Gränzen an die Pündtnerischen Lande I. Der Kayser / insonderheit mit denen Tyrolischen Landen / deren Gebirge von dem Rhein zwischen Fläsch und Guttenberg sich erstrecken bis in das Venetianische. Die erste angränzende Provinz ist der Estneren / und darinn die Herrschaft Vaduz / mit Gutenberg / Vaduz / Treysa; hernach das Montafuner-Thal / in dessen obersten Theil auf denen Pündtnerischen Gränzen entspringet die Ill: Aus diesem Thal ist ein Pass ins Prettigöw über den Berg Rhaetico.
Rhaetico, Raeticon, Rhetigowerberg / Prättigöwerberg wird unter die höchsten Berge gezehlet von Mela L. III. etliche halten ihne vor den Braulium in der Graffschaft Cleven: andere suchen ihne gar in dem Ertzbischthum Cöln: besser aber verstehen unsere Geschicht- und Landbeschreibere gemeinlich jene hohen Berg / welch sind zwischen dem Prättigöw / und Montafunerthal / und kommet auch selbs von diesem Rhetico der Name Pretticovv, Prettigöw / durch vorsetzung des Buchstabens p, gleich von Fundamentum entstanden das Teutsche Wort Pfumment / Pfimmer / von Favario, Pfäfers. …
Zu oberst auf diesem Berg Selva Rhaeta, Selvreta. q. Sylva Rhaetiae genant entspringt die Lanquart / Langarus, welche durch das Prettigöw ab- und unter Chur in den Rhein fliesst. Ueber die Jöcher dieses Bergs gehen … etliche Strassen, die doch mehrentheils von winterlichem Schnee verschlossen werden. Zu innerst leitet die eine auf Cultüren zu / und daselbst dannen für Isikel / dem Rosanabach nach / durch Patznun / Stantzerthal / und aus demselbigen in das Yhnthal. Eine andere geht in Fermunt (ist ein Thal den Steinsbergeren zugehörig) und aus demselbigen über ein Schneegletscher in ein ander Thal / Tojum genant / das sein Ausgang jenseit Gebirgs in das Unter-Engadein gen Gwarden hat. Der Yll nach besser herfür komt man aus Montafun über den Schlapiner-Sattel zu dem Kloster im Prettigöw: und weiter aussen im Montafun ist noch ein Strass über das Joch gegen Mittag in ein Zuthal des Prettigöws / so St. Antonien genennet wird / und sein Ausgang zwischen Küblis und Lutzein hat. An anderen Ohrten mehr können die Montafuner und Prettigöwer zusamen kommen. Die Yll soll auch aus diesem Berg Rhetico entspringen.
(Quelle: Helvetiae stoicheiographia. Orographia et Oreographia. Oder Beschreibung der Elementen/Grenzen und Bergen des Schweizerlands. Der Natur-Histori des Schweitzerlands. Erster Theil. Johann Jakob Scheuchzer. Zürich 1716)
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Marschlins nebst der umliegenden Gegend. … Das Schloss Marschlins ligt am nordöstlichen Ende des zum Gotteshausbunde gehörigen Hochgerichts der vier Dörfer, in einem Querthale, das östlich durch den Walseinaberg, westlich durch den Calanda, Untervazer, und Mastrilserberg eingeschlossen ist, weiter westwärts aber und nordwärts sich in dem Hauptthale verliert, das von Osten aus dem Brätigau hervorkommt, und westwärts nach dem Wallenstadtersee hin fortstreicht. Im Süden wird dieses Querthal durch die Chureralpen, und im Norden durch die mitternächtliche Gebirgswand des schonerwänten Hauptthals umschlossen, die einen Theil des Rhäticon, den Falkniss, von Osten herüberzieht, hierauf den Luciensteig, mit dem davon abgerissenen Fläscherberge, den Schollberg, Wartauerberg, und weiter westwärts die am Wallenstadtersee hinlaufende zakige Gebirgsmauer der Toggenburger Gebirge, die hier die sieben Churfürsten genennt werden, aufthürmt. … Unter mehreren Gegenden in Bünden, wo theils römische, theils aus den Ritterzeiten herstammende Schlösser in ungewönlicher Anzal angehäuft sind, zeichnet sich diese vornehmlich aus. Von Ragaz bis Chur zält man ihrer neunzehn. Der grösste Theil davon ligt in Trümmern, da hingegen Marschlins erneuert und erweitert worden ist. … Eine Viertelstunde über Marschlins ligt das gedachte Dorf Igis, das in der Gegend Eiis ausgesprochen wird, und eine Viertelstunde weiter südwärts Zizers. Diese beiden Dörfer bauen viel Wein. …
Die Gebirge dieser Gegend selbst als Ueberläufer aus dem höheren Gebirge zu betrachten, findet man von allen Seiten Anlas. Schon der Walseinaberg, der, bei näherer Erkundigung, als ein abgerissener Ast vom Rhäticon erscheint, und an der Stelle der Ablösung seinen inneren Bau im Durchschnitte vor Augen legt, wird, ohne Zurückleitung zu den ungeheuren Umstürzungen, die einst in der Mittelkette der Alpen vorgegangen seyn müssen, ein unerklärliches Gemische, da er hingegen, aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, zur Beurtheilung einer beträchtlichen Anzal ihm änlicher Gebirge in Bünden den Schlüssel geben kann.
