wird die Aussicht als mindestens ebenbürtig angenommen werden können.
Um 11h30m verliess ich meinen erhabenen Standpunkt und kletterte auf dem im Anstiege benützten Wege wieder zu meinem Kamin hinab. Weit leichter, als ich gedacht hätte, überwand ich die von der steigenden Temperatur etwas weicher gewordene Eisrinne, und zwischen den einzelnen unter der Schneedecke herauslugenden Trümmern durchsteuernd, fuhr ich in gewaltiger Schnelligkeit zu den Grasplätzen der Oberlangenalp ab. Um auch die östliche Seite meines Gebietes kennen zu lernen, nahm ich den weiteren Weg über die Alpe Säsitz, stieg über den zwischen Margelkopf und Rothenstein gelegenen Sattel nach der oberen Malbunalpe und von dort nach der Alpe Farnboden, welche ich am 1h45m erreichte. Von den Sennen freundlich zum Bleiben eingeladen, kramte ich meine Neuigkeiten aus, einer der Leute, der in freien Stunden dem edlen Waidwerke obliegt, bestätigte mir die Ungangbarkeit der Süd- und Ostseite des Berges; unter wirklich anregenden Gesprächen mit dem selten gebildeten Sennen floss die Zeit rasch dahin und um 3h erst brach ich nach Buchs auf. Der Weg dahin gehört zum Reizendsten, was man sehen kann, und erinnert in seinen unteren Partien ungemein an die Wälder um Heidelberg oder die Gegenden an der oberen Saale: in herrlichen Buchenwäldern führen parkähnlich in Serpentinen angelegte Wege nach Buchs hinab, und ein lieblich zwischen moosbewachsenen Felsblöcken dahinrauschender Bach bietet in zahlreichen Tümpeln herrliche Gelegenheit zum Baden.
Freund Lendenfeld machte mir einst nach Besteigung der Griesmauer, als ich mit meinen Waschungen gar nicht fertig wurde, den Vorwurf, ich ginge anscheinend nur auf die Berge, um mich hernach mit verdoppeltem Genusse waschen zu können. Hier konnte ich dieser meiner Leidenschaft nach Wunsch fröhnen. Um 5h kam ich nach Buchs und ging noch nach Schaan, wo mich ein freundlicher Liechtensteiner Bauer zum Einsteigen in seinen Wagen aufforderte. Als ich, in Feldkirch angekommen, ihm ein Trinkgeld aufnöthigen wollte, lehnte er es energisch ab: «Dös war aber a Schand, von an Wurzler a Geld anz’nehmen, der verdient’s schon hart gnua!» Mein armer Eispickel! Wie oft musste er sich diese schnöde Verkennung schon gefallen lassen!
Zum Schlusse möchte ich denjenigen meiner verehrlichen Clubgenossen, die über die Ostschweiz einen Ueberblick gewinnen und sich zugleich für schwierigere Berge «einölen» wollen, den Gamsberg wärmstens anempfehlen.
SAC Jahrbuch 1892:
Sektion Weissenstein (SO): … Einzeltouren: Dr. Blodig aus Bregenz: …. , Gamsberg (erste Ersteigung), ….
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Das vorzüglich redigierte Organ des Österreichischen Alpenclubs weist auch dieses Jahr wieder eine Reihe bedeutender Fahrtberichte auf. … Dr. Karl Blodig: Der Gamsberg; …
SAC Jahrbuch 1893:
Neue Bergfahrten in den Schweizeralpen. Säntis-Gruppe und Thur-Alpen.
… Gamsberg, 2385 m Duf. 11. Juli 1891. Dr. C. Blodig gelangte von der Alp Oberlangen über Geröllhalden an den Fuss der Nordwand, erstieg diese durch einen Kamin und über einen Rasenhang und kam so in 1 ½ Stunden auf dem Hauptgrate an, und immer westlich gehend in 15 Minuten auf den höchsten Punkt. Dann verfolgte er den Grat, bis er westlich zu einer Scharte abbricht, und kehrte auf den höchsten Punkt zurück. Rückweg der nämliche. Ö.A.Z. Nr. 344.
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Den nämlichen Gipfel erreichten die HH. J. B. Stoop und Lukas Pfiffner 15. Aug. 1891 von der Alp Sennis durch Spitzplank und Grossplank in die Furcla zwischen Sterenberg (Scheffberg) und Gamsberg; vom Scheff aus durch ein steiles Felsenband über die massive Wand und den verwitterten obern Teil auf den Grat östlich von Punkt 2385, von dort über die schmale Gratschneide bis zum grossen Absturz am Westende. Rückweg über die Gratschneide bis zur Mitte zwischen Punkt 2385 und 2340, dann auf der Nordseite in die Scharte „zwischen den Bergen” und Versuch südlich gegen die Alp Sennis. Dann wieder in die Scharte zurück und nördlich um den Tresterkopf zum Scheff und durch die Grossplank auf Sennis. Alpina II, pag. 65.
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Sektion St. Gallen. Von bemerkenswerten Hochtouren sind zur Kenntnis des Vorstandes gelangt: … Baptist Hämmerle: Gamsberg bei Buchs; …
SAC Jahrbuch 1894:
Thuralpen. Gamsberg von Süden. 25. Juni. J. B. Stoop, Dr. E. Haffter und Karl Wildhaber – Alp. II, Nr. 15.
Anmerkung: Über die Besteigungsgeschichte des Gamsberges siehe auch Alp. II, Nr. 16. Redaktion.
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Sektion St. Gallen. … wurden in den Monatsversammlungen folgende Vorträge gehalten: … C. Egloff und Dr. A. Janggen: Über diesjährige Besteigungen des Gamsberges (Alviergruppe); …
Alpina 1894 Seite 65-66: Johann Baptist Stoop – Der Gamsberg:
Im letzten Jahrbuch des S. A. C. 1892/93, Seite 489 finde ich eine erste Ersteigung des Gamsberg notiert.
Ich habe den Gamsberg am 15. August 1891 mit Lieutenant Lukas Pfiffner von Bärschis erstiegen. Aufstieg von der Alp Sennis durch Spitzplank und Grossplank in die Furkla zwischen Sterenberg (Scheffberg) und Gamsberg, vom Scheff aus durch ein steiles Felsenband über die massive Wand und den verwitterten obern Teil auf den Grat östlich von Punkt 2385 m (Dufouratlas und Simons Alvierpanorama), von dort über die schmale Gratschneide bis zur Westwand. Wir fanden, obwohl wir auf dem ganzen Grat aufmerksam darnach suchten, nicht die mindeste Spur von Menschen vor, weder Fussstapfen, noch geritzte oder aufeinander gelegte Steine, noch etwas von Holz, Glas, Metall, Papier oder dergl. Allerdings soll das kein Beweis sein, dass nicht schon Menschen vor uns oben gewesen sein könnten, aber ein positiver Beweis von frühern Besteigungen lag nicht vor. Wir bestätigten unsere Anwesenheit mit einem 2m hohen Steinmann, den wir aber zuweit auf die Westwand hinausstellten, weswegen er im Winter 1892/93 hinunterpurzelte; mit der schriftlichen Urkunde unserer Besteigung in einer Weinflasche; mit Zeitungen, auf die wir Steine legten; und an den zwei höchsten Stellen des Grates, darunter 2385 m Dufouratlas, mit aufgerichteten Steinplatten, von denen eine jetzt noch steht. Rückweg über die Gratscheide bis etwa Mitte 2385 m und 2340 m, dann auf der Nordseite derselben entlang in die Scharte «zwischen den Bergen» und südlich gegen die Alp Sennis; wir kamen aber nicht ganz hinab und mussten in die Scharte zurück, nördlich um den Tresterkopf zum Scheff und wieder durch die Grossplank nach Sennis.
