Ein Ort des Heils für Leidende

Das Bad Pfäffers. Wo der junge Rheinstrom aus dem Bündnerland bei dem Dorfe Ragaz hervorbricht, geht südwärts ein Fussweg ins Gebirg hinauf bis zu den Hütten des Dorfes Valens. Es liegt beinah 3000 Schuh über dem Meere, in einem heitern Bergthal zwischen den grauen Hörnern und Gebirgsstöcken des wildzerrissenen Calanda und Monteluna. Vom Kirchlein des Dorfes hinweg windet sich seitwärts ein Pfad durch Wiesen bis zum Rand einer Bergschlucht, deren Tiefe die den Sardonagletschern entsprungene Tamina durchrauscht. Ein ziemlich steiler Weg führt hier, bei 700 Fuss tief, in den Felsenschlund hinunter, wo, zwischen Waldstrom und Felsen eng eingeklemmt, die Gebäude eines der berühmtesten Schweizerbäder ruhn. Die Strahlen der Sonne, selbst im Sommer, während ihres höchsten Standes am Himmel, tauchen kaum vier Stunden lang in die Gruft hinunter.

Wie schauerlich immerhin auch beim ersten Anblick der Aufenthalt in solcher Felsspalte scheint, wird er doch von Kurgästen aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Italien alljährlich zahlreich besucht. Hier ist aber kein Ort des Vergnügens, kaum einiger Bequemlichkeit. Nur durch Wunderkraft des krystallhellen, geschmack- und geruchslosen, 30° Reaumur warmen Mineralwassers wird Pfäffers ein Ort des Heils für Leidende und ist es seit vielen Jahrhunderten. Die Römer kannten ihn nicht. Erst spät wurden diese Gebirge bevölkert, vielleicht erst, seit der heilige Pirmin, Bischof von Meaux, in dieser Gegend ein Klösterlein St. Maria, zu Anfang des achten Jahrhunderts (im J. 731) gestiftet hatte, um welches sich denn das Dörflein Pfäffers anlegte.

Im Winter aus dem Abgrund emporsteigende Dampfwolken mussten bald zur Entdeckung der warmen Quelle führen. Allein urkundlich wird ihres Daseyns erst im J. 1050 gedacht, als Kaiser Heinrich III. dem Kloster das Eigenthum des Gesundbrunnens bestätigte. Dreihundert und zwei und dreissig Jahre später lieh der Abt des Klosters noch das Bad, bei dem sich blos eine kleine Hütte mit Küche und Stube befand, um 6 Gulden und mit der Bedingung aus, dass die Personen des Gotteshauses Pfäffers das «Wildbad» unentgeldlich benutzen könnten. Freilich die Benutzung war damals nicht nur ziemlich mühselig, sondern auch lebensgefährliches Wagstück. Denn man musste sich an Seilen zwischen den Klippen in die Tiefe hinunterlassen; dann zwischen den Felsen die Tamina aufwärtskriechen, bald von Seilen gehalten, bald auf Leitern und hangenden Brücken bis zu den Quellen, wo man eine Woche lang im Wasser liegen blieb, darin ass und trank und schlief, bis jeder der verzweifelten Kur müde ward oder sich genesen glaubte. Wo heutiges Tages die Badehäuser in einem künstlich erweiterten Platz der Felsenspalte liegen, wurden erst im J. 1630 Hütten aufgeschagen, dann (im J. 1716) die jetzigen Gebäude vollendet, zu denen das Badwasser in Röhren von der Quelle geleitet wird, fast 700 Schritt weit.

Es ist der Mühe werth, durch das etwas grauenhafte Helldunkel der engen Schlucht bis zum Ursprung der Quellen zu wandern. Es ist ein Gang, als wär’ es ein Weg durch die geborstene Erdrinde zum Orkus oder zu den unterirdischen Pallästen der Gnomen. Doch möchte’ ich ihn nicht dem unsichern Fuss ängstlicher Frauen, unbehutsamer Kinder oder ungelenker Männer empfehlen, sondern nur denen, welche schwindellos etwa, wenn sie kein höheres Interesse ruft, von Zeit zu Zeit starke Gemüthserschütterungen bedürfen, um ein in Uebersättigung erschlafftes Gemüth aufzuregen oder welche Brennstoff für die erkaltete Phantasie nöthig haben, oder auch wohl Bergspitzen und Gletscher erklimmen, um mit Gefühl eigner Sicherheit behaglich Empfindungen der Furcht und des Entsetzens zu geniessen, wie Kinder beim Hören der Gespenster- und Räubergeschichten.
Der Pfad des Taminaschlundes führt bei den Badhäusern sogleich zur Pforte der schmalen Felsenhalle. Er ist schlüpfrig, kaum zwei Schuh breit, nur von Brettern, die auf steilen Felsenstäben in die Felswand getrieben, über einem 30-40 Fuss tiefen Abgrund schweben. Hier waltet ewige Dämmerung und Feuchte. Nacktes Gestein schwarzen Marmors, den weisse Spatadern durchschlängeln, thürmt sich links und rechts einige hundert Schuh hoch. Es drohn die überhangenden Klippen, die sich droben einander bald zuneigen, bald verschränken, bald auseinandergehen, furchtbaren Einsturz. Helles Grün der Gebüsche leuchet von den Felsenhöhen am Himmel wie aus einer schönern Welt nieder, die wir nun verlassen. Man athmet in einem dreissig Schuh weiten Grabe. Die Tamina heult, ein unterirdischer Höllenstrom, aus der Tiefe herauf. Der lange hölzerne Steg, an Felsen geklebt, zittert. Nach einer bangen Viertelstunde kommt man zum «Beschluss» in die volle Finsternis einer Höhle. Sie ist etwa zehn Fuss über dem Bach erhaben. In ihr bricht die unterste und reichste Quelle hervor, welche den Bädern in jeder Minute gegen anderthalbtausend Mass ihres Heilwassers spendet, während der Ueberschuss desselben in die Tamina rinnt. Eine andere Höhle erscheint seitwärts, ohngefähr 20-30 Fuss hoch, tief und weit, von der Gewalt der Fluthen im harten Marmor eingewühlt und ausgeglättet. Heutiges Tages wird sie nicht mehr vom Strom erreicht, dessen Oberfläche schon gegen vier Fuss unter ihr liegt. Welchen Aufwand von Jahrtausenden brauchten die Tamina-Wellen, bis sie den festen Kalkstein sechs Klafter weit einwärts auswuschen und das eigne Flussbett über 20 Fuss tiefer im Felsboden einfrassen?

Wenn man die ausserordentlichen Heilkräfte der Mineralquelle erwägt, welche schon dem Mittelalter nicht unbekannt waren, mag es befremden, dass die Mönche von Pfäffers erst nach 800 Jahren auf den gemeinnützigen Einfall kamen, Hütten oder Gebäude zum Baden und Trinken auf die Stelle hinzupflanzen, wo sie sich gegenwärtig befinden. Dazu gehörte keine Kunst, welche die Erfindungsgabe früherer Zeiten überstiegen hätte. Sinnreich genug waren die Gottgeweihten dagegen schon vor acht Jahrhunderten in Pflege ihrer Andacht und Saumseligkeit sowohl im Kloster St. Gallen als Pfäffers. Das lernen wir aus des alten Eckehard von St. Gallen Hauschronik und Gebetbuch, diesen Fundgruben zur Sittenkunde des Mittelalters. Ausser dem gewöhnlichen Wildpret und Fleisch zahmer Haustiere assen sie damals auch vom Fleisch der Steinböcke, Murmelthiere, Auerochsen und Wisentochsen, dazu Schwäne, Fasanen, Pfauen, Rebhühner, Kapaunen, Turteltauben und andres Geflügel. Sie schmeckten Alles aus. So gross aber war ihre Andacht, dass sie sogar für jede Art der Speisen, die auf ihrer Tafel erschien, eigene Tischgebete hatten. «Gesegnet sey das Biberfleisch!» beteten sie; «mögen keinem die in Schlingen gefangenen Vögelchen schaden!»; «segne uns Gott die tausend gekochten Fischlein!».

Die Gebäude längs den Tamina Ufern, im Klosterstyl gebaut, mit 400 Fuss langen Gängen verbunden, ermangeln noch manche Bequemlichkeit. Sie haben zwar 70-80 bewohnbare Zimmer, aber sind fast ohne Oefen und theilweise schlecht meublirt. Und dennoch reichen sie mehrmals nicht zur Beherbergung aller Gäste hin, die der Heilquelle froh werden möchten. Weit besser ist es übrigens mit dem ganzen Institute in neuerer Zeit geworden, seit das Kloster aufgehoben wurde und seine Besitzungen in die Hände des Staates überging. Aus den Stiftsgebäuden wurde eine Kantonalirrenanstalt, aus den Hofgebäuden in Ragaz ein ausgedehntes und comfortables Kuretablissement, in welches die Therme mit ganz unbedeutendem Wärmeverlust von der Quelle geleitet wird und statt des Hochweges über Valens geht und fährt man jetzt die neuangelegte Strasse längs der Tamina.

(Quelle: Die Schweiz in ihren klassischen Stellen. Heinrich Zschokke. 1858)

Zwölf Stunden von Gais entfernt

… Wer aber das Schauerlich-Romantische liebt, der wende sich nach dem zwölf Stunden von Gais entfernten Bade Pfäfers, und wage den Gang nach der Quelle auf schlüpfrigem Brete durch die Schlucht der schäumenden und tobenden Tamina, nackten Felsenwänden entlang, über Abgründen schwebend. – Er bewundere hier die Allmacht der Natur, und ihre Wohlthätigkeit an der Stelle, wo dem nackten Fels die warme heilbringende Quelle entströmt. Er staune sodann, in das Badgebäude zurückgekehrt, wie so wenig die Eigenthümer des Bades diese Wohlthätigkeit nachahmen, indem sie die dahin verbannten Kurgäste in unreinlichen, ärmlich meublirten Zimmern, bei schlechter Kost und schlechter Bedienung, ihre Zeit vertrauern lassen, und gar nichts thun, um den an sich düsteren melancholischen Aufenthalt in etwas erträglich zu machen. Da das Kloster Pfäffers, welchem das Bad als Eigenthum zugehört, bei dem starken Besuch desselben bedeutende Einkünfte daraus zieht, so ist nicht zu begreifen, wie man es selbst an dem Nothwendigsten, z.B. an geschlossenen, mit Fenstern und Thüren verwahrten Gängen für die aus dem warmen Bad vorübergehenden Gäste, an hinreichenden, wenn auch nur gewöhnlichen Mobilien, an Wäsche u. dgl. fehlen lassen kann. …

(Quelle: Gais, Weisbad und die Molkenkuren im Canton Appenzell; Fr. K. von Kronfels, 1826)

Man muss wahrhaft ernsthaft leiden

Auf dem rechten Ufer der Tamin an den bebauten Abhang der Gebirge führt ein Fussweg von dem Kloster nach dem Bade Pfeffers. In der Entfernung von einer halben Stunde erblickt man in schwindelnder Tiefe des grässlichen Taminschlundes senkrecht unter sich das lange Badehaus; man muss von dem Fusssteig einige Schritte weg an den Abgrund treten, um diesen wunderbaren Anblick zu haben. Nicht weit von diesem Punkt steigt man über steile Treppen in die Kluft hinab, deren Wildheit durch Bäume und Buschwerk mahlerischen Charakter erhält. Eine Brücke hoch über dem rauschenden Strom schwebend leitet auf die linke Seite in einen angenehmen Buchenwald, durch welchen ein gut unterhaltener drei Fuss breiter Weg abwärts und öfters zickzacklaufend bis zur engen Schlucht des Bades hinunter führt. Erstaunen und Beängstigung sind die ersten Empfindungen jedes neuen Ankömmlings an diesem Ort, der an sonderbaren und grässlichen Natur-Eigenthümlichkeiten schwerlich seines Gleichen hat. Schwarzgraue Felsen in den drohendsten Stellungen und Formen steigen auf allen Seiten aus der Tamin bis zur Höhe von 664 Fuss empor, mächtige Trümmer im Bette des Bergstroms zwingen seinen schnellen Lauf zu einem wunderbar mannigfaltigen Bewegungs- und Farbenspiel, und erhöhen bei hohem Wasser sein wildes rasendes Getöse auf einen unglaublich schauerlichen Grad. Von allen Seiten aufs engste eingeschlossen dringt Blick und Fuss nirgends weiter als höchstens einige Schritte; von dem schönen Himmelsgewölbe zeigt sich nur ein schmaler Streif, und das erquickende Sonnenlicht weilt selbst im Sommer wenige Stunden.

In dieser Gefängnishöhle liegen die berühmten Heilquellen des Pfeffers-Bades, wo alljährlich viele Menschen Erleichterung von körperlichen Leiden und Gebrechen suchen; denn hierher reist eine müssige reiche Welt nicht, um sich die Langeweile eines arbeitslosen Lebens durch Badebelustigungen zu vertreiben. Man muss wahrhaft ernsthaft leiden, um die freie weite Natur und alles, was uns in derselben lieb ist, zu verlassen, um lebendig in die schwarzen Eingeweide der Erde herab zu steigen, wo jeden Augenblick grässliche Felsen und ein rasender Bergstrom den schwachen Menschen zu zertrümmern oder zu verschlingen drohen. An dem Ort, wo der Schlund durch die Kunst noch mehr erweitert worden ist, steht das Badhaus unmittelbar auf dem linken Ufer der Tamin, und nimmt den ganzen Raum bis an die Felsen ein. Es ist schmal, lang, vier Stock hoch, und grösstentheils aus Steinen sehr fest und solid ausgeführt, so dass es allen Erschütterungen des tobenden Stroms und den Steinen von oben trotzt. Die Heilquelle ist von diesem Gebäude 6 bis 700 Schritt entfernt, und liegt südwärts in dunkler Nacht verborgen. Dicht vor dem Eingange des Badhauses treten die Felsen näher zusammen und neigen fürchterlich drohend ihre nackten wunderbar zerrissnen Seiten gegen einander. Das graue Licht, welches die vordern Wände hellt, wird tiefer hinein schwarze Nacht, aus welcher sich die wilden Wasser zischend und tobend herauswälzen. Durch diesen grässlichen Schlund geht es zur Quelle, und zwar auf einem Wege, der nicht weniger gefahrvoll, als der Anblick dieses Höhlenperspektivs schaudernd ist. Bretter, von hölzernen Keilen, welche in die Felswände eingesteckt sind, unterstützt, tragen den Wanderer 600 Schritt weit über den Strom, der oft 30 bis 40 Fuss unterhalb braust; die vorspringenden Steinmassen erlauben selten aufrecht zu gehen, die Bretter sind schmal, oft sogar schlüpfrig, an dem gefährlichsten Punkt trennt nur ein einziges Brett den kühnen Neugierigen vom schwarzen Abgrund der Tamin, bisweilen verschliessen sich die Felsen oben ganz, und es herrscht feuchte dunkle Nacht, bisweilen kann man sich mit den Händen nicht anhalten, und oft fallen Steine von oben herab. Das Ganze dieser Scene erregt Grausen und Angst, der Gang ist entsetzlich, und wenige haben den Muth ihn zu wagen. Eine unerschrockene Frau, welche vor einigen Jahren die Badkur zu Pfeffers brauchte, betrat diesen Weg zur Quelle; mitten im Schlunde brach ein Brett unter ihren Füssen, und sie sank; der entschlossne Führer erwischte die Unglückliche beim Arm, und rettete sie durch seine Besonnenheit.

Ein stets aufsteigender Dampf zeigt sogleich den Ort an, wo die Heilquellen in den Felsen des rechten Taminufers liegen. Nur die unterste und grösste Quelle wird in einer Grotte, welche 24 Fuss lang, 8 bis 10 Fuss hoch und 4 Fuss breit ist, gesammelt. Hölzerne Röhren leiten ihr Wasser aus dem Schlunde nach dem Badhause. In der Grotte ist die Hitze desselben 31 Grad Reaumür, verliert aber während des Laufes von 6 bis 700 Schritten nach den Bädern einen Grad. Die einzige eingefasste Quelle ist so reich, dass sie vom Monat Mai bis September unaufhörlich fliesst, und den Bädern mehr liefert als man braucht; im Winter vertrocknet sie ganz. Zwei Jäger des Klosters sollen sie im Jahre 1038, nach andern im Jahre 1240 entdeckt haben. Im Anfange krochen die Kranken mit Lebensgefahr hierher, und badeten in dem Felsenkessel der Quelle selbst, worin das Heilwasser Manns hoch stand. Durch Sprengung wurde so viel Raum gewonnen, dass vier elende Hüttchen angelegt werden konnten. Man sieht hier noch oberhalb der Quelle die Löcher, in denen die Balken eingelassen waren, welche jene Hütten über die Tamin schwebend trugen. Die Kranken konnten nie anders als mit Hülfe von Stricken und Leitern in diesen fürchterlichen Abgrund herabsteigen, wo sie mit der Gefahr, jeden Tag von den überhängenden Felsen zerschmettert zu werden, Gesundheit suchten. Erst seit 1630 leitete man das Heilwasser an dem Ort des Schlundes hervor, wo das grosse Badehaus steht, welches im Anfange dieses Jahrhunderts vom Kloster ausgeführt worden ist. Die Bequemlichkeit der sichern Wohnung hat den Zufluss der Gäste ausserordentlich vermehrt und den Ruhm des Pfeffersbads allgemeiner gemacht. Man trifft öfters hier in den Monaten Juni, Juli und August eine Gesellschaft von 200 Badegästen, früher und später lässt sich die Kur nicht machen, weil die Atmosphäre in dem tiefen Schlunde zu kühl und feucht ist und der Aufenthalt unerträglich wird. Ist der Himmel bedeckt, das Wetter regnigt und windig, so ruht im Badehause und dessen Wohnzimmern halbdunkel und graue Dämmerung, die angeschwollene rasende Tamin erschüttert mit schrecklichem Getös die Grundfeste der Wohnung, und wildes Sausen und krachendes Fallen einzelner Felsbrocken herrscht über dem Haupt. Um das Badehaus giebt es keinen Raum zu spatzieren, der einzige Ausweg ins freie Thal führt ½ Stunde bergan; in der Wohnung selbst giebt es kein andres Unterhaltungsspiel als Billard. Diejenigen Kurgäste, welche hierher kommen, ehe zahlreiche Gesellschaft sich eingefunden hat, sind deswegen in bedauernswürdiger Lage. Uebrigens ist die Bewirthung und Bedienung im Badehause so gut als es hier möglich seyn kann und in billigem Preise. Ein Zimmer mit 4 Betten kostet wöchentlich 9 Gulden, mit 2 Betten 4 und 3 Gulden. Die ganze Gesellschaft speist zusammen Mittags um 11 Uhr und Abends um 6 Uhr. Die Mahlzeit ohne den Wein wird mit 36 Kreuzer, an der Bediententafel mit 25 Kreuzer bezahlt (60 Kreuzer machen 1 Gulden, und 4 Kr. Einen Batzen); das Bad kostet wöchentlich wenige Batzen.

Das Heilwasser von Pfeffers geniesst in und ausser der Schweiz einen grossen Ruf. Seine Wirksamkeit in einer Menge verschiedenartiger langwierigen Krankheiten ist durch die Erfahrung mehrere Jahrhunderte ausser den Zweifel gesetzt. … Ueber die Bestandtheile, welche dieses Quellwasser aufgelöst in sich trägt, und denen es seine Heilkraft verdankt, kann man nichts befriedigendes sagen. Es setzt nie etwas ab weder auf dem Boden noch auf seiner Oberfläche, es ist ohne Geschmack, Geruch und Farbe, krystallhell, rein, und leicht wie Regenwasser; alle chemischen Reagentia bringen nicht die geringste Veränderung hervor, und nach allen bisher angestellten Versuchen muss man vermuthen, dass es durchaus keine fremdartigen Substanzen mit sich führe. …

Die Kur der Kranken besteht im Trinken, oder Baden, oder beides verbunden, je nach der Meinung des Arztes; gewöhnlich geschieht nur ersteres. Die Trinkstube ist nicht angenehm, sie liegt sehr tief, und die Fenster sind hoch an den Wänden, daher wird es nie hell darin. Auf die Badeanstalten ist nicht die Sorgfalt verwendet, welche in andern Bädern angetroffen wird. Es giebt hier nur sechs grosse Badekasten, worin sich die Kranken gemeinschaftlich baden, ein Gebrauch, welcher vielen Bädern der Schweiz gemein ist. Der Grund dieser Einrichtung liegt in der Art, wie die Bäder gebraucht werden. Die Kranken bleiben anfänglich eine Stunde im Bade, steigen aber nach und nach dergestalt, dass sie 5 bis 7 Stunden täglich darin verweilen. Wenige Personen würden im Stande seyn der Langweile zu widerstehen, wenn sie täglich allein so lange in einer Badewanne sitzen sollten. … Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass durch diese Bademethode in der Schweiz mehrere Kranke wieder hergestellt werden, als es in den warmen Bädern Deutschlands geschieht, wo man diese Art der Badekur nicht anwendet.

Das Kloster Pfeffers ist Eigenthümer dieses Bades. Alles, was zur Sicherheit und Bequemlichkeit der Kranken und Kurgäste an diesem grauenvollen Orte geschehen konnte, ist ausgeführt worden, und es gereicht dem Kloster zum grossen Verdienst, für eine so gemeinnützige Anstalt weder Kosten noch fortgesetzte Aufmerksamkeit gespart zu haben. Die Kranken, welche noch zu Pferde sitzen können, reiten auf einem guten Wege von Ragaz über Valenz bis an den Schlund, und gehen dann zu Fuss ganz bequem in einer halben Stunde ins Badehaus; die andern, welche weder zu reiten noch zu gehen im Stande sind, lassen sich von Ragaz aus tragen. Das Klosters lässt die Wirthschaft im Bade durch einen Amtmann besorgen, und hält für die Bedürfnisse der Kranken einen Arzt. … Die Einkünfte, welche das Kloster aus der Kurzeit und besonders aus der Versendung des Pfefferswassers, welches in und ausserhalb der Schweiz sehr beliebt ist, zieht, sollen sehr ansehnlich seyn. Während des Winters bewohnt das grosse neue Badehaus ein Schuster mit seiner Familie; diese Personen sind in jener Jahreszeit in den finstern Schlund vergraben, denn alle Verbindung mit der obern Welt ist ihnen durch Klafterhohen Schnee mehrere Monate abgeschnitten.

(Quelle: Ebel 1802 «Schilderung der Gebirgsvölker der Schweiz»)

Eine der schauerlichsten, romantischsten Gegenden

Der Verfasser dieser, mit einigen Abkürzungen hier erscheinenden, mahlerischen Schilderungen einer der schauerlichsten, romantischsten Gegenden der Schweiz ist der zu frühe verstorbene Herr D. Am Stein, Kloster- und Bad-Arzt zu Pfeffers. Das anziehende Gemälde selbst steht, wo man es nicht suchen würde, in dem Vorberichte zu dem im Auslande beinahe unbekannten Werkchen: Die Pfefferser-Quelle, eine Sammlung von (mittelmässigen und schoflen) Gedichten und Liedern, grösstentheils aus dem Lateinischen übersetzt. Zizers, bei der Bücheranstalt. 1793.

Das Pfefferser-Bad und die umliegende Gegend.

Die Quelle des Pfefferser-Bades liegt eine halbe Stunde Mittagswärts hinter der gefürsteten Abtey Benediktiner Ordens Pfeffers, welcher sie auch eigenthümlich zugehört, in der Tiefe eines sich von Norden nach Süden erstreckenden Bergthals, das von einem Gletscherbach, die Tamine genannt, durchströmt wird. Die Gegend gehört zur schweizerischen Landvogtey Sargans, doch so, dass bestimmte Herrschersrechte dem Kloster ganz zugehören. Das Thal wird rechts und links von hohen Bergen bedrängt, welche sich nach und nach von fruchtbaren Bergwiesen, Aeckern, Laub- und Tannenwäldern zu schönen Alpweiden, und weiter einwärts hie und da wohl auch zu nackten Felsenspitzen erheben. Sehr prächtig stellt sich linker Hand im Hintergrunde des Gemäldes, besonders wenn man von Ragaz herkommt, der majestätische Kalanda dem Auge dar, der nach bisherigen Ausmessungen mit seiner Spitze 6598 Schuhe über die Fläche, und wahrscheinlich noch höher erhaben ist, aber wegen seines breiten felsigten Fusses und der Pyramidenform kaum für so hoch geschätzt wird. Er erscheint von dieser seiner nordwestlichen Seite ganz wild und unfruchtbar, auf seinem Scheitel und in den Seitenvertiefungen meistens mit Schnee bedeckt, die heissensten Sommer ausgenommen. Rechter Hand zeichnet sich zunächst hinter Valenz der Monte Luna aus, der bis zu oberst ergiebige Alpweiden anbietet, und vor demselben die sogenannten grauen Hörner, rauche Felsenspitzen, zwischen und hinter welchen sich kleine Gletscher und Seen befinden, wovon ein Theil des Wassers sich, nachdem es erst oben im Berge einige schöne Wasserfälle gebildet hat, hinter der Quelle in die Tamine ergiesst. Ueberhaupt ist der Weg von Ragaz her, der nachdem man dem Lauf der Tamine nach aus dem Walde herauf gekommen ist, sich fast eine Stunde Wegs längst dem Gebirge rechter Hand beynahe ganz eben hinzieht, wegen der manigfaltigen Abwechslungen als auch wegen der Aussichten, die das Auge auf beyden Seiten des Thals geniesset, nicht ohne natürlichen Reiz. Ueberraschend ist der Anblick des Klosters Pfeffers, das sich jenseits, sobald man auf der Höhe etwas vorwärts gerückt ist, dem Auge darstellt; romantisch die stückweise Aussicht, die sich in das so eben verlassene schöne und fruchtbare Bündnerische, vom Rhein durchströmte Thal und in die Rhätischen Gebirge öffnet, von welchen es begränzt wird. Diese Aussicht führt auf der östlichen Seite des Thals, wenn man dem Kloster zugehet, noch weiter, und erstreckt sich bis in die Sargansischen, Wartauer und in noch entferntere Schweizergebirge. Die Höhe, in welcher man sich auf diesem ganzen Wege befindet, lässt sich schon aus der Tamine abnehmen, die sich im tiefen Thalschlunde um so mehr vor den Blicken des Wanderers verbirgt, weil er nun durch dazwischen liegende, mehr und minder abschüssige, Wiesengründe von ihr entfernt ist.

In dem man so dem Inneren des Thales immer näher kommt, erreicht man das kleine Dorf Valenz kaum ein halbes Stündchen oberhalb des Bades auf einer Bergfläche, das, obschon sich die Einwohner hauptsächlich von der Viehzucht, und den ihnen zuständigen Alpen nähren, doch auch etwas Ackerfeld hat. Hier ist der Standpunkt, das Pfefferserthal, die es umzäunenden Berge und vorzüglich auch die ungeheure Felsenmasse des Kalanda recht ins Auge zu fassen. Von Menschenwohnungen, wenige zerstreute Häuser und Hütten ausgenommen, erblickt man nur noch ein etwas weiter einwärts liegendes Dörfchen Vasüm genannt, das eine Filialkirche hat, und zu Valenz gehört. Das Thal scheint sich bald völlig zu schliessen, ungeachtet es sich noch drey bis vier Stunden weiter Mittagwärts erstreckt, und hinter und am Fusse des hervorstehenden Kalanda noch ein Dorf mit einer Pfarrey Namens Vättis hat.

