Ein Ski-Paradies! Nicht im allgemein verstandenen Sinne, unter dem die grosse Masse von Skifahrern, bequem durch Stand- oder Schwebe-Seilbahnen erreichbare, grosse vielseitige Tourengebiete oder eine Mode gewordene lange Abfahrt versteht, geziert durch grosse, komfortable Klubhäuser oder Hotels, in deren Bereich man stets das Neueste in Ski-„Ausrüstung“ finden kann, seien es papageibunte Kostüme oder mechanische Errungenschaften aller Metall-, Leder- und Gummiarten. Nein. Das Paradies für uns Skiläufer der äussersten Nordostecke unserer Heimat, die wir noch, wie vor einem Jahrzehnt, in beschaulichem, geniesserischem Lauf als Erste Spuren durch flimmernden Pulver oder rauschenden Sulz zu ziehen uns gewohnt sind.
Buchserberg, bescheidener Name, und was bist du uns schon geworden! Unter diesem Allgemeinbegriff versteht der Eingeweihte soviele schöne Gipfel und Aufstieg- wie Abfahrtsgelegenheiten vom Dezember bis Anfangs Mai, besonders für den, der gerne auch noch einen kleinen Gipfel „mit den Händen“ macht.
Von der so günstig erreichbaren Schnellzugsstation Buchs aus gewinnen wir durch herrlichen Buchwald aufsteigend, sei es der Fahrstrasse nach oder abkürzend und die vielen möglichen Fusswege benützend etwas schweisstreibender, das Kurhaus Buchserberg (1112 m) am untern Rand des Hochwaldes gelegen. In stiller Ruhe träumt es seinen Winterschlaf, und so nehmen wir denn unsern Weg wieder unter die Füsse und spuren von hier in leichtem Pulver den Waldweg hinauf, am obern Waldrand den Weg nach rechts verlassend, stehen wir nach gut zweistündigem Marsch vor der Malbunhütte (1408 m), in der sich der Ski-Klub Buchs heimisch niedergelassen hat. Wir geniessen den Blick auf die Liechtensteiner Alpen und Falkniskette. Droben am Waldrand gegen Obersäss verschwindet eben ein Rudel Rehe im dunklen Tann. – Bald prasselt im Herd das lodernde Feuerlein und summt das Teewasser, uns an das leibliche Bedürfnis erinnernd, wenn sich nicht bereits der Magen selbst gemeldet hat. Aus des Rucksacks Tiefen werden die Leckerbissen hervorgeholt; denn hier heisst es noch: selbst ist der Skimann; auch im Tragen.
Sternennacht draussen. Ein Käuzlein heult drüben im Hasenwald.
Wie die ersten goldnen Sonnenstrahlen, die über die Drei Schwestern und hoch über das Rheintal weg uns treffen, stehen wir auch schon droben in der steilen Mulde „im Loch“. Der Kürze wegen haben wir diesen Weg vorgezogen, statt über Obersäss und Hahnenspiel. Hartgefrorene Schneebollen kleiner Lawinen liegen in unserer Spur am jetzt noch glasharten Sonnenhang. Doch bald erreichen wir die flachere Hochmulde und im feinsten Kristall pflügen sich unsere hölzernen Spitzen ihre Bahn in taktmässigem Rauschen, schschirrrr – schschirrrr. Erster Schnaufhalt beim Lunabrünneli, wo eine alte Spur von der Obersäss her einmündet. Der eine kann sich nicht beherrschen, einen kleinen Schuss zurück zu versuchen, derweil die andern drei sich der herrlichen Aussicht erfreuen. Keine Menschenseele ausser uns im weiten, weissen Gelände, in göttlicher Stille!
Über die welligen Marchböden gehts zur Glanna (2022 m), wo wir beim kleinen Schäferhüttli unsere Säcke zurücklassen und hinein spuren ins Glannatäli und hinauf zur Faulfirstlücke dem grossen Faulfirst zu. Zahlreiche Gemsspuren ziehen Grat auf und ab. Immer steiler wird die Mulde, enger die Spitzkehren und mit kräftigem Verschnaufen stecken wir droben in der Lücke zwischen dem grossen und kleinen Faulfirst die Bretter in den tiefen Pulver unter der Wächte. Längst sind wir im kalten Schatten und so gehts denn ungesäumt den Grat hinauf, Griffe auskratzend mit den Fingern, festen Tritt stampfend im losen Pulver, der Sonne zu, die golden um den Gipfel leuchtet. Der Tiefblick an der Gratkante, 700 m hinunter auf Malun-Palfriesalp, ist imponierend.
Da ist der Steinmann erreicht nach gut dreistündigem Aufstieg. (2385 m) Prächtig ist der Blick dem auf- und abzackenden Grat nach über Gärtliköpf-Krummenstein zum Alvier hinüber. Der Gipfelwind lässt uns nicht mehr geniessen als eine Zigarette, dann gehts vorsichtig wieder den Westgrat hinunter zur Lücke (2309 m). Mit steifen Fingern wird angeschnallt und schon windet sich der Tourenleiter in engen Telemarks die Steilmulde hinunter, bei der ersten Verflachung schon stieben die andern an ihm vorbei und nun in immer grössern Bogen und zuletzt in einem grossen Schuss in die Mulde hinab, gleich einem Schlusstrich unter das Genossene. Glannahüttli, so heisst ein herrliches Plätzchen zum süssen Nichtstun an wärmender Sonne angesichts unseres Gipfels. Und erst dort dem Alvier zu, da wäre noch Neuland für unsere Bretter. – Doch heute haben wir ein anderes Ziel, der Rosswies gilt’s!