Das zweite Mal bestieg ich den Gamsberg am Tag nach dem Truppenzusammenzug 1891 mit Lieutenant Theodor Dulla von Flums auf dem gleichen Weg. Wir fanden auch diesmal durchaus nichts von andern vor.
Der schönste Aufstieg wäre auf der Südseite vom Goldloch (Höhle mit Schwefelkies) aus, aber gefährlich wegen der von Gemstieren häufig in Bewegung gesetzten Steine, die durch die ausserordentliche Fallhöhe die Wirkung von Geschossen erhalten. Auch von der Grossplank östlich durch den faulen Gang, ein von den Gemsen benutztes Grasband, wäre der Aufstieg interessant; leider ist letzte Jahre ein grosses Rasenstück im faulen Gang weggebrochen, dass derselbe jetzt nicht mehr einladend ist. Vom Scheff aus würde man vielleicht besser thun, nach Ersteigung der massiven Felswand schräg der Westspitze 2369 m zuzustreben. Auch durch die Schrunden des Tresterkopfes, in denen im Hochsommer noch Schnee liegt, halte ich einen Aufstieg für möglich.
Die Karten von diesem Gebiet weisen, besonders was Namen und Höhenangaben betrifft, merkwürdige Widersprüche und Unrichtigkeiten auf. So ist z. B. auf dem neuesten topographischen Blatt Bärschis der dem Gamsberg sehr untergeordnete Sichelkamm 2271 m mit grossen Lettern als auf diesem Blatte bedeutendster und zwar analog den Kurfirsten, als Gruppenname mehrere Gipfel, auch den Gamsberg umfassend, hervorgehoben, und dazu noch am unrichtigen Ort. Statt Gamsberg steht ganz untergeordnet und verdeutscht «Gemsberg». Nur der relativ niederste Punkt 2368 m des Gamsberggrates ist mit der Höhenzahl versehen; der höchste Punkt (2385 m Dufouratlas und Alvierpanorama) hat dagegen keine Höhenzahl; auch der zweithöchste nicht. Nach meiner Ansicht ist der Gamsberg der höchste Gipfel des ganzen Gebirgszuges, also mindestens so hoch als der Faulfirst 2385 m.
Ich kann den Herren Clubisten den noch sehr selten erstiegenen Gamsberg aufs beste empfehlen. Schon seine imposante unnahbare Erscheinung reizt zur Besteigung. Er ist auch geologisch höchst interessant, und für Freunde der Fauna durch seinen Reichtum an Gamstieren; ich habe schon 60 auf einen Blick gesehen. Die Fernsicht ist sehr lohnend, bietet sogar mehr, als der bekannte und berühmte Alvier. –
Als das oben Dargestellte bereits geschrieben war, habe ich über die im XVIII. Jahrbuch S. A. C. Seite 489 erwähnte «erste Ersteigung des Gamsberg» in der Österreichischen Alpenzeitung XIV. Jahrgang, Seite 63-67 eine Beschreibung von Herrn Dr. Karl Blodig aus Bregenz gefunden. Ich habe dieselbe mit grossem Interesse wiederholt studiert, bin aber dabei auf einige Stellen gestossen, die ich mir absolut nicht erklären kann; u. a.
1. Herr Dr. Blodig hat den Aufstieg von der Ostseite aus der Scharte «zwischen den Bergen» für unmöglich gefunden, während derselbe thatsächlich der leichteste und sicherste ist, und sich einem geradezu aufdrängt. Derselbe geht nördlich der Gratschneide vom ausdauernden Schneefleck über nicht übermässig steilen, sehr soliden und mit guten Griffen versehenen schwarzen Felsen auf einen Rasenfleck und weiter mässig steil über verwitterten Felsen auf den Grat östlich von Punkt 2385 m (Dufourkarte und Alvierpanorama).
2. Herr Blodig findet dagegen den Aufstieg von der Nordseite merkwürdig leicht, kaum erwähnenswert, hat denselben sehr rasch, im obern Teil «über Rasenhänge im Sturmschritt zurückgelegt». Ich habe die Ersteigung von der Nordseite viel schwieriger gefunden. Die untere Hälfte über die massive Felswand hat wenigstens gute Griffe und ist also für Clubisten gefahrlos. Die obere Hälfte ist kleinbrockig und erdig verwitterter, beweglicher, sehr steiler unberaster Felsen ohne feste Halte für Hände und Füsse. Wir mussten sozusagen jeden Tritt sichern und kamen nur sehr langsam und mit grosser Vorsicht auf den Grat östlich von Punkt 2385 m. Den möchte ich sehen, der da hinauf im «Sturmschritt» geht.
3. Herr Dr. Blodig schreibt: «Ich stieg westlich bis an das Ende des fast horizontalen Stückes. Da brach der Grat in einem einzigen Absatze vielleicht 30 m ab, und auf der nun folgenden, wenige Meter ins Gevierte messenden ebenen Stelle dürfte seinerzeit das unfreiwillige Bivouac bezogen worden sein.» Das Rasenplätzchen am Westende des Grates ist mir wohlbekannt, habe ich doch schon einige schöne Stunden auf demselben verlebt. Wir haben da unsern Steinmann gebaut und unsere Besteigungsurkunden in Weinflaschen niedergelegt. Das Plätzchen ist auch auf «Blatt Bärschis» bemerkbar und mit 2368 m bezeichnet. Aber der Absatz auf den nächsten «Buckel» ist nicht 30 m, kaum 10 m; oder sollte es vielleicht 300 m heissen und die Grossplank gemeint sein? Auch nicht möglich. Welches der höchste Punkt des Gamsbergs ist, darüber kann man wirklich verschiedener Ansicht sein. Ich halte 2385 m (Dufouratlas und Alvierpanorama) dafür, Herr Dr. Blodig dagegen einen westlicheren. Die Differenz zwischen mehreren beträgt jedenfalls nur einige Meter.
4. Herr Dr. Blodig schreibt: «Die beiden nach Ost und West ziehenden Grate dürfen, von dem fast wagrechten Mittelstücke abgesehen, unbedenklich als ungangbar bezeichnet werden.» Ich sage: der Grat ist bis an sein Westende, wo er mit einer cirka 300 hohen senkrechten Wand zur Grossplank abstürzt, also aufhört, vollkommen gangbar, d. h. gefahrlos passierbar, wenn derselbe auch, mit Ausnahme des «Bivouacplätzchens» am Gratende, nirgends «2 bis 3 Schritte breit», sondern fast durchwegs schneidig ist. Auch der unbedeutende Absatz zum «Bivouacplätzchen» ist für Clubisten leicht zu überwinden oder zu umgehen.