Von Valenz krümmt sich nun der Weg ins Bad, das beyläufig sechs bis siebenhundert Schuhe tiefer liegt, immer mehr und mehr abwärts, ohne jedoch, weil er sich an der Bergseite hin und her gezogen dehnt, irgend sehr steil zu seyn und sicher genug nicht nur für Fussgänger, sondern auch für Saumpferde, und für Reuter sogar, welche der Berge gewohnt sind. Schwache und zärtliche Personen lassen sich aber gewöhnlich in Tragsesseln über den ganzen Berg, das ist von Ragaz her und wieder dahin bringen. Am Ende eines kleinen Buchwaldes vereiniget sich mit dem Weg von Valenz ein anderer Fusssteig, der jenseits von Pfeffers herkommt. Eine Ruhebank, die hier unter dem Schatten der Buchsbäume sehr wohl angebracht ist, und den Namen Mon Repos bekommen hat, entspricht dieser Bestimmung besonders für diejenigen vollkommen, welche vom Bade bis da hinauf gestiegen sind. Der Weg, welcher von hier rückwärts zum Kloster führt, zieht sich Anfangs ein paar hundert Schritte ganz eben unter dem Buchwalde hin, und dienet selbst Badegästen, die sich bis hieher bemühet haben, zu einem einsamen nicht reizlosen Spaziergang. Weiter hin gelanget man zu dem so genannten Brücklein, auf welchem man über das Tobel kommt, um hernach durch die Stiege, einen in die östliche Felsenwand zum Theil stuffenweise eingehauenen und im zikzak herumgeführten Fussteig auf die andre Seite hinauf zu kommen. Der Anblick der immer engern Kluft, und des bewanderten Felsen, der hin und wieder mit Buschwerk, und zu oberst mit starken Buchbäumen und Tannen besetzt ist, hat etwas Ausserordentliches, und wird es noch mehr, wenn man sich auf einer Stelle jenseits des Brückleins durch eine sich öffnende Spalte in dunkler schaudernder Tiefe nicht nur den Bach, sondern auch die Gegend, wo die Quelle entspringt, und wo ehemals das Gasthaus gestanden hat, zeigen lässt. Zu seinem Erstaunen bemerkt man es erst jetzt, dass man auf einem verdeckten grässlichen Abgrunde steht, und die Tamine unter seinen Füssen hat, deren tiefe Lage sich, wenn nicht das Auge sie bereits gemessen hätte, schon daraus abnehmen lässt, dass das Ohr in dieser Höhe keinen Laut von ihrem wilden Rauschen vernimmt. Ungeahndet von einem Fremdling, der plötzlich hieher versetzt wurde, eilet sie in der eine Strecke weit ganz verschlossenen, mit Wasen und Gebüschen bedeckten Felsenkluft, in welcher sie sich ihr Bett ausgehölet hat, als ein unterirdischer Bach fort, bis sie einige hundert Schritte weiter abwärts, an eben dem Orte, wo gegenwärtig die Badgebäude stehen, wieder an das Licht hervortritt. Doch wir kehren zu unserer Ruhebank zurück, um endlich selbst die Tiefe zu gewinnen. Der tiefigste, mit Buchen, Ahornen und anderen Bäumen und Stauden besetzte Weg, welcher dahin leitet, und für Saumpferde durchgehends breit genug ist, braucht hie und da wegen der Bergschlipfen viele Unterhaltung. Man ist nicht weit gekommen, so erblickt man das erstemal von dieser Seite die noch in einer beträchtlichen Tiefe an der Tamine liegenden Badgebäude. Ich sage von dieser Seite, denn wenn man jenseits vom Kloster herabkömmt entdeckt man sie früher, einmal vom Rande einer weit höhern Felsenwand, und wiederum zu oberst von der Stiege. Der Anblick ist überraschend sowohl wegen der Seltenheit der Lage, als der Beschaffenheit und dem guten Aussehen der Gebäude, dergleichen man in einem Abgrunde, wie dieser ist, keine erwartet hätte. Da man übrigens in einer beynahe senkrechten Linie auf sie hinabsieht, so ist es kein Wunder, dass sie sich unter ihren Dächern zu schmiegen, und wegen des von dieser Seite hervorstehenden Bergfusses kaum Raum für sich, geschweige denn für ein freyes Nebenplätzgen zu haben scheinen. Man findet aber, so bald man bis zum ersten mit Bänken versehenen Ruheplatz ob den Badhäusern, der von Altem her das Känzelein genannt wird, gekommen ist, dass nicht nur die zwey Gasthäuser mit der dazwischen liegenden Kapelle massiv von Steinen aufgebaut und geräumig genug ist, sondern noch einiger Raum vor denselben übrig geblieben ist, den man zum Theil in Form einer Terrasse geebnet, zu einem kleinen Spaziergange benutzt hat, und zum Theil noch weiter zu kleinen Anlagen benutzen könnte. Ueberhaupt konnten die Gebäude, weil nun einmal die eigensinnige Natur das vortreffliche Wasser in eine so tiefe Kluft hingesetzt hatte, ohne ausserordentliche Anstrengung und was noch mehr ist, ohne Gefahr den Endzweck derselben zu vermindern oder ganz zu verlieren, nirgends besser angebracht werden als so sie wirklich stehen. So fürchterlich oder traurig diese Lage auch scheint, so bietet sie doch auch, neben manchen physischen Vortheilen, worunter ich die reine und selbst in der schwülsten Sommerhitze erfrischende Luft, und die Abwesenheit von manchen sonst beschwerlichen Insekten zähle, dem Beobachter manche Schönheiten, viele Gegenstände der Bewunderung und Quellen erhabener Empfindungen an, die er anderswo vergebens suchen würde. Ist der schröckende Eindruck, der erste, welcher bey dem neu Angekommenen entsteht, aber bald wieder vermischt wird, vorbey, so sucht das Auge, an das Erschütternde besser gewöhnt, und findet endlich in dieser Kluft von Seiten der Natur eben so viele, wo nicht mehr Unterhaltung, als in mancher andern berühmten Gegend. Ich setze voraus, dass sich der Badegast, oder der Fremde, der hieher kommt, nicht zwischen vier Mauren einschliesse, sondern bey jeder schönen Witterung die kleine Mühe daran wage, um die an der Seite eines etwas nordwestlich zunächst hinter dem grossen Gasthaus liegenden Hügels, freylich ganz nur im ländlichen Styl angebrachten Spaziergänge, zu besuchen, um besonders von der höchsten Spitze aus durch manche wahrhaft romantische Aussicht belohnt zu werden. Für diejenigen Personen, welche nicht steigen, oder sich sonst nicht weiter entfernen wollen, finden sich auf diesen kleinen Exkursionen an den interessantesten Stellen im Schatten der Bäume geebnete Ruheplätze, die selbst zum Genuss des gesellschaftlichen Vergnügens einladen. Ein solcher Platz ist vorzüglich die so benannte Solitüde, wohin zu gelangen es auch für zärtliche Frauenzimmer nicht zu beschwerlich ist. Doch giebt es dergleichen Stellen noch nähere. Freylich zeiget sich nirgends keine Spur weder von gesuchter Pracht noch von verdeckter Kunst, sondern die blosse liebe Natur. Auf einer Seite abgeschnittene mächtige Felsenwände, überall mit Bäumen und darüber liegenden Wäldern bekränzt, mit Gruppen von Tannen und Lerchen besetzte Klippen und Absätze, auf welchen Ziegen weiden, die der Zuschauer mit Erstaunen längst der Felsenwand, wo kein Pfad vermuthet, und eben so wenig einer wahrgenommen wird, spielend hinwandeln sieht, darunter ein rauschender Steinbach mit seinen Krümmungen und Vertiefungen; auf der andern weniger steilen obschon bis zum Bache abschüssigen, bewaseten und belaubten westlichen Seite des Tobels, besonders auf der Höhe des von höhern Bergen abgesonderten Hügels, wo sich die Aussicht auf beyden Seiten des grössern Thals, und in die es begränzenden Berge erweitert, auch sanftere Gegenstände, Wiesen und Waiden, und Bäume und Büsche, zur Seite ein schattigtes einsidlerisches Thälchen mit einem Wäldgen bewachsen. Es bedürfte wirklich nur einiger Nachhilfe der Kunst, um dasjenige einigermassen zu ersetzen, was der Gegend an sogenannten lachenden Scenen abgeht, wenn man sie zu einer Art von englischen Garten umbilden wollte, dessen Parthien unnachahmlich wären.

Der Bergkessel, in welchem die Badgebäude stehen, von da an gerechnet, wo die Tamine aus der Felsenkluft hervorbricht, und sich die beyden Bergketten je länger je mehr von einander entfernen, bis dahin, wo die östliche Wand dem westlich liegenden Hügel nähert, indem sie sich gegen Norden herumkrümmt, und das Becken wieder so zu schliessen scheint, dass es kaum dem Bache den Ausgang gestattet, beträgt dennoch einige hundert Schritte in der Länge und lässt den Zimmern des längern Gasthauses, die auf seiner schmalen nördlichen Seite liegen, dem Laufe nach eine zwar eingeschränkte aber nicht unangenehme Aussicht.

Die entgegengesetzte südliche Seite des Badhauses ist in einem Abstande von sechszig bis achtzig Schritten gegen den engen Schlund gekehrt, aus welchem der Bach und die Wasserleitung hervortritt. Sie hat etwas melancholisch Erhabenes, das durch den, hervorbrausenden und sich zum Theil stuffenweise über Felsenmassen herabstürzenden Bach, durch die angebrachten Brücken, durch einen ebenen Raum jenseits des Baches, wo das zum Versenden bestimmte Wasser gefasset wird, und der überhangende Fels eine halbe Grotte bildet, endlich durch die über der Kluft schwebenden begraseten Plätze und Bäume, die man im Auge hat, und durch die Sonne, welche von dieser Seite länger dauert theils noch mehr erhoben, theils gemildert wird. Die vordern längern Seiten der Gebäude sind mit den Rekreationsgängen westwärts gegen den Berg gekehrt, an dem sich der Weg nach Valenz hinauf schlingt, und der, wenige Stellen ausgenommen, überall mit Gras, Bäumen und Stauden bewachsen ist.

Zunächst von dieser Seite des Gasthauses und des Zugebäudes liegt auch die Terrasse, deren ich schon gedacht habe, nebst einem sich darauf lehnenden Gärtchen. Wenn schon das Aushauen der Bäume an diesem Berge der Aussicht und Zugange des Lichtes beförderlich wäre, so verbietet dieses doch die Sicherheit vor Bergschlipfen, die sie mit ihrer Bewurzelung gewähren. Die östliche Seite der Häuser, auf welcher die Wohnzimmer, jene im Zugebäude und die Dachzimmer ausgenommen, durchgehends angebracht sind, ist der Tamine zugewandt, über welcher die Gebäude in noch ziemlicher Erhöhung auf einem festen Felsengrunde stehen, der, besonders hinter dem grössern Haus, noch einen, zwar abschüssigen, doch mit schönen Buchen und Ahornbäumen bewachsenen Raum lässt. Ueber dem Bache erhebt sich die feste Felsenwand in einer Entfernung von den Gebäuden, welche diesen vor etwa sich, besonders nach angehaltenem Regen, losreissenden Schieferstücken alle Sicherheit gewähret, aber dennoch einem Theile der Zimmer die Helle des Tages schmälert. Am schönsten zeiget sich die Felsenwand dem Brückgen hinter der Kapelle, welches die beyden Häuser mit einander verbindet, gegen über. Sie scheinet dort nicht nur am höchsten sondern ganz senkrecht zu seyn, obschon sich ihr Scheitel nach ältern Beobachtungen gegen hundert Schuhe zurückzieht. Die senkrechte Höhe vom Bache an beträgt an dieser Stelle, nach wiederhohlten Ausmessungen, über 660 Schuhe. Der Raum zwischen beyden Häusern öffnet gleichsam den Schauplatz zu dieser Scene, und der Bach, weniger gefangen, rauscht ruhiger vorbey.

Einzig in seiner Art aber ist das Grässlichschöne, wenn ich es so nennen kann, dass die Kluft darbiethet, durch welche das Wasser von seinem Ursprunge an über 680 Schritte weit bis auf die Trinklaube und in die Badgemächer geleitet wird. Reisende, welche seltene Schaustücke aus diesem Fache gesehn, und auch dieses zu betrachten Muth gehabt haben, gestehen einmüthig, dass ihm nichts Aehnliches in der ganzen Schweiz beykomme. So gefährlich der Zutritt dazu zuweilen auch beschrieben wird, so ist er es doch nur für Furchtsame.

Der Steig geht auf der östlichen Seite der Kluft längst dem Kanal hin, durch welchen das Quellwasser herausfliesst, und ist so wie dieser, wo es nur seyn konnte, in dem ausgesprengten Felsen selbst angebracht. Wo dieses wegen starker Aushöhlung des Felsen nicht angieng, sind feste eiserne Stangen und Träger, hie und da auch nur hölzerne Joche tief in den Felsen eingelassen, auf welchen die Bretter ruhen. Da wo man wirklich auf diesen Brücken, und nicht auf dem Felsen selbst geht, liegen überall zwey Bretter neben einander, eine einzige Stelle ausgenommen, wo man auf ein einzelnes treten muss. Nicht nur alle Frühjahre, wenn die Kanäle und die Brücken wieder gelegt und ausgebessert werden, sondern jeden Sommer über wird der Zustand der ganzen Anrichtung untersucht, und es muss den dazu bestimmten Werkleuten natürlicher Weise eben sowohl als dem Kloster daran gelegen seyn, dass die Untersuchung mit aller Genauigkeit geschehe. Lehnen sind freylich keine vorhanden, und können keine angebracht werden, weil sie, dem Zwecke dieser Brücke entgegen, den Arbeitern ganz hinderlich wären, die Last vermehren, und sogar dem Neugierigen eine nur sehr zweydeutige Sicherheit gewähren würden. Am rathsamsten ist es, dass man nicht furchtsam aber bedächtig, bey schöner trockener Witterung, am hellen Mittage das Abentheuer bestehe, und sich einen kundigen Führer, dergleichen man im Bade immer haben kann, vorgehen lasse.

Kaum ist man durch die Thüre, welche Unvorsichtigen den Weg verschliesst, hereingetretten, so nähern die links und rechts emporsteigenden, kahlen, hoch über dem Haupt überhängenden Felsen in hundert abwechselnden Gestalten und Wendungen sich je mehr und mehr, bis sie sich stellenweise und endlich ganz schliessen, um ein kaum dämmerndes Licht durchzulassen, indessen der schäumende Bach tief unter den Füssen des Wanderers im Abgrunde der Felsenkluft, gegen den Zwang sich sträubend, der Freyheit entgegen brauset, die er, sobald er sie gefunden hat, nicht selten mit Verwüstungen befleket. Die dunkle Halle, die mächtigen Gewölbe, das Urbild eines gotischen Doms, die zwischen der Zusammenfügung der Felsen gleich Schlusssteinen eingeklemmten Felsenmassen, welche man über sich schweben sieht; das feyerlich düstere Tageslicht, dem kein anderer Zutritt als hie und da durch eine Oefnung gestattet wird, die gleichsam im Giebel einer erhabenen Kuppel angebracht ist, und an deren Rande sich Aeste von Bäumen und Tannen wiegen; das dumpfe Rauschen des Baches, worinn das Ohr die volle Harmonie eines Chors zu vernehmen wähnt; alles erfüllet den Geist mit Bewunderung und Erstaunen, und stimmet das Gemüth zu einer Fassung, die nahe an die Ehrfurcht gränzt.

Um aber einen völligen Begriff von der Beschaffenheit dieser Kluft zu geben, muss ich noch folgendes anmerken. Das Brückgen neben dem Kanal ist meistens dreysig und mehr Schuhe über dem Bach erhaben. In dieser Höhe beträgt die Weite der Kluft von einer Seitenwand zur andern dreysig bis vierzig Schuhe, sie nimmt aber in der Tiefe des Baches über die Hälfte ab. Die sich hie und da über zweyhundert Schuhe hoch erhebende Seitenwände mit ihren manigfaltigen Krümmungen, Flächen, Gräthen und Feldern scheinen glatt, wie von einem grauen Tust inkrustiert, indessen der vom Wasser bespühlte hervorstehende Fuss sich deutlich als ein schwarzer mit weissen Adern durchzogener Marmor auszeichnet. Ueberall glaubt man Spuren des seit Jahrtausenden an diesem Felsen nagenden Baches zu erblicken, besonders an Stellen, wo derselbe kleine Fälle und Wirbel bildet, von welchem her Vertiefungen und Aushöhlungen in der Felsenwand entstanden sind, die man bis zu einer ziemlichen Höhe bemerkt. Die grösste und merkwürdigste ist unstreitig diejenige, welche man antrift, nachdem bereits mehr als drey Viertel des Weges zurück gelegt sind. Sie liegt der Brücke gegen über auf der westlichen Seite der Kluft, und man würde sie vielleicht für ein Werk der Kunst halten, wenn sie sich an einem andern Orte fände, und das Wasser nicht auffallende Spuren seiner Wirkung an ihr zurück gelassen hätte. Diese Grotte, von vornen gleich einer Nische ganz offen, ist Ey- oder vielmehr Kegelförmig ausgehölt; an ihrer Basis, die sich jetzt drey bis vier Schuhe über die gewöhnliche Bachhöhe erhebt, beträgt die Vertiefung 28 Schuhe, die Breite 35, die Höhe wird auf 24 Schuhe angegeben, aber die Spur vom Wasser erstreckt sich viel höher. Diese merkwürdige Grotte ward bey ihrer Entdeckung 1630 von dem damals regierenden Fürstabt Jodocus zu einem Andachtsorte ausersehen, der h. büssenden Magdalena gewiedmet, und nach ihr benennt, mit dem Vorschlage einer Brücke hinüber zu legen, den Fussboden zu ebnen, und Alles das anzubringen, was zum Wesen einer Capelle erfordert wird, die, wenn sie zu Stande gekommen wäre, ihres gleichen schwerlich irgendwo gehabt haben würde. Die Schwierigkeiten des Ortes, der Lage, des Zugangs, nebst der Unsicherheit wegen des im Sommer zuweilen hoch aufbrausenden Baches scheinen die Ausführung verhindert, und sogar den Namen, der kaum schicklicher seyn könnte, in Vergessenheit gebracht zu haben. Die Kluft ist übrigens auch über dieser Höle in beträchtlicher Höhe ganz zugeschlossen und erhält nur von der Seite gegen die Quelle und durch einige Ritzen und Oefnungen im Gewölbe etwas Licht. Etwas mehr nordwärts befindet sich in einer Höhe vom Bache von mehr als 290 Schuhen die festeste und vollkommenste Zusammenfügung der Felsen, welche nicht nur von jeher den Anwohnern einen sichern Uebergang über das fürchterliche Tobel gestattete, sondern ihn sogar Lastwägen gestatten würde. Eben dieser Ort wird darum von Alters her der Beschluss genannt, und an dieser Stelle ist auch das sogenannte Brückgen angebracht, dessen ich oben bei dem Wege auf Pfeffers gedacht habe.

Man hat die eben beschriebene Grotte nicht so bald verlassen, so fängt das Felsenwerk auf beiden Seiten des Baches sich etwas zu öffnen an, und man tritt, nun bald am Ziele seiner Reise, in den aufgesperrten Schlund, wo das Wasser entspringt, und vor Altem die Bäder und Gasthäuser selbst gestanden hatten. Man würde das Letzte, und nicht weniger die Möglichkeit eines sichern Zuganges für unmöglich halten, wenn nicht beides wirklich da gewesen wäre. Der ganze Aufwand von Erweiterung besteht in einem eyförmigen, freylich sehr hockerichten Becken, in einer siebenhundert Schuhe tiefen Bergkluft, dessen Länge dem Bache nach von Norden nach Süden man ungefähr auf 40, die Breite auf 16, und in der Höhe der ehemaligen Bäder auf 50 Schritte berechnen kann. In seiner Mitte, wo die Quellen liegen, ist die Oeffnung am weitesten, und lässt uns ein Stück des Himmels sehen; gegen Süden treten die Wände schon wieder näher zusammen, so dass es scheint, als wenn man mit einem Sprung über sie weg setzen könnte. Auf beiden Seiten schweben am Rande abgeschnittener Felsen und gäher Abstürze, die sich nur hie und da durch sanftere Abhänge höher erheben, Tannen, Buchen und mancherley Staudengewächse, welche besonders auf der Westseite in einem Wald sich vereinigen. Gegen Süden fällt in einiger Entfernung und von beträchtlicher Höhe ein Staubbach herab, der so oft ihn die Sonne bescheint, welches nur um die Mittagszeit Statt hat, einen schönen Regenbogen bildet. Linker Hand auf der Morgenseite dieses Schlundes liegen die warmen Quellen, deren Abfluss sich durch den aufsteigenden leichten Dunst verräth, so wie der Reichthum der Quellen selbst durch eben diese Abflüsse verrathen wird. Nur die grösste und unterste derselben, welche neun bis zehn Fuss über den Bach erhaben ist, und der Kessel heisst, wird zur Herausleitung durch die enge Kluft benutzt; denn diese allein, die mehr als stark genug wäre, ein Mühlenrad zu treiben, versieht gegen 80 Röhren, durch welche in jeder Minute nicht weniger als 1400 gemeine Maass Wasser in die sämtlichen Bäder fliessen, und noch rinnt ein grosser Theil des Wassers als überflüssig gleich bei der Quelle in den Bach. Sie wird in einer in den Felsen ausgehauenen vornen gemaurten und mit einer Thüre verwahrten Grotte gesammelt, welche bergeinwärts über 24 Schuhe in der Länge, 4 Schuhe in der Breite, von dem Balken, auf welchem man hineintretten kann, Manneshöhe, und eben so viel wenigstens unter demselben Tiefe hat. Man geht mit einem Licht versehen hinein, und muss es sich gefallen lassen, von dem heissen Dampf wie in einer Schwitzstube ganz durchseuchtet zu werden. Die Wärme des Wassers ist 31 Reaumürische Grade, wovon bis in die Bäder höchstens ein Grad, bei schöner trockener Witterung nur ein halber verlohren geht. Von aussen ist der Felsen, über den das Wasser abläuft, mit dem schönsten grünen Brunnenmoos bedeckt. Merklich höher an dem abhängigen Felsen quollen, und quellen zum Theil noch izt, obwohl nicht so beständig, mehrere Wasseradern von gleicher Art hervor. Ueberhaupt scheint das Gebirg auf dieser Seite, das ohne das Schiefericht ist, ganz mürbe, nach und nach theils vom Dampfe, theils von dem Bespühlen des warmen durchdringenden Wassers selbst aufgelöst zu werden, und daher grossen Veränderungen unterworfen zu seyn. Mit Verwunderung und einer Art Schauer sieht man noch, ehe man diesen Ort verlässt, die Stelle, wo vor Zeiten die Badehäuser gestanden sind; man bemerkt noch die in den Felsen eingehauenen Löcher, in welchen die von einer Wand zu andern quer über den Bach gelegten Tragebalken eingelassen waren, worauf diese Häuser gegen 40 Schuhe hoch über demselben schwebten, und indem man sich alles Ungemach und alle Gefahren einer so traurigen Wohnung vergegenwärtiget, stimmet man gerne in das Lob und in den Dank ein, welche seine Zeitgenossen dem menschenfreundlichen und kühnen Abte der die Herausleitung der Quelle und die Versetzung der Häuser an einen sicherern und bequemern Ort beschloss und vollführte, gezollet haben.

Die Pfefferserquelle hat wie schon oben bemerkt worden ist, ihren Namen von der eine halbe Stunde weiter vorwärts auf einer angenehmen Höhe liegenden Benediktiner-Abtey Pfeffers, welcher sie auch eigenthümlich zugehört. Im Anfange des achten Jahrhunderts war das Kloster von einem Bischoffe Namens Pirminius, der nachher unter die Zahl der Heiligen versetzt worden ist, gestiftet. Die Gegend, welche bis dahin ganz wild und öde gewesen seyn musste, wurde nun theils durch diese Eremiten selbst, theils durch Ansiedlung anderer herbeygelockter Colonisten urbar gemacht; es wurden Wälder ausgerottet, und der Boden so weit cultivieret, als es die Lage zuliess; eine Gutthat wodurch sich dieser religiöse Orden fast überall ausgezeichnet hat. Dreyhundert Jahre nachher, nämlich im Jahr 1038 ward einigen Nachrichten zufolge die Quelle gefunden, obschon andere diese Entdeckung lieber in das Jahr 1240 setzen. Gewiss ist es, dass vom Jahr 1300 an ununterbrochene Spuren von diesem Bade in den Pfefferser Archiven angetroffen werden. Der Entdecker soll ein fürstlicher Jäger, Namens Carl aus dem Geschlechte der von Hohenbalken gewesen seyn. Wer wird nicht glauben, dass die Anstalten dieses Wasser an den ungeheuren Orte zu gebrauchen, anfangs sehr geringfügig gewesen seyen; aus dem, was Malleolus erzählt, der um das Jahr 1424 schrieb, scheint zu erhellen, dass damals zwar eine Gelegenheit zum Baden, aber in der Kluft selbst noch kein Haus zur Bewirthung vorhanden war. Nachdem er nämlich denjenigen, welche die Cur gebrauchen wollen, erzählt hat, wie man sechs bis sieben Tage lang ununterbrochen im Bade sitzen zu bleiben, darinn zu essen und zu schlafen pflege, eine einzige Nacht dazwischen ausgenommen, wo ausserhalb einmal der völligen Ruhe gepfleget werde, fügt er sogleich hinzu, dieses geschiehe darum, weil das Hinaufsteigen aus der Kluft so wie das Heruntersteigen wegen des steilen Weges und der hängenden Leiter so äusserst schauderhaft und gefährlich sey. Noch später hin wo schon ein Gasthaus in der Kluft selbst angebracht war, musste man, wie die Tradition sagt, sich zum Theil an Stricken hinablassen, und durch eine Oefnung des Daches in das Haus kommen. Und wenn auch in den folgenden Zeiten der Zugang durch Sprengung des Felsen und durch eingehauene Treppen etwas verbessert worden ist, so blieb er dessen ungeachtet noch immer scheuslich genug, und für furchtsame oder Schwindel behaftete Leute ganz unbrauchbar, indessen sich andere mit verbundenen Augen und an einen Sessel geheftet mussten ins Bad tragen lassen. Diesem Uebel, so gut es die Umstände gestatten konnten, abzuhelfen, das Herabsteigen an einem gelegenen Orte, und durch unmerklichere Senkung zu erleichtern, liess der Fürst Abt Johann Jacob Russinger von Rapperschwiel, im Jahr 1543 mit grossen Unkosten eine über 50 Schritte lange hölzerne Brücke von der Südseite her längst dem Bache hin, und in einer Höhe von 90 Klaftern über demselben, anlegen, von der die Tragebalken in den lebendigen Felsen eingelassen und befestiget waren; von der Valenzer Seite konnte man sich ihr bis auf 60 Schuhe, von der entgegengesetzten aber nicht näher als auf hundert Klafter mit Pferden nähern, und die Brücke selbst war auch für grosse Lasten fest genug. Dadurch ward nun freylich der Zutritt sicherer, aber dennoch wegen des Abgrundes, über dem man schwebte, und hie und da wegen des Schwankens der Brücke für die meisten Menschen abschröckend genug. Doch alle Schrecken übertraf noch die gefährliche Lage des Bades und der Gasthäuser selbst, die mehr als einmal von plötzlich herabrollenden Felsen und andern Massen beschädiget, und endlich ganz zerschmettert wurden. Wirklich ist es zu bewundern, dass man, ungeachtet der langen Zeit, während welcher die Umstände die nämlichen blieben, von keinem Beyspiel weiss, dass Menschen bey solchen Unglücksfällen stark beschädiget worden wären, oder gar ihr Leben eingebüsset hätten. Könnte es aber auch einen überführenden Beweis von der beobachteten vorzüglichen Heilkraft dieser Quelle geben, als dass sie, ungeachtet aller dieser abschröckenden Hindernissen, dennoch alljährlich von einer Menge naher und entfernter Gäste, und das zwar nicht selten aus den höhern Ständen besucht wurde. Dieses Zeugnis bewog auch die Besitzer des Bades nicht nur die mühsame Unterhaltung und öftere Wiederherstellung der wegen der Lage sehr hinfälligen Gebäude fortzusetzen, sondern mit Ernst daran zu denken, ob und wie es, die grossen Unkosten nicht gerechnet, möglich wäre, das Wasser ohne Abgang seiner heilsamen Eigenschaften, besonders der Wärme, an einen sichern Ort zu versetzen. Mit diesem Vorschlag beschäftigte sich im vorigen Jahrhundert besonders der Fürst Abt Jodocus Höslein von Glarus. Das Wasser vermittelst eines Pompwerkes in die Höhe zu treiben, fand man wegen des unstäten wilden Baches, der in Anfällen von Wuth oft mächtige Steine rollt, und ganze Holzlasten herbeyschwemmt, nicht für anwendbar; es blieb daher nichts übrig, als einen Weg zu suchen, durch den man es längst der Tamine weiter abwärts an einen ofnern Ort bringen könnte. Man hatte den Ort ausgefunden, und das Werk ward 1630 im May glücklich vollführt. Zur Beschleunigung dieses zum Theil gewagten kostbaren Unternehmens trug vieles bey, dass das untere Gasthaus mitten im Winter des Jahres 1629 durch einen entstandenen Brand verzehrt wurde, nachdem das obere fünf Jahre vorher ebenfalls im Winter von einem herabstürzenden Felsenblock in den Abgrund gestürzt worden war.

Der Platz, eben derjenige auf welchem heut zu Tage die Badgebäude stehen, ward nun durch Sprengen, Abtragen und Verebnen möglichst erweitert, und das erste Gasthaus über den Bädern selbst errichtet, das aber seitdem beträchtlich verändert, und erst nach Erbauung des grössern Gasthauses ganz massiv von Steinen ausgeführt worden ist. Zu Anlegung eines neuen grössern Gasthauses ward das Kloster durch die seit der Versetzung der Quelle und dem gemeiner gewordenen eben so heilsamen Trinkgebrauch des Wassers immer zunehmende Menge von Curgästen aufgemuntert. Sie konnten nicht mehr alle in dem einzelnen Hause beherberget werden, und mussten sich mit einem Quartier in Valenz behelfen, welches für die meisten, besonders aber für solche, welche die Badecur gebrauchten, höchst unbequem war. Dies geschah besonders zu Ende des vorigen Jahrhunderts. Damals regierte Bonifacius der erste dieses Namens, Tschupp von Geschlecht, aus dem Kanton Lucern. In den neunziger Jahren hatte dieser Fürst den Bau des Hofes und der Kirche vollendet, die 1665 durchs Feuer verzehrt worden waren, als er 1704 das grosse Gasthaus, wie es gegenwärtig ist, zu gründen und zu bauen anfieng. Der Tod überraschte ihn, ehe er sein Werk zu Stande gebracht sah, im Jahr 1707. Sein Nachfolger Bonifacius der zweyte zur Gilge von Lucern, führte den Bau fort, und vollendete solchen 1711, in welchem Jahre auch das kleine Haus samt der Kapelle angefangen, und 1716 vollendet wurde. Eine Hauptverbesserung hiebey war die neue Abtheilung der Badgewölbe, deren nun, statt zwey allgemeiner für die beyderley Geschlechter, wie sie vormals waren, sechs abgesonderte zur Bequemlichkeit für verschiedene Classen von Gästen angelegt wurden. Ohne grosse in die Augen fallende Veränderungen vorzunehmen, ward in der Folge bis auf gegenwärtige Zeit nicht nur die erste Anlage in gutem Stande erhalten, sondern hauptsächlich auch für die innere Einrichtung gesorget, und manches zum Nutzen und zur Bequemlichkeit der Badgäste von Zeit zu Zeit angeordnet, eine Aufmerksamkeit die noch immer ununterbrochen fortgesetzt wird. So ist im Jahr 1758 von dem Fürsten Bonifacius dem dritten, Pfister von Duggen aus der March, das oberste Geschoss in dem Zugebäude aufgeführt, und ausser dem, dass es die Bequemlichkeiten eines schönen und geräumigen Wohnzimmers hat, den Protestanten zu einem anständigen Versammlungsort für ihren Gottesdienst bestimmt worden. Unter der Regierung des gegenwärtigen Fürsten Benedictus hat das Bad besonders auch an der innern Oekonomie, an besserer Bedienung und Bewirthung der Gäste, und manchen nützlichen Veranstaltungen vieles gewonnen, und wird wahrscheinlich noch ferner gewinnen; auch lässt es der jetzige Baddirector, Borler, weder an Aufmerksamkeit noch an Fleiss fehlen, so viel in seinem Vermögen steht, zur Befriedigung und zum Vergnügen der zu bewirthenden Personen mitzuwirken. Durch ihn sind die Anlagen zu einigen Spaziergängen und Ruheplätzen veranstaltet worden, welche, so gering sie auch sind, dennoch schon vieles zur angenehmen Abwechslung und zur Erquikung der Curgäste beygetragen haben. Die Bedürfnisse der Zeiten ändern sich, wie die Zeiten selbst, und manches was vor einem Jahrhundert gut genug war, ist es heut zu Tage nicht mehr. Dieser Mangel wird besonders der geringen Meublirung der Zimmer vorgeworfen; es sind aber auch schon Anstalten getroffen, demselben nach und nach abzuhelfen.

Zusatz. Von der innern Einrichtung dieses Bades fügen wir noch folgende Nachrichten bey ((aus dem Jahr 1791)):
Das Badhaus hat Raum für dreyhundert im höchsten Nothfalle selbst für vierhundert Menschen. Da die Cur eine genaue Diät erfordert, so ist die Wirthstafel mässig, des Mittags mit sechs, des Nachts mit vier Speisen besetzt. Die Person bezahlt dafür 36 kr. Der Preis für die Person an der Bedienten-Tafel aber ist 26 kr. Die besseren Gattungen inländischen Weins kosten 18-40 kr. Doch hat man auch geringere Gattungen, der Preis der Zimmer ist sehr verschieden. Für die Gemeinen zahlt man wöchentlich 1 fl. 12 kr. in den Eckzimmern aber 2 fl. 12 kr. für die Person. Es giebt Zimmer um 3 fl. und gegen Ragaz hin von 10 fl. mit Einschluss des Bettes. Die gemeinen Zimmer haben drey Better, die Eckzimmer auf den drey Boden gegen Ragaz im grossen Haus vier Betten und vier Nebenzimmer. In den Eckzimmern mit vier Betten zahlt man 9 fl. in den drey nächst darauf folgenden äussersten Zimmern gegen Ragaz hin mit drey Betten 7 fl. in den zwey langen und den drey Fürstenzimmern für fünf Personen 13 fl. in den Eckzimmern im kleinen Haus mit drey Betten 8 fl. in den Nebenzimmern mit drey Betten 7 fl. in den Eckzimmern der obersten Gänge beyder Häuser mit 2 Betten 4 fl. in den übrigen Zimmern mit 2 Betten 3 fl. 12 kr. Eine Person muss nie mehr als die bestimmte Taxe bezahlen; wollen mehrere beysammen wohnen, so müssen die überzähligen auch die gleiche Taxe zahlen. Es sind mehrere Mägde zur Bedienung der Gäste in den Zimmern da. Jede erhält von dem Gaste, welchen sie bedient, des Tages vier Kreutzer.