Der Weg ins Brätigau fürt durch ienen merkwürdigen Riss, dessen nähere Beschreibung ich daher mit der Erzälung der Reise ins Brätigau verbinde. …
(Quelle: Alpenreise vom Jahre 1781, Gottlieb Storr, 1786)
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Reise ins Brätigau. Wir kamen über eine am Fuss des Walseina aus Trümmern von ihm aufgehäufte Halde, die die Ganda genennt wird, an einigen mit dem gleichen Namen belegten Häusern vorbei, und weiter ostwärts durch den Forst, einen mit etwas Holz und Gebüschen bewachsenen Theil dieser Schuttstreke, zu einer noch mehr verschütteten Stelle, die der Stein genennt wird. Hier öfnet sich der merkwürdige Riss, der den Walseinaberg von dem Theile des Rhäticon absondert, der, nach einem auf ihm liegenden Dorfe, der Seewisserberg heisst; die Landquart, die mit grossem Getöse durchströmt, nimmt den Grund dieser Berglüke gänzlich ein, und der Weg geht zuerst mühsam an der Felsenwand des Walseina hin, und wird dann durch die Schlossbrüke, die von ihm in einem Bogen zum Seewisserberg überspringt, an diesen hingeleitet. Das Zusammenpassen beider Stükke dieses Bergbruchs fällt auf den ersten Anblik in die Augen, und bestätigt sich mehr und mehr, im Gegeneinanderhalten der Gesteinart und aller Einzelheiten des äusseren und inneren Baues. … Diese Brüke bezeichnet die Gränze des Brätigaus, und hat den Namen der Schlossbrüke von einem nahe am Seewisserberge gelegenen Schlosse Frakstein, das samt seiner Capelle in Ruinen da ligt. Der Name des Schlosses soll so viel, als Petra fracta, andeuten, und spielt demnach wahrscheinlich auf den Gebirgsbruch an, der die Kluft öfnete, die sich die Grafen von Landquart zu einem Wohnsiz ausersahen. Noch disseits der Schlossbrüke an der Seite des Walseina und weiterhin in verschiedenen Gegenden des Brätigaus trafen wir Kalköfen an, in welchen der beschriebene Kalkstein gebrannt wird; der Unterschied dieses Kalks vom gewöhnlichen Kalke ist in der Gegend nicht unbemerkt geblieben: Man nennt ihn, der Farbe wegen, die er im Brennen annimmt, roten Kalk, … auch Wetterkalk genennt, …
Der erste Ort im Brätigau ist das sogenannte Pratisle (in der Volkssprache Pardisle), dessen Name von pratum abgeleitet wird, ein kleiner Weiler, der aus einem Wirtshause und etlichen zerstreuten Häusern am Fus des Seewisserbergs steht. In der Höhe ligt auf einer Vorstufe dieses Bergs das Dorf Seewis, von welchem er den Namen hat. Noch höher, eine Stunde hinter Seewis, ligt das Ganeyerbad, das ich nicht selbst gesehen habe. Es wird aus vier nahe beisammen entspringenden, dem Gehalt nach sehr unänlichen, Quellen zusammengeleitet und künstlich erwärmet. Hr. Dr. Amstein hat, die sämtliche Quellen zu untersuchen, angefangen, und wird vielleicht künftig eine Beschreibung dieses Bades bekannt machen. Einige iener Quellen kommen aus stalgrauen, Schwerspat und Schwererde enthaltenden, mit Eisenkieswürfelgen reichlich durchstreuten, Hornsteinschifer, hervor. Unter mehreren Stufen, Hökern und Klippen des Seewisserbergs zeichnet sich ein hervorstehender Fels durch die Ruinen des Schlosses Solavers aus, dessen Name auf die der Mittagssonne zugekehrte Lage anspielen soll.