5. Herr Dr. Blodig datiert seine «erste Ersteigung des Gamsberg» den 11. Juli 1891. Wir haben unsere Besteigung am 15. August 1891 ausgeführt, aber trotz sorgfältigem Absuchen des ganzen Grates nirgends eine Spur von ihm gefunden. Gemsentritte sieht man in den obern unberasten mörtelartig verwitterten Partien monatelang, Menschentritte wohl auch. Bei Clubisten, zumal wenn es sich wie bei Herrn Dr. Blodig um eine sehr bewusste «erste Ersteigung» handeln sollte, ist es allgemein üblich, absichtliche Merkmale, Adresskarten, Weinflaschen, aufeinander gelegte Steine zu hinterlassen. Herr Dr. Blodig berichtet doch so ausführlich, giebt die Zeiten auf die Minute genau an, sagt, wo er sich mit Rum und Limonade gestärkt, wo er sich wusch u.s.w. Wenn er doch die Freundlichkeit gehabt hätte, in seiner Beschreibung anzugeben, dass und ungefähr wo er für den «zweiten Ersteiger des Gamsbergs» seine Adresskarte hinterlassen habe.
Ich bin dem Herrn Dr. Blodig für jede Aufklärung über die Beschreibung seiner «ersten Ersteigung» des Gamsberg, sowie über letztern überhaupt sehr dankbar, insbesondere aber für eine Lösung der Missverständnisse zwischen ihm und mir. Vielleicht könnte das mit Hilfe einer Photographie vom Gamsberg geschehen, die Herr Heinrich Spörry, Sektion Uto S. A. C., vom Sichelkamm aus aufgenommen hat und die gern zur Verfügung steht; am besten wohl durch eine gemeinsame Besteigung, zu der ich Herrn Dr. Blodig höflich einlade. Bis dahin bin ich zu jeder mir möglichen Auskunft über den Gamsberg bereit. (J. B. Stoop, Sektion Piz Sol, S. A. C.)
Alpina 1894 Seite 84-85: Karl Blodig – Gamsberg [Antwort auf Stoop]:
Gamsberg. Unter diesem Titel bringt die Alpina Nr. 8 aus der Feder eines Herrn Stoop von der Sektion Pizol einen Artikel, in welchem meine Erstlingsersteigung vom 11. Juli 1891 als zweifelhaft hingestellt wird. Wenn der Artikel etwas sparsamer mit Gänsefüsschen geschmückt wäre, würde ich dem Wunsche des Herrn Einsenders nach einer Aufklärung gerne folgen; so aber muss ich leider darauf verzichten. Bregenz, 6. Mai 1894 – Dr. Blodig.
Anmerkung der Redaktion: Ohne die Verantwortlichkeit für den Wortlaut des Artikels in Nr. 8 übernehmen zu können, fühlen wir uns doch veranlasst, zu erklären, dass Herr Stoop, wie wir uns durch gegenseitige Korrespondenz überzeugen konnten, den Herrn Blodig nicht unwahrer Angaben beschuldigen wollte, sonst hätten wir den Artikel nicht aufgenommen. Wir vermuteten, dass die Differenz in den Anschauungen der beiden Bergsteiger darauf beruhe, dass nicht der gleiche Berg gemeint sei. Nach den Aufklärungen, die uns Herr Dr. Blodig gegeben, hat nun aber er sowohl wie Herr Stoop den gleichen Berg bestiegen und zwar Herr Blodig am 11. Juli 1891, Herr Stoop am 15. August 1891. Diese Thatsache dürfte wohl feststehen. Dass die Auffassungen über die Schwierigkeit einer Besteigung oft ganz verschieden sind, ist ja eine bekannte Thatsache und erklärt sich leicht aus dem Wechsel der mannigfaltigen Verhältnisse objektiver und subjektiver Art, die bei einer Besteigung in Betracht kommen.
Alpina 1894 Seite 127: Johann Baptist Stoop – Der Gamsberg:
Besteigung von der Südseite, 25. Juni 1894, mit den Herren Dr. Ernst Haffter von Weinfelden und Karl Wildhaber von Tscherlach.
Wir gingen am Morgen gegen 4 ½ Uhr bei bedecktem Himmel von der Alp Sennis durch Spitzplank, Grossplank und faulen Gang auf die südliche Abdachung des Gamsbergs und über diese ziemlich gerade auf den Grat bei Punkt 2368m.
Die Spitzplank ist eine vom Vieh noch erreichbare Grashalde der Alp Sennis. Ob der Spitzplank sind steilplattige Felsen mit Grasbändchen und Grasbüscheln, zu oberst ein senkrechtes Steinband, dessen Überwindung einige Übung voraussetzt. Oberhalb desselben kommt wieder eine sehr steile Grashalde mit Felsenabsätzen, die Grossplank, zu unterscheiden von der gleichnamigen Viehweide auf Sennis. Von der Grossplank kann man nun aufwärts durch die Furkel zwischen Scheffberg und Gamsberg auf die Hochterrasse Scheff, oder östlich durch den faulen Gang auf die Südabdachung des Gamsbergs.
Der faule Gang ist ein von den Gemsen als Verbindungsweg häufig benutztes Grasband an der Westfrontwand des Gamsbergs, etwas ansteigend, 0,1 – 0,3 m breit, weicherdig. Ein grosses Rasenstück ist letzte Jahre weggebrochen. Die Felswand bietet für die Hände genügende Halte. Der Südabhang des Gamsberges ist sehr steil, ziemlich gleichmässig, 45° und mehr, Horizontale 630 m, Vertikale 733 m, Kalkgestein, grossplattig, solid, mit Ausnahme der obersten 50 m, rauh, kantig, bietet für Hände und scharfgenagelte Schuhe oder blosse Füsse genügende Adhäsion und gute Griffe. Zwischen den Steinplatten sind überall schmale Grasbändchen und Grasbüschel. Die Gesteinsformation bedingt den Aufstieg in der Gefällslinie, indem ein Traversieren schwer oder unmöglich ist.
Für möglich halte ich auch einen Aufstieg durch das Kamin, an der Westfront nahe der Grathöhe, warne aber davor, weil man den dort am häufigsten vorkommenden Steinfällen nicht ausweichen kann und das Terrain zudem feucht und sehr locker ist.
Wir kamen ohne kritische Momente schon um 7 ½ Uhr auf den Grat etwas östlich von Punkt 2368 m, und gingen unverzüglich über die scharfe Gratschneide etwa 500 m östlich den Herren Neher, Dr. Janggen und Dr. Hansen entgegen, die mit Führer Tischhauser den besten Aufstieg von der Ostseite aus der Scharte «zwischen den Bergen» heraufkamen. Dann gingen wir mit diesen Herren wieder westlich auf den unzweifelhaft höchsten Punkt 2385 m, auf dem ich 1891 ein grosse Steinplatte aufstellte und Herr J. B. Hämmerli 1893 einen kleinen Steinhaufen zusammenlegte. In einer Flasche sind die Karten der seitherigen Ersteiger notiert.
Wir drei gingen wieder über die Gratschneide zurück zu dem etwa 275 m westlicher gelegenen Ende des Grates, und bauten auf diesem weitaus schönsten Punkte des Gamsbergs einen riesigen Steinmann.
Wir brachen an den Seiten des Grates Steine los und verwendeten Stücke von 100 kg; eine Cyklopenarbeit. Der Steinmann ist über 2 m hoch. Herr Spoerry entdeckte ihn in der gleichen Stunde von den Grauen Hörnern aus. Von Flums sieht man ihn mit blossem Auge ganz gut.