(Quelle: Archiv kleiner zerstreuter Reisebeschreibungen durch merkwürdige Gegenden der Schweiz. St. Gallen, 1796-1802)

Anleitung auf die nützlichste und genussvollste Art in der Schweitz zu reisen

Pfeffers-Bad. Ist für Reisende wegen seiner Lage merkwürdig. Es liegt in einem grässlichen Felsschlunde dicht an der wilden Tamin. Die Felswände, die sich gleich hinter dem Badhause erheben, sind 664 F. hoch. Die Quelle soll im J. 1038, nach anderen im J. 1240, entdeckt worden seyn. Bis 1630 bedienten sich die Kranken des Wassers bey der Quelle selbst, zu der sie mit Hülfe von Stricken, von Leitern, und zuletzt auf einer hölzernen hängenden Brücke gelangten. In dem genannten Jahre leitete man sie 600 Schritte weit an einen Ort, wo sich die Felsen etwas erweiterten, und baute Hütten. Nicht ferne von diesem Ort baute das Kloster Pfeffers, dem die Quelle gehört, im Anfang dieses Jahrhunderts, das grosse Badhaus, was jetzt da steht. Es ist vier Stock hoch und hat Raum für 200 Personen. Die Quelle ist jetzt 7-800 Schritt entfernt; wenn man Muth hat, und keinem Schwindel unterworfen ist, kann man auf den schlüpfrigen Brettern, die an den Felswänden auf eingeschlagenen Keilen liegen, und gerade über die Tamin hängen, die schwarz unter den Füssen in der Tiefe braust, bis dahin gelangen, wo sie aus den Felsen hinauskömmt. Es ist besser keinen Stock mitzunehmen, damit man sich mit den Händen an die Felsen und die Röhren halten kann, und seinen Führer so vor sich hergehen zu lassen, dass man nicht mit ihm zugleich auf einem Brette ist; denn man trift bisweilen nur ein einfaches, schmales und altes Brett. – Die Badezeit und Trinkkur dauert vom Juny bis im August; man ist so gut bedient, als es da möglich ist, und man bezahlt billig. – Es ist ein Billiard da, aber keine Spatziergänge. Will man aus dem Schlunde ins Freye, so muss man eine kleine halbe Stunde steigen, wo man dann in ein intressantes Thal gelangt, in dem man angenehme Spatziergänge machen kann. Das Dorf Valens liegt in demselben; nach Süden steht der hohe Galanda-Berg, an dessen Fuss man den Eingang ins Vättis-Thal erblickt. – Das Kloster ist 1 St. vom Bade nach Ragatz zu. – Personen, die nicht reiten können, werden in das Bad von Ragatz aus getragen. (Autor Conr. Rahn, 1757)

Ragatz: Wirthshaus: Wilde Mann. – Die wilde Tamin, die schon mehreremale diesem Dorfe grossen Schaden zugefügt hat, tritt hier aus ihrem schwarzen Schlunde heraus, und ergiesst sich bald in den Rhein. Die Stelle, wo sie zwischen den Felswänden hervorbraust, ist sehr intressant; man darf nur dem Brausen folgen, um hinzukommen. – Dicht bey dem Dorfe sieht man die Ruinen der Schlösser Nydberg und Freudenberg. – Es gehen von hier zwey Wege nach dem Bade Pfeffers: Der eine über das Dorf Valenz in 2 ½ St. Dies ist die grosse Strasse, die man bis fast ins Bad reiten kann; der andere bey dem Kloster Pfeffers vorbey in 2 St. Dem Fremden rathe ich bey dem Hingehen den letztern zu nehmen, und auf dem erstern zurückzukehren. Bis an das Kloster, ziemlich Berg auf, kann man reiten; man hat unterwegs sehr intressante Aussichten auf das Sarganser-Land, den Rhein, die Stadt und das Schloss Sargans, den Schollberg an dem letztre liegen, rechts hinab nach den Gebirgen von Werdenberg und Sax, links auf die sieben Kurfürsten.- Das Kloster ist im J. 720 gestiftet. Aus den Zimmern und vom Thurm desselben Aussichten auf das Thal, was der Rhein durchströmt, viele Dörfer, und die Gebirge des Bündtner-Landes. Dem Kloster gegenüber ist ein sehr artiger Wasserfall. Von hier führt ein Fussweg an dem Abhange der fruchtbaren Berge ½ St. fort, und dann in den Schlund hinab über Treppen und Brücken nach dem Bad. Ehe man hinabsteigt, kömmt man an eine Stelle, wo man grade unter sich in der schwarzen Tiefe das Badhaus erblickt.

… Dies sind die durch die auflösende, reinigende, alles durchdringende Kraft berühmten Bäder zu Pfeffers in der Vogtey Sargans, und zu Leuck in Wallis, deren Wasser eben so viel zum Trinken als zum Baden gebraucht wird. Um sich von mannigfachen Beschwerden und Krankheiten, die in Verstopfungen, in Schärfen und andern Ursachen ihren Ursprung haben, zu heilen, könnten sich also Reisende mit grossem Nutzen hier aufhalten. Da die äussern Anstalten, welche die Bequemlichkeiten aller Art angehen, in allen Schweitzer-Bädern, wenige ausgenommen, im Vergleich mit den deutschen und französischen so sehr schlecht sind, so kann man sie denen, die weite Reisen deswegen allein thun wollen, nicht so laut empfehlen. …

(Quelle: „Anleitung auf die nützlichste und genussvollste Art in der Schweitz zu reisen“ J. G. Ebel, M.D. Zürich. Bey Orell, Gessner, Füssli und Compagnie, 1793.)

Alpenreise vom Jahre 1781. Gottlieb K. Storr.

… Von Tamins geht der Weg über den steilen Kunkelsberg, dessen herrschendes Gestein ebenfalls Kalk ist, ins Vättisthal. … Der Calanda hat das mit einem grossen Theile der Quergräte der Mittelalpen gemein, dass seine westliche Seite kahl, steil, und zerrissen, die östliche hingegen grün, mit Wäldern und Waiden bekleidet ist. Er stellt hier eine Reihe zackiger Gipfel vor, die sich häufig in dreieckige Blätter abschilfern. An einigen Stellen hatte er noch Schneeflecken, aber er behält, auch auf der Scheitel, den Schnee nicht immer.
Auf der Westseite hat man den Calveisserberg im Gesichte, an welchem sich ein von ihm benenntes rauhes Thal hinzieht, in welchem die Gletscher grosse Vorschritte gemacht, und die Einwohner zurückgedrängt haben.
An dieser Seite fällt eine Obeliskenförmige Felsenspitze in die Augen, die der Sennenstein genennt, und in der Gegend als ein sicherer Witterungsweiser betrachtet wird, indem man da aufsteigende Dünste, die die Aelpler trockne Heunebel nennen, für Vorboten heiterer Witterung ansieht.

Nachdem ich die Nacht in dem obersargansischen Dorfe Vättis zugebracht hatte, eilte ich am folgenden Morgen nach Valenz, dass nur zwei Stunden von Vättis, und unmittelbar über der Kluft ligt, in deren tiefem Abgrunde das Pfeffersbad versenkt ist.
Man hat in dieser Gegend öffentliche Oefen zum Dörren des Obstes, vornehmlich der Kirschen. Der Feuerheerd ist ins gevierte mit einer Mauer umgeben, und mit einer Steinplatte belegt, über welcher ein Kasten von Holz aufgerichtet ist, der sich an einer Seite öfnen lässt, zur Aufnehmung der Dörrbretter, die auf Dörrwagen eingesetzt werden.
Der Weg von Valenz zu dem Bade hinab geht an einer steilen Wand von grauem Kalkschifer hin, und ist für Pferde unzugänglich.

Die ganze Curgesellschaft versammelte sich um neun Uhr, da ich eben eintraf, in der Capelle, eine Sonntagsrede anzuhören, die von einem in der Gegend sehr geschätzten Redner, zwar mit auffallender Capucinermimik, und in dem Schulschritte seiner Mönchsrhetorik, doch, dem Inhalt nach, mit der aufmerksamsten Rücksicht auf die gemischte Versammlung, gehalten wurde.
Die Curgesellschaft war zahlreich; mit dem interessantesten Theile davon machte mich Lavater, der mit seiner Familie da war, schnell bekannt.
… Ein äusserst malerischer Anblick war es, den ganzen Weg vom Bade gegen Valenz zu, der sich an der steilen Felsenwand im Zickzack hinaufschlingt, gegen Abend gedrängt voll Menschen zu sehen.

… Aus einer Kluft an dem unteren Theile … der gegenüber stehenden … Felswand kommt die Badquelle siedend hervor, und wird durch eine Wasserleitung, mit der ein übel verwarter Stäg über die in der Tiefe hinrauschende Tamin verbunden ist, in das Badhaus übergeführt. Das Wasser kommt so warm dahin, dass die Trinklaube und die Bäder voll Qualm sind.

…Die grossen Heilkräfte des Pfeffersbads verdienen desto mehr Aufmerksamkeit, da sie sich nicht durch die gewönliche Eigenschaften vorzüglich wirksamer Heilwasser ankünden. Ausser einem unbedeutenden Kochsalzgehalte, zeigt sich nichts darinn von Salzen, Luftsäure, Schwefelleber, Eisen, oder einem andren Hauptbestandtheile der Heilwasser. Was das Pfefferswasser am meisten auszeichnet, ist ein äusserst feiner fettiger Stof, der sich durchs Gefül, auch einigermassen durchs Gesicht, und noch mehr durch einen eignen, wiewol geringen, Geschmack verrät, der mir, mit einer sehr verdünnerten Fleischbrühe die meiste Aenlichkeit zu haben schien. Von einer kalkänlichen Erde pflegt es etwas weniges zurückzulassen.
Vielleicht hat, neben der Wärme und Leichtigkeit des Wassers, die Mitwirkung der stärkenden Alpenluft, und die Gebrauchsart, die ausser den Alpen nicht sehr bekannt zu seyn scheint, auch wol nicht an jedem Orte uneingeschränkt nachgeahmt werden dürfte, an den grossen Curen, die da gemacht worden sind, den vornehmsten Anteil.
Die heroische Gebrauchsart, der man sich zu solchen Curen im Pfeffersbade, wie in anderen Bädern der Alpen, bedient, wird das Ausbaden, oder ausschlägig (nach der schweizerischen Mundart, usschlächtig) baden genennt. Man sucht, durch einen allgemeinen Hautausschlag eine Krise zu bewirken, und lässt in dieser Absicht, bei einem möglichst reichlichen, nicht nach der allzuüblichen, fehlerhaften Weise, auf den Morgen einzuschränkenden, sondern durch die ganze Tageszeit zu vertheilenden, innerlichen Gebrauche des Badwassers, täglich ein oder zweimal, nachdem es die Kräfte des Kranken erlauben, mehrere Stunden lang baden, bis ein Ausschlag auf der Haut hervorkommt. Wenn nicht die Menge des Auswurfs die Haut so sehr überfüllt, dass der Kranke sich kaum mehr zu bewegen vermag, wird der Ausschlag, durch fortgesetztes, doch vermindertes, und abgekürztes, Baden, zur Reifung und Abschälung fortgeleitet. Ausserdem schränkt man sich auf das Trinken des Badwassers ein.
Häufig war in sehr schweren Fällen schon das Abfallen des Ausschlags der Zeitpunkt der Genesung. In andren folgte die Wirkung später nach, und, was nicht unerwartet seyn kann, in noch andren war die Krise unvollkommen, oder, es hatte sich zwar der Ausschlag, aber nicht die Krise, bewirken lassen.

Auch Bäder von gemeinem Wasser würden, auf änliche Weise gebraucht, Ausschläge, und in manchen Fällen heilsame Ausschläge erregen. Selbst bei einem eingeschränkten Gebrauche veranlassen manche Gesundbäder zuweilen wider die Absicht der Badenden Ausschläge.

Ohne Rücksicht auf die besondere Eigenschaften des Pfefferswassers, scheint mir doch überhaupt der örtliche Vorzug sehr wesentlich zu seyn, den Curen dieser Art, in den Alpen, unter den Einflüssen der stärkenden Alpenluft, voraushaben, da hingegen in nidrigeren Ländern nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch die Sicherheit der Cur anders zu berechnen seyn möge, und bei gleich anhaltendem Gebrauche warmer Getränke und Bäder, der Mangel eines verhältnismässigen Gegengewichts, durch Erschlaffung, Nervenreiz, Zutriebe, und das manchartige Gefolge solcher Wirkungen, fülbar werden könnte.

(Quelle: Alpenreise vom Jahre 1781. Gottlieb K. Storr. Zweiter Theil. 1786)

Vom Kräutersammeln bis zur Schnapsflasche

In den hohen Gebirgen findet man hier fast vorzüglich die vortreflichsten Arzney- und Wund-Kräuter. Aus den weissen Enzian-Wurzeln brennen die Berg-Leute einen sehr starken Spiritus; sie bedienen sich desselben fast bey jeden Krankheiten als einer allgemeinen Arzney, (es mag nun wol oder übel thun) desgleichen als eines Magen-Tranks und Stärkung für den ganzen Cörper.
(Quelle: Johann Conrad Fäsi, Die Grafschaft und Landvogtey Sargans, 1765-1768)

Iva, ein ganz spezieller Spiritus clubisticus:
Unter den Ausrüstungsgegenständen der Clubisten nimmt die edle Schnapsflasche mit unzweifelhafter Berechtigung eine sehr wichtige Stelle ein. Es gestaltet sich daher die Frage, welcher edle Geist ihrer oft unscheinbaren ledernen Hülle einverleibt werden solle, um die eventuell auf dem Rückzug tendirenden Lebensgeister wieder zur Sammlung und zum Vorrücken anzufeuern, zu einer entschieden sehr beherzigenswerthen. Es mag daher an dieser Stelle auf einen erst wenig bekannten, bitter-aromatischen Liqueur aufmerksam gemacht werden, den sog. «Iva» welcher aus der Achillea moschata (in Graubünden Wildfräuleinkraut, romanisch Iva genannt) dargestellt wird. Die Pflanze hat im frischen Zustande einen sehr kräftigen, aber angenehmen, aromatischen Geruch und wächst in einer Höhe von 6-7000’ zwischen granitischem Geröll, namentlich häufig in den südlichen und östlichen Alpen. In Graubünden ist das Ivakraut schon lange zur Darstellung eines beliebten, kräftigen und insbesondere der Verdauung sehr zuträglichen Liqueurs benützt worden, und namentlich bei Jägern u.s.w. in Gebrauch. Ein in neuerer Zeit vom Apotheker Bernhard in Samaden dargestelltes und durch Herrn Affolter-Jenny in Bern in den Handel gebrachtes Fabrikat ist von Fachmännern, wie Prof. Dr. Bolley, Prof. Dr. Schwarzenbach und Staatsapotheker Dr. Flückiger, nach Composition und Geschmack sehr günstig beurtheilt worden und dürfte daher auch wegen seiner der Gesundheit zuträglichen Eigenschaft den Bergsteigern als preiswürdig empfohlen werden. Wir überlassen es übrigens dem geneigten denkenden Leser, sich dafür zu entscheiden, ob im Ivakraute, dem Kinde der hohen Berge, dem auch die Gemsen zugethan sein sollen, neben seinen sonstigen löblichen Geistern nicht noch ein ganz spezieller Spiritus clubisticus innewohnen könnte.
(Quelle: Jahrbuch SAC 1866 Band 3)

Sektion Alvier: … Während der Wintersitzungen wurde beschlossen, einen Versuch zur Einbürgerung der Achillea moschata (Iva) im Alviergebiet zu machen. …
(Quelle: SAC Jahrbuch Band 14 1878)

Section Alvier. … Auf den Grauen Hörnern wurde an geologisch geeigneten Stellen die Achillea moschata angepflanzt; durch freundliche Vermittlung erhielten wir aus dem Engadin und aus Davos über 100 Setzlinge, die Ende August und September versetzt wurden. …
(Quelle: SAC Jahrbuch Band 15 1879)

Section Alvier. … Die letztes Jahr unten am Piz Sol beim Wildsee angepflanzten Exemplare von Achillea moschata wurden in gutem Gedeihen, aber ohne Blüthen, angetroffen.
(Quelle: SAC Jahrbuch Band 16 1880)

Section St. Gallen. … statt dessen hat die Section die Familie eines Mannes, welcher mit der Anpflanzung von Iva (Achillea moschata) im Kalfeusenthal von einer Nachbarsection beauftragt gewesen und bei dieser Beschäftigung verunglückt war, mit Fr. 150 unterstützt. …
(Quelle SAC Jahrbuch Band 17 1881)

Nicht nur die alten Römer und Germanen stritten sich von Alters her in dem Gebiet, das wir unser diesjähriges Clubgebiet nennen, sondern auch die warme Sonne und der Firn. Die Aeusserungen dieses letztern Kampfes erkennen wir in der Pflanzenwelt; wir haben neben und unter einander Gewächse, die den verschiedensten Zonen entstammen, den heissen wie den kalten. Im Rheinthale reift köstlicher Wein und schwere Maiskolben wiegen sich im Winde; dringen wir ein in die Schlucht der Tamina, so grüssen uns dort die Kinder des Hochgebirges, die in diese schattige Kluft hinabgestiegen sind; droben auf den Gräten aber pflücken wir Edelweiss und “wilden Wermuth” (Artemisia spicata). In einem halben Tage durchwandern wir alle Zonen. Der Rheinstrom bringt allerlei Samen herab aus seinen entlegenen Thälern, Alpenblumen blühen friedlich an seinem Ufer neben denen, die von Norden her eingewandert sind, der Pflanzenfreund möchte sich in einen grossen botanischen Garten versetzt glauben, wo er vieles so nahe beisammen findet, das sonst durch Hunderte und Hunderte von Stunden getrennt ist.
(Fridolin Becker: Itinerarium für das Excursionsgebiet des S.A.C. 1888: Graue Hörner – Calanda – Ringelspitz. Glarus 1888, S. 54)

Auch das Edelweiss blüht hinter Gigerwald schon in einer Höhe von 1300 m in grossen Beständen auf Rasen und Felsen. Hoch darüber, mitten in der senkrechten Felswand des Brändlisberg, zieht sich ein Rasenband quer durch den Berg, der sogenannte „Wurzengang“. Dort liessen sich vor dreissig Jahren noch, wahrscheinlich zum letztenmal, einige „Wurzengräber“ von Vättis an Seilen über die obere Wand herab, gruben allda die reichlichen und mächtigen Wurzeln der Gentiana lutea, welche das wohlschmeckende Getränke des „Wißenze“ liefern, und liessen sich mit ihrer Ausbeute abermals über die untere, ebenso hohe Wand hinunter. Ein seltenes Wagestück!
(Quelle: SAC Jahrbuch 1895-96. Aus den Bergen des Taminathales – F. W. Sprecher)

Sagen aus dem St. Galler Oberland

Das Zwergenweiblein zu Fontanix.
Zu Fontanix, am Wangser Berg, lebten ehemals viele Zwerge. Einst hörte man dort am Wege ein leises Seufzen und Stöhnen. Ein junges Zwergenweibchen war von der schweren Stunde überrascht worden und nahm gerne die Hilfe einer herbeieilenden Frau an. Den Dienst zu lohnen, gab es dieser eine Handvoll Kohlen mit nach Hause. Die Frau scheint einen andern Dank erwartet zu haben; denn sie warf die Kohlen unterwegs von sich. Ein einziges Stücklein war in der Schürze zurückgeblieben, und dieses hatte sich unterdessen in das lauterste Gold verwandelt. Nun sah die Beschenkte ein, dass sie töricht gehandelt hatte; sie ging schnell zurück und suchte auf dem Wege und im Gesträuch, fand jedoch nichts mehr. Wohl aber sah sie, wie von der Mugg herunter viele Zwerglein kamen mit brennenden Fackeln. Diese werden das Weiblein, das länger als gewöhnlich ausgeblieben, endlich gesucht und dann samt dem munteren Söhnchen heimgebracht haben. (Nach Dr. A. Henne)

Der Goldbrunnen.
I der Vilteser Alp, schier am Wildsei joubä, söll amenä fürchtägä Abhang ä routi Plattä, wou döri sus kei söttig sind, an der Felswand sich alihne wenä Tür. Diä ufrächt Plattä soll der Igang zumenä Goldbrunnä si, und ds Volch hat au vumenä fahrende Schüeler gwüsst, där all Jouhr heimlägerwis dort uffi sei gä Goldwasser schöpfä. (Albrecht, Erinnerungen.)

Der wilde See.
Oberhalb Vilters ist der wilde See. Wenn man Steine hineinwirft, fängt er an zu toben, und es entstehen Sturm und böse Gewitter.

Das Bockschinden ob Valeis.
Über der Felswand von Valeis stand eine Föhre, deren Äste über den gähnenden Abgrund hinausragten. An einem dieser Äste wollte Hansrudi, ein junger Senn auf der nahen Alp, den Bock schinden, d. h. er wollte sich an den Knieen dort aufhängen, Kopf und Leib nach abwärts gerichtet. Als Lohn sollte er die schönste Zeitkuh der Herde erhalten, d. h. ein schönes, trächtiges Rind. Die Braut des Sennen mahnte ab und bemerkte, dass er des ausgesetzten Preises nicht bedürftig wäre, da er reich genug sei und schon manch schönes Stück Vieh besitze. Er soll Gott nicht versuchen. Der Bräutigam jedoch lachte und hängte sich an den Baum.
Aber in der Tiefe erschien ein Tier, das aus Rachen und Augen Feuer spie; es stieg hinauf und hängte sich dem Hirten an den Hals, zerkratzte ihn und zog ihn in den Abgrund hinunter. Uli, der ihn zu dieser frevlen Tat bewogen hatte, um ihn zu verderben, schlug mit den Füssen nach dem Unglücklichen und fiel selbst hinunter.
Ein Waldbruder war in der Nähe gestanden. Mit einem frommen Spruch konnte er den Sennen aus den Händen des Bösen befreien; aber Uli fand ein unseliges Ende und trabt heute noch als Valeisenhund durchs Tobel hinaus in das offene Tal und auch wieder zurück. (Nach J. J. Reithards Gedicht)

Der Valeishund.
Zwischen Vilters und Wangs hatte lange Jahre ein Markenstreit betreffend Weid und Wald im Valeistobel gewaltet. Im Jahre 1459 endlich sprachen beide Parteien den Grafen Wilhelm von Werdenberg-Sargans, ihren Landesherrn, und den Abt Friedrich von Pfäfers um Vermittlung an, welche sich dann unter Zuzug ihrer Amtleute und vieler Zeugen persönlich auf die Stösse oder streitigen Lokalitäten begaben.
Die beteiligten Parteien gelobten mit Mund und Hand, den schiedsrichterlichen Spruch zu allen Treuen halten zu wollen.
Mit dem Urteilsspruche waren aber beide Parteien nicht zufrieden. Die Vilterser hatten auf dem Kamm mehr Boden angesprochen, als ihnen zuerkannt worden; die Wangser hingegen hatten behauptet, der Bach bilde die Grenze, erhielten aber durch den Richterspruch nur einen in der Höhe des Tobels liegenden Teil des Waldes auf der linken Seite des Valeisbaches, dagegen aber auch den Weideplatz auf dem Alpkamm zu Caffia oder Mugg. Diesen Weideplatz estimierten die Wangser jedoch wenig, weil dort gar spärlich Gras wächst, und sie halten denselben auch nie ernstlich als Eigentum angesprochen. Sie nennen ihn daher, wie die Vilterser, ganz offenherzig “den gestohlenen Boden”.
Man will wissen, dass die Vilterser in der Kuppel ihres Kirchturmes Urkunden gefunden haben, welche sie verheimlicht hätten, weil diese für sie ungünstig lauteten.
Jene Person, welche das meiste zur unrichtigen Entscheidung dieses Streitfalles beigetragen habe, müsse nun in gewissen Nächten als grosser, schwarzer Hund mit einem glühenden Auge in Mitte der Stirne und mit einem Bunde Schlüssel am Halse vom Valeisloche heraus über Grünenfeld, Schrabach, Gariet, Wangs, Gaffizal, Fehrbach und Talis zum alten Rathaus und auf den Friedhof zu Mels wandeln. Viele Leute wollen den Valeishund bald an der einen, bald an der andern Stelle dieses uralten Weges gesehen haben. Nachtwächter Alexander Buel von Wangs habe dem Valeishunde öfters das Gatter geöffnet, welches auf der Rosen vor einigen Jahren noch angebracht war. Wenn aber das Gatter geschlossen war, sprang der Hund mit leichter Mühe über dasselbe hinweg.
Das alte Rathaus stand südöstlich ob dem jetzigen, welches damals Markt- und Tanzlaube hiess.
Die Magd eines benachbarten Herrenhauses wollte einst in später Nacht Feuer anmachen, fand aber durchaus kein Feuerzeug. Weil sie auf der Ratsstube Licht erblickte, ging sie hinüber, um sich solches zu verschaffen. Um den schwerfälligen, grossen Ratstisch sassen dort in geisterhafter Stille und Steifheit mehrere ihr völlig unbekannte Herren, von denen einer ihr winkte, das Licht anzündete und sagte: “Es ist gut, dass du nicht aus “Gwunder” hieherkamst, sonst wäre es dir schlecht ergangen.” Hierauf eilte die Magd so schnell wie möglich nach Hause und vernahm dann, als sie das Erlebte erzählte, dass hier jene Richter, welche den Urteilsspruch über das Markenwesen in Valeis erlassen hatten, nach ihrem Ableben schon oft in den Stunden der Mitternacht zu Gericht gesessen seien. (J. Natsch)

Der wilde Stier am Schwarzsee.
Als die Wangser vor der Fahrt auf ihre Alp Gamidaur den Alpzaun ausbesserten, kam ein unbekannter, aber rüstig aussehender Mann zu ihnen und anerbot sich, für kommenden Sommer die Obliegenheiten eines Sennen unentgeltlich und klaglos zu besorgen. Sofern man mit seinen Leistungen nicht zufrieden sei, möge man ihn zu beliebiger Zeit von seiner Stelle abberufen. Die Alpgenossen nahmen dieses Anerbieten an.
Der neue Senn versprach, am Tage der Alpfahrt beim Alpgatter die Ankunft der Sente abzuwarten. Er hielt dann auch sein Wort getreulich, sennete vortrefflich und lebte in bestem Frieden mit seinen Mitknechten. In seinem Benehmen war nichts Befremdliches, als dass er weder mehr noch weniger redete als nötig war und dass er jedesmal nach dem Sennen unter der Kellertüre sein Beil wetzte, ohne es je zu gebrauchen. Im Herbste, bei der Heimfahrt, begleitete er den Zug bis zum Alpgatter und verabschiedete sich dort mit der Bemerkung: “Übers Jahr werde ich wieder kommen, wenn sich meine Mitknechte auch wieder in Gamidaur einstellen.” So geschah es bis in das siebente Jahr. Während dieser langen Zeit hatte es noch keiner von den Knechten gewagt, den Sennen zu befragen, was sein Beilwetzen zu bedeuten habe. Er hatte ihnen über unnütze Fragen nie eine Antwort gegeben. Mit der Zahl der Jahre war aber die gegenseitige Vertraulichkeit unter ihnen grösser geworden, so dass der Zusenn mit der langverhaltenen Frage herausrückte. Der Senn zeigte sich wider Erwarten erfreut hierüber und sprach: “Auf diese Frage habe ich schon lange mit Sehnsucht gewartet, und ich werde dir auch recht gerne den gewünschten Aufschluss erteilen, wenn du mir zum Schwarzsee hinauf folgst und dort tust, was ich dich heisse.”
Der Zusenn erklärte sich zu allem bereit, wenn es ihm möglich sei, und alsobald zogen sie miteinander aus. Der See liegt in einem wilden Hochtälchen. Als die zwei Hirten in dessen Nähe angelangt waren, hörte man ein Tosen aus den Tiefen des Tälchens herauf, wie wenn ein Gewittersturm im Anzug wäre. Die schwarzen Wellen des Sees wuchsen von Minute zu Minute, spieen dann ihren weisslichen Gischt hoch an die Klippen des Ufers hin und warfen endlich auch einen gewaltigen Stier ans Land, der unverweilt und laut brüllend über die steile Halde gegen die Hirten heranstürmte. Jetzt überreichte der Senn seinem Begleiter das Beil und sprach: “Wenn du mir zur ewigen Seligkeit verhelfen willst, so schlage unter höchstens drei Streichen jener wütenden Bestie das vordere linke Bein ab. Es wird dir dabei kein Leid geschehen.” Kaum hatte er dies gesprochen, war der Stier schon da und wollte über ihn herfallen. Dem kam aber der mutige Zusenn zuvor, indem er dem wutschnaubenden Tiere mit einem kräftigen Streiche das Bein abschlug. Der Stier kollerte zurück in den See, dessen Wogen sich dann augenblicklich legten.
Hierauf sagte der Senn zu seinem Kameraden: “Wisse, mein treuer, wackerer Geselle, vor mehr als Mannesgedenken bin ich schon Senn in Gamidaur gewesen. Da wurde ein Stier auf die Alp gebracht, der so böse war, dass selbst die Alpknechte sich seiner Angriffe kaum zu erwehren vermochten. An einem drückend heissen Sommertage waren wir mit dem Vieh hierher auf diese Höhe gezogen, wo beständig ein kalter Windzug herrschte. Am Abend wollten wir eintreiben, wobei der Stier sich ungebärdig benahm. Ich hatte mein frischgeschliffenes Beil mitgenommen und tat, was du heute wiederholtest. In Folge dieser unrechten Handlung konnte ich aber nach meinem bald hernach erfolgten Ableben keine Ruhe finden, bis du mich durch deine Treue und deinen aufopfernden Mut erlöstest. Dafür wirst auch du ein Kind der Seligkeit werden.”
Nach diesen Worten war der Senn verschwunden. Eine weisse Taube flog über den See hin und dann gen Himmel auf. (J. Natsch)
Diese Sage scheint verschiedene Bestandteile aufzuweisen. Der Senne, der die unerlaubte Handlung begeht, findet auch anderorts die Ruhe nicht und büsst sein Vergehen. Der wilde Stier im Alpsee aber ist ein Ungeheuer, das schwerlich zur Herde gehört hat. Es findet sich auch in andern Bergseen, so am Pilatus.