Am Fuss des Bergs zieht sich ein aus Trümmern von ihm aufgehäufter Hügel gegen den Fanoserberg hin, den ein tief ausgerissenes Tobel absondert, in welchem der Ganeyerbach herniderbraust, der in dieser Gegend schon grosse Verwüstungen angerichtet hat. Ein Ausbruch dieser Art von 1762 ist noch in frischem Andenken, der von einem vormaligen Dörfgen Schmiede nichts, als eine Hufschmiede, nicht fern von der Strasse, übriggelassen hat, die noch den Namen des zerstörten Dörfgens erhält. Auch die Felder sind so sehr verwüstet, und mit herbeigefürten Geschieben, die noch von Zeit zu Zeit durch neue Ergiessungen des Bachs und der Landquart vermehrt werden, überladen, dass die ganze Gegend die Risse genennt wird.
Jenseits des Ganeyerbachs (nach der Volkssprache Ganeyrenbach), nächst unter dem Tobel, aus welchem er in einigen ansehnlichen Fällen herabkommt, ligt das Dorf Grüsch am Fus des Fanoserbergs.
Dieser Berg, an dessen Abhang das Dorf Fanos (nach der gemeinen Aussprache Fanas), auf einer Vorstufe ligt, kommt mit dem nächstliegenden Theile des Seewisserbergs, so viel sich im Vorüberreisen erkennen lies, in der Gebirgsart überein; … . Das Gebirge ist auch hier grossentheils mürbe und los, insbesondere am Böschis, einem Vorberge des Fanoserbergs, an dessen zerrissenen und steil abgeschnittenem Absturze über der Landquart der Weg nach Schiersch hinfürt. Die Gegend von Schiersch fällt, besonders wegen einigen symmetrisch gestellten grasreichen Hügeln, sehr anmutig in die Augen. Neben vielen Wiesen und Waiden sieht man hier auch Gärten, Kartoffelfelder, Wallnüsse und andres Obst. … Von Schiersch aus zieht sich die Strasse eine Streke lang zwischen zerstreuten Häusern und Bauernhöfen am Gebirge hin; man nennt die Gegend im London.
Von da kommt man in ein Thal hinab, in welchem ienseits der Landquart, über die eine Brüke fürt, das Dorf Jenaz ligt. Das Bad bei diesem Dorfe ist wenig mehr in Uebung, da die Gegend mit wirksameren Bädern genug versehen ist. Nicht weit von Jenaz ligt am Fus des Gebirgs das Dorf Fideris, und über diesem in einem wilden Tobel, aus welchem der Fiderisserbach herabkommt, das Bad gleichen Namens, wo wir nach halbstündigen Ansteigen eintrafen.
Das Fiderisserwasser quillt kalt hervor, und enthält, nebst etwas Eisen und Schwefelleber, vornemlich Bittersalz, und einen so reichlichen Gehalt an Luftsäure, dass der angenehme und erfrischende Geschmak von dieser darinnn vorschlägt. Anderwärts würde ein solches Wasser vornehmlich als Trinkquelle benuzt werden, aber der ausgedehnte Gebrauch, den man in diesen Gegenden von Badecuren macht, hat die Gesundwasser gröstentheils in Bäder verwandelt, deren Gebrauchsart gleichwol, vornemlich bei den Ausbadecuren, das Trinken des Wassers mitbegreift. Das Wasser wird aus zwei sorgfältig eingefassten und bedekten Quellen, deren eine etwas stärker, als die andere, ist, in den Kessel geleitet, und, nach der Erwärmung, in zwei Badstuben, iede zu 24 Kästen, vertheilt. Die Gebäude sind neu, und Hr Bundschreiber Engel, der der Badwirtschaft vorsteht, macht sichs zur Angelegenheit, die Curgäste nach Vermögen zu besorgen. …