Der auf dieser Stelle am 15. August 1891 von uns errichtete Steinmann ist nicht selbst hinuntergefallen, sondern von Franz Linder, Töbeli W., Wallenstadt, mit Gewalt hinuntergeworfen worden. Die Flaschen waren zerschmettert und die Papiere nicht mehr vorhanden.
Nach längerm, der Fernsicht und Ruhe gewidmeten Aufenthalt stiegen wir direkt nördlich in den ganz verwitterten Nordabhang, und dann schräg zuerst in östlicher, dann westlicher Richtung zuerst zum Scheff, wo wir mit den andern, die zu ihrem Gepäck östlich in die Scharte zwischen den Bergen abgestiegen waren und jetzt nördlich um den Fuss des Gamsberges heraufkamen, zusammentrafen.
Für solche, die den Gamsberg von der Hochterrasse Scheff aus besteigen, will ich hier noch bemerken, dass sie besser nicht den ersten möglichen Aufstieg, den ich früher benutzte, sondern den nächsten leichtern östlich davon wählen.
Wir gingen dann zusammen über das Kalttäli (Scheffloch) in den Sichelkamm hinüber und trennten uns dort wieder.
Die andern stiegen durch den Hundsritt auf Culms und von dort auf Lüsis hinab. Wir drei besuchten noch die westlichen Punkte des Sichelkamm, Hundsegg 2130 m u.a., und gingen dann durch ein anderes Couloir auf Culms, Verachta, Vergoda, Tscherlach. In Wallenstadt vereinigten wir uns wieder und mit dem Zuge 5 Uhr 34 Minuten fuhren alle heimwärts. J. B. Stoop, Sektion Piz Sol.
Der Leser erwarte hier nicht etwa die Schilderung einer Gratwanderung vom Sichelkamm bis zum Faulfirst; die wird wohl jeder unterbleiben lassen. Es handelt sich um einige Notizen über Namen und Höhenangaben in jenem von Touristen selten besuchten Gebiete. Wenn ich dabei zu einigen Bemerkungen der Herren Blodig und Stoop Stellung nehme, so geschieht es keineswegs, um mich in die zwischen den genannten Herren bestehende Meinungsdifferenz zu mischen, sondern allein im Interesse der Sache. Dass ich überhaupt das Wort ergreife, mag seine Entschuldigung darin finden, dass mir jene Gegend während meines 4 ½ jährigen Aufenthaltes in dem, am Fuss des Gebirges gelegenen Grabs lieb und vertraut geworden ist, wenn auch nicht durch kühne Klettertouren, so doch durch zahlreiche Ausflüge. …
Scharf auseinander zu halten sind Sichelkamm und Sichelberg. Der Sichelberg, auch etwa Sichli genannt, liegt viel weiter östlich und ist vom Tresterkopf-Gemsberg durch den tiefen Einschnitt „Zwischen den Bergen“ getrennt. Der letztere, sehr gute Name, den ich auch auf die Scharte 2161 des Hauptgrates angewendet wissen möchte, zu welcher das Trümmerthälchen hinaufführt, fehlt leider auf dem Blatt Bärschis. Es ist jene Scharte, von welcher aus Dr. Blodig im Jahr 1890 seinen ersten erfolglosen Versucht machte. …
(Quelle: Andreas Ludwig: Vom Sichelkamm zum Faulfirst. In: Alpina 1894, S. 124f.)
Herr Stoop hält … den Gemsberg für den Kulminationspunkt der ganzen Kette. Ich wendete dieser Frage meine Aufmerksamkeit zu, als ich am 3. Juni a. c. [1894] mit Herrn Carl Egloff (Sektion St. Gallen) diesen Gipfel bestieg und bin noch wie früher der Ansicht, dass der Faulfirst etwas höher sei. Der Unterschied ist allerdings gering, und unter allen Umständen ist der Gemsberg weit imposanter. Schon Escher und Mösch reden vom „gewaltigen“ Gamsberg. Er fällt selbst dem aus dem Prätigau kommenden Reisenden kurz nach Verlassen der Station Malans durch seine mächtige Südsteilwand auf, die sich zwischen Gauschla und Gonzen im Hintergrunde so stattlich breit macht.
Über unsere Besteigung vom 3. Juni nur wenige Worte. Wir nahmen den Gipfelbau aus dem Thälchen „Zwischen den Bergen“ in Angriff. Der lange Kamm des Gemsberges teilt sich im Osten in zwei Gräte. Der eine zieht nach dem Scharteneinschnitt „Zwischen den Bergen“; der andere springt in fast nördlicher Richtung vor. Wir gewannen den letztern – er möge Grat des Tresterkopfes heissen – hierauf die Vereinigungsstelle beider, von welcher ein wüstes, nacktes Felstobel nach Nordosten hinabzieht. Was nun folgte, war eine Gratwanderung idealster Art über den abwechselnd auf- und absteigenden, immerhin nicht tief gescharteten Hauptkamm bis zur höchsten Spitze. Unser Weg dürfte ungefähr dem ersten Abstieg des Herrn Stoop entsprechen; doch scheinen wir im untersten Teile nicht gerade die günstigste Stelle erwischt zu haben.
Was doch ein kleiner Umstand für Wirkungen haben kann! Hätte Dr. Blodig, statt direkt von der Scharte aus über den Grat vorzugehen, nur in 100 oder 150 m Entfernung weiter unten angesetzt, so hätte er schon bei seinem ersten Versuche im Jahr 1890 unfehlbar das Ziel erreicht.
Ein Steinmännchen mit Flasche belehrte uns, dass der Berg anno 1893 zweimal erstiegen wurde, am 11. Juni von den Herrn J. B. Hämmerle, Marchesani, Zumtobel und Welpe, am 20. August von zwei Herren Litscher, Zumtobel und Führer Tischhauser. Dort ist unbedingt der Kulminationspunkt; die genannten Besteiger, sowie auch Herr Stoop hielten jedenfalls auch diese Stelle dafür. In Frage käme nur noch ein weiter westlich gelegener Punkt. Aber über diesen hinweg sahen wir im Gebirge südlich des Walensees noch in die oberste Waldregion; er muss somit niedriger sein.
Zur Orientierung möge noch folgende, freilich etwas vage Bemerkung dienen: Wenn man, auf dem höchsten Punkte stehend, nach Norden gekehrt, hinabschaut nach den „Weissen Frauen“, einem pittoresken, ungefähr südnördlich verlaufenden, vom Gemsberge sich abzweigenden Zuge, so hat man die Abzweigungslinie oder vielmehr deren gedachte Verlängerung nur wenig links von sich.
An Pflanzen trafen wir auf dem Gipfelgrat Anemone vernalis, Primula auricula, Gentiana verna, Draba aizoides, Androsace helvetica und leider, für uns auch mehrere Exemplare von Ignorantia pyramidalis, ferner, aber noch nicht blühend, mehrere Saxifragen und Aster alpinus. An Wild sahen wir eine Gemse und einige Schneehühner.