Der Lindwurm in Gamidaur.
Der Küher der Alp Gamidaur hatte im Untersäss eben seine Sente gegen die Alp Vermin auf die Tagweide «im Birk» getrieben, als er unversehens vom Erdboden verschwand und in ein schauerlich tiefes Loch hinabstürzte, welches oben von Moos und dem Gesträuche der Alpenrose überwachsen war, unten aber zu einer geräumigen Höhle sich erweiterte. Vom Falle selbst hatte er wenig Schaden gelitten. Was ihm dabei am mindesten gefiel, war der Umstand, dass sich in der Höhle ein lebender Lindwurm vorfand, von dem er sogleich als ein Leckerbissen verspeist zu werden glaubte. Allein das Ungetüm war nicht so grausam als es der Küher vermutete; es blickte ihn zutraulich an, wedelte mit seinem langen Schwanze und schien erfreut darüber zu sein, einen Gesellschafter erhalten zu haben. Von daher war also für den Älpler nichts zu befürchten; dagegen musste ihn der Gedanke, dass er vielleicht nicht mehr aus dieser Höhle hinauskommen könne, sondern in ihr verschmachten müsse, schwere Sorgen machen. Nachdem er sich an die Dämmerung der Höhle gewöhnt hatte, gewahrte er, dass an deren Seite sich ein Bächlein befinde von reinem, flüssigem Golde und dass der Drache von diesem sich ernähre.
Hunger und Durst bewogen endlich den verunglückten Küher, ebenfalls von dieser seltsamen Nahrung zu kosten, und sieh, er fand sie vortrefflich, und sie bekam ihm auch wohl. Doch sehnte er sich weg, fand aber hiezu keine Möglichkeit; denn der Drache verliess diese Behausung niemals.
So lebten beide mehrere Jahre in dieser Felsenklause. Da wurde einmal die Kluft von oben geöffnet; ein Lichtstrahl des Tages drang zu den Eingekerkerten herab, und die Gestalt eines Menschen wurde draussen sichtbar.
Der Drache fing an, sich an den Felswänden der Höhle hinaufzuarbeiten, und von einem rettenden Gedanken ermuntert, umklammerte der Küher den Schwanz desselben. Oben angekommen, flüchtete er sich schnell und unbemerkt hinter einen nahen Felskopf und konnte von da aus sehen, wie ein kleines Männlein, ein Venediger, den Drachen mit einem starken Strick fesselte und trotz gewaltigen Widerstrebens an eine dicke Tanne band.
Hierauf legte sich das Männlein, von der Anstrengung ermüdet, beiseits zum Schlafen nieder. Der Drache aber blickte wehmütig, wie um Hilfe bittend, zum Küher hinüber.
Dieser erbarmte sich seiner, eilte zur Tanne und durchschnitt den Strick.
Der Drache stürzte sich sogleich wutschnaubend auf das schlafende Männchen, zerriss dasselbe in tausend Stücke, gab dann dem Küher noch seine Dankbarkeit zu erkennen und kroch hierauf wieder zurück in seine alte Behausung.
Der Küher wurde zu Hause von niemand mehr erkannt, und die gewöhnliche Menschenkost wollte ihm nicht mehr behagen. (J. Natsch)

Auf der Alp Gamidaur gab es einmal ein furchtbares Hagelwetter. Die Knechte eilten zum Vieh hinaus, konnten es aber nicht beruhigen; alle Tiere sprangen über die Felsköpfe hinunter in den hintern Teil der Alp Precht. Die Stelle heisst heutigentags noch «in der Sulz». (Chr. Albrecht)

Der Geiger.
In der Alp Lasa, bei der Ragazer Hütte, spielte ein in jener Gegend vielbekannter Geist nachts auf dem “Stofel” seine Geige. Ein Mastrilserberger unter den Alpknechten forderte leichtsinnig einen Tanz. Der Geiger tat’s, und die Sennen tanzten so nach Herzenslust, dass sie das Beten des Rosenkranzes und den üblichen Alpruf vergassen. Aber am andern Morgen war der Mastrilser lahm und blieb es. (Dr. Henne-Am Rhyn. Deutsche Volkssage)

Lasst ihn ungestört!
Der im Sarganserlande wegen seinem Kapuzinerbarte “Bartli Peter” benannte Peter Schwarz hat denselben Geist (siehe “Der Geiger”) bald geigend, bald die Feldpfeife blasend häufig gehört. Als er einst mit anderen aus Lasa Bauholz hinauf bis “Stofel” und Valgrausa zu schaffen hatte, vernahmen sie nachts die unheimliche Feldpfeife deutlich. Die Genossen, denen die Sache neu war, wollten auf den Pfeifer zugehen; Peter aber hielt sie mit Gewalt zurück und sagte: “Nähert euch ihm nicht; der wird noch manches Jahr hier pfeifen und geigen!” (Dr. Henne-Am Rhyn. Deutsche Volkssage)

Wie der Kuhreihen kam.
Wiä isch dumenä hübsche Chnächt in der Ragazer Alp Bardiel ergangä! Derselb hei au d’Gaistersinna gsäha und hei vu drüerlei verschiedener Schottä eini müassa-n-usläsä. Zum Glügg hat er di grüä gwehlt. Duä heig einä vu da Geisterä zuenem gseit: “Hettist du änderst gwehlt, so hettemer di verrupft we d’s Gstrüpp in der Sunnä. Aber jetz chast ä Wunsch tuä; er soll erfüllt wärdä.” Duä sägi der jung Burst: “Där, wou beim Cheise-n-ä sou prächtig gjoulät hät, söll mis au leihrä.”
Das ist gschieh, und vu duä a heig me der erst Chuahreiä im Ouberland ka. (Albrecht, Erinnerungen)

Riesen.
Im Kalfeisental wohnten einst Riesen, die nach dem Volksmund ihrem Landesherrn in Zeiten der Not vortreffliche Dienste leisteten. Kam nämlich ein Feind ins Haupttal, so wurden die Riesen aufgerufen; diese bewehrten sich unterwegs mit einer Tanne, die sie mit starker Hand aus dem Boden rissen. Mit ihren Fäusten schlugen sie die Äste weg, benutzten dann den Stamm als Spazierstock, und wenn es an den Feind ging, schwangen sie die Tannen im Kreise um sich her und mähten alles nieder, was ihnen entgegenstand. (Nach Fl. Kaiser, Festschrift)

Der besiegte Schwarzkünstler, 1799.
Als die Franzosen in ihren Kämpfen gegen die Russen und Österreicher durch die Schweiz zogen, hatte auch Vättis viel Ungemach zu erdulden. Ein Bataillon Franzosen drängte die Österreicher über den Kunkels zurück. Der französische Anführer ritt auf einem Schimmel mitten in den grössten Kugelregen hinein. Keine Kugel konnte ihn verletzen; denn er war stich- und kugelfest. So trieb er die Österreicher vor sich her bis auf die Höhe des Passes; dort hielten sie stand. Der Franzose sprengte vor und ritt spöttisch der österreichischen Heeresabteilung entlang hinunter. Ein neuer Kugelregen konnte ihm keinen Schaden zufügen. In der Verzweiflung rief der Anführer der Österreicher: “Ist keiner hier, der den Kerl herunterbringt?” Aus seinen Scharen trat ein Tiroler hervor und erklärte: “Das kann ich!” Er legte an, drückte los, und der Getroffene fiel rücklings vom Pferde herunter.
Der Tiroler war ein “Weisskünstler” und hatte eine silberne Kugel gebraucht und so den Schwarzkünstler besiegt. (L. Jäger)

Die Gründung des Klosters.
Der heilige Priminius, ein Stifter vieler Klöster, kam nach Rätien. Bei Marschlins sollte ein neues Gotteshaus errichtet werden. Als man das Holz dazu zimmerte, verwundete sich ein Arbeiter, und sein Blut benetzte die Holzspäne. Da erschien eine weisse Taube, nahm einen blutigen Span in den Schnabel und flog auf eine waldige Anhöhe ob Ragaz. Diesem Zeichen folgte Pirmin, und wo die Taube den Span fallen liess, da ward das Kloster gebaut und Pfäfers geheissen. Daher führte dieses Kloster in seinem Wappen eine fliegende weisse Taube mit einem roten Span. (H. Herzog, Schweizersagen)

Wie die warme Quelle entdeckt wurde.
Es war im Jahr 1038, als Karl von Hohenbalken, Jäger des Gotteshauses, auf die Jagd zog. Auerhähne und Waldhühner zu erlegen, mochten seine Gedanken und Wünsche sein. Sieh, da wurde aber sein mitleidig Herz erregt, ein Leben zu erhalten, statt ihm den Tod zu bringen. Ein Täubchen, für jeden Bewohner des Klosters ein heiliger Vogel, wurde vom schwarzen Rabenvolke, welches die Taube von der Arche Noahs her hassen soll, mit grimmigem Geschrei und Gekrächze verfolgt. Er eilte dem Schwärme nach, lief in den Wald hinein, in die Tiefen hinab, in welchem das Täubchen das Opfer seiner Feinde werden sollte. Die verfolgte Unschuld zu retten, das liebe Täubchen dem Tode zu entreissen, war jetzt sein einziger Gedanke; jede andere Beute hatte er gänzlich vergessen. In diesem Eifer übersieht er ganz und gar, wie er selbst in der grössten Lebensgefahr schwebt. Er kommt so weit in die schwindlige Tiefe hinab, dass er plötzlich den Dampf gewahr wurde, welcher aus dem gähnenden Schlünde emporstieg. Als er das Täubchen in Sicherheit gebracht, liess er sich an Stricken hinab und sah das blutwarme Wasser aus den Felsenritzen hervorsprudeln.
Es war der schöne Lohn seines edlen Herzens, wenn er “aus besonderer Gnade und Mildigkeit Gottes, menschlichem Gebrauch zu Nutz und Frommen, das sehr edel, köstlich und heilsam Wasser entdeckte,” ohne noch zu ahnen, wie “viel unaussprechlicher Wirkungen es hat.” (Guler)
Die beiden Klosterjäger Vils und Thuoli von Vilters werden von den einen als seine Jagdgenossen und Begleiter genannt; wahrscheinlicher aber ist es, dass sie erst 200 Jahre später gelebt und 1240 oder 1242 bei der Verfolgung eines Wildes die Quelle, die bis dahin nicht gebraucht, vielleicht gar vergessen worden war, wieder gefunden haben. (M. Klotz, St. Galler-Blätter 1900)

Der geheimnisvolle Krämer.
Ein Italiener, Namens Sander, hatte mehrere Sommer hindurch seinen Krämertisch im Korridor des Badgebäudes aufgeschlagen. Seine gut assortierten Schmuckartikel fanden unter den Badgästen immer reissenden Absatz.
Den Badangestellten und Stammgästen kam es aber nach und nach sehr sonderbar vor, dass der Italiener stetsfort einen reichlichen Vorrat von Waren befass, obschon er täglich viel davon verkaufte und niemand wahrnehmen konnte, wie, wann und woher er dieselben erhielt.
Dieses Rätsel wurde endlich gelöst. Sander hatte nämlich einen Schlafkameraden, welcher einmal um Mitternacht im Schlafzimmer aus- und eingehen und vor der Türe deutlich sprechen hörte. Auf das flehentliche Bitten des einen, dass ihm die verabredete Frist noch um ein Jahr verlängert werde, erwiderte der andere: “Dein Ausreden und Bitten hilft nichts mehr; es ist nun einmal Zeit, dass du mitkommst; ich lasse dich diesmal nicht mehr los!”
Hierauf blieb alles stille. Ein höllischer Gestank erfüllte das ganze Badgebäude, Krämer Sander war und blieb verschwunden; doch fand man am Morgen zunächst hinter der Trinklaube, auf der Quellenbrücke, die da über die wilde Tamina führt, die Pantoffeln und den Schlafrock desselben. (J. Natsch)

Des wilden Mannlis Dankbarkeit.
Aus der Feuscha, einem Berggute zuvorderst auf der wohl 500 Meter hohen Krachenwand, in deren Mitte sich eine unzugängliche, grosse Höhle befindet, lebte vor Zeiten ein Familienpaar, das von den “wilden Mannli”, welche in obgenannter Höhle wohnten, häufig besucht wurde. Die Wilden wussten zu ihrer Höhle einen geheimen Weg, Sie waren schwindelfrei; denn die Kinder bekamen in den ersten Jahren als Nahrung nur Gemsenmilch, welche das beste Mittel gegen Schwindel ist.
In einer stürmischen Herbstnacht wurde an der Haustüre geklopft. Ein “wildes Mannli” begehrte für seine Frau Hilfe, die ihm auch gewährt wurde. Auf einem gänzlich unbekannten Pfade gelangten sie nach kurzer Zeit in die Höhle. Mit Tagesanbruch verabschiedete sich die Frau und erhielt als Belohnung eine Schürze voll Kohlen, die sie unwillig annahm. Auf dem Wege warf sie das wertlose Geschenk weg; nur ein einziges Stück nahm sie mit. Jetzt hörte sie in der Ferne rufen: “Je mehr du verwirfst, je minder du hast!” Sie drehte sich um und sah das “Mannli”, das den Zeigefinger erhoben hatte und ihr einen seltsamen Blick zuwarf. Als sie zu Hause angekommen war, hatte sich die vermeintliche Kohle in ein Goldstück verwandelt. Schnell machten sich beide auf, um den weggeworfenen Schatz zu suchen. Sie kamen aber zu spät; denn das “wilde Mannli” war ihnen zuvorgekommen und hatte die Kohlen aufgelesen und wieder in seine Höhle mitgenommen. Die beiden Gatten sahen den ehemaligen Gast noch oft bei ihrem Hause vorbeigehen. Eingekehrt ist er dort niemals wieder. (L. Jäger)

Die Vättnerberger lernen das Holzfällen.
Dia wilda Mannli sind in viela Stugga viel gschieder g’sie as ander Lüt, und d’Vättnerberger hind viel vuna glehrt, under anderm au das, wia me d’s Holz fellt. Frühjer het ma d’s Holz allbig nu mit der Äx gfellt. Doa sind dinn dia wilda Mannli, wils au gär gwünderig gsie sind, chu ga zualuaga und hind indli, wos’ a paar dumma Kärli zuagluagat gha hind, d’Chöpf erschüttet und hind gseit: “Miar wind ni zeiga, wia ma Holz fellt.” Am andara Dag, wias gwieset het, sa sind die wilda Mannli schu mit ara frisch gfielata Schrötersaga uf Ort und Stell gsie und hind da Berger grüaft. Nohär hind die zwei Mannli mit anand agfocht saga, und die andara hind zuagluagat. Wias-as sie halba igsagat kha hind, het müasa a Berger mit d’m eina Mannli fertig saga. Wil doa d’Danna gfalla ist, het d’r Berger da Finggastrich gnu und ist gsprunga, sa ross as er müga het.
Das wild Mannli het aber nu zwei Schritt gmacht und ist stillgstanda. Im hets nüt doa: aber da andara hets um ei Hour erschlaga. Wia das d’Berger gsieh hind, hinds gfroget: “Worum bist du nit witer gfloha?” D’s Mannli het gseit: “Hinders nit gsieh? I ha nu dur Danna uffi gluagat, uf wehli Sita as si falli, und dua bin i nu uf di ander gstanda.”
Vu jetz aweg hind d’Berger gwüsst, wia ma Holz fellt und das au ander Lüta erzellt. Aso ist d’ Sach in d’ Welt ussi chu. Sie hind dua bem Heiguh aber zu-n-anand gseit: “Ma cha mingmohl no vu Chlina etschwas lehra.” (L. Jäger)

Der Rat des „wilden Mannli“.
Die Zwerge gingen barfuss und sahen oft neidisch auf die Schuhe, welche die andern Menschenkinder trugen. Ein witziger Vättner kam auf den Gedanken, einem solchen “Kleinen” ein eisernes Paar Schuhe machen zu lassen, dieselben mit einer Kette zu verbinden und mit einer weitern an sein Häuschen zu befestigen. Er glaubte, dadurch ein Geheimnis wie etwa das Gewinnen des Goldes aus dem Schotten zu erfahren. Und wirklich, es gelang ausgezeichnet. Am Morgen steckte ein “Mannli” mit seinen Füssen in der Falle. Es bat flehentlich, man soll es freilassen, was denn auch geschah, nachdem es die anwesenden Vättnerberger versichert hatte, es wolle ihnen einen guten Rat erteilen. Kaum der Fesseln entledigt, sprang es auf ein “Gufer” (Felstopf in einem Berggute) und rief, so laut es konnte: “Bei gutem Wetter nehmt den Mantel mit; bei Regenwetter tut, was ihr wollt!” Dann verschwand es und ward nicht mehr gesehen. (L. Jäger)

Wie man das Ziegern gelernt hat.
Ein Jüngling, der auf dem Vättnerberg das Vieh fütterte, war während einer ganzen Woche nie in das Tal heruntergekommen, um Nahrungsmittel zu holen. Es war auch nicht nötig; eine Zwergentochter hatte sich bei ihm häuslich niedergelassen, und ihr Vater versah beide reichlich mit Wildbret; Milch hatten sie zur Genüge. Damals machte man aus der abgerahmten Milch den Magerkäse; das Ziegern aber war noch unbekannt. Von der Zwergin hat es der Bauernsohn gelernt. Sie erklärte weiter, das eigentliche Gold sei in dem Schotten enthalten. Sie wollte auch zeigen, wie man dieses gewinnt und hantierte im Käskessi herum, als die Hüttentüre aufging und der Vater des Jünglings erschien und sie im seinem Zorn zur Türe hinauswarf. Der Sohn erzählte nun alles und setzte den Vater in nicht geringes Staunen. Aber die Reue kam zu spät. Die Zwergin war nicht mehr zu finden, so wenig als das Gold in dem Schotten. (L. Jäger)

Das Beste in dem Schotten.
Das letzte “wilde Mannli” auf der Alp Matschiels äusserte gegenüber den Sennen einst, ihnen sei unbekannt, dass nach dem Käsen noch das Allerbeste in dem Schotten bleibe. Sie wollten ihm das Geheimnis ablocken und stellten ihm Schnaps hin. Das Männlein roch daran, ging aber weg und sprach: “I trouw der nit; du chünntist mi bilürla.”
Man glaubt, dies Köstliche sei ein Honig, der den der Bienen an Süssigkeit übertreffe. (Dr. Henne-Am Rhyn, Deutsche Volkssage)

Kuhstapfen.
Der Glaube an die Wirksamkeit des “Alpspruches” war bei vielen Leuten, sogar bei den Alpknechten von Ladils verschwunden. Gegen Neige des Sommers beschlossen sie an einem Abende, ihn zu unterlassen, und so geschah es auch.
Als sie am nächsten Morgen zum Melken eintreiben wollten, gewahrten sie mit Entsetzen, dass keine einzige Kuh auf dem Satz vorhanden war. Sie begaben sich nach allen Seiten, um das verlorene Vieh zu suchen. Den steilen Weg gegen Vättis hin ging der “Küher”, der den Alpspruch hätte sprechen sollen. Ihm entgegen kam eine Kuh aus dem Tale herauf und nach ihr eine zweite, dritte u.s.f. Die meisten hatten Kornähren zwischen den Hufen. Nun wusste er, wo das Vieh Übernacht gewesen war. Nachkommende Bauern meldeten auch, man habe ausserhalb Vättis, in den Kornäckern, Kuhstapfen gefunden.
Die Gegend heißt bis auf den heutigen Tag “Kuhstapfen”. (L. Jäger)

Der Küher.
In der Alp Lasa, ob Valens, hörten die Sennen abends oft von oben zwischen Vasana und den Laufböden herab den lauten Ruf eines Kühers: “Hoi, hoi!” Es war ein Lärm, als ob eine ganze Sente durch die Luft getrieben würde. (Dr. Henne-Am Rhyn, Deutsche Volkssage)

Das Bachgschrei.
Einige Männer arbeiteten oben im Valenser Berg und brachten auch die Nacht dort zu. Nun hörten sie das Bachgschrei durch das Mühletobel heraufkommen. Es kam in ihre Nähe und “trotte” vor ihnen her wie ein Schafbauch. Dann verschwand es in einem “Bergun”, d.h. in einem Heuhüttchen. Einer der Männer hatte den Mut, ihm nachzugehen. Er kam bald wieder heraus, war aber ganz verstört und sagte: “Jetzt weiss ich, was das Bachgschrei ist.” Weiter aber verriet er nichts. Er ging heim, legte sich zu Bette und starb nach wenigen Tagen. (Mündlich)

Sieben Jahre.
In der Valenser Alp Lasa war einst ein leichtsinniger Küher, dem eine etwas lebhafte Kuh viel Verdruss machte. Da beschloss er, sich Ruhe zu verschaffen, jagte sie in eine Rüfe, unter der ein Abgrund war, und das Tier fiel tot. Als er aber starb, musste er zur Strafe sieben Jahre lang nächtlich die tote Kuh aus der Tiefe heraustragen, wo sie jedesmal wieder hinabpolterte.
Der “Geistende” kam zuweilen in die Hütte und setzte sich unter die Knechte, ass aber nichts, und niemand getraute sich, ihn anzureden. Einst jedoch wagte dies der Senn und erfuhr von ihm die Ursache seiner bald zu Ende gehenden Busse. (Dr. Henne-Am Rhyn, Deutsche Volkssage)

Das Bergwerk auf dem Knapperkopf.
Die Goldadern am Knapperkopf wurden von zwei Brüdern entdeckt und im Geheimen ausgebeutet. Die Habsucht brachte Unglück über sie. An einem Abende, an dem grosse Beute gemacht worden war, stürzte der eine den andern die hohe Felswand hinunter, begab sich mit seinem Schatze nach Hause, verbarg ihn und teilte den Leuten mit, sein Bruder sei zu Tode gestürzt. Schnell begab sich eine Menge junger Männer auf die Suche und fand den Mann noch lebend. Dieser verriet das Geheimnis der Goldader, gab seinen Bruder als Mörder an, und dann verschied er.
Auf dem Anhau bei Ragaz wurde der Brudermörder hingerichtet; aber an der Stelle, wo der Frevel geschehen war, musste der Mörder als feuriger Mann umgehen.
Hierauf ging die Ausbeutung der Gruben an die Gemeinde über; alle waren sehr ergibig, besonders die mit einer eisernen Türe versehene Hauptgrube. Ein zweistöckiger Holzbau erhob sich an der Stelle, wo jetzt die halbzerfallene Knapperhütte sich befindet, die zur Wohnung für die Bergleute und zur Aufnahme des Erzes dienen musste. Jahre waren vergangen; aber der Unhold belästigte die Knappen immer mehr, selbst in der Hütte, wenn nicht allabendlich gebetet wurde. Auch Berggeister spielten den Leuten manchen Schabernack. Das eine Mal waren die frischgespitzten Bohrer bis über die Hälfte in den Felsen hineingetrieben; ein anderes Mal war sämtliches Werkzeug an dem wohl 300 Meter tiefer liegenden Taminaufer zu finden, oder es kam den Knappen, wenn sie in einer ergibigen Erzader bohrten, plötzlich ein Strom Wasser entgegen.
An einem Abende, als die Bergleute das übliche Gebet verrichtet hatten, kam durch die Stubentüre ein kaum ellenlanges Weiblein herein. Das russige Berglämpchen erlosch. “Ich bin euere Freundin, die Elfenkönigin, und gebiete über hundert dienstbare Geister. Zweihundert Jahre sind es heute, seit hier ein Brudermord geschah. Der Mörder hat nun seine Schuld gebüsst und wird euch nicht mehr belästigen. Letzthin haben meine hundert Zwerge den Kampf auch mit den Kobolden und Berggeistern aufgenommen und sie besiegt. Diese werden euch nichts mehr schaden. Ein Stunde nur, um Mitternacht, lasst die Arbeit ruhn; denn sie würde euch Unglück bringen!” Verschwunden war die liebliche Gestalt. Das Lämpchen brannte wieder.
Da lebte in Vättis ein armes, aber glückliches Elternpaar. Ihr ganzer Schatz war ihr einziges Kind, Namens Marie.
Es kam die Zeit, dass auf der Burg Freudenberg die Mariengerichte abgehalten wurden. Der Vater hatte Geschäfte in Ragaz, und das Töchterlein durfte ihn dorthin begleiten. Die beiden begaben sich auch auf den Freudenberg. Auf einmal entstand eine Bewegung unter den Anwesenden; ein Trupp Zigeuner war angekommen. Alles sprang so schnell als möglich, die armen Leute niederzuschlagen; denn die Zigeuner waren damals vogelfreie Leute, und die Abschlachtung derselben hielt man für ein Gott wohlgefälliges Werk. Auch die beiden Vättner folgten der Menge. Auf einmal sahen sie ein altes Zigeunerweib mit blutigem Kopfe. Ein Rasender hatte es mit einem Stocke niedergeschlagen. Die Alte wurde von dem Volkshaufen nicht mehr beachtet und hatte sich in das Gebüsch geschleppt, um dort ruhig sterben zu können.
Jetzt erhob der Bergmann den Stock, um ihr den Todesstreich zu versetzen. Das Mädchen bat für sie und fand Erhörung. Die Zigeunerin aber richtete sich auf und sprach: “Gutes Mädchen! Wenn du einmal gross sein wirst, droht dir ein furchtbares Unglück; du kannst es abwenden, wenn du meinen Rat befolgst. Wenn deine Familie fünf Personen zählt und der Johannestag auf einen Tag fällt, der kein Tag ist (Mittwoch), haben dreizehn Männer etwas vor. Verhindere es; denn du rettest dann dein Liebstes vor einem schrecklichen Tode.”
Die Zigeunerin starb; Marie aber wuchs auf und wurde die Frau des Vorarbeiters im Bergwerk am Knapperkopf. Zwei liebliche Mädchen wuchsen dem jungen Ehepaar auf, dazu ein Knabe.
Einmal gegen Ende Juni hatten dreizehn junge Männer im Übermute beschlossen, mit dem althergebrachten Glauben zu brechen und am St. Johanni-Tage ihre Nachtarbeit um zwölf Uhr zu beginnen. Das Vorhaben derselben wurde in Vättis bekannt. Auch Marie hörte davon, als sie im Görbsbach Wasser schöpfte. Vor sich sah sie plötzlich die alte Zigeunerfrau mit bluttriefendem Kopfe. Alles schlug heute nach der Prophezeiung genau ein. Ihr wurde schwindelig; sie musste nach Hause getragen werden und verfiel in ein hitziges Fieber. Der Pfarrherr wurde gerufen. Auf einmal wurde ihr Geist hell, und sie konnte offenbaren, was für die nächste Stunde bevorstund. Anton machte sich unverzüglich auf den Weg nach dem Knapperkopf, um seine Genossen zu warnen. Er glaubte, den Knapperkopf auch in tiefer, rabenschwarzer Nacht noch rechtzeitig erreichen zu können. Mitten im Wege lagen aber Tannen und Felsblöcke. Doch er verzagte nicht; er überwand alle Hindernisse bis nahe ans Ziel, wo seine Kräfte schwanden. Er wollte eine Weile ausruhen. Doch er hörte hinter sich rufen: “Beeile dich; es ist die grösste Zeit!” Bald hatte er die Hütte erreicht und betrat dieselbe. Die zwölf Gesellen aber waren schon fort. Schon trat auch das Gefürchtete ein. Der jähe Bergabhang mit Felsen, Wald, Rasen und Geröll setzte sich in Bewegung und bedeckte vor den Augen des Zuschauers die Gruben samt den Knappen.
Es wurde nachgegraben; aber die Verschütteten wurden nicht mehr gefunden. Das Begrabensein in ungeweihter Erde war die gerechte Strafe für den Vorwitz.
Wie sehr diese Sage in Vättis fortlebt, beweist die Tatsache, daß Ende der 1860er Jahre, als der Betrieb des Bergwerkes neuerdings aufgenommen wurde, man an vielen, vielen Orten die Erde wegschaffte und nach den verschütteten Gruben suchte. (Ludwig Jäger)

Die Goldstitze.
Ein Venedigermannli erschien plötzlich ob Valens an den Grauen Hörnern, wo es unter eine goldtropfende Quelle eine “Stitze” hinstellte, die es im folgenden Jahr voll abholte. Als es das letzte Mal kam, hiess es “ob dem Brudermatt”, bei Vadura, wo es einzukehren und zu übernachten pflegte, einen mitkommen. Es ging die schroffen Wände hinauf, wo man sonst keinen Fuss absetzen konnte; das Mannli zeigte dem Begleiter die Goldstelle, verbot ihm aber beim Weggehen das Zurückblicken. Der Mann fand das sonderbar und schaute zurück; darum konnte er trotz alles Suchens später die Quelle nicht mehr auffinden. (Dr. Henne-Am Rhyn, Deutsche Volkssage)

Der Stofel-Schlarpi in der Alp Ladils.
Auf Ladils wurde das “Molken” in einem eine kleine Strecke von der eigentlichen Alphütte entfernten Gemache untergebracht. Die Gegend heisst heute noch “Käsgaden”.
Der Senn hatte den Schlüssel zu demselben und legte ihn allabendlich an die gleiche Stelle in der Hütte. Nun kam es öfters vor, dass nachts jemand über den “Stofel” in Holzschuhen “daherschlarpete”, in die Hütte kam, den Schlüssel zum “Käsgaden” nahm und sich in gleicher Weise wieder entfernte. Die Hirten bekreuzten sich und waren froh, dass ihnen kein Leid geschah. Nach einer Viertelstunde näherte sich das Gespenst in der gleichen Gangart wieder der Hütte und hing den Schlüssel an den bestimmten Ort.
Ein frommer Klostermönch in Pfäfers hatte von diesem seltsamen Vorkommnis Kenntnis erhalten und beschloss, der Sache näher auf die Spur zu kommen. Ganz unverhofft begab er sich an Fronfasten nach Ladils, um dort zu übernachten.
Der Klostermönch war früher Pfarrherr in Vättis gewesen und hatte die Schafe und die Böcke genau kennen gelernt. Dem Sennen kam die Ankunft des frommen Mannes sehr ungelegen.
Um Mitternacht hörte man das Gepolter des “Schlarpi” auf dem “Stofel”. Der Mönch stand auf, begab sich unter die Hüttentüre und stand dem Dieb gegenüber. Mit kräftiger Stimme rief er: “Wandle nach deinem Tode so lange auf dem “Stofel”, bis du die ganze Schuld bezahlt hast!” Der “Schlarpi” wollte nämlich in jenen Nächten im Einverständnisse mit dem Sennen mehrere Käse und verschiedene Butterballen aus dem “Käsgaden” entwenden. Der Mönch hatte seinen Fluch gesprochen und der Himmel ihn gehört.
Kaum hatte der Dieb den Mönch erblickt, so sprang er, so schnell ihn seine Füsse tragen konnten, den Alpsäss hinein, den steilen Bergabhang über den unwegsamen Pfad hinunter dem zwei Stunden entfernten Heimatdorfe zu.
Er legte sich zu Bett, und in einigen Tagen wurde er als Leiche aus dem Hause getragen.
Als ein böser Geist spukt der “Schlarpi” noch auf Ladils; doch schadet er nicht, wenn die Sennen vor dem Schlafengehen den Alpsegen sprechen. (L. Jäger)