Vom Fiderisserbade gingen wir dem Antonienthale zu, erst zurük ins Jenazerthal hinab, und über die Landquart, dann nach dem Dorfe Luzein, das am Abhang der nördlichen Gebirgstreke ligt, die, nebst mehreren Thälern, auch das Antonienthal begreift. …
Oben auf dem Luzeinerberge wird die Aussicht durch einige malerische Landschaftsstükke unterhaltend: Rükwärts zeigt sich ein grosses, im Halbkraise steil und tief ausgehöltes, wildes Tobel, Schaniel genannt, mit einem schäumend niderstürzenden Waldbache gleichen Namens; vorwärts das Klosterthal, eine waidenreiche, ganz von Gebirgen umschlossene, anmutige Ebne; zur Seite eine länglichsvierekige Kuppe auf dem Ruzeberge, die, ihrer Gestalt wegen, der Ristenstein genennt wird. Der Luzeinerwald fürt, nach Zurüklegung des Bergs, in den Guferwald, … Auch hier bleibt das Gebirge, dem Stoffe nach, sich noch gleich: … Aber der sichtbare Umsturz der Schichten und die gewaltsame Zerrüttung des ganzen Baues zeichnet diese Gebirgstreke ganz besonders aus: Wie Pfeiler, stehen Reihen solcher Schiferbänke, theils senkrecht, theils in wenig geneigten Richtungen, zum Theil so gar übergekrümmt und umgebeugt beisammen. Durch mancherlei zufällige Verbindungen geben sie oft die sonderbarste Ansichten: Wir verweilen lange vor einer solchen Säulenreihe, unter der die Dalvaz in einem tiefausgegrabenen Bette vorüberfliesst; ueber ihr steigen Tannengruppen von der glüklichsten Zusammensezung empor, zwischen welchen eine kleine Jägerhütte eingepasst ist; an den Seiten spielen Wasserfälle zwischen den Stufen der zerrissenen Felsenwand; dem von hinten einfallenden Lichte sezt der dichte Wald sein abstechendes Dunkel entgegen.
Nach vier Stunden kamen wir nach St. Antonien (der Landesaussprache nach St. Anthöny); diesen Namen hat das ganze über drei Stunden lange Thal, und in engerer Bedeutung die Gegend um die Pfarrkirche, die nicht sowol ein eigentliches Dorf, als vielmehr den vornehmsten Sammlungspunkt einer, weiterhin mehr und mehr zerstreuten und durch den grössten Theil des Thals verbreiteten, nicht unbeträchtlichen, Anzal von Häusern ausmacht. Mit Mühe fanden wir eine Herberge, weil die meisten Einwohner im Sommer, zumal zur Zeit der Heuernde, auf ihren Besizungen im Gebirge zerstreut sind. Ihr Winteraufenthalt im Thale ist mit mancherlei Beschwerlichkeiten und Gefaren verknüpft, obgleich die Kälte vergleichungsweise da sehr gelind seyn soll; sie werden aber oft wochenlange, theils durch die Tiefe des Schnees, theils durch die Gefahr der Schneefälle, in ihre Wonungen eingeschlossen. …
Mit anbrechendem Tage machten wir Anstalt, die Gavier (Gavia mons in den schriftlichen Nachrichten, der Landesaussprache nach Caffierberg) und Madrisenberge zu besteigen. Auf dem Wege dahin fanden wir um die Sommerwonungen an den nächsten Vorbergen, und an denen, durch welche sich weiterhin das Gavierthal hinaufzieht, häufig Blagdengärten. …
Das Gaviergebirge beginnt eine, durch Lage, Bau, und ihre ganze Beschaffenheit, merkwürdige, von allen Seiten abgeschnittene, Kalkstreke, die eine von Südwesten ausgehende, im Bogen zusammengestellte, Reihe von Kalkfelsen nach Nordwesten überfürt, wo die Sulzflue, einer ihrer ansehnlichsten Gipfel den Zug schliest, und nordwestlich an den Rhäticon, nordöstlich an die Montafuner Gebirge angränzt, von welchen aus die Gebirgskette widerum ununterbrochen fortgeht.