Es hat Herr Stoop sehr richtig darauf hingewiesen, dass die Besteigung des stolzen Kammes in zwei, durch die verschiedene Gesteinsbeschaffenheit bedingte Partien zerfällt. Der Gemsberg wird durch steil gestellte Neocomschichten gebildet. Am Fusse und im untern Teil herrschen die dunkeln kieseligen Kalke der untern Neocoms, und es vermag das feste Gestein dort eine bedrohlich aussehende Steilwand zu bilden. Der obere Teil hingegen besteht aus den auf frischem Bruche dunkeln, aussen gelbgrau oder bräunlich anwitternden Schiefern und Mergeln des obern Neocoms. Dieses Gestein verwittert leicht und ist unzuverlässig, bewirkt aber zugleich, dass die Böschung geringer wird.
Und die Schwierigkeiten? Ich bin kein so guter Kletterer, um behaupten zu können, die unterste steile Partie sei mir gerade leicht vorgekommen, während Herr Egloff sich selbstverständlich nichts daraus machte. Was aber weiter folgte, ist mir wirklich auch nicht schwierig erschienen und namentlich die lange Gratwanderung habe ich mit dem reinsten Genuss gemacht. Technische Schwierigkeiten sind absolut nicht vorhanden; nur Schwindelfreiheit ist erforderlich. Wer letztere und einige Übung besitzt, der mache sich fröhlich an den Gemsberg, versäume dabei unter keinen Umständen die Gratwanderung, die von unbeschreiblichem Reiz ist und geradezu grossartig genannt zu werden verdient, nehme, wenn Zeit und Wetter es ihm eher gestatten als uns, das Stück bis zum Westabsturz auch noch mit, und wähle eventuell für Auf- und Abstieg verschiedene Routen.
In Grabs galt der Gemsberg weder als unerstiegen, noch als unersteigbar; hier muss ich Herrn Dr. Blodig direkt widersprechen. Eher mochte dies auf der Südseite der Fall sein. In Grabs hiess es im Gegenteil immer, der Berg sei von Jägern und auch von Hirten schon bezwungen worden, und wurden die betreffenden Besteiger mit Namen genannt. Der beste dortige Kenner des Berges ist jedenfalls Bannwart Andreas Vetsch am Grabserberg, der ihn öfters erstiegen hat. Es ist vielleicht nicht ohne Interesse, das Urteil eines Einheimischen zu vernehmen. Dasselbe beweist zugleich, dass der Gemsberg, trotz seines drohenden finstern Aussehens, für denjenigen, der ihn bestiegen hat, viel von seinem Schrecken verliert. Aus einem ausführlichen Briefe von Vetsch führe ich folgende Sätze an:
„Den Gemsberg habe ich von drei Seiten, in den Jahren 1864-74 bestiegen. Ob ich ihn schon vor 1864 auch bestiegen habe, kann ich nicht behaupten, glaube aber sicher ja, denn ich bin sehr viel in den Bergen herumgeklettert, ohne mir die Zeit genau zu merken. Den Berg habe ich vom Scheff auf und ab begangen, und vom Tresterkopf, wo es fast jedermann möglich ist, der einigermassen Bergsteiger ist. Zwischen den Bergen (d.h. aus dem Thälchen dieses Namens) kann jedermann hinaufkommen, der die Kraft in den Beinen hat, wenigstens bis zu unterst auf den Grat. Was über den Grat hinzugehen betrifft, so ist das vielleicht nicht jedermanns Werk, doch nicht gefährlich für den, der schwindelfrei ist. Eigentlich bin ich schon im ganzen Berg kreuz und quer gegangen. Schwieriger ist es, von der Südseite ihn zu besteigen; doch bin ich einige Mal auf der Südseite einige 100 m abgestiegen. Was die Form des Grates anbetrifft, so ist sie ziemlich scharf; an einigen Orten kann man rittlings daraufsitzen, wie auf ein Pferd. Zuhinterst auf dem Berg gegen Westen ist ein ovaler Platz, wie ein kleiner Hausplatz. Einmal, nebenbei bemerkt, habe ich mich auf der Südseite doch verstiegen; ich war zu waghalsig, bekam aber meinen Lohn etc.“
Die letzte Bemerkung bezieht sich auf eine recht peinliche Situation, in welche der kühne Mann geriet, als er vom Gipfelgrat des Gemsberges ein Stück weit auf der Südseite abstieg, um dann hinüber zu traversiren nach der Scharte „Zwischen den Bergen“, ein Unternehmen, welches ihm nicht gelang und bei welchem er gezwungen war, mit grösster Anstrengung nochmals auf den Hauptkamm zurückzukehren.
Ausserdem haben den Berg bestiegen: Johann Hilty, Staudnerberg (in Gesellschaft von Vetsch), Andreas Eggenberger, Bunzenhalden und der verstorbene Andreas Näf. Andere mir zu Gebote stehende Namen zu nennen, ist überflüssig.
Dass Dr. Blodig von seinen Vorgängern keine Spuren auffand, erscheint mir nicht befremdender, als dass Herr Stoop von Dr. Blodigs Besteigung keine Merkmale entdeckte. Auf diesen Umstand lege ich überhaupt kein Gewicht. Solche Spuren sind sehr vergänglich. Auch auf dem kleinen Faulfirst fand ich am 18. August 1889 keine Zeichen von frühern Besuchern, wenn ich mich recht erinnere, und dennoch zweifle ich keinen Augenblick daran, dass dieser Gipfel (2370 m Blatt Bärschis, 2397 m Eschmann) schon früher von Einheimischen öfters betreten worden ist. Ja, ich hege den nicht unbegründeten Verdacht, dass schon Arnold Escher von der Linth auf den meisten der in diesem Artikel genannten Gipfel geweilt hat. Escher hatte freilich anderes zu thun, als seine Anwesenheit auf die gewöhnliche Art zu dokumentiren.
Wer zuerst den Gemsberg betreten hat, wird nicht mehr mit Gewissheit zu ermitteln sein, indem auch Vetsch diese Ehre nicht beansprucht, sondern von noch frühern Besteigungen sichere Kenntnis hat. Diese Frage ist in meinen Augen auch nicht die Hauptsache. Den Herren Blodig und Stoop bleibt ganz unbestritten das Verdienst, zuerst in der alpinen Litteratur den Berg bekannt gemacht und auf ihn hingewiesen zu haben als auf ein Ziel, das wirklich einen grössern Bekanntenkreis verdient. Zugleich sind dadurch schon verschiedene Anstiegsrouten bekannt geworden, und auf die jedenfalls interessanteste, diejenige von Süden, hat Herr Stoop ebenfalls aufmerksam gemacht. Dieselbe dürfte freilich nicht leicht sein, nach den Erfahrungen zu schliessen, die Vetsch auf jener Seite machte. Dieser Aufstieg ist inzwischen von den Herren Stoop, Dr. Haffter und K. Wildhaber ausgeführt worden. Am gleichen Tage (24. Juni) wurde der Berg noch von einer andern Partie erstiegen, und hatte die Ehre, ein Triumvirat von Doktoren auf sich thronen zu sehen. Die zweite Partie, bestehend aus den Herren Dr. Janggen, Dr. Hansen, O. Neher und Führer Tischhauser hat ungefähr unsern Weg gemacht, scheint aber für den untern Teil des eigentlichen Aufstieges eine vorteilhaftere Variante gewählt zu haben.
Liebhaber des Klettersports dürften überhaupt hie und da in jenem Gebirgszug noch eine Tour ausfindig machen, die des nötigen Reizes für sie nicht entbehrt. Es ist interessant und erwähnenswert, dass der Faulfirst direkt von Süden erstiegen werden kann. Herr Stoop hat einmal, von vorgerückter Zeit dazu gedrängt, diesen Weg als Abstieg ausgeführt, wobei gewiss das Behagen erst in zweiter Linie stand.