Blutrache.
Zur Zeit, als der Vättnerberg noch bewohnt war, stand in der Spina ein Haus – das Fundament ist jetzt noch sichtbar. Vater und Sohn waren eifrige Gemsjäger. Auf dem Vättnerberg lebte ein nicht minder eifriger Jäger. Letzterer war ein Schwarzkünstler, d. h. mit dem Bösen im Bunde. Ihn konnte keine Kugel verwunden, ausser eine silberne, die während einer heiligen Messe unter das Altartuch gelegt worden war und zu deren Beförderung man Dreifaltigkeitssalz unter das Pulver mischte.
Da die Spinajäger der Aufforderung des Bergers, sein Gebiet nicht mehr zu betreten, keine Folge leisteten, beschloss er, den einen von beiden aus der Welt zu schaffen. So geschah es auch. An einem Herbsttage fand man den Sohn nach langem Suchen in den Vättnerbergfeeden tot. Eine Kugel hatte ihn in die Brust getroffen. Der Volksmund sprach von Mord, und auch der Name des Mörders wurde genannt; allein ein Beweis für eine Schuld konnte nicht erbracht werden.
In seinem Schmerze schwur der Vater blutige Rache. Nur zu häufig war er jetzt auf dem Vättnerberge anzutreffen. Seine Waffe war mit der silbernen Kugel geladen. Sie hat das Ziel nicht verfehlt.
Auf dem Todbette hat der Vater bekannt, wie er in der gleichen Grashalde, in der sein Sohn umgekommen, den Widersacher beim Ausweiden einer Gemse überrascht, zum Bekenntnisse seiner Tat gezwungen, erschossen und dessen Leichnam in die schauerlichen Abgründe des Radeintobels gestürzt habe.
Obwohl er geglaubt habe, im Recht zu sein, habe er keine ruhige Stunde mehr gehabt; denn das böse Gewissen habe ihn fortwährend geplagt. (L. Jäger)

Schnee verkündet.
An einem späten Herbstabend kehrte ein Jäger auf der Alp Tanzboden in die Hütte ein und legte sich nach dem Essen zur Ruhe. Gleich darauf hörte er einen wunderschönen Gesang, der sich wiederholte. Erstaunt lauschte er. Am andern Morgen war die Alp und das ganze Tal mit tiefem Schnee bedeckt. (F. W. Sprecher, Jahrbuch d. Schw. Alpenklub)

Die Einladung
Ein anderer hörte dreimal seinen Namen rufen und trat vor die Hütte. Da hörte er den gleichen Ruf, aber aus weiter Entfernung. Er ging dem Rufe nach und kam auf den ebenen Boden des Hexenbühels. Heller Lichterglanz leuchtete in die Nacht hinaus; bei wunderschöner Musik schwangen sich auf dem Rasen wilde Gestalten in vollem Tanze, und an einem langen, reichbesetzten Tische sieht er eine Reihe schwarzgekleideter Gestalten mit bleichen Gesichtern sitzen, die ihn wiederholt zum Essen einladen. “Vor dem Essen”, denkt er, “muss man beten,” und er tut es. Dann will er sich an die Tafel setzen und sagt zu dem Nächsten: “Gott gsegn’ es!” Da starren ihn die bleichen Gesichter an, und verschwunden ist alles. Durch die finstere Nacht kehrt der Jäger wieder zur Hütte zurück. (F. W. Sprecher, Jahrbuch d. Schw. Alpenklub)

Garlett.
Alte Valenser wissen viel von dem reichen Garlett zu erzählen, der im Schlosse wohnte, auf dessen dicker Mauer nun Konrad Ruch sein Haus hat. Er habe vom Schlosse einen unterirdischen Gang zur Kirche gehabt und auf eigenem Boden von der Hausbesitzung Glarina bis auf die Voralp Branggis wandern können. Einst wunderte ihn, wie tief eigentlich der dortige Wangsersee sei, und er nahm zu diesem Behufe einen Haspel und einen Bund Schnüre mit. Als er einen Stein an die Schnur gebunden und ihn in den See hinabgelassen hatte fand sich nirgends Grund. Schon war er daran, eine neue Schnur an die bisherige zu binden und begann aufs neue, als lockend Blasen aus dem Seegrunde aufstiegen und eine furchtbare Stimme herauflief:
“Ergründest du mich, so verschluck ich dich!” Da gab er den Versuch auf. (Dr. O. Henne-Am Rhyn, Deutsche Volkssage)

Der Meineid.
In dem vor mehr als 200 Jahren erbauten Gemeindehause lebten vorzeiten zwei liebliche Bergtöchter. Ihr Vater war Vorsteher der Korporation, und es wurden bei ihm manche Angelegenheiten besprochen und wichtigere Briefschaften aufbewahrt.
In der Nähe befanden sich verschiedene Alpen. An den mondhellen Nächten der Sommermonate trafen die Alpknechte der benachbarten Alpen zur “Stubete” ein und verbrachten hier die halben Nächte. Einst gelang es ihnen, dem Hauswirte eine wichtige Urkunde zu stehlen.
Gleich nachher begann ein Markenstreit zwischen den Bergbewohnern und den Alpbesitzern, und weil erstere keine Urkunde mehr besassen und die letztern falsche Zeugen aufführten, bekamen die Alpbesitzer Recht.
Die Strafe folgte aber auf dem Fusse nach. Die beiden Küher verunglückten im gleichen Herbste auf der Jagd in der gleichen Alp, fanden aber im Tod keine Ruhe. Sie suchen in gewissen Nächten das Vieh der Alp gegen schauerliche Abgründe zu treiben und können nur hievon abgehalten werden, wenn der übliche Alpspruch getan wird.
Noch schlimmer erging es den andern falschen Zeugen. Zur Strafe für ihren Meineid sitzen sie droben in jener Ecke, wo sie einst den erschlichenen Sieg mit einem Trinkgelage gefeiert haben; dort halten sie feurige Becher in den Händen und verfluchen ihre Tat. Fromme Fronfastenkinder sehen sie zu gewissen Zeiten. (L. Jäger)

Der heilige Martin.
Auf seiner Rückreise von Rom den Weg verfehlend, sei Ritter St. Martin auf die Spitze des Ringelberges gekommen und habe von da in die schauerliche Tiefe des Taminabettes hinabgeblickt. Dem Pferde die Sporren in die Weichen drückend, habe er ohne sich weiter zu besinnen, in einem kühnen Sprunge 2400 Meter hinabgesetzt, ohne dass Ross oder Reiter den geringsten Schaden erlitten. Heute noch steht man auf der sog. Höhe, am Wege nach Kalfeisen, die Formen der vier Hufeisen auf einer Steinplatte, auf welche das Pferd abgesetzt hat. Wegen dieses Wunders wird Martin als Heiliger verehrt, und als solcher ist er auch der Patron der Kapelle in Kalfeisen, die seinen Namen trägt und in welcher ihm ein Standbild zu Pferd errichtet ist. Der Kirchenverwaltungsrat von Vättis kleidet dasselbe alle Frühjahre mit einem roten Reitermantel. Während des Sommers kommen die Alpenbesitzer, und ein jeder schneidet ein Stück, weil es gut gegen Krankheiten und Viehseuchen sei, davon ab, so dass der hl. Martin im Herbst wieder entblösst auf seinem Pferde sitzt und die Reliquie vergriffen ist. (Oberländer Anzeiger)

Der erzürnte Riese.
Bekanntlich war das Kalfeisental früher von freien Walsern bewohnt. Unter diesen hätte nach der Sage einst ein Riese von ungeheurer Kraft und Grösse gelebt. Da er sich mit seiner Schwester vergangen, wurde er vor den Landvogt auf das Schloss Sargans zitiert. Aus Ärger darüber habe er eine Tanne samt der Wurzel ausgerissen, die Äste mit der Hand abgeschlagen und den Baum als Spazierstock benutzt. Beim Eingang in das Schloss sei das eiserne Tor von ihm, als wäre es von Papier, aus den Angeln gehoben und einer der Kloben, in denen dasselbe hing, wie Wachs umgedreht worden. Und in der Tat schaut derselbe heute noch nach unten. Auf dem Rückwege habe der Riese in einen Mühlstein in Mels ein Hebeisen gestossen, den Stein auf den Rücken genommen und bis nach Gunis, fünf Minuten ob dem Dorfe Vättis, getragen. Der Stein liegt noch dort, und man muss sich wirklich wundern, warum er hierhergebracht worden. (Oberländer Anzeiger)

Der Taminageist.
In der Taminaschlucht habe ein Kobolt gewohnt. Diese Sage verdankt ihre Entstehung folgender Erzählung eines Gemsjägers: Er sei eines Abends beim Zunachten im Begriffe gewesen, auf dem Heu in einer Scheune des Gutes Gigerwald zu übernachten, als in der Tiefe ein gellender, Mark und Bein durchdringender Schrei ausgestossen worden. Einen Augenblick, und der gleiche Schrei habe sich schon näher und dann wieder nach einem Augenblick hart an der Scheune wiederholt. Jetzt sei dem Jäger nicht mehr wohl zu Mute gewesen. Er habe nach dem Stutzer gegriffen, um fortzugehen. Als er die Leiter heruntergestiegen, sei er vom Berggeist bei den Haaren ergriffen und mit Blitzesschnelligkeit durch die Lüfte davongetragen worden. Er habe in dieser Not und Gefahr die drei heiligsten Namen angerufen, worauf der Kobolt ihn fallen lassen. Als er endlich den Weg nach Vättis gefunden, sei er von dem Geiste wieder geneckt und irregeführt worden. Bald sei er hinuntergekommen an die Tamina, bald hinauf bis an die Felswände und so im Zickzack auf und ab die ganze Nacht bis am Morgen, wo er körperlich und geistig erschöpft und triefend vor Angstschweiss ankam. Dieser Taminageist habe vielfältig auch noch andern Spuk getrieben, namentlich im Gigerwald, so dass auf diesem Gute bis in die neuere Zeit niemand nachts zu schlafen wagte. (Oberländer Anzeiger)

Der Drache.
Droben über dem Dorf Vättis, im gelben Berg, 2100 Meter hoch, befindet sich eine Grotte, wohl eine der interessantesten in der Schweiz. Schade, dass sie nicht allgemeiner bekannt ist. Sie besteht aus drei in gerader Richtung hintereinander in das Innere des Berges fortlaufenden Abteilungen, die alle die gleiche Form haben, vornen am Eingang hoch und weit, nach Innen sich symmetrisch abschließend und verengend. Die Seitenwände und die gewölbartige Decke sind so gleichförmig und regelrecht, dass man meinen möchte, die Grotten oder Hallen, wie wir sie nennen möchten, wären von Menschenhänden ausgebrochen worden. Die erste Halle hat ein grosses Portal; sie ist ungefähr 8 Meter lang, vornen 3 Meter, hinten 1 ½ Meter breit, am Eingang 7 Meter, am Ausgang 3 Meter hoch. Hier tritt man wie durch eine Türe in die zweite Halle, die etwa einen Drittel des Raumes der ersten einnimmt. In die dritte Abteilung kann man nur in gebückter, knieender Stellung eintreten. Sie ist noch um die Hälfte kleiner als die mittlere. An ihrem Ende ist eine senkrecht ablaufende Öffnung von ¾ Meter Durchmesser. Bisher hat sich da noch niemand hinabgewagt, um das Innere des Berges zu untersuchen. In dieser Grotte nun habe vor Zeiten ein grimmiger Drache gewohnt, von woher die Höhle den Namen Drachenloch erhalten hat. Es sei dem Drachen aber nach langer Zeit in seiner Burg zu langweilig geworden, und er habe den kühnen Flug hinüber über die Tamina nach dem Calanda gewagt. Man sieht von Vättis aus in einer jähen, hohen Felswand das Loch, wo er hineingeflogen. Allein er habe im Innern des Berges keinen Grund und Boden gefunden und sei dann viele tausend Fuss hinuntergestürzt und da elendiglich umgekommen. (Oberländer Anzeiger)

Der ungetreue Hirt.
In der Vättiser Alp Badiels war ein Küher (Hirt). Eine Kuh begab sich alle Nacht an eine gefährliche Stelle, wo sie leicht hätte hinunterstürzen und zu Tode fallen können. Er war daher genötigt, an der Stelle zu wachen. Dessen sei er dann endlich müde geworden. Eines Abends habe er eine nasse Rindshaut genommen und sie an der betreffenden Stelle ausgebreitet. Die Kuh sei wieder gekommen. Als sie aber auf die nasse Haut getreten, sei sie ausgeglitscht, in den Abgrund gestürzt und zerschmettert worden. Seither müsse der Küher an dieser Stelle “geisten” und jede Nacht Wache halten, daß kein Vieh in dieses unsichere Revier komme. Die Hirten dürfen nun die ganze Nacht unbekümmert schlafen. (Oberländer Anzeiger)

Der Tanzboden in der Alp Sardona.
Zu hinterst in dem Kalfeisentale befindet sich die Alp Sardona, die für über 200 Stück Vieh Sömmerung bietet. In dieser Alp ist ein grosser, ebener Platz, Tanzboden genannt.
Auf diesem Platze hat noch nie ein Stück Vieh sein Nachtlager gesucht; denn da versammelt der Teufel alle Freitage um Mitternacht, sowie in den Nächten der Fronfasten, die ihm Zugehörenden. Da wird dann gegessen, getrunken und getanzt, bis in Vättis die Betglocke läutet. Dann auf einmal ist alles verschwunden.
In der nahen Alphütte übernachtete im Spätherbst ein Gemsjäger. Um Mitternacht erwachte er und hörte eine wunderschöne Tanzmusik. Unerschrocken verliess er sein Nachtlager und begab sich vor die Hüttentüre. Welch ein Anblick! In einer kleinen Entfernung drehten sich die Anwesenden beiderlei Geschlechts nach den wundervollen Tanzmelodien, welche der in der Mitte des Kreises sitzende Künstler seinem Instrumente entlockte. Ein hübsches Mädchen kam auf den Jäger zu und forderte ihn zum Tanze auf. Er willigte für drei Tänze ein; hierauf begaben sich beide an einen der frisch aufgeschlagenen Wirtstische, wo Speisen und Getränke in Fülle vorhanden waren. Nach dem Mahle nahm er Abschied, weil er noch einige Zeit schlafen müsse. Die schöne Tänzerin steckte ihm noch eine Wurst in die Rocktasche. Jetzt gewahrte er in einer kleinen Entfernung seine Braut, mit der er sich nächstens vermählen wollte. “Auch du bist bei diesen Verworfenen zu treffen!” waren die einzigen Worte, welche über seine Lippen kamen. Er kehrte ihr den Rücken und sah nicht, wie sie durch ein herzzerreißendes Weinen ihren Schmerz kund tat.
Nach schlaflos durchbrachter Nacht trat er am Morgen den Heimweg an. Die Wurst, die er in der Tasche trug, hatte sich übernacht in einen Katzenschwanz verwandelt.
Der Jäger fand keine Ruhe mehr in seinem Bergdorfe; er zog in die weite Welt hinaus und trat in Frankreich in ein Kloster.
An einem hohen Festtage waren viele Patres als Ehrenprediger abwesend; nur der Abt und einige ältere Priester waren im Kloster zurückgeblieben. Abends spät erschien ein Bote, der mitteilte, im nahen Frauenkloster sei eine Nonne am Sterben und wünsche mit den Tröstungen der Kirche versehen zu werden. Rasch entschlossen unternahm der Klostervorsteher, unser Vättner, selbst den Gang. Nach der heiligen Handlung nahm er die auf dem Tischchen stehende Kerze und zündete der Sterbenden ins Angesicht. Was sah er da! Es war seine ehemalige Braut, für deren Seelenheil er die vielen Jahre unablässig gebetet hatte. Sie hatte ihn auch erkannt und erklärte ihm, dass sie sich damals dem Teufel verschrieben habe, um von ihm Geld zu erhalten und den Geliebten dadurch glücklich zu machen. Sie verschied hierauf, und auch er folgte ihr nach drei Tagen. (L. Jäger)

Der Gemsjäger und der Klostermönch.
Gegen die monatliche Abgabe einer Gemse wurde den Jagdliebhabern von Vättis die Erlaubnis erteilt, dem edlen Waidwerk obzuliegen.
Ein armer Jäger hatte vergebens einige Tage den Gemsen nachgestellt; da begegnete ihm in einem abgelegenen Reviere ein schöngekleideter Mann, der ihm sagte, dass er ihm zum Glück verhelfen wolle. Er lernte von dem Fremden das Bannen und war ohne Absicht ein Schwarzkünstler geworden.
Alltäglich wurde eine Gemse erlegt; denn es floh keine mehr, und der Wohlstand in der Familie wuchs zusehends. Ein frommer Mönch von Pfäfers, “der saubere Schuhe anhatte”, hörte hievon und beschloss, mit dem Teufel einen “Hosenlupf” zu machen und den Mann zu retten. Er begab sich deshalb mit dem Jäger auf die Jagd. Bald stellte sich eine Gemse zum Schuss. Der Jäger musste die Büchse auf des Mönches Schulter auflegen. Dieser tat es, drückte aber nicht los; denn er sah, wie der Teufel die Gemse am Halse festhielt. Mönch und Jäger gingen ohne Wild heim, und dieser ist nie mehr auf die Jagd gegangen. (L. Jäger)

Die Garmina-Hexen.
Von Vättis nach Untervatz führt ein Fussweg über die Alpen Gwaggis und Salatz. An diesem Wege, auf dem Oute Garmina, lebten vorzeiten drei Hexen. Ein junger Mann von Vättis jagte oft im Calandagebiete und kam auf seinen Wanderungen mehrmals zu diesen Schwestern. Er trug aber “saubere Schuhe”; sie konnten ihm nichts anhaben. Darum verwandelten sie sich in Gemsen, um ihn über eine Felswand hinunterzustürzen. Als er wieder einmal durch die Alp Gwaggis ging, gewahrte er auf einem Rasenbande drei Gemsen, die ganz gemütlich weideten. Er legte auf sie an; aber die Kugel verfehlte immer ihr Ziel. Dann sprangen die Gemsen auf ihn los; er aber legte sich so auf die Erde, dass ihm nichts geschehen konnte.
Ein altes Männlein von Vatz teilte ihm mit, daß die vermeintlichen Gemsen Hexen seien. Es belehrte ihn, wie man ihnen beikommen könne. Er mischte Dreifaltigkeitssalz zum Pulver und lud eine geweihte, silberne Kugel. So fehlte er beim nächsten Schuss das Ziel nicht. Tödlich getroffen kollerte ein Tier die Felswand hinunter.
Er begab sich sogleich nach Garmina, wo er eine der Hexen mit durchschossenem Kopfe liegen sah. (L. Jäger)

Der angebundene Fuchs.
Eine Viertelstunde ausserhalb Vättis ist das Gut Gaspus. Auf diesem wurden vor Zeiten ebenfalls Hexentänze abgehalten. Die Hexen kamen oft hundert Stunden weit her. Es war eine vornehme Dame in Mailand, die war noch nicht eingeschrieben, war aber doch erschienen. Beim ersten Tanze auf Gaspus wurde sie in einen Fuchs verwandelt und an eine Buche angebunden.
Am andern Tage ging ein Jäger dort hinaus, um Haselhühner zu jagen. Der sah den Fuchs. Reineke machte das “Männli” und schmeichelte ihm ganz auffallend. Der Mann vermutete, dass das nicht mit rechten Dingen zugehe, löste die Kette, und der Fuchs verschwand.
Im gleichen Herbste ging er als Viehtreiber nach Italien. In Mailand rief aus einem Palaste eine vornehme Dame seinen Namen und winkte ihm, er soll hinaufkommen. Droben wurde er gastlich bewirtet und erhielt beim Abschiede noch eine grosse Summe Geldes als Geschenk.
Nun teilte ihm die Dame mit, dass sie der vermeintliche Fuchs gewesen und durch seine Guttätigkeit von den Verpflichtungen gegenüber dem Teufel erlöst worden sei. (L. Jäger)

Die Erlösung einer Hexe durch ihren Taufpaten.
Hexen konnten sich erlösen, wenn sie unter eine Brücke standen, sobald ein Täufling über diese getragen wurde. Aus dem Kinde wurde nach 14 Jahren entweder eine Hexe oder ein Hexenmeister; sie selber war erlöst, musste aber noch mit dem Teufel auf dem letztbesuchten Tanzboden eine Zusammenkunft halten.
Einer ehrsamen Jungfrau von Vättis war von einem alten Weibe die Hexe “angeworfen” worden. Niemand wusste dieses. Sie wurde gebeten, Patin zu sein. Mit Freuden sagte sie zu; denn sie wusste, dass sie gerettet werden konnte, wenn der Täufling sechs Jahre alt war und er ihr 14 Minuten, zu Ehren der 14 Nothelfer, unbedingten Gehorsam leiste.
Sie trat bei den Klostermönchen als Köchin ein und versah diese Stelle im Hof Ragaz. Hier war sie vor den Nachstellungen des Teufels sicher.
Als der Knabe heranwuchs, wandelte er oft nach Ragaz hinaus, um Mehl und dergleichen zu holen. Jedesmal kehrte er bei seiner Patin ein, die immer einen guten Bissen für ihn bereit hatte. Nachher begleitete sie ihn eine kleine Strecke, und beim Abschiede sagte sie dann: “Gelt, Götti, wenn ich dich einmal etwas heisse, so tust du es mir zuliebe, nicht wahr?” “Ja, ja”, antwortete er.
Als der Knabe sechs Jahre alt geworden, sagte sie zu ihm: “Ich werde dich, bevor du auf dem Vättnerberge bist, einholen.” Als er auf dem “Küherbödeli” (in der Alp Findels) rastete, sah er seine “Gotta” drei Viertelstunden unter sich über das sogenannte “Ruchbödeli” heraufkommen. In einer kurzen Zeit war sie bei ihn. Sie sagte: “Wenn du nicht Wort hältst, geschieht ein grosses Unglück; mich und dich betrifft es. Du musst tun, was ich dir sage.”
Dann stellte sie ihn auf einen ebenen Platz am Wege, zog drei Kreise um ihn und begann wieder: “Ich bin verwünscht und kann nicht selig werden ohne deine Hilfe. Du musst 14 Minuten in diesen Kreisen stehen. Nach dieser Zeit wirst du eine weisse Taube über dich hin dem Vättnerberge zufliegen sehen. Das bin ich. Verlass aber während dieser Zeit die Ringe nicht, was auch kommen mag. Wehre dich mit deinem Stocke. Es werden wilde Tiere jeglicher Art gegen dich heranstürzen; aber keines wird die Kreise überschreiten. Es werden die Vättnerberger kommen und dich aus den Kreisen herauslocken wollen; folge ihnen nicht! Endlich werden deine Eltern erscheinen und dich bitten, mit ihnen zu kommen; gehorche ihnen nicht, was sie auch sagen mögen; es wäre zu unserm Schaden. Jetzt harre aus!” Die Patin verschwand. Ein Rabe flog in nächster Nähe auf.
Da gab es Leben im nahen Gehölze. Mit fletschenden Zähnen sprangen wilde Tiere aller Art auf den Knaben los; doch er wehrte sich mit seinem Stocke. Bis an den äußersten Ring kamen sie heran, kehrten aber knurrend wieder zurück. Einen Augenblick blieb alles still. Dann kamen die Vättnerberger daher mit ihren Bündeln; sie erklärten, sämtliche Gebäude seien verbrannt. Man habe beschlossen, auszuziehen; seine Eltern warten auf ihn eine kleine Strecke weiter oben. Er weigerte sich, ihnen Folge zu leisten.
Mühsam und schwerbeladen kamen in kurzer Zeit auch die Seinen und baten ihn, Hilfe zu leisten. Allein er blieb seinem Versprechen treu. Jetzt flog die Taube vorbei, und damit war das Werk vollbracht. (L. Jäger)

Der Sardonagletscher.
Wo jetzt der Sardonagletscher seine ungeheuren Eismassen ausbreitet, blühte und grünte einst die herrlichste Alp weit und breit. Der Senn, der Sohn einer Witwe von Elm, war stolz auf diese, pochte auf seinen Reichtum und baute eine neue Sennhütte.
Er hatte eine Geliebte, mit welcher er ein gottloses Leben führte. Einst kam das alte Mütterchen wieder herauf zu seinem Sohne. Sonst war es immer freundlich aufgenommen worden, und jedesmal kehrte es, beladen mit Butter und Käse, freudig nach Hause zurück; aber jetzt hatte Kathrin den Sohn verführt, und die Liebe zur Mutter hatte aufgehört.
Nach einem kärglichen Mahle schickte er die Mutter heim. Als der Senn seine Geliebte von weitem kommen sah, baute er ihr, damit sie die Schuhe nicht beschmutze, aus den schönsten Käsen eine Treppe bis zur Sennhütte. Das alte Mütterchen, daheim angekommen, sah, wie schändlich es vom Sohne betrogen worden. Der Senn hatte ihm den Korb mit Mist gefüllt und diesen nur oben mit etwas Butter und Käse belegt. Da sprach es, in seinem Herzen tief empört, den Fluch aus, dass Schnee und Eis die Alp und ihren Sohn samt der Dirne auf ewige Zeilen bedecken mögen.
Der Fluch ging in Erfüllung. Hochgewitter brachen in den Gebirgen los. Kathrin und der Senn kamen jämmerlich um, und die Alp liegt nun unter ewigem Schnee und Eis. Vom Gletscher her hört man oft den Ruf:
“Ich und mi Vieh und mi Hundli Parvi und mi Schätzli Kathri müssen ewig unterm Gletscher si!” (N. Senn, Chronik)

Ewig verflucht.
Wo heute der Sardonagletscher liegt, da war früher die schönste Alp des ganzen Tales; von der hohen Terrasse schaute sie über das Land. Sie gehörte dem Hirten Segnes, der sie vom sterbenden Vater unter der Bedingung geschenkt erhielt, dass er für die Mutter sorge. Sein Haus stand unten im Tale. Aber auf dem Rathausboden dort unten wohnte auch Sardona, die Geliebte des Sennen, ein schönes, reiches Mädchen, dem die Alp Kratzere droben am Muttentalergrat gehörte. Das Mädchen war hoffärtig über alle Massen. Das sah die alte Mutter des Hirten nicht gerne und bot daher alles auf, das Liebesverhältnis der beiden zu lösen. Vergeblich! Die schwarzen Augen auf dem Rathausboden waren mächtiger als der Mutter Wort. Die beiden Liebenden berieten, wie sie die Alte aus dem Wege schaffen könnten.
Als der Frühling ins Land zog, da stieg Segnes mit seinem Vieh zur Alp hinauf. Die Mutter konnte ihm nicht folgen; denn sie war alt und krank. Ihre Lebensmittel gingen aber bald aus, und der Sohn blieb auf der Alp und hielt ihr nichts zu. Wie sollte sie ihr Leben weiter fristen? Von bitterm Weh erfüllt, entschliesst sie sich, wenn möglich auf die Alp zu steigen und von dem Sohne Hilfe und Fürsorge zu verlangen. Langsam, dem Tode nahe, schleppte sie sich den Berg hinauf. Aber zwei feurige Augen haben sie erspäht; unbemerkt, auf verborgenen Pfaden, schleicht Sardona ihr nach. Die Mutter kommt zur Hütte und bittet den Sohn um ein Stückchen Brot; auch droht sie ihm mit der Strafe Gottes wegen seiner Pflicht-Vergessenheit und Ruchlosigkeit. Höhnend holt der Sohn vom “Scherm” herauf einen Napf voll Jauche und setzt diesen der Mutter vor. Sie klagt nun nicht mehr; den tödlichen Schmerz in der Brust, wendet sie sich zum Gehen, um im Tale unten zu sterben. Eben kommt das hoffärtige Mädchen vom Rathausboden stolz dahergeschritten und geht verächtlich an der bleichen Alten vorüber. Segnes sieht die Geliebte kommen, holt eilig einige Käslaibe aus dem Keller und legt sie der Braut auf den Weg, damit sie ihre Schuhe nicht beschmutze. Voll Bosheit ruft er noch der Mutter nach: “Das ist ein anderer Besuch!” Diese aber kehrt sich um und spricht mit ihrer letzten Kraft: “So bleibet immer und ewig beieinander!”
Die Mutter hat’s gesprochen, der Himmel hat’s gehört! Es fängt an zu regnen und regnet den ganzen Tag; am Abend fängt es an zu schneien und schneit die ganze Nacht hindurch. Am andern Morgen sah man keine Hütte und keine Herde mehr; ein gewaltiger Gletscher hatte alles Lebende bedeckt, und er bedeckt es heute noch. Alljährlich aber an dem Tage, da der Frevel geschehen, tut sich im Gletscher eine Spalte auf, und die Gebannten steigen herab an deren Rand und rufen flehentlich der Mutter, damit sie das böse Wort zurücknehme. Sie horchen und horchen nach allen Winden hinaus, ob sich die erlösende Stimme nicht hören lasse. Immer geschah es bisher vergeblich; immer wieder müssen sie zurückkehren in das kalte Verliess, und immer wieder schließen sich die eisigen Pforten. – Mitunter schaut der Sauren so düster ins Land und schüttelt seine schneeigen Locken; dann stürzen die Lawinen über seine Stirn hernieder und donnern zum Gletscher herab. Er ist unwillig darüber, dass er den Fluch mittragen soll. In dunkler Wetternacht vernimmt man aus dem Gletscher heraus auch die Klagerufe der Gebannten. Der fremde Wanderer freilich glaubt, es sei das Pfeifen des Windes in den Tannen und Felszinken oder das Krachen des berstenden Eises; aber der Landeskundige weiss es besser und gedenkt schaudernd der Schuld, die solche Strafe gefordert. (F. W. Sprecher, Jahrbuch, Alpenklub)

Weisstannen.
An der Stelle, wo jetzt das Kirchlein des Dorfes steht, soll vor der Grundsteinlegung eine mächtige Weisstanne gestanden haben; daher der Name des Dorfes und Tales. Letzteres habe früher Maiental geheissen. (Chr. Albrecht)

Die freien Walser.
Die freien Walser besassen in Weisstannen sehr wahrscheinlich auch einige Ansiedelungen, so die Alpen Laui und Valtona. An beiden Orten finden sich jetzt noch Reste alter Hofstätten und zwar in der Laui auf dem Plattenboden oder Stierenlager das sogenannte “Heidenstöfeli”, in Valtona die Mauerreste unter dem Schönmahd. Noch existiert eine Blechbüchse, welche die Ortsbezeichnung “Valtona” und eine Jahreszahl aus dem 12. Jahrhundert trägt. Sie soll Eigentum der letzten Bewohner von Valtona gewesen sein, welche dann nach Weisstannen heruntergezogen seien. Nach der Volkssage habe Valtona einen eigenen Ammann, ja sogar Stock und Galgen besessen.
Die Weisstanner behaupten, dass die Küng und Mooser, wahrscheinlich auch die Pfiffner und Albrecht von Laui und Valtona herstammen. Diesen vier Geschlechtern wurde als den ältesten des Weisstannentales laut gerichtlichem Urteil das Doppelbürgerrecht von Mels und Weisstannen zuerkannt.
Für das Vorhandensein der Walser spricht übrigens auch der Umstand, dass ein Weideplatz hinten an der Weisstanner Klosteralp heute noch den Namen Walserweide trägt.