Schon das sogenannte Gavierthal, oder vielmehr der langsamer ansteigende Theil des Gebirgs, ist mit Trümmern der steilen und zerrissenen Felsenreihen, die ihn umschliessen, in Menge beladen. Man zeigt unter dem Namen des grossen Steins ein durch seine Grösse besonders ausgezeichnetes Felsenstük dieser Art, das bis zu den Mayensäsen herabgekommen, und mit Gebüschen bewachsen ist, zwischen welchen zwei ansehnliche Speierlinge hervorragen. Der felsige Rüken des Gebirgs hat den Namen der Gavier Platten, ein grosser Theil davon stellt wirklich Plattformenartige abgeglättete Flächen vor; mit diesen wechseln aber öfters krause, ausgehölte und in die seltsamste Gestalten geschnizte, oder vielmehr zerstükte Stellen ab. Häufig stehen da senkrechte oder doch sehr abschüssige Klüfte offen, die zum Theil von beträchtlicher Mächtigkeit sind, und in unergründete Tiefen nidersezen. Eine der mächtigsten dieser Klüfte, deren nie erhellter Schlund sich klafterweit öfnet, wird der Ungeheuerschoken genennt. Die Ränder dieser Klüfte sind zum Theil aufs sonderbarste gewunden, gezakt, zerrissen, und oft mit Tropfsteinen, zuweilen auch Tuffsteinen besezt.
Ehe wir noch die Scheitel dieses Gebirgs erreichten, kamen wir schon zu beträchtlichen Schneelagen, wo wir zuweilen bis an die Hüften einsanken. Auf den Gavierplatten halten sich im Sommer häufig Schneehüner auf, die oft mit grossem Geräusche vor uns aufflogen. Nachdem wir uns auf einem unverhofft entdekten grünen Pläzgen etwas erfrischt hatten, sezten wir unsren immer mühsameren Weg über die Schneelagen und die äusserst abgerollte, zersprengte und zerrissene Klippen des übrigen Theils der Gavierplatten nach dem Madrisengebirge fort. An vertieften Stellen hatten die Schneelagen häufig Gruben und Rinnenähnliche Furchen, deren Schnee sich durch eine rosenrote Farbe auszeichnete, die etwas blässer erschien, aber doch nicht gänzlich verschwand, wenn man ihn von der Stelle nahm, und am durchfallenden Lichte betrachtete. …
Auf dem Rükwege überfiel uns ein Gewitter, das sich durch einige Wolken ankündete, die wir schon auf Madrisen von unten heraufsteigen sahen; sie erreichten uns im Hernidersteigen von Gavia, umhüllten, und bethauten uns etwas; bald darauf sahen wir blizen, und hörten Donner von Tobel zu Tobel widerhallen. Ein heftiger Schlagregen trieb uns iezt in eine Hütte des Gavierthals, die uns schon am Morgen geöfnet worden war, und wo uns, nebst Milch, die sogenannte gesunde Suffi (Molken samt dem darin liegenden Zieger), Butter (nach der hiesigen Mundart süs Schmalz), Brod, und Käse aufgetischt wurde. In der vergeblichen Hofnung, dass der Regen nachlassen würde, beharrten wir auf dem Vorsaze, noch Partnun zu erreichen, um am folgenden Tage die dortigen Grotten zu besuchen.
In diesem Dorfe, das nur den Sommer durch von St. Antonien aus bewont wird, kamen wir, ununterbrochen beregnet, Nachts um zehn Uhr an, da schon alles ruhte; wir mussten uns glüklich preisen, nach theils unbeantworteten, theils verweigerten Bitten um Aufnahme, endlich ein Haus zu finden, wo man uns, auf dringendes Ablehnen von allerlei Bedenklichkeiten, einlies.