Die Churfirsten-Alvierkette kann sich im allgemeinen über Mangel an Besuchern nicht beklagen. Gonzen, Alvier, Rosenboden-Kaiserruck, Leistkamm und andere Gipfel werden häufig, zum Teil sogar sehr häufig bestiegen. Am wenigsten bekannt ist eben das Gebiet vom Sichelkamm bis zum Faulfirst. Es ist auch für die Zukunft nicht zu erwarten, oder, wenn man will, nicht zu befürchten, dass ganze Scharen von Touristen dorthin strömen. Wenn aber etwa einmal ein Clubist, der die weniger breitgetretenen Pfade liebt, eindringt in die abgeschiedene Mulde des Voralpsees, aufsteigt in die Thälchen, die mit ihren Quellen das Becken speisen und seinen Fuss setzt auf die im Hintergrunde winkenden Höhen, so wird er hochbefriedigt heimkehren mit dem Geständnis, eine der sehenswertesten Gebirgsgegenden der Ostschweiz kennen gelernt zu haben.
(Quelle: Andreas Ludwig: Vom Sichelkamm zum Faulfirst. In: Alpina 1894, S. 129-131)
Alpina 1895:
Besteigung des Gamsberges von der Südostseite. Mit Herrn Dr. Ernst Haffter, Sektion Rätia S. A. C.
Wir stiegen am 14. Oktober 1894, morgens nach 6 Uhr, von Flums auf die Alp Malun gegen den Notz, einen aussichtigen Hügel nordwestlich von Malun an der Grenze gegen Sennis. Hier präsentiert sich der «gewaltige Gamsberg» in seiner vollen Wucht und Pracht: mächtige Felswände von tiefen Schrunden zerrissen, unten spärlich mit Legföhren, oben mit Grasbändern und Grasbüscheln bewachsen, darüber der kühngeschwungene Grat mit seinem jähen Absturz gegen Westen. Wir versuchten hier den Aufstieg zu rekognoscieren, bekamen aber das Gefühl, dass es auf diese Entfernung nicht möglich sei, sondern meistenorts auf kurze Distanzen geschehen müsse. Vorgenommen hatten wir uns nur, das Goldloch, die Felsenhöhle in der Bergwand, zu passieren. Der Aufstieg zum Goldloch ist ein viele Meter breites, aber ungemein steiles und glattes Felsband. Wir überwanden dieses, indem wir der obern Wand entlang aufstiegen und an derselben seitlich Griffe suchten.
Das Goldloch ist eine geräumige Höhle, wie solche in Kalkgebirgen hie und da vorkommen. Von dieser Vorhöhle führen zwei dunkle Öffnungen in den Berg hinein und lassen ein Höhlensystem vermuten. Denn in der Nähe ist noch ein anderes Loch. Der Name Goldloch kommt von einer Sage, nach der ein «Venediger» jährlich kam und aus dem Berginnern Gold hervorholte. Andere behaupten, es komme hier wirklich ein goldglänzendes Mineral, der Pyrit, Eisenkies oder Schwefelkies vor. Wir haben es nicht gefunden. Dagegen ist namentlich beim untern kleinern Loch das Gestein lebhaft rotgelb gefärbt, was mit einer auffallend blauen Flechte, die die Felsen überzieht, einen wunderbaren Kontrast bildet. Ob die komplementäre Farbe der Flechten zum Gestein eine physikalische Begründung hat oder nur zufällig ist? – Die rotgelbe Farbe des Gesteins rührt offenbar von Eisengehalt her, den das ganze Gebirge besitzt. Auch auffallend schöne Quarzadern kommen hier vor.
Bei der Höhle lag dürres Legföhrenholz, das uns Stoff gab zu einem prächtigen Feuer, wohl das erste, das im Goldloch gebrannt. Natürlich unterliessen wir nicht, unsere Anwesenheit auch sonst ausgiebig zu beurkunden durch Karten und Inschriften mit Blau- und Rotstift. Als Hauptzierde des Goldlochs befestigten wir die Porträts der jetzigen sieben Bundesräte (letzte Beilage des «Boten am Wallensee»).
Dann stiegen wir die Schrunde westlich vom Goldloch hinein und schräg aufwärts gegen ein Felsenfenster und durch dasselbe hindurch. In diesem Felsendurchgang deponierten wir ob der Lichtöffnung eine Karte. Über dem Fenster machten wir Halt. Das schwerste Stück, vom Goldloch zum Felsenfenster war überwunden. Wir übersahen den obern Drittel als relativ leicht, steile Kalkplatten mit Grasbändern und Grasbüscheln. Wir stiegen von da zu Punkt 2385 auf. Ein eisiger Wind fegte über den scharfen Grat, den wir zeitweise verlassen mussten. Wir schritten unverzüglich den Grat bis zum Westende 2368 ab und suchten vor dem erstarrenden Wind Deckung hinter unserm grossen Steinmann vom 24. Juni 1894. Aussicht in die Nähe tadellos, in die Bündnerberge wundervoll, gegen Westen und Norden vernebelt. Wir hatten anfänglich den Abstieg auf der Nordseite zum Scheff beschlossen. Aber unsere erstarrten Hände liessen uns die windgeschützte besonnte Südseite der tiefverschneiten Nordseite vorziehen. Wir stiegen also von Punkt 2368 durch den westlichen Teil des Südabhanges zum faulen Gang und in die Spitzplank hinab. Wir hatten höchste Zeit. Als wir die letzten Felsen ob uns hatten, war auch die letzte Spur des Tages verschwunden. Der Abstieg durch die Alp Sennis ins Seezthal machte uns nicht bange, und wir kamen um 9 Uhr wohlbehalten in Flums an. In der Nacht erging ein grimmiger Schneesturm über die Berge bis ins Thal herunter. –
An Tieren hatten wir am Gamsberg gesehen ein Trupp von sechs Gemsen, eine einzelne Gemse und ein Gemskitz, das uns auf eine Entfernung von wenigen Metern mehrere Minuten lang neugierig anäugte. Schlussresultat: die Besteigung des Gamsberges über das Goldloch und Felsenfenster ist für selbständige, vorsichtige, ausdauernde Clubisten eine ideale Kletterpartie, ein Hochgenuss seltener Art. (J. B. Stoop, Mitglied des S. A. C. Sektion Piz Sol)
Alpina 1895:
Aus den St. Galler Freibergen T. K. IX. T. A. 256. 18. August 1895
Die Sizizer Rosswies, nach Angabe des Blatt Bärschis 2337 m, gerade gleich hoch wie der Alvier, ist die höchste Erhebung zwischen Kleinem Faulfirst und Gamsberg und auch eine schöne Stelle. Von der Alp Sisiz aus geht man bis zur Gipfelhöhe auf sanft ansteigendem Rasen. Von der Südseite ist der Gipfel von Touristen noch nie bestiegen worden. Ich hatte diesen Aufstieg schon längere Zeit im Plan. Meine Begleiter waren Ernst Heer und Albert Vontobel mit seinen Söhnen Albert, 16 Jahre und Gottfried, 14 Jahre alt. Auf der Tscherlacher Alp Sennis trafen wir in unserm alten Quartier zwei Clubisten ersten Ranges von der Sektion Uto, die den Gamsberg vorhatten. Wir gingen bei Tagesanbruch zum Notz. Himmel wolkenlos, Temperatur unter 0°, Reif. Vom Notz gerade hinauf, unten Felsenruns; dann Rippe mit Legföhren, dann steile Grashalde, Felsenabsatz, lockerer Rasen und oben sind wir, froh des warmen Sonnenscheins. Aussicht vollkommen. Da drüben in den Wänden des gewaltigen Gamsberg entfalten zwei Männer mit Seil und Pickeln ihre Kletterkünste. Welch schneidige, alpinisch gerechte Evolutionen! Ein prächtiges Schauspiel. Wir wissen ja, die sind ihrer Sache sicher; der eine ist uns als Koryphäos der hohen Schule des Klettersports bekannt. Aber dort hört alle Kunst auf. Sie treten den Rückzug an. Wir beobachten sie mit aller Spannung wohl eine Stunde lang und zollen der Gewandtheit und Besonnenheit des einen unsere aufrichtige Anerkennung. Der andere schien barfuss zu sein. Endlich sind sie wieder auf dem Schnee unten.