Die drei Kreuze auf Basecla.
Auf der Basecla, einer hohen Bergspitze auf den Grauen Hörnern, stehen drei Kreuze, nämlich zwei eiserne und eines von Eibenholz. An letzterem befindet sich ein kleines, eisernes Kästchen mit einem Flügeltürchen, in welchem wahrscheinlich früher die Ursache der Stiftung dieser Kreuze zu lesen stand. Nachher wurde es als Opferkästchen benutzt. Während den Sommermonaten pilgern Leute dahin, besonders aus dem Bündnerlande, um hier die Abwendung der Ungewitter von Gott zu erbitten, die sonst vom Westen her über dieses Gebirge nach dem Bündnerlande ziehen.
Man hat bei Mannsdenken noch von solchen Pilgern herrührende Opfergaben, bestehend aus ganzen und halben Batzen und aus Bündnerblutzgern, in besagtem Kästchen gefunden. (J. Natsch)

Der Goldfluss an der Rasclawand.
Vorzeiten kam ein einfach gekleideter Mann in hellem Kittel und breitkämpigem Hute alljährlich nach Vermol und kehrte da bei dem Bauersmann L. Pfiffner auf dem Nesenberge ein. Von hier aus durchwanderte und durchstöberte er die Gebirgswelt und brachte dann bei Beendigung seines Ausfluges jedesmal ein schwergefülltes Säcklein mit zurück.
Dieses musste ihm nachher der Sohn des Hauses, Johann, ins ebene Land hinabtragen. Bei einem solchen Anlasse sagte endlich einmal der Fremde zum Knaben: “Ich komme nun vielleicht nie wieder in diese Gegend. Zum Lohn und Dank für die mir geleisteten Dienste will ich dir und den Deinigen zu Wohlstand verhelfen, wenn du auch noch etwas dazu beiträgst. Es ist nun Abend geworden, auf deinem Heimwege wird dir ein Lichtlein vorangehen und dir eine Stelle weisen, wo du jährlich einmal eine schöne Menge Goldes finden kannst; halte dich aber hübsch ruhig und schaue niemals zurück, mag es hinter dir zugehen, wie es will; übrigens will ich dir noch etwas mit heimzunehmen geben.”
Hierauf nahm der Fremde den “Dreiböhri” oder Dreizipfelhut des Trägers, breitete ihn hübsch auseinander, füllte ihn mit Gegenständen aus dem schweren Sacklein, band ihn fest und verabschiedete sich sodann vom Vermöler, indem er diesem gleichzeitig noch den ziemlich schwer gewordenen Hut überreichte.
Auf dem Heimwege ging dem Knaben wirklich ein Lichtlein voran bis zur Höhe, wo in der Nähe von Vermol das grosse, hölzerne Kreuz am Wege steht; dort schwenkte es ins Tobel hinab, der Rasclawand zu. Der Vermöler wollte dem Lichte unter den Weg hinab nachgehen, hörte aber plötzlich hinter seinem Rücken ein so erbärmliches Katzengeschrei, dass er sich nicht mehr enthalten konnte, zurückzuschauen, seinen Stecken zu erheben und auszurufen: “Ich will öüh grab hälfä, ihr wüöstä Chätzärä!”
Sogleich waren Geschrei und Lichtlein verschwunden, und es war unterdessen auch der gefüllte Hut ordentlich leicht geworden. Der Vermöler begriff, dass er nun den ihm verheissenen Reichtum verscherzt habe; er öffnete den Hut und fand nichts mehr als Laub darin, welches er im Zorne mit sammt dem Hut ins Tobel warf.
Er vermutete, dass der fremde Mann ein Venediger sei und in den Gebirgen Gold gesammelt habe, hielt aber sein gehabtes Missgeschick geheim, damit er nicht verlacht werde. Der Fremde muss es nachher gewusst haben, dass das Goldnest von Pfiffner nicht entdeckt worden sei; denn er kam noch mehrere Jahre nacheinander, kehrte aber nie mehr bei diesem ein, sondern bei Anton Schuhmacher, neben der Kapelle in Vermol.
Einmal sagte er auch zu dieser Familie, nun sei er reich genug und zum letzten Male hier. An einer Felswand beim Balärentobel fliesse alle Jahre ein Klumpen Gold heraus so groß wie eine Quartkanne, welchen fürderhin jemand aus dieser Familie zu eigener Verwendung für diese holen könne, sofern sich etwa ein Sohn aus derselben gehörig dazu unterweisen lasse.
Die Familie nahm den Antrag mit Freuden an, und Jakob zog dann mit dem fremden Manne in das benannte Tobel, an den Seezbach hinab. Hier zog der Fremde aus der mitgebrachten Reisetasche eine papierene Leiter hervor, warf das eine Ende derselben an eine zerklüftete Stelle der Rasclawand hinauf, wo einige Gesträuchstumpen aus dem Felsen hervorschauten, und sprach dann zu Jakob: “Steige nun da hinauf, halte dich ruhig und schaue nicht zurück, es mag unter dir zugehen, wie es will; Leides kann dir nicht geschehen. Droben angelangt, kannst du dann den Goldklumpen mit leichter Mühe wegbrechen.” Nun machte sich Jakob ans Klettern, kam endlich trotz des höllischen Spektakels, das unter und neben ihm auf die schauerlichste Art sich kund gab, oben an und wollte schon nach dem Golde langen, als er dicht unter sich einen entsetzlichen Schrei von einem fürchterlich stinkenden Geissbocke vernahm und zurückschaute. Jetzt war aller Spuk vorbei, und Jakob befand sich wieder am Boden. Der Fremde bedauerte dessen Schwachheit, holte nun das Gold selbst, gab jenem noch eine reiche Vergütung zu Händen der Eltern und zog hierauf von dannen, um nie wieder zu kommen.
Jakob erzählte zu Hause, wie es ihm ergangen sei, und wurde dafür tüchtig ausgeschimpft. Dieser Vorfall hatte anhaltende Zwistigkeiten in der Familie zur Folge, so dass Jakob endlich aus Überdruss in venetianischen Kriegsdienst trat. Sein Bruder Christian folgte ihm bald nach, starb aber nach kurzer Zeit vor Heimweh. Jakob meinte hernach, es könnte ihm auch so ergehen, und desertierte deshalb. Er wurde aber eingeholt, gefangen und in einen Bleikeller eingekerkert.
Höchst betrübt sagte er hier eines Tages so vor sich hin:
“Hüt isch St. Agathatag,
Wo d’ Sunnä überd’s Melsertobel mag.”
Ein vor der Türe stehender Kerkermeister hatte dieses gehört und es einem Vorgesetzten der Stadt hinterbracht.
Bald darauf wurde der Deserteur aus dem Kerker abgeführt, er meinte zum Tode. Man führte ihn aber in einen prachtvollen Palast, dessen Wände von Gold und Kristall und dessen Fussböden aus eingelegten Talern verfertigt zu sein schienen.
Ein reichgekleideter Herr fragte ihn, wer er sei, worauf er bekannte, dass er ein Jakob Schuhmacher von Vermol sei; er habe aus dem Dienste laufen wollen, damit er nicht auch vor Heimweh sterben müsse wie sein Bruder. Auf dies begab sich der Herr in ein Nebenzimmer, zog da eine ganz geringe Kleidung an, stellte sich dann in dieser vor den Schweizer mit der Frage, ob er ihn nun kenne. Der Befragte erkannte in ihm jenen Mann, der in den Gebirgen des Seeztales Gold gesammelt hatte, worauf der Herr weiter sprach: “Da du ein so unwiderstehliches Verlangen darnach trägst, in deine Heimat zurückzukehren, so will ich dir dazu verhelfen; und damit du sehen kannst, was die Deinigen gegenwärtig zu Hause machen, so blicke nur in diesen Bergspiegel, den ich dir hier vorhalte.” Schuhmacher sah in dem Spiegel, wie seine Eltern und Geschwister um den Stubentisch herumsaßen und ein Milchmus verspeisten. Nachher wurde er noch köstlich bewirtet, bei einbrechender Nacht aber vor dem Palaste rückwärts auf einen schwarzen Ziegenbock gesetzt und von dem Tier, wie er meinte, durch die Lüfte fortgetragen.
In der Frühe des kommenden Morgens befand sich Soldat Schuhmacher in seiner Uniform, jedoch ohne den Ziegenbock, am Fusse seines heimatlichen Berges, unten an der Burggasse des Nidbergs.
Bevor er berganstieg, besuchte er aus Dankbarkeit für seine glückliche Heimkunft noch den Pfarrgottesdienst zu Mels, wo zufällig und wegen irrigen Berichten gerade für ihn selbst anstatt für seinen in Venedig verstorbenen Bruder Christian eine Beerdigungsfeier abgehalten wurde.
Seine anwesenden Verwandten empfingen ihn nach dem Gottesdienste voll Freude und Erstaunen wie einen, der ihnen aus dem Jenseits wieder zurückgegeben worden wäre. (J. Natsch)

Man hat später erfahren, dass der Venediger auch auf dem Rinkenberg, zu Weisstannen, an einem Felsen Gold gefunden habe und dass der Bauer, der ihm dabei behilflich gewesen, infolgedessen vermöglich geworden sei. Es ist das Eigentümliche der Sage, – das Bestrickende und damit das Gefährliche! – dass sie auf Glaubwürdigkeit Anspruch macht, indem sie nicht nur den Ort, wo etwas geschehen sein soll, ganz genau bestimmt, sie weiss auch die handelnden Persönlichkeiten mit Tauf- und Geschlechtsnamen zu nennen. In den Bezirken Sargans und Werdenberg geschieht das noch so häufig, was uns anzeigt, wie ungemein sagenkräftig das st. gallische Oberland heute noch ist. In vielen Fällen zwangen uns naheliegende Rücksichten, solche Namen herauszustreichen, wie leid uns dies tat. Wer den alten Sagenerzählern noch selber gelauscht hat, der weiss die Poesie herauszuschälen, die in all dem wunderbaren Schnickschnack liegt, und erschreckt auch nicht, wo für einen Beweis deren hundert erbracht werden. Der Erzähler selbst will überall dabei gewesen sein, oder er hat doch die Leute gekannt, die mitbeteiligt waren. Aber der Kern des Erzählten blieb immer ein und derselbe, und so ging er mit allen Zutaten von Mund zu Mund. Der Sagenerzähler sang zum Volk, wie der Minnesänger zum Hofstaat, freilich in anderer Form und darum mit einer viel nachhaltigeren Wirkung; das schlüpfrige Lied ist verklungen, die Sage besteht fort.

Der ungetreue Hirt.
Dersälb Chüjer, wou uff Tamunz mit Fliß ä Höpli Veih erfallä luh hat, müeß es mit Süfzge-n-und Chichä dur ds’ Boggries uffiträgä bis z’ ouberst und lässes dinn miteme schudrige Glächter wider ahätroulä. Wümmenä hie und dou joulä köüri, gäbs meistens ruch Wätter. (Albrecht, Erinnerungen)

Der vergessene Melkstuhl.
Der Christa Chüng vu Wyßdannä ist eimol ä paar Tag nou der Abfahrt us der Alp wider uffi, na gschwing ä vergässnä Mälchstuel ge houle. Wiener der glich Oubet wider ahä will, chunt-a-fürchtigs Wätter, aßer dijoub hät müeße-n-übernachtä. Es ist alls gsieh we usgstorbä und müslistill in der Hüttä. Das Ding ist em gli z’langwilig wordä; er verrigglet d’Tür und gout dur ds’ Leiterli uffi uf d’ Tril ins Heulager, bättet-n-Vaterunser und schlouft denandernou i; er ist müed gsi. Gage Mitternacht köürt er nämmes in der Hütte nidä. Er schielet ahi und gsieht ä paar mächtig Manä zur Tür ihä chu. Sie schlund Für, machend Liächt, wärfend ä Hufä Holz in d’ Fürgrueb, zündens a, hinggen ds’ Chessi über und fangend a cheisä, wewoll, kei Tröpfli Milch mei im Chäller gsi ist. Der Christa hat kei Schnüfti tuä uf der Tril, as me nä nit merggi. Es häl aber keinä kei Bligg uffi gworfä. We si grä gsi sind mit Cheise, stellen si ä Muttlä voll Schottä-n’uffä Tisch, und eine lueget gäget Tril uffi und rüeft: “Se, chum jetz ahä, Christä, und iß mitis Schottä!” Der Christä-n-ist bachnaß gsi vu Angstschweiß und hät si nit verbräut. Duä köürt er einä dur ds’ Leiterli ufächu. Där gglaret di armä Christä-n-a wenä gstochnä Bogg und seit: “Winn du vorem Ischloufe kei Vaterunser bättet hettist, bruchtist der Mälchstuel nümmä!” Uf eimoul ist Für und Liächt we usblousä. Si tappend wider ussi, we si chu sind, und der Christä-n-ist vor lutter Müedi wider igschloufä. We der Tag afout lütterlä, erwachet er, stigt ahä vu der Tril und hat kei Spürli vum ganze Spedaggel meih gsieh, kei Gneistli Für in der Grueb, kei Chessi, weder Muttlä na Schotiä und d’Tür iwindig verrigglet, wes är nächtig selber gmacht ka hät. Wiener si affä-n-ä chlei erhoult ka hät vu dem Schreggä, macht er si ufe Heiwäg mit sim Mälchstuel. Z’Wyßdannä nid hindse schiär nimmä bschinnt; si Hour sind di sälb Nacht chatzgrau wordä. (Albrecht, Erinnerungen)

Starke Mittel.
In der Haupthütte einer Melser Alp war beim Heimfahren ein Melkstuhl vergessen worden. Einer, das Schwierige kennend, eine verlassene Alphütte, den Berggeistern anheimgefallen, zu betreten, aber mutig, wettete eine junge Ziege, er werde ihn holen. Er nahm mit sich ein Feuerzeug, einen Hund mit Sporen, ein Messer mit eingegrabenen Kreuzzeichen und Agathabrot. Als er den Melkstuhl berührte, rief eine sonderbare Stimme:
“Hettist du nit Fürli heiss und Hundili beiss und Messerli spitz – i wett der helfen, d’Zitgeiss gwünne!” (Dr. Henne-Am Rhyn, Deutsche Volkssage)

Das Alpmutterli.
Eine Jungfrau reutete einst auf Tödigerhütte, am Flumser Grossberg, ein Stück Boden zum Erdäpfelstecken; das heisst, sie schürfte den Rasen ab, machte kleine Holzhäufchen, legte die Rasenstücke darüber und verbrannte sie, um die Asche als Dung zu benutzen, weil sie keinen andern hatte.
In der Nähe weidete Vieh auf der Allmende. Da der Jungfrau das Hertragen von Staudenholz beschwerlich wurde, zumal es am betreffenden Tage sehr heiss war, so kam sie auf den Gedanken, ein Rind zum Heranziehen des Holzes zu benutzen; sie band dem Tier die Staudenbüschel an den Schwanz und besorgte auf diese Weise den Transport. Das Rind wurde aber dabei vom Blutanstossen oder Blutstocken befallen und verendete. Als dies der Bauer erfuhr, verfluchte er die Person, indem er sagte, sie solle nach ihrem Tode keine Ruhe haben und in der Umgegend ihres Vergehens unstet umherwandeln bis zum jüngsten Tage. Der Fluch ging in Erfüllung. Seit dem Ableben der Unglücklichen sah man sie schon oft bei Tag und mehr noch abends auf den Flumser Alpen und obersten Maiensässen in einfacher Landestracht und weisser Schürze herumziehen. Manchmal besuchte sie sogar auf einige Minuten die Alp- und Maiensässhütten, gab auf Befragen Rede und Antwort und ass von den Speisen, die man ihr verabreichte, die sich aber nicht verminderten.
Als sie eines Abends in einer Alphütte eingekehrt war und gegessen hatte, sagte sie, nun habe sie die grösste Zeit, aufzubrechen; denn sie müsse noch am nämlichen Abende durch alle Flumser Alpen wandern, und man sah sie dann mit erstaunlicher Schnelligkeit über die Alptriften davoneilen. (J. Natsch)

Das Viehrücken auf den Alpen.
Sind die sechzig oder mehr Kühe einer Sente in den hocheingezäunten und meistens gedeckten “Stofel” oder Melkeplatz hineingetrieben, schicken sich die Knechte zum Melken an, und man hört dabei zufällig weder den Ton einer Schelle noch die Stimme eines Hirten noch überhaupt einen andern Laut als etwa den vom Melken. Da urplötzlich, wie durch eine geheimnisvolle Panik hinweggezaubert, verschwinden alle Kühe aus der Umzäunung. Die Knechte aber mit ihren Eimern sitzen unberührt auf den einbeinigen Melkstühlen und sehen, wie die Kühe muhend und zitternd zurückschauen.
Nach einem solchen Fortrücken geben die Kühe gewöhnlich für einige Tage weniger Milch und will man beobachtet haben, daß sie “Kornspreuel” zwischen den Hufen hatten, wie es im Jahre 1856 in der Wangser Alp Verain der Fall war.
Auf der Alp Mädems war das Vieh im Jahre 1864 zweimal auf diese Weise gerückt und würde es zum dritten Male getan haben, wenn nicht ein Knecht es sofort bemerkt und schnell “ohä” gerufen hätte. Schon waren alle Kühe in Bewegung, dann aber muhend wieder stehen geblieben.
Als besonders merkwürdig ist zu notieren, dass beim zweiten Viehrücken im Hintersäss dieser Alp, wo die Kühe beider Sennhütten auf einem und demselben “Stofel” zum Melken getrieben werden, nur die Tiere der einen Hütte fortgerückt waren.
Einst hat ein erfahrener Knecht sogleich nach dem Viehrücken sein Wams in eine Ecke geworfen, dann mit seinem Messer dareingestochen und damit, wie es sich nachher zeigte, den Zusenn einer benachbarten Alp getötet, der allem Anscheine nach mittelst böser Kunst den Spuk bewirkt hatte. (J. Natsch)

Das Viehrücken wird aus dem Sarganserland vielfach gemeldet und zwar nur aus den Alpen. Man weiss, wie schreckhaft die Kuh ist, und da mag an der Herde manches zu beobachten sein, was unerklärlich bleibt.

Den verwünschten Schimmel nicht.
Ein andermal befand sich in einer Sente Vieh in Mädems eine weisse Kuh, welche durch ihr Herumvagieren den Alpknechten viel Verdruss machte; denn fast täglich musste sie ab einer steilen Planke, aus einer abgelegenen Kluft oder gar aus einer andern Alp hergeholt werden.
Im Unmute hierüber machte dann der Senn einmal beim Ave Maria-Beten den Zusatz:
“B’hüt’s Gott alles hier in unserm Tal,
Nur den verwünschten Schimmel nicht!”
Am nächsten Morgen hing der Schimmel ausgeschunden am Molkendach. (J. Natsch)

Schlecht gehütet.
Ein Wächter von Mels hatte eine Kuh in der Alp Foo. Sie wollte nicht bei der Herde bleiben, und der Küher musste sie beständig im Auge behalten. Zur Essenszeit lief sie ihm wieder fort, fiel über den “Tritt” hinunter und war tot. Im Winter starb der nachlässige Hirte; im nächsten Sommer aber sahen die Hirten und auch der Proviantträger Tschirki, wie der Mann die Kuh über den “Tritt” hinauftrug. Wächter verzichtete dann in aller Form auf jede Entschädigung, und damit war der Arme erlöst. (G. Tschirki)

Das Klostergritt.
Um die Walserweide wurde einst gestritten. Ein falscher Zeuge hatte Erde in die Schuhe gestreut und einen Löffel in den Hut gesteckt und schwur nun, er stehe so gewiss auf seinem Boden, als er den Schöpfer über sich habe. So kam das umstrittene Grundstück zur Alp Lax, die dem Frauenstift in Schänis gehörte. Aber nun entstand das “Klostergritt”, das jeden Sommer nächtlicherweile durch das Dorf Weisstannen zog mit grossem Gerassel und Pferdegetrampel. Noch ums Jahr 1850 wurde es deutlich gehört, seither aber nicht mehr. (Chr. Albrecht)

Gafarä.
Der gräust Härätummelplatz söll der Gafarabühel gsi si. Dört hind richi Härä, schüner als Alerunä, ganz Nächtä tanzet mit Härameisterä vu Mäiland und Veneidig, diä in der Schwiz gheimi Goldouderä gwüßt hind und dermit steirich wordä sind. Mä hätne-n-au fahrendi Schüeler gseit. Mings Froufastächind hät am Morgä nouere söttägä Härägugelfuehr di wunderfinstä Damäschueli im vertrampletä Gras ufgläsä. In dä Mailinder-Chriege, wous vil Schwizer derbei ka hät, sei amoul z’Mailind ä Melser- oder Wißdannersoldat Schiltwach gftandä. Duä heigem ä Dam vumenä prächtägä Palast us si Namä grüeft und gwunggä. Wener duä nou der Wacht ufft sei in di Pallast, luägne dou ä Frauezimmer a we Milch und Bluet und ufputzt wenä Chünigi und frougnä, eb er der Gafarabühel au bchinni. Er seit des d’jou. Duä meint sie druf: “Dört hani mingi lustigi Nacht durläbt” – und heigä derbei äsou korjous agluäget, aß er Hinnehut überchu hei und wider se gnoud aß müggli ussi sei us dem Palast. (Albrecht, Erinnerungen)

Der Hexentapp.
Zur Zeit, da es noch Hexen gab, wollte eine derselben vom Gonzen weg über das Seeztal weg nach dem Alpnägelikopf springen. Wahrscheinlich wollte sie damit die verscherzte Seligkeit zurückgewinnen. Ihr Wagestück gelang beinahe, doch nicht ganz; denn sie kam nur bis auf die große Felsplatte, welche unter dem Alpnägelikopf am Wege liegt. Dort sieht man ihre Fußspur noch, einen Kuhhuf, der das Mißlingen ihres Vorhabens anzeigt.
Reithard gestaltet die Sage poetisch aus, wenn er die Unglückliche in einem Herrenhause in Mels als Köchin dienen und zu Fall kommen läßt. Die Mutter besucht nun ihre Tochter und führt sie an den Gonzen hinauf. Der Böse mit der Hahnenfeder tritt zwischen die beiden und macht Anspruch auf die Tochter. Die Mutter aber tritt ihm keck in den Weg. Dieser lacht höhnisch, wenn die Köchin den Sprung nach der andern Talseite wage, wolle er sie freilassen. Der Sprung wurde gewagt. Auf den Knieen flehte die Mutter um ein gutes Gelingen; der Böse aber wollte die Springende am Kleide fassen und spie ihr Rauch und Flammen nach. Die Tochter stürzte in die Tiefe und zerschellte; aber ihre Seele war gerettet; denn eine weiße Taube flog gen Himmel empor. (Nach Natsch)

Noch andere führen den “Tapp” auf eine Pfarrersköchin zurück. Der Volksmund sagt nämlich, eine Köchin, die bei einem Geistlichen zehn Jahre lang diene, werde des Bösen und müsse als sogenannte “Pfaffenkellnerin” umgehen. (A. Zindel-Kressig, in Schwz. Archiv für Volkskunde II)

Der Beusch.
In der Alp Mädems befindet sich im Hintersäss, neben einer Sennhütte, ein überhängender großer, schwarzer Felsstein, “Beusch” genannt. Jedem “Gitzi” oder jungen Zicklein, das denselben besteigt, wird auf geheimnisvolle Weise der Hals umgedreht und das Leben genommen, und jede Sau, die an demselben unter Dach sich lagert, springt sogleich laut grunzend wieder auf und davon. (J. Natsch)

Der Hexentanz auf dem Gafarrabühl.
Rings von saftigen Kräutern umschlossen, befindet sich hieroben ein ebenes Plätzchen, auf dem nie etwas grünt und blüht, weil da vorzeiten Hexen und böse Geister ihre nächtlichen Versammlungen hielten.
Der in einem Alter von 86 Jahren gestorbene Ant. Grünenfelder von “Catluzi” (St. Luzius) war in seinen jüngern Jahren Schafhirt auf den Wangser Alpen und zugleich ein eifriger Wildschütze. Als solcher kam er einst früh morgens vor Betläuten auf den Gafarrabühl und erblickte in der Nähe des Abhanges ein feines Füchslein, das er sofort schießen wollte. Kaum hatte er zum Schusse angelegt, war dasselbe schon seitwärtsgesprungen und hatte damit einen kleinen Strauch umgebogen, an dem es angebunden zu sein schien. Erstaunt setzte er ab und eilte nach einigem Bedenken hinzu, um es lebendig zu fangen. Unterdessen hatte sich jedoch das Füchslein vom Strauche losgerissen und Rettung in der Flucht gefunden.
Am erwähnten Strauche hing noch ein Stück von einer seidenen Schnur. Grünenfelder schritt nachher lange in Gedanken versunken auf dem Platze hin und her und zwar bis die ersten Strahlen der Morgensonne ihn zum Weiterziehen mahnten.
Jetzt sah er etwas funkeln im Grase; er hob es auf, einen köstlichen, goldenen Fingerring. Es war damals Sitte, daß Männer große Halstücher schleifenartig über die Brust herabhängend und durch einen Ring gezogen trugen. Auf diese Weise benutzte Grünenfelder nun auch seinen Findling.
Später trat er in französischen Militärdienst und kam als Tambour nach Paris. Den auf Gafarra gefundenen Ring trug er nun am Finger. In seinen Freistunden besuchte er öfters eine Bierschenke. Die schöne Wirtstochter erwies sich gar bald außerordentlich freundlich gegen ihn und bat ihn endlich, ihr gegen gute Bezahlung seinen Fingerring abzutreten, an dem sie ein ganz besonderes Wohlgefallen habe. Der Tambour erklärte aber, daß er den Ring um keinen Preis hergebe. “Erfüllst du meinen Wunsch auch dann nicht, wenn ich dir sage, wo du den Ring gefunden hast, und wenn ich denselben besser kenne als du selbst?” fragte hierauf die Tochter.
Auf dies machte der Tambour große Augen und erwiderte, wenn sie dies könne, soll sie unentgeltlich in den Besitz des Ringes gelangen.
Sie erbat sich hierauf den Ring zur Besichtigung, wußte ihn dann mittelst eines Druckes zu öffnen, zeigte dem erstaunten Soldaten ihren auf einer verborgen gewesenen Stelle eingravierten Namen und sprach: “Meine Mutter begab sich öfters zunacht fort und kam erst gegen morgen wieder heim. Sie sagte nie, wo sie gewesen sei. AIs ich sie endlich einmal darüber befragte, lud sie mich ein, mit ihr zu gehen; dann werde ich diesfalls die beste Auskunft erhalten und nur Angenehmes erleben.
Ich erklärte mich dazu bereit, und schon in der nächsten Nacht flogen wir auf Besenstielen in die ferne Schweizeralp Gafarra, wo auf dem Bühl eine Gesellschaft von Manns- und Frauenspersonen aus aller Herren Länder an einem hochauflodernden Feuer mit Tanzen, Schmausen, mit Kunststücken und dergleichen sich lustig machte.
Mir ekelte vor dem tollen Treiben dieser Sippschaft, und als endlich der Meister mit einem großen Buche zu mir kam und mich ersuchte, mich mit meinem eigenen Blute als Mitglied der Gesellschaft einzutragen, weigerte ich mich dessen standhaft, obwohl sich meine Mutter deswegen wie unsinnig gebürdete. Zur Strafe wurde ich in einen Fuchs verwandelt und an einen Strauch gebunden, wo ich meinen Fingerring verlor.”
So erhielt sie den Ring zurück.
Die schöne Tochter war aber doch eine Hexe geworden und konnte sich darum dem Tambour auch nützlich machen. Er sehnte sich nach seiner Heimat. Sie belehrte ihn, er soll nur in einer ihm beliebigen Nacht seine sämtlichen Effekten an einen wenig beachteten Ort im Freien bringen, sich darauf zum Schlafen niederlegen, und es werde sich hernach das Übrige schon von selbst machen. Tambour Grünenfelder dankte, nahm Abschied von der Wirtstochter und tat in der kommenden Nacht, wie sie ihn gelehrt hatte. Am nächsten Morgen erwachte er frühzeitig, konnte sich nicht sogleich an die gestrige Verabredung erinnern und glaubte, geträumt zu haben.
Er nahm die Trommel zur Hand und schlug die “Tagwacht”. Sogleich rannten Leute auf ihn zu und fragten ihn in dem ihm wohlbekannten Sarganserdeutsch: “Brinnts nämwo, oder git’s Chrieg?” Jetzt erst erkannte Grünenfelder, daß er nicht mehr in Paris, sondern auf dem Marktplatze zu Mels sich befand. Seine Effekten lagen unter dem großen Lindenbaum, welcher an der Stelle stand, wo im Jahre 1818 der Platzerbrunnen errichtet wurde. (J. Natsch)

Das Grääggi.
Das “Gräaggi” ist ein Gespenst, das in den verschiedensten Gestalten, insbesondere aber in derjenigen eines gefüllten Laubsackes, eines Krattens, eines Tiers etc. erscheint und immer nur bei Nacht seine Ausflüge macht. Oft, wenn es in seinen Lieblingsrevieren, in Hohlgassen, Holzriesen, Waldlichtungen oder Bachrunsen eilig dahinrauscht, kann der erschrockene Wanderer, der ihm begegnet, von dessen Gestalt nichts deutlich sehen als etwa die Augen, welche aussehen wie zwei glühende Köhlchen. Wird es auf seiner Wanderung geneckt oder gestört, so klappert und rasselt und schreit es in so schauerlicher Weise, daß es einem durch Mark und Bein geht. In Ragaz und Pfäfers hält es sich gerne am Fluppabach auf und wird daher dort “Bachgschrei” genannt, während es in Vilters “Bachgrääggi”, in der Gegend des Walensees “Gwääggi” oder “Borzi” und im Rheintal “Wüetihöö” heißt. In diesem Spukwesen ist auch der “wilde Jäger” der Deutschen und der “Türst” der Entlibucher zu erkennen.
Einst ging Schuster P. G. mitten in der Nacht von Plons, wo er “Stubeti” hatte, nach Hause. Im Walde zwischen dem Valmajus und der Rotzheldschlucht sah er einen großen Kratten im Wege stehen. Er ging neugierig auf denselben zu und gab ihm einen kleinen Stoß mit dem Fuß; da kollerte der vermeintliche Krallen unter heftigem Rauschen und Krachen, wie wenn alle Stauden und Bäume umgebrochen würden, durch den Wald hinunter, bald weinend wie ein Kind, bald schreiend wie eine Sau und endlich in ein schallendes Hohngelächter ausbrechend.
Dem Schuster standen vor Schrecken die Haare in die Höhe, und er mußte hernach mehrere Tage lang das Bett hüten.
Bannwart C. J. begab sich eines Abends auf den Rebhügel im Valmajus, um den Füchsen aufzulauern, und vernahm dann bald ein Geräusch von der gegenüberliegenden, bewaldeten Berghalde Ofenholz her, wie wenn jemand Holz herabriesen würde. Er vermutete, daß Holzfrevler hiemit beschäftigt seien und daß die Diebe mit dem Geraubten unten beim Waldrande auf die Wiese herauskommen werden. Schien es aber, daß sie unten angekommen seien, fing es alsogleich wieder von oben her zu rauschen an, und so wiederholte sich der Spektakel, bis ihm die Sache sonderbar vorkam und er sich endlich entschloß, nach dem verdächtigen Riese hinüberzuschießen. Auf den Schuß flog an besagtem Orte ein ungemein großer Vogel auf und dem Plonserfelde zu. Der Spuk war aus.
Ein Bergbewohner hörte einmal in seiner Nähe ein “Grääggi”, und er rief ihm zu: “Du utaufte Kogä, mach as fortchunst!” worauf ihm dasselbe erwiderte: “I bin besser tauft as du; i heißä Matlin, Matlin!” (Magdalena).
Nachschrift. Ungläubige behaupten, die dato bei uns sehr selten gewordene große Ohreule stöbere an beschriebenen Örtlichkeiten kleinere Tiere zu ihrer Nahrung auf und spiele dabei die Rolle des “Grääggi”; ein Jäger habe einst einen solchen Rumorer auf der Tat getroffen und erschossen. (J. Natsch)
Es wäre unnütz, für all das Einschlägige, das überall erzählt wird, glaubwürdige Erklärungen geben zu wollen. Wind und Wetter, Mensch und Tier machen sich in der dunklen Nacht in der einsamen Bergwelt oft auf so sonderbare Weise bemerkbar, daß der Glaube an übernatürliche Spukgestalten nahe liegt. Sicher aber ist, daß die Furcht manches sieht und hört, was dem mutigen Zweifler bald genug ein helles Lachen entlockt.