Der Regen lies den folgenden Tag noch nicht nach, und unsre Wirtsleute verkündeten uns, allen Anzeigen ihrer Witterungskunde nach, nichts anders, als Leidwetter, d. i. wenn ie dieses nachdrükliche Bündnerische Wort einer Deutung bedarf, anhaltendes Regenwetter. Wir entschlossen uns demnach, auf weitere Unternehmungen in der Gegend, und selbst auf die Besichtigung der benachbarten Tropfsteinhölen, zu welchen der Zugang nun allzuschlüpfrig und unsicher geworden war, Verzicht zu thun, und die Pferde, die wir von Fideris aus nach Marschlins zurükgeschikt hatten, widerum zu berufen. Die Zeit unserer Gefangenschaft wendeten wir zu Erkundigungen über die ökonomische Einrichtungen unsrer Wirtsleute an. Die Familie bestand nur aus vier Köpfen, einem alten Vater, der meistens ruhte, seiner Frau, die die Küche, und was sonst im Hause zu thun war, bestellte, und dem Sohn, der mit seiner Frau das Vieh besorgte. Sowol hier, als in Antonien und Gavierthale überhaupt, hatten wir von der mehrmals angemerkten vorzüglichen Grösse und sichtbaren Stärke so mancher Gebirgsbewoner sehr bestätigende Beispiele vor uns. Aelplerische Gutmütigkeit und Dienstwilligkeit entwikelte sich bei unsern Wirtsleuten immer mehr, wie sich ihre erste Scheue verlor; sie äusserten nur darüber bei iedem Anlasse ihre Unruhe, dass wir mit ihrer Bedienung übel zufrieden seyn würden, doch wurden sie bald gesprächig, und brachten mancherlei verständige Fragen, mit unter auch launische Einfälle vor. Mit anbrechendem Tage besorgten die iunge Eheleute das Vieh, das man hier nur den Tag über auf den nahe liegenden Waiden lässt, und nicht nur die Nacht durch gewönlich im Stalle behält, sondern, zumal bei nasser Witterung, auch des Morgens füttert, und erst nach dem Melken durch den Gemeindhirten zur Waide füren lässt. Gegen sieben Uhr nahm die Familie gemeinschaftlich ihr Frühstük, das aus Milch, Brod, Zieger und Käse bestand. Gegen 8 Uhr gingen die iunge Leute zum Melken, und übergaben die Milch der Mutter, die das Sennen besorgte. Nach neun Uhr sezten sie sich widerum zu Tische, um zu Mittag, oder vielmehr, auch dem gemeinüblichen älplerischen Ausdruke nach, zu Morgen zu essen. Suppe, Molken und Zieger, Sauerkraut, Schweinfleisch, Würste, und Brod waren die Gerichte dieses Mals. Um zwei Uhr nahmen sie widerum Milch, Brod, und Käse, und um sieben Uhr Gerste mit Milch gekocht, Milch, Zieger und Brod. Nach dem Morgenessen sezte die Mutter, mit Hülfe ihrer Schwigertochter, die Milcharbeiten fort, und besorgte etwas Essen für uns. Der Sohn sezte sich an die Schnizbank, Heinzen zu machen.
Die Antonier haben keine Gemeinsennten; jede Familie sennt, wo möglich, für sich; nur wenige, deren Viehstand allzugering ist, treten mit andren, die im gleichen Falle sind, in kleine Gesellschaften zusammen, um den täglichen Milchertrag für die Bereitung eines kleinen Käses zusammenzubringen; die Alphütten sind daher in diesen Gegenden zalreicher, als in solchen, wo die Sennarbeiten im grossen getrieben werden.
Da der Butterhandel in Bünden frei ist, bereitet alles Butter, und daher meist blos magre Käse. Zur Butterbereitung bedienen sie sich, statt der anderwärts üblichen Butterfässer, mit besserem Erfolge der Tröllkübel, die nach Art einer Handmühle, eingerichtet sind, und die Absonderung der Butter schneller, vollkommener, und reinlicher bewerkstelligen. Die Antonier thun sich auf die allerdings erheblichen Vorzüge des süssen Sennes, gegen ihre Montafuner Nachbarn und andren sauer sennenden Aelplern, viel zu gute. … In einigen Milchländern, wie eben im Antonienthale, wo das Brod nicht so selten ist, dass die Zieger, seinen Stelle zu ersezen, unentbehrlich würden, bereitet man diese überhaupt selten, und hingegen für den täglichen Selbstgebrauch meist nur iene gesunde Suffi; die übrigen Schotten samt dem gröberen ziegerartigen Niderschlage werden dann unter das Futter der Schweine gemischt.
Der Himmel hatte sich am folgenden Morgen noch nicht aufgeklärt, doch machte uns das etwas Mut, dass es auf den Bergen, dem älplerischen Ausdruke nach, angeschnien hatte. Wir entschlossen uns daher, zur Beschleunigung der Rükreise, unsren Pferden entgegen zu gehen, die, den Nachrichten unsres Boten zufolge, nicht mehr fern seyn konnten, und wirklich schon bei der Kirche von St. Antonien zu uns kamen. …
Man sieht in diesen Gegenden hin und wider Schnekengärten, kleine abgesonderte Graspläze, die mit Weinbergschneken (Helix pomatia Linn.) besezt sind, welche da gehegt, und, durch schmale, etwas tiefe, Wassergräben, oder auch nur durch Streifen von hingestreutem Holzmeel, verhindert werden, ihre Waidpläze zu verlassen und sich weiter zu verbreiten.