Lange blieben wir da, wir geizen mit der Zeit nie, und oben ist’s so schön! Dann nahmen wir sämtliche Zacken zwischen 2337 und 2305 m, umgingen die Wand des Kleinen Faulfirst und bestiegen ihn. Auf dem Grossen Faulfirst war auch eine Gesellschaft, aber nicht ganz oben. – Sie traten den Abstieg an. Ein Mann blieb noch zurück. «Hallo, Ma! Ganz ufe, nit nu halb!» Das wirkte. Er ritt über das bekannte Grätchen hinüber und stieg auf den Kulminationspunkt. «Bravo!» Vom Kleinen Faulfirst beobachteten wir unter uns sieben Gemsen, darunter zwei Kitzen. In den letzten Jahren haben die Gemsen in den St. Galler Freibergen rapid abgenommen. Warum, das sagen die blanken Patronenhülsen, die wir auch heute an verschiedenen passenden Stellen fanden.
Nun zum Grossen Faulfirst hinüber. In der Lücke demonstrierte ich den zwei Herren den Abstieg auf Malun vor, wegen der Verantwortlichkeit für die Knaben. Ah! dort unten beim Schnee, 500 m tiefer, steigen die Herren der Sektion Uto unser Tobel an. Die kommen zu uns herauf. Wir freuen uns, jauchzen ihnen zu, steigen auf den Grossen Faulfirst hinauf, aber ganz, und beschlossen, unsere Herren Clubgenossen da mit clubistischem Gruss und Handschlag zu empfangen. Wir geniessen in aller Behaglichkeit Aussicht und Himbeersyrup, Fleisch, Brot und Wein, Äpfel und Birnen, Ruhe und Schlaf, pflücken Edelweiss und Bergastern, bauen Steinmannli und Luftschlösser, fangen Schmetterlinge und kritisieren «Blatt Bärschis», lesen die Namen der Faulfirstbesteiger in der Flasche und lassen Freudenlaute hören, die mit Siouxgesang und Primadonnakoloraturen die grösste Ähnlichkeit haben …
Aber wo bleiben denn die Herren von der Sektion Uto? – Siehe da, sie sind den kleinen Faulfirst angestiegen. Ich habe den vor einem Jahr auch von Süden genommen, aber in der Morgenkühle und mit frischen Kräften, und ich habe darüber in die «Alpina» geschrieben: «Nicht jedem zu empfehlen». Jetzt in glühender Mittagshitze, nach solchen Kraftleistungen am Gamsberg; die Herren haben Beharrlichkeit. Nach längerer Zeit sehe ich sie im Begriff, neuen Unmöglichkeiten und Enttäuschungen zuzustreben. Ich muss ihnen zurufen und den allein möglichen Aufstieg bezeichnen. Wir verstehen uns. Aber die Herren haben für heute genug. Sie treten wieder den Rückzug an, und wir dann auch. Zuerst wird der eine Knabe in Sicherheit gebracht, dann der andere. Langsam und vorsichtig wie immer steigen wir zum Schnee hinab und über den grossen Schuttkegel auf die Berschner Alp Malun. Wir sehnen uns nach dem heute ganz entbehrten Wasser, verlieren uns mit Beerensuchen und finden uns erst nach einigen Stunden auf Cavortsch wieder. Noch vor Nacht sind wir zu Hause.
Ergebnisse dieser Tour: Ich empfehle wieder allen echten Clubisten die Gipfel zwischen Sichelkamm und Alvier, namentlich Grossen und Kleinen Faulfirst, Sisizer Rosswies und Gamsberg, und zwar die Besteigung von der Südseite. Die kühne Spitze, 2305 m, ist noch ungetauft und unverheiratet. Ihre Besteigung von der Südseite ist möglich und auch eines Clubisten ersten Ranges würdig, aber nicht im «Sturmschritt». Besonders empfehle ich die Aufstiege von der Südseite zur Sisizier Rosswies und zum Grossen Faulfirst. Wer diese machen will, werde sich über den Aufstieg vorerst aus einiger Entfernung klar, von den Alpen, am besten vom Älplikopf 1645 m aus, oder durch gute Photographien. Die Karten über diese Partien, auch «Blatt Bärschis» sind schlecht, fehlerhaft, für unsere Zwecke unnütz.
Wer nur im Selbstgefühl als Clubist ersten Ranges diese Berge von Süden ansteigt, kann sich nachher über bittere Enttäuschung beklagen müssen. Die Anwendung des Seils bei diesen Kletterpartien missbillige ich. Wer nicht selbständig ist, bleibe unten; sonst holt der Teufel einmal wegen einem eine ganze Gesellschaft. Auch Pickel und Stock sind hier, wo man sich so unmittelbar und mit ganzer Hingebung der Mutter Erde, den Felsen anschmiegen muss, wo alle Extremitäten und Sinne voll beansprucht werden, unnötige und oft sehr lästige Requisiten, die man besser unten lässt. Mit Emblemen, Dekorationen und Ceremonien ist hier nichts anzufangen.
Ihr Freunde des hochedlen Klettersports, in den St. Galler Freibergen giebt es Partien, die den Dolomiten mindestens ebenbürtig sind. Fraget die Herren von der Sektion Uto!
Noch eine nebensächliche Bemerkung. Es ist nicht clubistisch, auf selten bestiegenen Gipfeln die Aufschriebe von Vorgängern wegzuwerfen, damit der werte eigene Name, das liebe Ich allein, soli mihi gloria in excelsis, dort gelesen und vielleicht als «Erstersteiger» bewundert werde, wie ich bei dieser Fahrt auf mehr als einem Punkt konstatiert habe.