Der Muggisturz und das wilde Mädchen.
Auf den Flumser Alpen lebten seiner Zeit wilde Menschen, welche sich nicht zu den andern Bewohnern des Landes gesellten und in stiller Zurückgezogenheit die entlegensten Wälder und Felshöhlen bewohnten. Man sah sie selten, und so oft dies geschah, suchten sie sich möglichst bald der Beobachtung des Fremdlings zu entziehen.
Ihre Kleidung war äusserst dürftig und bestand meistens nur aus Tierfellen und andern einfachen Naturstoffen. Die Flumser hatten Mitleiden mit diesem halbnackten, aber friedfertigen Alpenvölklein. Sie legten diesem daher öfters in seinem Reviere bessere Kleidungsstücke als Geschenk zurecht. Die Wilden holten das Dargebotene weg, sobald sie sich unbeobachtet glaubten, bekleideten sich damit und schienen Wohlgefallen daran zu haben.
Einmal, bei anhaltendem Schneewetter gelang es, ein wildes Mädchen zu fangen. Man brachte es dann nach Portels, am Kleinberg zu Flums, und versorgte es dort bei einer braven Bauernfamilie. Hier gewöhnte es sich bald an die Hausgenossen und deren Verhältnisse und bediente nach und nach, und zwar mehrere Jahre lang, die Familie wie eine verständige und treue Magd. Über ihr Volk sagte sie nie etwas aus, nur bekannte sie, dass ihr Name Ruchrinde sei.
Während ihres Aufenthaltes in Portels kam eine pestartige Krankheit unter die Leute, welche so heftig auftrat, dass viele Familien völlig ausstarben. Nur in der Familie, bei welcher Ruchrinde wohnte, starb niemand. Die kluge Wilde erklärte, es komme dieses daher, dass sie immer nur ganz reines Wasser zum Hausgebrauche aus dem nahen Bächlein hole, in welchem, wie in den andern Bächen, zu gewissen Zeiten sich viele ungesunde Laiche (Eier von Wassertieren) vorfinden, die nicht zu Speise und Trank für Menschen verwendet werden dürfen. Aus dieser Ursache habe sie beim Wasserholen jede Schöpfkelle voll Wasser genau untersucht und das Unreine wieder zurückgeschüttet.
Einige Jahre nach dieser Pestzeit hatte sich der Berg vom Dorfe Flums her wieder ein wenig bevölkert. An einem hellen Wintertage ging dann einer mit einem Schlitten auf den Schultern auf die Alp, um Holz zu holen. Oben angelangt, hörte er von einem Hügel her sich beständig zurufen: “Jochtrager! Jochtrager!” und erkannte in der Rufenden eine Frauensperson der Wilden.
Auf sein Befragen, was sie wolle, antwortete diese, er solle doch so gefällig sein und der Ruchrinde zu Portels berichten, der “Muggisturz” sei gestorben. Der Angeredete versprach, ihrem Wunsche zu willfahren, und entledigte sich dann auch gewissenhaft seines Auftrages.
Sobald aber Ruchrinde diese Botschaft vernommen hatte, fing sie jämmerlich zu weinen an, eilte fort und kehrte nie wieder zurück. Das betreffende Haus in Portels steht jetzt noch, gehört einem Eberli bei der Mühle, ist aber dato unbewohnt. (J. Natsch)
Das Gleiche wird auch an andern Orten erzählt, so in Fild, bei Sargans. Muggisturz sei Ruchrindens Vater gewesen.

Der Büscheler. Der Faser. Das Wetterfasen.
Bei bevorstehendem Unwetter, wenn bereits der Wind über die Gräte pfeift, in Spalten und Felsklüften sich verfängt und seltsame Töne hervorbringt, hören die ruhenden Hirten in der Nacht den “Faser” (Hirt, Küher). “Fasen” heisst: die Herde mit mächtigen, gedehnten Lauten in der weiten Alp locken und sammeln: “Chüa, sé, sé! Hoi, joh! Büüsch, Büüsch!” Meistens hört der Faser “sich selber fasen”, d. h. seinen Doppelgänger rufen. Der “Büscheler” ist der Kälberhirt. Wenn der Faser oder der Büscheler in der Nacht ruft, dann müssen die Hirten das Lager verlassen und die Herde sammeln, sonst geht alles zu Grunde. Meistens ist am kommenden Morgen die Alp im Schnee. Die Älpler beschwören das Wetterfasen.
Um Mitternacht fragte der Küher den alten Sennen Peter Zeller, als sie nebeneinander zu Fursch auf der “Tril” lagen: “Hörst du nicht auch fasen?” Der Senn antwortete: “Ich habe es schon eine Weile gehört; kennst du den Faser nicht an seiner Stimme? Du bist es ja selber.” Der Küher erkannte wirklich seine eigene Stimme, und es schauderte ihn. Am Morgen lag alles im Schnee. (J. B. Stoop)

s’Schneemannli.
Lukas Manhart, ein vieljähriger Hirt, erzählt: “An Abenden, bevor im Spätherbst die Schneestürme hereinbrechen und die Hirten nötigen, mit der Herde von Alp zu fahren, sah ich oft ein kleines Männchen mit einem weissen Mantel, das gar seltsam rief, aber nirgends einkehrte. Soweit diese Gestalt zu sehen war, soweit war am andern Tag der Boden mit Schnee bedeckt.”
Auf der Alp Prod hat diese Erscheinung den Namen “Nepermannli”, weil man seinen Aufenthalt im Neperwald vermutet. Der eigentümliche Ruf wird jetzt noch manchmal vor eintretendem Schneefall vernommen und ist wahrscheinlich das Geschrei eines Alpenvogels. (Ferd. Stoop)

Das Alpmutterli.
Das Alpmutterli ist der Gegenstand eines ausgedehnten Sagenkreises. Die Gestalt hat einen neckischen, schadenfrohen Charakter. Es gibt jetzt noch Älpler, die behaupten, das Alpmutterli gesehen zu haben.
Meine Urgrossmutter ging als Kind in Begleitung eines andern Mädchens mit einem “Tusli” voll Nidel von der hochgelegenen Geisswiese heim. Im Badeura sahen sie eine wilde Henne mit Hühnlein und wollten sie fangen. Plötzlich glitschte das eine Mädchen aus und verschüttete den Nidel. Das andere hörte hinter sich ein leises Lachen, und als es sich umkehrte, sah es ein Weiblein sein Schösslein “fleugen” (schwenken). Das war das Alpmutterli.
Zwei Bauern schlitteten im Mittenwald Holz. An einer geneigten Stelle ging es dem vordem auf einmal ganz schwer. Sein Kamerad rief: “Es sitzt ein Weiblein auf deinem Schlitten.” Als der erste rückwärtsschaute, sah er schon nichts mehr. Der andere aber hatte das Weiblein sofort wegspringen und im Wald verschwinden sehen. Sie suchten seine Fusstritte im weichen Schnee, fanden aber nichts.
Wenn das Alpmutterli in eine Hütte einkehrt und man ihm Milch vorsetzt, isstes dieselbe mit umgekehrtem Löffel.
(J. B. Stoop)

Das Alpmutterli erschien auch einmal in der Hütte eines Hirten, welcher der Angekommenen Milch und Brot vorsetzte; aber sie ass nichts davon, weil sie vorgab, sie hätte keine Zeit dazu, da sie am gleichen Tage noch auf verschiedene Gebirgsrücken wandern müsse. Zum Danke wurden dem freundlichen Hirten zwei Erdbeeren angeboten; dieser nahm sie aber aus Furcht nicht an. (Ferd. Stoop)

Man erschrickt, wenn es sich zeigt; denn es bringt immer schlechtes Wetter. Doch weisen es die Sennen nicht ab, um möglichst gut über die entstehenden Verlegenheiten wegzukommen. Sie dürfen ihm auch die erwünschte Gastfreundschaft erzeigen; denn ein Alpmutterli kann Milch trinken, ohne dass diese sich mindert; es kann auch von allen Speisen geniessen, ohne den Wirt zu schädigen.
Auf der Flumser Alp will man das Weiblein im Sommer 1799 zum ersten Mal gesehen haben. Da wurde der Herbst ganz ungünstig.
Als das sonderbare Wesen wieder einmal kam, wies der unfreundliche Senn es barsch weg. In der Nacht aber kam ein so starkes “Bischen” (Schneegestöber, Schneesturm), dass man gleich am Morgen die Alp verlassen musste. (A. Sprenger)

Der Küher.
In einer Sente zu Fursch war auch die einzige Kuh einer armen Witfrau. Diese Kuh war das Kreuz des Kühers. Immer und immer stieg sie auf Felsen und über Abgründen dem “Zöchtgras” nach und verleitete auch andere dazu. Dem Hirten wurde sie unwert. Er legte auf dem Stollen frischgeschälte Tannenrinde hin. Sobald die Kuh darauftrat, rutschte sie aus, stürzte über die Felswand hinunter und zerschmetterte im waldigen Abgrund. Der Hirt jauchzte vor Freude.
Viele Jahre später brannte im Walde unten ein Köhler Holzkohlen. Beim Wetterwechsel hörte er in der Nacht jauchzen und dann wieder ächzen und stöhnen. Nun rief er in das Dunkel hinaus, was das sein solle. Da trat einer zu ihm und erzählte, er sei der Küher und müsse die “erfällte” Kuh mit Ächzen und Stöhnen auf den Stollen hinauftragen. Dort stehe die Kuh wieder auf die Tannenrinde, rutsche aus und falle hinab. Dann müsse er jauchzen. So oft er die Kuh hinauftrage, könne er einen Heller abbüssen an dem Schaden, den er der armen Frau zugefügt. Das sei ihm als besondere Gnade gestattet worden, weil er zur Zeit der strafbaren Handlung erst siebzehn Jahre alt war; sonst wäre er ewig verloren gewesen. (J. B. Stoop)

Der unerschrockene Bub.
Ein Senn schickte seinen Buben nach der Heimfahrt auf die Alp, um den vergessenen Melkstuhl zu holen. Weil es schon spät war, musste der Knabe in der verlassenen Alphütte übernachten. Er legte sich auf die “Tril” und schlief bald ein. In der Nacht erwachte er und sah, dass in der Alphütte alles in Tätigkeit war. Volle “Milchmuttlen” wurden aus der Hinterhütte herausgetragen; der Senn nahm den Nidel ab; die Milch wurde in das grosse Kessi geschüttet und gekäset; zwei Zusennen trieben den grossen “Ankenkübel” u. s. w. Als alles fertig war, wurde das Essen bereitet; sie setzten sich zu Tisch, und der Senn rief, der auf der “Tril” solle mithalten. Der Bub stand auf und bemerkte, dass einer auf seinem Melkstuhl sass. Er riss ihm diesen ohne weiteres weg. Damit war der Zauber gebrochen. Sie waren durch seinen Mut erlöst. (J. B. Stoop)

Der Geiger zu Fursch.
Ein Zusenn hatte seine Geige, die er leidenschaftlich liebte und wunderschön spielte, mit nach Fursch genommen; dort setzte er sich gern auf den Stollen, um zu spielen. Als im Herbst das Vieh weggefahren war, musste der Zusenn allein zurückbleiben und aussennen. Da kam der Gretler Jöri zu ihm mit der “Sufetuse” (Molken-Tanse), um das übliche Almosen zu holen. In der Nacht hörten sie auf dem Stollen draussen alle die wohlbekannten Weisen geigen, als ob der Zusenn selbst dort wäre. Eine grosse Furcht bemächtigte sich ihrer. Der unsichtbare Geiger hatte Schneefall verkündet. Am Morgen lag die ganze Alp eingeschneit. (J. B. Stoop)

Auf der Alp Fursch.
Als die Eisenbahn noch nicht erstellt war, wurde das zur Sömmerung in die Glarner Alpen verlehnte Vieh von Flums über die Pässe am Schönbühl und Wissmil getrieben. Der alte Jahn hatte mit einem andern Bauer verabredet, sie wollten die Alpfahrt ins Glarnerland gemeinsam machen. Sie gedachten bei den Hütten zu Fursch aufeinander warten. Aber jener kam nicht. Als es dunkelte, trieb Jahn sein Vieh zusammen in den Hof und machte in der Hütte ein Feuer. Wie er später zur Türe hinausschaute, kam gegen die Hütte her eine Gestalt in schwarzem Mantel und Wetterhut, trat in den Hof und fing an, das Vieh auszutreiben gegen den Stollen hin. Jahn überwand die Furcht, lief dem Vieh nach und kehrte es in den Hof zurück. Der Unheimliche war verschwunden. Am Morgen aber hatte es so viel Schnee, dass Jahn froh sein musste, wieder heimzukommen. (J. B. Stoop)

Die drei Joggäli auf Ruhegg.
Vor vielen Jahren waren auf der Flumser Alp Ruhegg sehr verschwenderische und mutwillige Alpknechte, von denen der Senn und Zusenn “Joggäli” hiessen. Sie kochten nur die leckerhaftesten Alpenspeisen und immer weit mehr als bloss für ihren Bedarf. Was sie nicht aufzuessen im stande waren, taten sie in einen ausgehöhlten Stock in der Hütte, welchen sie auch “Joggäli” tauften.
Wenn dieser voll geworden, schimpften sie über ihn und sprachen: “Du dummer Joggäli, warum frissest du nicht, da man dir doch so gut aufwartet?” Der hölzerne “Joggäli” schien endlich des ewigen Schimpfens müde geworden zu sein und fing gegen Ende des Sommers zum Schrecken der Knechte wirklich zu essen an.
Zum Trost war aber die Zeit der Alpentladung herangerückt. Nur der Senn musste noch für etliche Tage ganz allein in der Hütte zurückbleiben, um auszusennen.
Der Zusenn aber hatte vergessen, seinen Melkstuhl mit heimzunehmen und solches erst bemerkt, als er zu Hause angelangt war. Er entschloss sich, diesen zu holen. Zwar regte sich bei der Erinnerung an den Stock etwelche Furcht in ihm; allein er fasste Mut und ging, nahm aber zur Sicherheit geweihte Sachen mit. Als er unter die Tür der Alphütte trat, erblickte er mehrere grässlich aussehende Männer, welche um den hohlen Stock herum sassen und sich gütlich taten.
Sie zeigten mit triumphierendem Hohne unter das Hüttendach hinauf, wo der ausgeschundene Senn an einem Geschirrgestell aufgehängt war, und riefen mit hohler Stimme:
“Ä Joggäli händ ihr gschundä,
Ä Joggäli händ wir gschundä.
Und Joggäli wemmer meh schindä!”
Der Zusenn dachte: “Da machst du, dassdu fortkommst; sonst ist es mit dir Matthäi am letzten Kapitel!” Er nahm seinen Melkstuhl, auf welchem der nächste der unheimlichen Gesellen sass, eilte damit zur Hüttentüre hinaus und entkam glücklich, hörte aber noch nachrufen: “Es kam dir gut, dass du geweihte Sachen bei dir hattest; sonst wäre es dir übel ergangen!”
An dem Orte, wo der unglückliche Senn gehangen, befestigten die Flumser hernach ein rotes Grabkreuz, wie sie solche auf ihrem Friedhofe haben, und wer jene Alphütte besucht, kann dieses heute noch sehen. Es ist immer noch wie neu, trotz Alter und Hüttenrauch. (J. Natsch)
An der Stelle, wo der “Joggäli” geschunden wurde, steht jetzt ein schwarzes Kreuz. Man wollte dieses schon oft ins Tal herunternehmen und auf dem Friedhof aufpflanzen; aber es kam allemal von selbst wieder auf die Alp zurück. (K. Tschirki)
Die Sünde, deren die Alpknechte sich schuldig machten, ist die Verschwendung der Gottesgaben und der Missbrauch des Sakraments der Taufe.
O. Giger erzählt ebenfalls von dem Frevel der Alpknechte, nennt aber den Joggäli “Knochli”.

Der grosse Sexer.
Der grosse Sexer ist ein schöngelegener Felsenkopf in der weiten, wasser- und blumenreichen Flumser Alp Fursch, in der Nähe eines wunderlieblichen Seeleins. Da geht eine gangähnliche Felsspalte wie eine Kellertreppe schräg abwärts, tief ins Dunkle. Unten komme man an eine geschlossene Türe. Wenn man anklopfe, rufe es innen: “Der Schlüssel ist über der Tür.” Wer den Mut habe, den Schlüssel herunterzunehmen, die Türe zu öffnen und einzutreten, der erlöse eine arme Seele und erwerbe einen reichen Schatz. Im grossen Sexer, tief unten, sei eine Kiste voll Geld, die ein schwarzer Hund hüte. Einer, der hinabgestiegen, um die Kiste zu holen, sei nicht mehr heraufgekommen.
Ein Hirt, der am großen Sexer hütete, sah im Sexerloch einen Kuhfladen und rührte mit seinem Stecken darin. Als er zu den Furschhütten kam, bemerkte er, dass er Gold am Stecken hatte. Er kehrte zur Stelle zurück; aber der Fladen war verschwunden.
Den Schatz im grossen Sexer werde einmal ein armer Geissler erhalten.
Am grossen Sexer wächst die Allermannsharnischwurz, Allium Victorialis, eine Lauchart mit gazeähnlichen Zwiebelhüllen, als blutstillendes Mittel verwendet. Wenn sie am Augustheiligtag (Maria Himmelfahrt, Kräuterweihe) vor Sonnenaufgang gegraben und dem messelesenden Priester unter die Mitte des Altartuches gelegt wird, erhält sie die Kraft, unsichtbar und unverwundbar zu machen.
Unter dem grossen Sexer sind kümmerliche, von den Schafen in Schneezeiten zerbissene Reste eines vor hundert Jahren noch stehenden Hochwaldes von Fichten und Arven. Noch lebt ein 85jähriger Greis, der von dort Holz zum Brennen und zu feinem Milchgeschirr zu den Hütten hinabtrug, zu denen man jetzt das Brennholz eine Stunde bergauf schleppen muss. Im Frühling, als wir auf Skien über die noch tief im Schnee liegenden Alpen fuhren, fanden wir hier ein schneefreies, warmes, vielblumiges Eiland. Möchte der Wald bald wieder erstehen!
Einige Männer hatten verabredet, den Schatz im Sexer zu gewinnen. Damit ihnen nichts geschehe, nahmen sie ein unschuldiges Kind mit. Sie kamen an die Türe, klopften an, auf den Zuruf öffneten sie und traten ein. Sie waren in einem Saal, der mehrere Türen hatte. An einem grossen Tisch sassen schweigende Gestalten. Eine Frau, die einen Schweinskopf hatte, trat ihnen mit einem klirrenden Bund Schlüssel am Gürtel entgegen und fragte nach ihrem Begehren. Sie antworteten, sie wollen genug Geld. Das können sie bekommen, hiess es, wenn sie tun, was man ihnen sage. Zuerst musste jeder ein Pfand geben. Dann nannte sie ihnen einen bestimmten Abend, an dem sie wiederkommen und das verlangte Geld ohne weitere Gefährde holen können; aber Wort halten müssen sie unter allen Umständen, sei das Wetter wie es wolle. Wer am bestimmten Abend ausbleibe, müsse beim Tode kommen und ihnen nachher Gesellschaft leisten. Die Männer gelobten es.
Am festgesetzten Abend aber tobte ein so furchtbares Unwetter über Berg und Tal, wie man es noch nie erlebt hatte, und es kam keinem in den Sinn, zum grossen Sexer zu gehen. Als nach Jahren einer von den Männern starb, sahen ihn die Älpler zu Fursch in der Sterbestunde über die Schwizerböden dem grossen Sexer zueilen.
Einmal sahen die Küher zu Fursch eine Weibsperson mit einem “Parasol” (Regenschirm) dem grossen Sexer zugehen. Sie verabredeten, das Weib einzuholen, um es zu erkennen. Als sie zum Sexer kamen, war die Gestalt verschwunden. Am andern Morgen aber war die Alp tief im Schnee. (J. B. Stoop)

Der Schatz auf der Flumser Alp.
Von Flums über die Flumser Alp soll in alten Zeiten eine Strasse nach Glarus geführt haben, und dort, wo nun im Sommer die Viehherden der Flumser sich tummeln, stand eine blühende Ortschaft. Nichts deutet mehr darauf hin als eine Höhle, in der ein Schatz verborgen liegt. Kriechend gelangt man durch diese Höhle bis zu einer steinernen Treppe, die steil in die Tiefe führt. Je tiefer man auf der Treppe steigt, desto lauter hört man ein Rauschen, und ein scharfer, heulender Wind weht einem entgegen; Steinchen und Hagelkörner fallen in Massen auf den Schatzsuchenden. Immer ärger wütet der Sturm, der in einen förmlichen Orkan ausartet, so dass man das eigene Wort kaum mehr hören kann. Am Ende der Treppe stösst man auf eine starke, eiserne Türe, die fest verschlossen ist. Wütendes Hundegebell antwortet auf das Pochen, und eine weibliche Stimme gibt Antwort auf die in den drei höchsten Namen gestellten Fragen. Eine Jungfrau soll, auf einer eisernen Kiste sitzend, in der der Schatz verborgen liegt, auf Erlösung harren.
Verschiedene junge Männer von Flums haben es schon versucht, den Schatz zu heben, und sie behaupten, bis zur eisernen Türe vorgedrungen zu sein; aber alle mussten dort umkehren wegen dem Sturm, der sie zu ersticken drohte, so ein gewisser Maler Bless und dessen Bruder. An einem Morgen in aller Frühe waren sie aufgebrochen, den Rock über den Kopf gezogen, so daß nur die Augen frei blieben; keinem Menschen durften sie den Gruss erwidern, auf dem ganzen Wege kein Wort miteinander sprechen, mussten aber ohne Unterbruch beten. Nur so kann der Schatz gehoben werden. (Rob. Rizzi)

Angetan.
Auf der Alp Wildenberg erschien einst mitten in der Nacht ein Unhold. Er zeigte sich nicht in der Hütte, schlug aber mehrmals wie mit einem starken Stock an deren Planken. Die Hirten hörten es wohl; aber keiner getraute sich, hinauszugehen und nach dem Täter zu sehen.
Nach wenigen Wochen erkrankte einer der Älpler. Er bekam ein “böses” Bein, das keinerlei Verletzungen zeigte, aber doch zu einem unförmlichen Klumpen anschwoll. Der Unhold hatte es ihm angetan. (A. Sprenger)

Der Zwingnagel.
Man war in der Flumser Alp “Fursch” eines Nachmittags mit dem Vieh und den Sennereigerätschaften aus dem obern auf den untern Säss herabgezogen. Der rohe Senn hatte absichtlich seinen Melkstuhl oben zurückgelassen, um den gutmütigen, aber furchtsamen “Baschi” oder Küherbuben damit zu ärgern und zu ängstigen.
Gegen Zunachten befahl er diesem, den Melkstuhl sogleich zu holen. Ohne Widerrede, aber mit bangem Herzen machte sich “Baschi” auf den Weg und kam in dunkler Nacht zur Sennhütte des obern Sässes, in welcher er sich auf die “Tril” oder auf die Schlafstätte der Alpknechte zur Ruhe legte, weil er es weder für notwendig noch für ratsam hielt, sogleich zurückzukehren. Es war totenstill in und um die öde, verlassene Hütte.
Da plötzlich vernimmt er eine lustige Musik im Freien und ein Geräusch und Getrampel wie von einem ländlichen Tanze. Hierauf pochte es heftig an die Hüttentüre, und gleichzeitig traten mehrere unheimliche Gestalten, von denen einige noch Geigen in der Hand hielten, in die Hütte herein und trafen Vorkehrungen, als ob sie sennen wollten.
Bald aber rief einer dieser gespenstigen Sennen: “Es ist nit suber in dr Hüttä; i gschmöggä Minschäbluot!” Der “Baschi” hatte sich schon vorher im Bettheu versteckt; er zitterte wie ein Espenlaub und schwitzte vor Angst, blieb aber unterdessen mäuschenstill. Der Geist hob nochmals an: “Där, wo uf der Tril lit, söll ahä chu und mit Wohrheit sägä, was er do ztuä heb; es ward em dinn nüt Leids gschieh!” Nun erhob sich der “Baschi” von seinem Lager und stotterte heraus.- “Ich bi nu an armä Zwingnagel, und üsärä Senn hat mi gnötiget, no in dr Nacht vu do si Mälchstuohl z’ holä.”
Hierauf sagte der Geist ganz freundlich zu ihm, weil er die Wahrheit gesprochen habe, so könne er nun eine Kunst lernen, welche er sich nur wünsche. Ermutigt gab der “Baschi” den Wunsch zu erkennen, so schön geigen zu lernen, wie er es soeben gehört habe. Alsobald erhielt er eine prächtige, neue Geige, auf welcher er unter Anleitung und Begleitung der andern Spielleute bis nach Mitternacht sich so hurtig üben musste, daß ihm dabei fast schwindlig wurde. Da hiess es plötzlich: “Halt!” Und der ganze Spuk war verschwunden. Der “Baschi” befand sich wieder allein; aber die Geige war ihm geblieben.
In der Frühe des Morgens nahm er sie unter den Arm, hängte den Melkstuhl an die Schulter und kam dann gerade zum “Stofel” zurück, als die Alpknechte mit Melken beginnen wollten.
Der Senn rief ihm entgegen: “Chunnst indli ämol, du glampätä Hösi!” Um diesen zu besänftigen, fing der “Baschi” zu geigen an. Das setzte aber keinen geringen Spektakel ab. Kühe und Kälber, Schafe und Schweine, alles, was Leben hatte, begann zu tanzen wie rasend und tanzte fort, solange die Geige ertönte.
Erst als der Senn kaum mehr zu schnaufen vermochte und mit dringendem Bitten Ruhe verlangte, hörte der “Baschi” auf und eröffnete, wie er diese Kunst übernacht von einigen Männern in der Obersässhütte erlernt und die Geige als Geschenk erhalten habe.
In der Meinung, gewiss auch noch etwas Rechtes erlernen und erwerben zu können, eilte dann der Senn am nächsten Abend ebenfalls in die Obersässhütte hinauf, kehrte aber nimmer zurück, und als man ihn aufsuchte, fand man dessen Körper in viele Stücke zerrissen und an den “Gepsenlatten” aufgehängt. (J. Natsch)

Das Hundloch am Grossberg.
Im Wald unter Casella, am Grossberg zu Flums, beginnt zwischen den roten Felsen ein unergründet tiefer Gang westlich gegen das Tobel zu. Wer in der Mitte der heiligen Nacht hineingehe, könne zu grossem Reichtum gelangen. Das wagte der Bauer des nahen Gutes Girenloch. Er kam über mehrere Treppen auf und ab in einen hohen, geheimnisvoll erleuchteten Raum. Da war eine Truhe. Ein feuriger Hund sass darauf. Ein Männlein trat dem Bauer entgegen und sagte, sein Begehren nach Reichtum werde erfüllt, wenn er alles, was man ihm befehle, genau befolge. Zuerst solle er den feurigen Hund anfassen und auf den Boden stellen. Der Bauer tat es. Da öffnete das Männlein die grosse Truhe, welche viele kleine Kistlein voll Gold enthielt. Der Bauer könne ein Kistlein nehmen und vor ein Uhr in sein Haus tragen. Wenn er dann nicht zu müde sei, gestatte er ihm, nocheinmal zu kommen und unter gleicher Bedingung ein zweites Kistlein zu holen. Der Bauer trug das goldgefüllte Kistlein freudig dem Ausgang zu und stellte es dort ab. Er glaubte, das zweite Kistlein noch sicherer zu gewinnen, wenn er es sofort hole. Er dachte: „Von da weg ist mein Haus nah; es geht abwärts, dass ich beide Kistlein zusammen fortbringe.” Er erhielt wirklich auch das zweite Kistlein und gelangte damit bis zum Ausgang. Jetzt war er aber so todmüde, daß er sich niedersetzen musste und einschlief. Als er am hellen Morgen wieder erwachte, waren die zwei Kistlein voll Gold nicht mehr vorhanden. (J. B. Stoop)

Das Gwelb.
Der gewöhnliche Verbindungsweg zwischen Grossberg und Kleinberg, welche das tiefe Schilztobel trennt, führte früher über die hintere Naturbrücke, das Gwelb. Von der Kleinbergerseite stieg man durch eine Leiter auf dasselbe hinab. Der Weg wurde namentlich von den Ledigen zu nächtlichen „Stubetegängen” benutzt.
Einmal ging ein Grossberger, der am Kleinberg bei der „Stubete” gewesen, allein Heim. Er stiess beim Gwelb mit dem Fusse an einen weichen Gegenstand, wie an ein Bündel Kleider. Dann verlor er das Bewusstsein. Am Morgen beim Betläuten erwachte er in der Halde, auf dem Stegenbrückli. Wie er vom Gwelb weg heimgekommen, davon hatte er keine Ahnung. (J. B. Stoop)

Der Röllbach.
Die Eigentümer der Alp Mädems hatten einmal einen Markenstreit gegen die Flumser. Die einen behaupteten, ihr Eigentum gehe weit über den Röllbach hinaus; die andern aber sagten, dieser Bach bilde die Alpgrenze. Der Streit kam vor den Richter. Als man beim Augenschein auf dem streitigen Boden stand, trat ein beteiligter Mann hervor, welcher einen Löffel unter seinem Hute und Erde aus seinem Garten in den Schuhen hatte, und tat den Schwur: „So wahr der Schöpfer ob mir ist, stehe ich hier auf meinem eigenen Grund und Boden!”
Auf dieses hin trugen die Flumser den Sieg davon. Seither hat man aber oft in stürmischen Nächten von der benannten Stelle her den Ruf gehört:
„Röllbach! Rüllbach! Zeig die rechte Ziel und March!”
Das Urteil liegt gegenwärtig noch in Händen eines Flumserbergers. (J. Natsch)
Der Meineidige muss zur Strafe auf feurigem Ross auf- und abreiten und ruft mit schauriger Stimme: „Rölli- Röllibach, du bist den Flumsern rechte Ziel und March!” (J. B. Stoop)

Der Wagenlochhund.
Am Röll, an unheimlicher Stelle hinterm Wagenloch, liegt zu gewissen Zeiten am Kirchweg ein schwarzer Hund mit feurigen Augen, das Gespenst eines Weibes, das dort ein ungetauftes Kind ausgesetzt hat und dafür wandeln muss. (J. B. Stoop)

Im Röllsutt, einer düstern, felsigen und waldigen Strecke am Röll, geht öfter das „Gräggi” durch. Dann glaubt man bald das Geschrei von Kindern, das Gequieke von Schweinen, bald das Bellen und Hetzen von Hunden, das Rauschen des Sturmes und das Krachen brechenden Holzes zu hören. Die Bewohner der naheliegenden Güter ziehen vor Angst schwitzend die Decke über den Kopf und sprechen den schützenden Spruch: „Alle guten Geister loben Gott, den Herrn.” Das ist Wodans wilde Jagd. (J . B. Stoop)

(Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen. Von J. Kuoni, St. Gallen, 1903)

Die Besteigung des Gamsberges von der Südostseite – Die sieben Bundesräte im Goldloch

Wir stiegen am 14. Oktober 1894, morgens nach 6 Uhr, von Flums auf die Alp Malun gegen den Notz, einen aussichtigen Hügel nordwestlich von Malun an der Grenze gegen Sennis. Hier präsentiert sich der «gewaltige Gamsberg» in seiner vollen Wucht und Pracht: mächtige Felswände von tiefen Schrunden zerrissen, unten spärlich mit Legföhren, oben mit Grasbändern und Grasbüscheln bewachsen, darüber der kühngeschwungene Grat mit seinem jähen Absturz gegen Westen. Wir versuchten hier den Aufstieg zu rekognoscieren, bekamen aber das Gefühl, dass es auf diese Entfernung nicht möglich sei, sondern meistenorts auf kurze Distanzen geschehen müsse. Vorgenommen hatten wir uns nur, das Goldloch, die Felsenhöhle in der Bergwand, zu passieren. Der Aufstieg zum Goldloch ist ein viele Meter breites, aber ungemein steiles und glattes Felsband. Wir überwanden dieses, indem wir der obern Wand entlang aufstiegen und an derselben seitlich Griffe suchten.