Der Eintritt in die zuvor beschriebene Berglüke zwischen dem Walseiner und Seewisserberge, die auch die Clause genennt wird, fällt von dieser Seite besonders feierlich in die Augen: Beide abgerissene Berge sind an der nun zugekehrten Ostseite mit Wäldern bekleidet; ihr Rüken bildet einen deutlich fortlaufenden, blos an der Stelle des Risses unterbrochenen, etwas geschweiften, Kamm; an den Seitenwänden der Lüke blikken, zwischen Ruinen des Gebirgs, die Ruinen des Schlosses Frakstein hervor; die bedekte Brüke umspannt den ganzen Zwischenraum, dessen Grund die brausend durchströmende Landquart einnimmt; zurükgedrängt schmiegt sich der schmale Weg an die Felsen hinan; vorwärts erscheint der malerisch ausgeschnizte Fläscherberg an der Gränze des reizenden Durchbliks, und rükwärts erweitert sich die Landschaft, und bereichert sich mit Scenen des bewonten, angebauten, und aus der Verwüstung neuaufblühenden Landes.
(Quelle: Alpenreise vom Jahre 1781, Gottlieb Storr, 1786)
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So wie man aus dem Lichtensteinischen kommt schliesst sich das Thal, und die Bündtner-Gebirge fangen mit der St. Luziensteig an. Der Weg geht stark aufwerts zwischen hohen, theils waldigten, theils kahlen, Mauernähnlichen Felsen, die sich immer näher zusammenziehen, und den durch verschiedene blutige Auftritte berühmten St. Luzien-Pass bilden, der durch eine Schanz und Mauer von einem Berge zum andern gezogen, und mit einer Zugbrücke gesichert ist; wobey ein Wacht- und Zollhaus, und weiter hin eine Kirche, nebst einem Wirthshause steht. Die Strasse ist gut; aber die Gegend buschigt, einsam und etwas unheimlich, bis man hinab auf Meyenfeld, einem kleinen schlechten Städtchen, kömmt. Hier öffnet sich ein schönes Thal und eine herrliche Aussicht. Zur Rechten strömt der Rhein, stark und kräftig, durch Gebüsche und Auen, und seine eigenen Verheerungen hin; an seinem jenseitigen Ufer stehen Ragaz und Vaz, und über ihnen, auf der waldigten Höhe, das Kloster Pfeffers. Zur Linken erheben sich, Wiesen, Felder und Reben, und hinter ihnen reihen sich, dem Gebirge nach, Dörfer, einzelne Hütten und Schlösser. Da zeigt sich nahe bey Malanz der Eingang ins Bretigau, eine Bergöfnung so schmal, von unten bis oben, als wäre sie durchgehauen worden; weiterhin erscheint, im dunkeln Schatten eines Tannenwaldes, Marschlins, berühmt durch sein Philantropin, und dessen klägliches Ende. – So zieht sich das Thal fort, bis nach Zizers, und von da nach Chur, immer zwischen hohen Bergreihen, die bald mit Gras und Holz bewachsen, bald kahl und wild, von Rufinen und Bergströmen durchkreuzt – sind; unten geht indessen der Weg einsam den Krümmungen des Rheins nach, durch Wiesen, Felder und Allmende; selten kömmt man durch ein Dorf, diese stehen schöner zur Seiten, am Fusse ihrer Berge, zur Hälfte von Bäumen und Reben bedekt, als wenn sie da, ferne von der Landstrasse, ihre ländlichen Sitten sichern wollten. Nahe bei Chur wird das Thal enger, die hohen Bergrüken verwandeln sich in einzelne, abgesönderte, kahle Felsenspitzen, die, wenn ich so sagen darf, wie Artischokenblätter hintereinander empor stehen, und der Gegend ein finsteres Ansehen geben. …
(Quelle: Archiv kleiner zerstreuter Reisebeschreibungen durch merkwürdige Gegenden der Schweiz, St. Gallen 1796 – 1802. Fragmente einer Reise durch Bündten. Im May 1790.)