(J. B. S., Sektion Piz Sol)
SAC Jahrbuch 1895:
Sektion Piz Sol. Einzeltouren: … J. B. Stoop: … Gamsberg 1. Aufstieg Südwestschlucht, 2. Aufstieg Goldloch-Felsenfenster, Abstieg Scheff – Kaltthäli – Schönplank – Gulms, Schefffurkel – Spitzplank – Sennis, Rosswies 1. Aufstieg von der Südseite, …
SAC Jahrbuch 1897:
Allerlei Berichtigungen. Dr. Ernst Haffter (Sektion Rhätia) schreibt:
„Im folgenden erlaube ich mir, Ihnen einige Korrekturen und Ergänzungen zur Abteilung «Neue Bergfahrten 1894» im Jahrbuch S.A.C. XXX, pag. 393, vorzuschlagen, die, wie ich hoffe, Ihren Beifall finden werden. Warum ich erst jetzt damit komme, sagt Ihnen der Schlusspassus meines Briefes; darum gehe ich hier gleich in medias res hinein.
Die von den HH. Stoop, Wildhaber und mir unternommene erste Gamsbergfahrt von Süden, die uns auf dem Gipfel des Berges zusammenführte mit den HH. Dr. Janggen, Neher etc., fand Sonntag den 24. Juni 1891 (laut meinen bezüglichen zuverlässigen Notizen) statt, nicht am 25., wie Herr Stoop in der Beschreibung dieser Tour in der Alpina (Jahrgang 1894, Nr. 15, pag. 127) irrtümlicherweise berichtete, wogegen er im gleichen Blatt (Jahrgang 1895, Nr. 2, pag. 11) dann später das obige richtige Datum giebt. Diese unrichtige Tagesangabe ist aus der Alpina ins Jahrbuch S.A.C. (a. a. O.) übergegangen, weshalb ich Sie, behufs einer allfälligen Korrektur, darauf aufmerksam mache.
Der von uns eingeschlagene Weg war (vgl. Blatt Bärschis) folgender: Erst Anstieg über Grossplangg in nordwestlicher Richtung zum Wort «Steren» (von Sterenberg), dann in südöstlicher Richtung Vormarsch auf den unter den südwestlich aufragenden Steilwänden sich hinziehenden Rasen- und Erdbändern (hier der «Faule Gang»), bis wir dort, wo die erwähnten jähen Bergwände gewaltig zusammenschrumpfen, auf die Südseite des Berges übergingen und von dieser her den Gipfel nahmen.
Aus diesen Angaben ersehen Sie, dass in der obenerwähnten Notiz im Jahrbuch S.A.C. die Anstiegsrichtung besser eine südwestliche genannt würde, als eine südliche, und ich möchte Ihnen deshalb empfehlen, diese Korrektur ebenfalls vorzunehmen, wenn Sie etwa im nächsten Band an Stelle des bisherigen falschen das richtige Datum obiger Besteigung einsetzen. Hierzu veranlasst mich noch ein weiterer Beweggrund, den ich Ihnen im folgenden auseinandersetzen will.
In der Alpina (Jahrgang 1895, Nr. 2, pag. 11) schilderte Herr Stoop kurz eine von uns am 14. Oktober 1894 ausgeführte Gamsbergtour von Südosten über das sogenannte Goldloch. Mit Fug und Recht hätte er beisetzen sollen und können, dass dies wiederum eine Erstlingsbesteigung gewesen; denn laut von ihm eingezogenen Erkundigungen hat vor uns auf jenem Weg kein Tourist, auch kaum ein Jäger, den Berg bestiegen. Nehmen Sie das Panorama vom Älplikopf zur Hand, so finden Sie dort durch die von Punkt 2344 steil thalwärts stürzende, tief eingerissene Runse, die in südöstlicher Richtung verläuft, unsere neuere Anstiegsrichtung ungefähr angegeben. Somit ist es richtig, wenn Herr Stoop dieselbe a. a. O. als eine südöstliche bezeichnet, und dürfte somit die Rubrik «Neue Bergfahrten 1894» ungefähr um den Passus bereichert werden:
«14. Oktober 1894. Erste Besteigung des Gamsberges von der Südostseite (via Goldloch), ausgeführt von den HH. J. B. Stoop (Sektion Piz Sol) und Dr. E. Haffter (Sektion Rhätia).» Bringen Sie nun, wie ich hoffe, diesen Nachtrag gelegentlich an und korrigieren Sie gleichzeitig das Datum unserer ersten Gamsbergfahrt, so empfiehlt es sich meines Erachtens bei diesem Anlass auch, für: Besteigung des Gamsberges von Süden zu setzen:
«Erste Besteigung des Gamsberges von Südwesten (via Fauler Gang)», indem, wie ich im frühern nachgewiesen zu haben glaube, diese Direktionsbezeichnung für den Aufstieg den thatsächlichen Verhältnissen besser entspricht, als die bisherige («von Süden»); ferner wird durch diese neuere Angabe die Richtung unseres Juni-Aufstieges scharf und deutlich und unmissverständlich markiert gegenüber derjenigen, die wir bei unserer Gamsbergtour vom Oktober 1894 verfolgten, so dass auch ein mit den topographischen Verhältnissen am und um den Gamsberg wenig Vertrauter diese beiden Routen nie und nimmer verwechseln kann, was eher möglich wäre, wenn er nur die Angaben: Gamsberg von Süden und: Gamsberg von Südosten vorfände.
Kurz, ich möchte Ihnen also beantragen, im nächsten Band des Jahrbuchs S.A.C. die Bemerkung anbringen zu wollen, der auf den Gamsberg bezügliche Vermerk unter «Neue Bergfahrten 1894» im Jahrbuch S.A.C. XXX, pag. 393, sei zu streichen und dafür folgender Nachtrag zu substituieren:
«Erste Besteigung des Gamsberges von der Südwestseite (via Fauler Gang). 24. Juni 1894. HH. J. B. Stoop (Sektion Piz Sol); Karl Wildhaber, Tscherlach; Dr. E. Haffter (Sektion Rhätia).
Erste Besteigung des Gamsberges von der Südostseite (via Goldloch). 14. Oktober 1894. HH. J. B. Stoop (Sektion Piz Sol) und Dr. E. Haffter (Sektion Rhätia).» –
Nun noch der Grund, warum ich erst jetzt mit diesen Korrekturen hervortrete:
Im Dezember 1895 lieferte ich der Sektion Rhätia mein Tourenverzeichnis pro 1894/1895, zu Händen des Sektionsberichtes, ein, in welchem Verzeichnis ich obige Korrekturen und Ergänzungen zum erwähnten Gamsbergpassus im Jahrbuch S.A.C. XXX, pag. 393, eingetragen hatte; allein, wie es nachher im Jahresbericht hiess, hatte man nicht für nötig befunden, die von mir und andern Sektionsmitgliedern angemeldeten Einzeltouren im Bericht anzuführen, weil sie doch nur ein ungenügendes Bild von der Thätigkeit der Sektion als solche ergäben – so lautete die betreffende Motivierung. Erst nach langem Nachfragen erhielt ich dann mein Tourenverzeichnis ¾ Jahre später wieder. Als dann Herr Stoop vor cirka einem Jahr sich auf meine Verwendung hin bereit erklärte, zu Herrn J. Knechts Älplikopf-Panorama einigen begleitenden Text ins Jahrbuch S.A.C. zu liefern, legte ich ihm nahe, bei diesem Anlass auch obige Verifikationen anzubringen. Da dies aber nicht geschehen ist (vgl. seinen Artikel «Aus dem Gebiet des Blatt Bärschis, T. A. 256», Jahrbuch S.A.C. XXXII, pag. 356 ff.), trete ich endlich selbst auf den Plan damit, in der Hoffnung, Sie werden diese meine Anregungen berücksichtigen.”