Das Goldloch ist eine geräumige Höhle, wie solche in Kalkgebirgen hie und da vorkommen. Von dieser Vorhöhle führen zwei dunkle Öffnungen in den Berg hinein und lassen ein Höhlensystem vermuten. Denn in der Nähe ist noch ein anderes Loch. Der Name Goldloch kommt von einer Sage, nach der ein «Venediger» jährlich kam und aus dem Berginnern Gold hervorholte. Andere behaupten, es komme hier wirklich ein goldglänzendes Mineral, der Pyrit, Eisenkies oder Schwefelkies vor. Wir haben es nicht gefunden. Dagegen ist namentlich beim untern kleinern Loch das Gestein lebhaft rotgelb gefärbt, was mit einer auffallend blauen Flechte, die die Felsen überzieht, einen wunderbaren Kontrast bildet. Ob die komplementäre Farbe der Flechten zum Gestein eine physikalische Begründung hat oder nur zufällig ist? – Die rotgelbe Farbe des Gesteins rührt offenbar von Eisengehalt her, den das ganze Gebirge besitzt. Auch auffallend schöne Quarzadern kommen hier vor.

Bei der Höhle lag dürres Legföhrenholz, das uns Stoff gab zu einem prächtigen Feuer, wohl das erste, das im Goldloch gebrannt. Natürlich unterliessen wir nicht, unsere Anwesenheit auch sonst ausgiebig zu beurkunden durch Karten und Inschriften mit Blau- und Rotstift. Als Hauptzierde des Goldlochs befestigten wir die Porträts der jetzigen sieben Bundesräte.

Dann stiegen wir die Schrunde westlich vom Goldloch hinein und schräg aufwärts gegen ein Felsenfenster und durch dasselbe hindurch. In diesem Felsendurchgang deponierten wir ob der Lichtöffnung eine Karte. Über dem Fenster machten wir Halt. Das schwerste Stück, vom Goldloch zum Felsenfenster war überwunden. Wir übersahen den obern Drittel als relativ leicht, steile Kalkplatten mit Grasbändern und Grasbüscheln. Wir stiegen von da zu Punkt 2385 auf. Ein eisiger Wind fegte über den scharfen Grat, den wir zeitweise verlassen mussten. Wir schritten unverzüglich den Grat bis zum Westende 2368 ab und suchten vor dem erstarrenden Wind Deckung hinter unserm grossen Steinmann vom 24. Juni 1894. Aussicht in die Nähe tadellos, in die Bündnerberge wundervoll, gegen Westen und Norden vernebelt. Wir hatten anfänglich den Abstieg auf der Nordseite zum Scheff beschlossen. Aber unsere erstarrten Hände liessen uns die windgeschützte besonnte Südseite der tiefverschneiten Nordseite vorziehen. Wir stiegen also von Punkt 2368 durch den westlichen Teil des Südabhanges zum faulen Gang und in die Spitzplank hinab. Wir hatten höchste Zeit. Als wir die letzten Felsen ob uns hatten, war auch die letzte Spur des Tages verschwunden. Der Abstieg durch die Alp Sennis ins Seezthal machte uns nicht bange, und wir kamen um 9 Uhr wohlbehalten in Flums an. In der Nacht erging ein grimmiger Schneesturm über die Berge bis tief ins Tal herunter. –

An Tieren hatten wir am Gamsberg gesehen ein Trupp von sechs Gemsen, eine einzelne Gemse und ein Gemskitzen, das uns auf eine Entfernung von wenigen Metern mehrere Minuten lang neugierig anäugte. Schlussresultat: die Besteigung des Gamsberges über das Goldloch und Felsenfenster ist für selbständige, vorsichtige, ausdauernde Clubisten eine ideale Kletterpartie, ein Hochgenuss seltener Art.

(Johann Baptist Stoop: Besteigung des Gamsberges von der Südostseite. Alpina 1895)

Der Falknis

Samstag den 17. September [1892] machten drei Mitglieder der Sektion einen letzten Versuch, die Falknistour auszuführen, und wider alles Erwarten fiel dieselbe verhältnismässig günstig aus. Zwar als der Eisenbahnzug abends 6 Uhr sich der Station Maienfeld näherte, senkten sich immer zahlreicher schwarze Wolken zur Erde hernieder und während unseres kurzen Aufenthaltes in Maienfeld löste sich bereits ein kleiner Platzregen aus dem Wolkenmeer. Der Führer Fortunat Enderlin, der uns abgeholt hatte, war jedoch der Ansicht, dass sehr wahrscheinlich der Föhn den Regen verjagen werde, wie es an den vorhergehenden Tagen der Fall gewesen sei. Unter allen Umständen schien es ratsam zu sein, dass wir noch bis zu den sog. Bargün hinaufgehen, um für morgen einen bedeutenden Vorsprung zu haben. Nachdem wir uns zur Wanderung im Hotel Vilan gestärkt hatten, holten wir unseren Führer, der vorausgeeilt war, um die nötigen Reiseutensilien zusammenzupacken, in seiner Wohnung in der sog. Bündt (eine Viertelstunde nördlich von Maienfeld) ab und zogen in die dunkle Nacht hinein. So lange der Weg durch Wiesen führte, ging es auf dem guten Pfade ganz herrlich, aber nur zu bald nahm uns der Wald auf, der freilich einerseits einen Schutz gegen den niederprasselnden Regen bildete, anderseits jedoch wegen der vollständigen Finsternis das Gehen auf dem holperigen Pfade bedeutend erschwerte. Der Schein der Laterne, welche angezündet werden musste, half uns ordentlich weiter. Als wir durch den in der Niederung des Glecktobels liegenden Wald dahinzogen, wurde unsere Aufmerksamkeit durch die äussere Umgebung nicht stark abgelenkt; in der geheimnisvollen Beleuchtung hörten wir nichts als von Zeit zu Zeit das Rauschen eines Wassers, das bald von einem Bergbach, bald von einem Regenschauer herrührte.

Aber drückend war die Temperatur und der vom Führer in Aussicht gestellte Föhn wollte immer noch nicht auftreten. Nach einer Stunde Gehens erreichten wir den Hauptbach, der durch das Tobel hinabströmt, und gelangten bei dem täuschenden Laternenschein nicht ohne etwelche Hindernisse auf die rechte Seite desselben. Bis zum Bache hatte sich der Weg in gleichmässiger, nicht gerade bedeutender Steigung dahingezogen. Um zu unserm heutigen Wanderziel zu gelangen, musste nunmehr eine steile Halde erklommen werden, die grösstenteils mit nicht sehr dichtem Walde bekleidet ist. In frühern Zeiten führte kein ordentlicher Weg hinauf; die wenigen Leute, die zur Höhe emporstiegen, wählten die geraden, sehr steilen Lichtungen, durch die jetzt noch im Winter das Wildheu hinabgeschlittet wird.

An dieser steilen Halde hat nun der wackere Führer Enderlin einen bequemen Zickzackweg erstellt, welcher die Mühe des Steigens sehr erleichtert. Schade, dass die Dunkelheit die Aussicht verhinderte. Obschon der Wald immer lichter wurde, konnte in der Ferne nichts deutlich unterschieden werden. Nur einige Sterne leuchteten hell am Firmament und flössten uns gute Hoffnung ein. Bald standen wir am Rande eines sanftgeneigten Plateaus. Der Führer liess seine Stimme erschallen und erhielt bald Antwort aus einer der Hütten, die in der Nähe lagen, aber noch nicht sichtbar waren. In einer derselben fanden wir gastliche Unterkunft. Es war niemand mehr oben, als ein einzelner Mann aus Fläsch, der uns freundlich begrüsste und seine Dienste zur Verfügung stellte. Die Hütte, in der wir einkehrten, sowie alle übrigen, bestehen aus einem einzigen Raum, in welchem sich, abgesehen von dem abgespeicherten Heuvorrat, nur wenige Geräte für die allernötigsten Lebensbedürfnisse vorfanden. Bevor wir uns zur Ruhe begaben, traten wir vor die Hütte, um noch einmal das eigentümliche Nachtbild zu betrachten. Der Regen hatte ganz nachgelassen, und vor einem leichten Winde waren die finstern Wolken gewichen, so dass blinkende Sterne den Himmel erhellten und uns in frohe Hoffnung wiegten. Einen wunderbaren Anblick bot die elektrische Beleuchtung in Ragaz, die sich durch die Dunkelheit so deutlich abhob, dass man die Strassen und die grossen Gasthöfe genau unterscheiden konnte, und das ganze Dorf wie eine beleuchtete Planskizze zu unsern Füssen lag.

In der Nacht begann auf dem Schindeldache leise jenes knatternde Geräusch, welches so oft schon die im süssen Schlummer liegenden Bergwanderer aufgeschreckt und frohe Hoffnungen zerstört hat. Immer lauter und lauter werden die Töne, bis die Musik zuletzt in gleichmässigem Rhythmus und gleicher Höhe sich fortbewegt, stundenlang ohne Pause. Wir glaubten ganz verlorenes Spiel zu haben. Am Morgen gewahrten wir durch die breiten Lucken, die sich zwischen den einzelnen Balken der Hüttenwände befanden, dass die ganze Landschaft in Nebel und Regen gehüllt war. Man konnte zunächst nichts anderes thun, als wieder ins Heu zu liegen und besseres Wetter abzuwarten. Die Zeit verkürzte Enderlin durch Erzählungen aus seiner Führerlaufbahn, die er nun seit bald 30 Jahren gewandelt ist. Um 8 Uhr unternahm ich mit dem Führer eine Rekognoszierungstour, um doch wenigstens die nähere Umgebung und die Wegrichtung in Augenschein zu nehmen. Die Bargün, welche von einem Komplex von etwa 12-15 Heuschobern gebildet werden, liegen gar lieblich auf der hohen Bergterrasse; sie sind von einem lichten Walde umgeben, welcher die Anmut der Gegend noch um vieles erhöht. Das Plätzchen hat etwas Idyllisches an sich und ladet zu längerem Aufenthalt ein.

Allmählich weichen die Nebel aus den benachbarten Thälern und am südlichen Himmel waren bereits blaue Streifen in der bekannten Föhnbeleuchtung sichtbar. Schnell wurde aufgepackt und etwa um halb 9 Uhr nahmen wir Abschied vom wackren Wildheuer. Auf schmalem Zickzackweg geht es steil hinauf an den Fuss der sog. Thürme, welche wie eine hohe, von Zeit zu Zeit mit Thürmen versehene Mauer die Südwand des Falknis umgürten und dem Berge ein eigenartiges Gepräge geben. Am Fusse derselben angekommen, wenden wir uns, nun meist in horizontaler Linie oder wenig ansteigend, nach rechts, bis der letzte östliche Thurm umgangen ist. Bei dieser Traverse gab es noch einige unangenehme Kletterstellen, die nach Aussage des Führers in nächster Zeit bequemer gemacht werden sollen. Jetzt gilt es noch die Grashalde emporzuklimmen, die zwischen dem letzten Thurm und dem kleinern Gleckhorn (2344 m) sich emporzieht. Der Abhang ist äusserst steil, so dass man immer darauf bedacht sein muss, festen Fuss zu fassen. An vielen Stellen sehen wir das Gras ganz niedergetreten von den zahlreichen Lawinen, die nach dem grossen Schneefall der vorhergehenden Wochen abgestürzt waren. Nach halb 11 Uhr erreichten wir das Fläscherfürkli und entschlossen uns nach kurzer Rast, auch noch den höchsten Gipfel zu besteigen. Es fehlte uns kaum noch eine Strecke von einer halben Stunde, als wir die Nutzlosigkeit unseres Vorhabens einsahen. Der oberste Gipfel war beständig in Nebel gehüllt, zudem blieb nicht viel Zeit übrig, wenn wir auf den letzten Zug nach Zürich nicht zu spät kommen wollten. Auf dem Fläscherfürkli genossen wir längere Zeit die herrliche Aussicht. Die höchsten Spitzen waren zwar in Nebel gehüllt, um so lieblicher erschienen aber die niedrigeren Höhen und die Thalschaft. In scharfem Gegensatz zu den von der siegreichen Sonne beleuchteten Gegenden zeigte sich das Fläscherthäli, welches in seinem Schneegewande mit einer Winterlandschaft verglichen werden konnte.

Um 11 Uhr 50 Minuten machten wir uns auf den Abstieg. Der Weg zieht sich zunächst horizontal in westlicher Richtung ob den Thürmen hin, quer über die steilen rasenbekleideten Gräte, die vom Falknis herab zu den Thürmen hinab sich senken. Zwischen den Gräten sind breite Grasmulden wenig tief eingebettet. Die sog. Thürme, die von Süden aus gesehen nach allen Seiten hin freistehend zu sein scheinen, lehnen sich thatsächlich mit der Rückwand ganz an den Berg an, so dass derjenige, welcher von unserm Wege aus die Spitze eines Thurmes erreichen will, auf den einzelnen Gräten hingelangen kann, ohne emporsteigen zu müssen.

Ich kenne kaum einen erhabenern Genuss in den Alpen, als auf schmalem Pfade an hoher Bergeswand dahinzuwandern, wenn der Blick immer eine schöne Landschaft umfassen kann. Freilich war auch hier stete Aufmerksamkeit auf den Weg ein dringendes Gebot der Vorsicht. In ¾ Stunden langten wir „auf dem Gyr“ an. Mit diesem Ausdruck wird der Grat bezeichnet, welcher von der Falknishöhe nach dem Gyr sich erstreckt. Die Spitze des Gyr selbst (2167 m) liegt etwas westlicher und weniger hoch als die Stelle, wo wir den Grat überschreiten. Wir bleiben einige Minuten auf dem Grat; denn ein überraschendes Bild bietet sich unsern Augen dar. Während bis jetzt unsere Blicke über steile Halden hinab die gesegneten Gefilde der Herrschaft überschaut hatten, öffnete sich nun in scharfem Gegensatze dazu vor uns das tief eingeschnittene Guscher-Tobel mit seinem hohen Rande, der von unserm Standpunkte aus in schön geformtem Bogen gegen das Mittelhorn sich auf- und niedersenkt; und über das Tobel hinaus erblicken wir nach Norden und Westen das Rheinthal mit den Bergketten, welche dasselbe umgeben.

Vom Grate weg steigen wir zunächst die stotzige Halde hinab, bald aber nimmt uns ein gut sichtbarer Fusspfad auf, der in horizontaler Richtung zu Punkt 2150 führt, einer Einsattlung im Guschergrat, die den Übergang in das Lavenathal bildet. Sowohl hier als auch auf dem Gyr werden prächtige Edelweiss gefunden. Rasch eilen wir dann den steilen Weg hinab, über Weiden und Wald. Die Sonne, die allmählich Siegerin geworden, brennt heiss und gerne benutzen wir ein schattiges Plätzchen in dem kleinen Wald beim obern Stafel, um uns gegen die sengenden Gluten zu schützen. Die Bewohner von Guscha, welche nicht mehr als drei Familien bilden, wechseln von Zeit zu Zeit ihren Wohnsitz, wie es in Gegenden, wo Alpwirtschaft herrscht, häufig vorkommt. Jetzt trafen wir sie im obern Stafel, während die Hauptwohnungen in Guscha leer standen.

Es ist ein netter Fleck Erde, dieses Guscha. Einige Häuser präsentieren sich recht ansehnlich, während andere allerdings, weil sie nicht mehr benutzt werden, dem Verfall entgegengehen. Rings um das Dörfchen breiten sich fruchtbare Wiesen aus und auch der Feldbau scheint in dieser Höhe zu gedeihen. Nimmt man dazu noch die wundervolle Aussicht in Thal und Gebirge, so kann man sich nichts anderes denken, als dass ein glückliches und gesegnetes Völklein hier oben wohnen müsse. Es ist wahr, die arbeitsamen Leute finden ihre Existenz, aber der Wohlstand muss mit harter Arbeit und Mühsal errungen werden. Von den drei Brüdern Jost, deren Familien allein noch das einsame Bergdörfchen bewohnen, ist einer, Namens Christian, am 4. Januar 1888 verunglückt. Er ging mit seinem jüngern Bruder in die obern Mähder, um das dort aufgespeicherte Heu herunterzuschaffen, was nur im Winter geschehen kann. Als sie im Begriffe waren, herunterzufahren, ereilte sie eine Staublawine, der jüngere wurde auf die Seite geschleudert und war so gerettet, während den ältern die Schneemassen erfassten und in eine tiefe Schlucht hinabrissen, wo er nach 4 Stunden von seinen Brüdern und bereitwilliger Hülfsmannschaft aus Maienfeld und Fläsch als Leiche ausgegraben wurde.

Von Guscha führt ein Strässchen auf die nahe Luziensteig hinunter. Wie angenehm war es, nach der Hitze, unter der wir in den höhern Regionen zu leiden hatten, nunmehr durch schattigen, kühlen Laubwald hinabzusteigen. Noch ziemlich hoch oben kamen wir an einem Festungswerke vorbei, das uns die schweren Kämpfe in Erinnerung brachte, welche im Jahre 1799 hier stattgefunden haben. Bald betraten wir die immerschöne Steig, die als grüner Rasenteppich zwischen Fläscherberg und Falknis eingebettet ist, und erlaben uns im Wirtshaus bei der Kapelle durch einen köstlichen Trunk Maienfelder Weines. Mühelos durch lichten Wald und Baumgärten dahinschlendernd, erreichten wir dann die Wohnung Enderlins, der es sich nicht nehmen liess, uns aus seinem Keller mit Eigenem aufzuwarten. Als wir um 6 Uhr Maienfeld verliessen, waren die Nebel wieder tief hinabgestiegen. Das Glück schien uns an jenem Tage wider alles Erwarten seine Gunst zugewiesen zu haben.

Über die Art und Weise, in welcher die Besteigung des Falknis in den verschiedenen Jahreszeiten ausgeführt wird, lasse ich den Führer Enderlin reden: „Um die Verschiedenheit der Eindrücke und Verhältnisse bei Bergtouren auch im Winter kennen zu lernen, habe ich eine solche in der zweiten Hälfte des November 1885 und eine andere den 4. April 1886 auf die Spitze des Falknis ausgeführt und habe gefunden, dass in Bezug auf Ausführbarkeit dieselben am leichtesten im Frühjahr zu bewerkstelligen sind. Am schwersten sind die Touren im Vorwinter auszuführen. Ich habe eine solche, wie oben bemerkt, in der zweiten Hälfte des November 1885 allein unternommen. Ich ging 7 Uhr morgens von meinem Hause zur Bündte weg, schlug den nächsten Weg gerade durch den Falknis nach dem Schäferhüttli ein, bis wohin ich beinahe schneefrei gelangen konnte. Da der Aufstieg auf dem gewöhnlichen Weg wegen des lockern Schnees unmöglich war, so musste ich mich auf die Sonnenseite des Berges wenden. Der Schnee war jedoch mit einer Eiskruste überzogen und deswegen das Steigen an der steilen Halde schwierig und gefährlich. Doch gelang es mir nach zweistündiger anstrengender Arbeit, die Spitze zu erreichen. Die Aussicht ringsum war zwar eine grossartige, aber eine winterliche, ganz ohne Abwechslung. Den Rückweg nahm ich durchs Fläscherthäli in der Voraussetzung, dass der Schnee dort nicht sehr tief liege. Vom Gipfel hinunter bis zum See ging es ganz ordentlich, denn das Sprichwort sagt: „Abwärts helfen alle Heiligen, aber eben oder aufwärts nur einer“. Das letztere musste ich auch erfahren. Denn bis zur Thalegg brauchte ich volle zwei Stunden, während sonst der Weg in nicht ganz einer Stunde zurückgelegt werden kann. Überhaupt zeigte sich der Rückweg anstrengender als der Aufstieg. – Viel leichter war die Tour am 4. April 1886. Auch diesmal konnte ich bis zum Schäferhüttli ohne Schnee gelangen. Da zu dieser Zeit der Schnee meistens ganz körnig und fest ist und deshalb leicht zu begehen, und da die meisten Tobel und sonstigen Vertiefungen durch Schneewehen und Lawinen ausgefüllt sind, so gestaltet sich der Weg über dieselben kürzer und leichter als zur aperen Zeit, weil alsdann auf den schneefreien Schutthalden der Abstieg erschwert wird. Im Nachwinter dagegen oder im Frühling kann der Abstieg durch das schnelle, lustige Abfahren über den harten, glatten Schnee vielfach erleichtert und abgekürzt werden. Diese Abfahrt wird von Geübten oder unter Anleitung von solchen an den meisten Orten ohne Gefahr und mit vielem Vergnügen ausgeführt. Bei dieser Tour brauchte ich zum Aufstieg fünf, zum Abstieg drei Stunden.“

Der Kuriosität wegen sei bemerkt, dass Enderlin einst mit einem jungen Amerikaner eine Nachttour auf den Falknis ausführte. „Um 12 Uhr nachts (23. August 1888) sind wir von der Bündte abgegangen und um 9 Uhr morgens waren wir wieder dort. Es kommt einem alles so schwermütig, ich möchte fast sagen, geisterhaft vor.“

Die Besteigung des Falknis bietet in der Regel weder grosse Schwierigkeiten noch Gefahren. Doch darf man nie vergessen, dass sowohl beim Weg über Bargün als auch bei demjenigen über Guscha steile Grashalden zu überwinden sind, die stete Vorsicht erfordern. Wenn der Rasen nass ist, so steigert sich die Gefahr, so dass Enderlin selbst zur Äusserung veranlasst wird: „Ich werde bei nassem Wetter den Aufstieg nie mehr durch den Falknis (d.h. über Bargün) nehmen“. Wie sehr Unachtsamkeit verhängnisvoll werden kann, beweist das Unglück vom 14. August 1887, welches Enderlin ausführlich erzählt. Wir glauben den authentischen Bericht dem Leser nicht vorenthalten zu sollen, sowohl zur Warnung als auch wegen der netten Art der Darstellung:

„Heute den 17. August 1887 sind in Maienfeld drei junge, vor drei Tagen noch hoffnungsvolle Menschen gemeinsamer Ruhestätte übergeben worden, sie haben einander im Augenblick der Gefahr und des Todes nicht verlassen, und so sollen sie auch im Grabe nebeneinander ruhen.“
Sonntags den 14. d. M. gingen fünf junge Leute von Maienfeld aus, um am folgenden Tag den Falknis zu besteigen, und für diesen Abend in der Maienfelder Alp Quartier zu nehmen. Der ältere der beiden Brüder Bohner, Pankraz, von banger Ahnung ergriffen, konnte sich nur schwer von seinem lieben jungen Weibe, einer kaum genesenen Wöchnerin, trennen. Unbewusst mochte er fühlen, dass das der letzte Abschied sei. Fräulein Hepp dagegen, mit unerklärlicher Hast zur Reise drängend, musste als Werkzeug zur Vollziehung des Schicksals dienen. So wurde am folgenden Morgen bei immer noch anhaltendem Regen der Gang angetreten, der sie so bald in den Tod führen sollte. Obwohl der Weg, den die Gesellschaft beim Eintritt aus dem Fläscherthal in den Falknis einschlug, nicht der gewöhnliche ist, der nach Guscha führt, so ist derselbe, für Kundige wenigstens, gefahrlos. Gerade rechts, wo man von der zweiten kleinen Spitze des Gyr in die obersten Guschner Mähder eintritt, sind die Unglücklichen noch etwa einen Schuss weit vorwärts gegangen. Der ältere Bohner und Adolf Ranalder aus Chur hatten sich vorn und hinten ans Seil gebunden, und Fräulein Hepp ging nicht ans Seil gebunden in der Mitte. Etwa 200 Meter ob dem verhängnisvollen Felsband muss Fräulein Hepp ausgeglitscht und die zwei wackern Männer ihr beigesprungen sein. Bei diesem Rettungswerke sind sie mit ihrer Begleiterin, eines das andere fortreissend, über den senkrechten Felsen hinunter zu Tode gefallen. Es ist mit ziemlicher Gewissheit anzunehmen, dass das Zusammenbinden die Hauptschuld am gemeinsamen Unglücke war. Bald brachten die zwei Übriggebliebenen, August Siegert aus Deutschland und Andreas Bohner von hier, die nicht angebunden gewesen und dem gleichen Schicksal mit genauer Not entkommen waren, die Nachricht von dem Vorgefallenen nach Maienfeld, wo sich alsbald drei Männer, Tobias Muzner, J. Peter de J. P. und J. Peter de Fort. Enderlin aufmachten, um in Gemeinschaft mit den noch auf Guscha wohnenden Brüdern Florian, Christian und Andreas Jost die Verunglückten den Hinterbliebenen zu bringen. Erst bei einbrechender Nacht gelangten sie an die Stelle, wo die Leichen lagen. Für diesen Abend war nichts anderes zu machen, als die Verunglückten in eine ordentliche Lage zu bringen und sie den kaum begonnenen Schlaf auf den kühlen Bergeshöhen fortsetzen zu lassen. Dann kehrten sie in die Guschner Alp zurück. Bei Anbruch des folgenden Tages wanderten die mutigen Männer wieder nach der Unglücksstätte, um von hier die Leichen unter unsäglichen Beschwerden und grosser Lebensgefahr nach dem sogenannten Säss zu tragen, von wo sie auf Schlitten bis in die Laubdohle, von da aber mit Wagen nach Maienfeld gebracht und hier den ihrigen übergeben wurden. Wer hier die drei Leichen, nachdem sie gereinigt und ihre Wunden verbunden worden waren, so still nebeneinander liegen sah, musste tief gerührt und ergriffen deutlich sehen, dass der Tod zu früh geerntet, dass er Blüten geknickt hatte. So wie sie hier in stiller Kammer ruhten, ruhen sie bei einander im kühlen, gemeinsamen Grabe, bis der Allmächtige sie auferwecken wird. Gebe ihnen der himmliche Vater alsdann eine fröhliche Auferstehung! – Die Spur seines verunglückten Herrn verfolgend, ist das kleine, hübsche Hündchen Bohners am gleichen Orte heruntergefallen, und so das Opfer seiner Treue und Anhänglichkeit geworden. –

Wenn wir die verschiedenen Wege, die auf den Falknis führen, nach ihrer Länge, Bequemlichkeit und andern Rücksichten vergleichen, so kommen wir zum Resultat, dass der Weg von Seewis über Stürvis und das Fläscherthäli unstreitig für diejenigen der bequemste ist, welche grosse Steigungen fürchten. In zirka sechs Stunden kann der Berg auf diesem Wege erreicht werden, die Höhendifferenz von 1600 Meter verteilt sich auf eine ordentlich lange Strecke. Interessanter sind alle Wege, welche von Maienfeld ausgehen, aber auch steiler, weil Maienfeld hart am Fusse des Falknis und zudem weniger hoch als Seewis liegt. Über die Entfernungen und die Gangbarkeit der Wege mögen folgende Angaben Enderlins erwünschte Auskunft geben:

Der Weg von Maienfeld über Guscha, von da bis zum Guschasattel oder Mazoragrat wieder zwei Stunden, von hier bis zum Falknisgrat ob dem Gyr zirka eine Stunde, wieder von da durch die ganze Breite des Falknis ob den Thürmen bis zum Schäferhüttli oder Fläscherfürkli abermals wohl eine Stunde, und dann noch die letzte Station bis auf die Spitze eine Stunde, zusammen also sieben Stunden. Dieser Weg lässt sich für sichere Bergsteiger etwas abkürzen: Man kann nämlich vom Mazoragrat (Punkt 2150), wo sich der Berg von Triesen über Lavena und derjenige von Guscha treffen, entweder links durch den sogenannten grünen Gang und von dort direkt auf der Nordseite zum Falknis aufsteigen, oder man geht vom vorgenannten Ort beinahe immer dem Grat nach zur Spitze. Bei diesen beiden Wegen gewinnt man ungefähr eine Stunde, aber alle Wege von dieser Seite, d.h. vom Mazora- oder Guschasattel, sind bei Nacht, bei gefrornem Boden oder gar bei Schnee gefährlich.

Der zweite Weg zum Falknis, der über Kaltbad, Alp Sarina und das Fläscherthäli hinaufführt, nimmt wenigstens sieben Stunden in Anspruch, ist aber für Wegkundige unter allen Umständen ungefährlich. Bis Kaltbad selbst kann man zwischen zwei Routen wählen, der etwas nähern, aber steilern durchs Glecktobel und derjenigen über Jenins.

Den dritten Weg, direkt „durch den Falknis“ über Bargün haben wir ausführlich beschrieben. Er wird erst seit einigen Jahren benützt, soll nun aber bis zum nächsten Frühling so hergestellt werden, dass er auch von grössern Gesellschaften leicht und ohne Gefahr passiert werden kann. Zu diesem Aufstieg werden gewöhnlich nur fünf Stunden gebraucht.

Unterkunft findet man in der Guschaalp, in Kaltbad oder Sarina, und wenn es sein muss, auch in den Bargün.

Wer möglichst wenig Zeit für die Besteigung verwenden will, wird den Aufstieg über Bargün, den Abstieg durchs Glecktobel wählen.

Weitaus am interessantesten scheint mir der weg über Guscha zu sein, da er die grösste Abwechslung bietet. Aber von reizender Schönheit ist auch das Fläscherthäli mit seinen drei lieblichen Seen, und der Abstieg über Jenins dürfte vermöge der prächtigen Aussicht in Thal und Gebirge an schönen Abenden besonders zu empfehlen sein. Ich unterlasse es, die landschaftliche Schönheit der Routen genauer zu skizzieren, da der Leser nach unsern Ausführungen genugsam orientiert ist. Jeder Weg hat etwas Eigenartiges an sich, das dem Wanderer eine Fülle des Genusses bieten wird. So möge denn der Falknis, dieser westliche Eckpfeiler des Rhätikon, in Zukunft die Beachtung finden, die er vermöge der Aussicht und der an Abwechslung reichen Wege verdient.

(E. Walder: Aus den Bergen. Wanderungen durch Graubünden und Tirol. Zürich 1896)