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… So wie man die Ecke an der hohen Wand herumwendet, öffnet sich das weite Sarganser Thal von hohen bewaldeten Gebirgen umgeben, über welche südlich der graue Calanda sein stolzes Haupt empor strebt. Das alte Schloss Sargans westlich an der Ecke des Schollbergs beherrscht von seinem Marmorberge ein 6 Stunden langes Thal; rechts schauet es nach dem Wallensee, links nach Wartau, und gerade vor sich nach Graubündten, dessen ausserordentliche Gebirgsmassen den erhabensten Anblick gewähren. Ich wandte mich von dem Felsenfuss herab ins weichsümpfige Thal, und nahm meinen Weg mitten durch die Ebene nach Ragaz. Das Thal selbst ist einsam und öde, indem das Auge auf dieser zwei Stunden langen Fläche weder Wohnungen, Hütten, noch Viehheerden erblickt, nur wenige Dorfschaften liegen rechts am Fusse der Gebirge, durch die Perspektive verkleinert und versteckt. Der Wiesengrund, welcher diese weite Ebene deckt, zeugt von Nachlässigkeit und Trägheit; den vielfachen Ueberschwemmungen und dem Verderben des Bodens sieht man wenig Einhalt gethan. Der Anblick des Rhätikon ostwärts jenseits des Rheins zerstreut jede Langeweile, welche sonst der Weg durch diese Thalfläche erregen könnte. Man kann dieses kühne, furchtbare Gebirge, dessen zerrissnen schwarzen Körper und nackte ungeheure Wände nicht genug anstaunen. Den Fuss dieser schauerlichen Felsen-Natur überziehen Büsche und Wälder bis in die Ebene herab, welche das fruchtbare Rheinufer bildet, wo die bündtnerischen Oerter Fläsch, Maienfeld, Jenins, Malans zwischen Obstbäumen und Weinbergen hervorglänzen. … Nach Südwesten fällt der Blick durchs Taminathal auf rauhe und hohe Gebirge, nach Osten über das Sarganser Thal, über die fruchtbaren Gegenden von Maienfeld, Jenins und Malans auf die nackten Felsenwände des Rhätikon, welcher sich von hier in seiner ganzen kühnen Wildheit darstellet. Der höchste pyramidenförmige Gipfel dieser Felsengruppe, Ceucia plauna, Caesaplana, 1700 Klafter über dem Meer erhaben, trägt einen Stunden langen Gletscher, und schaut über alle benachbarten Gipfel auf Deutschlands Gefilde bis nach Ulm. Nicht weit davon am Ende eines Felsenkamms erhebt sich ein anderer Zingel (so nennen hier die Bergbewohner jedes hohe Felsenhorn), welcher den Grenzposten des Bündtner Landes macht, und etwas tiefer steht der Falknis, von dem die nackten Felsen bis an den Rhein bei Luziensteig abstufen. Ein alter Alpenbewohner, der meine Neugierde mit Vergnügen befriedigte, deutete mir rechts von der Caesaplana auf dem hohen Grat das Schweizer- und das Druchsesthor an, zwei Gebirgspässe aus Bündten ins Montafunthal, und ganz tief unterhalb den Felsenriss Kluss, durch welche die wilde Landquart aus dem Brettigau heraus stürzt.
Mit besonderm innigen Vergnügen blickte ich zu meinen Füssen auf den jugendlichen Rhein herab, wie er hier, ganz im Charakter der Natur, die ihn erzeugte, wild, roh, ungestüm und trübe sein Geburtsland verlässt. Welche Hindernisse setzten sich seinem Laufe sogleich von allen Seiten entgegen, und welche Kämpfe musste er bestehen? Ueberall unübersteigliche Felsenmauern, aber seiner Riesenkraft war kein Widerstand zu gross. Mitten durch ungeheure Gebirge brach er sich nordwärts seine Bahn, und gelangte endlich nach unsäglicher Kraftübung in die freie Weite des Bodensees. …
(Quelle: „Schilderung des Gebirgsvolkes“, 1802, Johann Gottfried Ebel)
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Die lieblichen Nebenthäler des Rheines, die Landschaften Prättigau, Davos und Montafun, welche durch Bergzüge von einander getrennt sind, werden durch Passübergänge über die Sättel derselben mit einander in Korrespondenz gebracht. … In die zerklüftete Alpenmauer des Rhätikon sind die Engpässe des Schweizerthores und Drusenthores, wie auch der Plasseggerpass und das steile Schlappinajoch gesprengt, zu denen wilde, eine starre Einöde durchkreuzende Hirten- und Jägerpfade aus den grünen Bergthälern Prättigau’s empor- und östlich von der hochthronenden Scesaplana nach dem Thal von Montafun im Norden hinabsteigen. …
(Quelle: Das Schweizerland. Eine Sommerfahrt durch Gebirg und Thal. Woldemar Kaden, 1875-1877)