Gestärkt ziehen wir hinüber zum Sissizgrat (2017 m) zwischen Glanna- und Margelkopf. Eine kurze Abfahrt folgt durch den abgeblasenen Hang in die hintere Mulde der Sissizalp. Und wieder in feinem Pulverschnee aufspurend geht’s durch einen herrlichen Slalomhang über die „Alte Alp“ dem Gipfel zu, der in grellem Weiss sich uns entgegenbäumt. Auch der letzte steile Hang am Ostgrat wird unser und droben stehen wir auf der Rosswies (2335 m) und schauen eine weite, herrliche Welt von Bergen und Tälern. Tiefblick ins Seeztal. Gerade uns gegenüber im Westen ragt der steile Gamsberg, dahinter Käserrugg-Gamserrugg. Unser Gipfel setzt sich fort in kühnem Auf und Ab nach Ost zum Faulfirst-Alvier. Hinter uns, wo wir aufgestiegen, grüssen Glanna- und Margelkopf.
Lockender Schnee lässt uns die Gipfelrast abbrechen. Den ersten Steilhang nehmen wir in zagen Schwüngen und dann folgt ein grosser Schuss zum ersten Buckel hinunter. Mags auch ein Ausrufzeichen geben, die aufstiebende Schneewolke verbirgt das verdutzte Gesicht und weiter geht die herrliche Fahrt in Schuss und Schwung. Immer schneller wird die Fahrt und zuletzt gibt es eine richtige Hatz. Wer tut zuerst den letzten Schuss in die grosse Mulde? Mit tränenden Augen blicken wir zurück auf unsere Abfahrtsspuren. Dann gehts in flacher Fahrt die Mulde hinaus zu den Hütten von Sissiz; denn heute wollen wir noch einmal die Camperney Abfahrt machen, da wir letztesmal die Abfahrt vom Glännli die Hochmulde hinab zum Farnboden Obersäss und Malbun genossen haben.
Zur Rast legen wir uns drüben am apern Kapfhang an die Nachmittagssonne. Bald aber heisst es aufbrechen, die Sonne neigt sich schon westwärts. Der fast apere Hang hinauf zum Kapf kostet uns noch einige Schweisstropfen; denn schwer drücken in der Nachmittagssonne die Bretter unsere Schultern. Doch auch dies hat ein köstliches Ende und nach 20 Minuten wird angeschnallt. Erst geht es sachte den Grat hinunter; denn links fällt die Wand an 900m direkt zum Voralpsee ab, der im kalten Schatten noch tief unter Schnee und Eis dem Sommer entgegen träumt. Rechts der Steilhang hinab ins Valspus. Doch bald wird der Grat breiter, und schneller unsere Fahrt. Bald links, bald rechts von der Bahn des Gamperney-Derby schwingen wir unsere Bogen; denn heute gehts um keine Rekorde. Nördlich der Gratkante sind wir im Pulver, südlich haben wir Sulz, so ists ein herrliches Schwingen. Ein kurzer Steilhang wird nach links gequert und schon flitzen wir im Schuss hinab auf die Fläche der Gamperneyalp. Hier treffen wir die ersten Menschen seit unserm morgendlichen Auszug aus Malbun. Es sind Sportkameraden vom Skiklub Grabs, der hier oben eine Hütte besitzt. Wir setzen uns zur letzten Rast nieder an die Sonne an eine Hüttenwand, die letzten Proviantreste werden noch vertilgt. Der Margelkopf steht schon wieder hoch über uns und dort drüben am Lunasattel sehen wir unsere Aufstiegsspuren vom Morgen. Wie sie locken. Doch umsonst, es muss sein, die Alltagspflicht ruft.
Los gehts, den steilen Buckel unter der Bützhütte hinunter und Druck und Schwung und Stop. Da sieht uns schon das grünende Rheintal entgegen mit seinen hingesäten Dörfern an den Berghängen. Wir aber schwelgen im letzten führigen Schnee über Buckel, durch Mulden und Haglücken, über Gräben und Wege, Schwung auf Schwung und der Letzte stellt uns mitten ins nasse, gilbe Gras zwischen Krokus, weiss und lila. Mit liebevollem Blick werden die Bretter, die uns heute wieder so köstliche Stunden geschenkt, zusammengeschnallt und per Sohle und Absatz gehts dem Tale zu. Da grüsst uns nochmals letztes Weiss, Schneeglöcklein, so recht das Sinnbild des Frühlings. Auch wir schmücken unsere Mützen mit einem Glöcklein und singen ein Frühlingslied, derweil die schneewasservollen Bächlein rauschend ins Tal springen. Von ferne grüsst Schloss Werdenberg, dem wir zustreben, und auf hartem Pflaster kratzen unsere Genagelten die Bahnhofstrasse hinaus unserem Ausgangspunkte zu. Das Letzte, was uns bleibt, ist ein Blick zum Wagenfenster hinaus auf die im letzten Lichte verblassenden Gipfel und die goldene Erinnerung.
(R. Bächtold: Buchserberg. In: Jahrbuch Schweizerischer Ski-Verband 1933)