Damentour auf die Tanzböden

Sektion Toggenburg. Ein grosses Ereignis drückt Ihrem gelegentlichen Berichterstatter die Feder in die Hand: Unsere erste Sektionstour mit Damen.

Ziel: Tanzboden, 1445m am Fusse des Speer. Neun Männlein und acht Weiblein folgten unserm Rufe.

Für die verwöhnten Leser der Alpina biete der Aufstieg keinen Anlass zur Schilderung. Wie dankbar werden die noch nicht sehr zahlreichen Kinder der lieblichen Flora von uns grossen Kindern gepflückt! Der Frühlings-Enzian, die entzückende Gentiana acaulis, die graziösen Glöcklein der Soldanella alpina. Und was noch nicht blüht, nehmen wir als Knospe, und ganze Büschel von Alpenrosen werden unsere Beute.

Nach dreistündigem bequemem Marsche sind wir oben. Aussicht ungünstig. So kommt doch keiner in Verlegenheit bei wissbegierigen Begleiterinnen. Nach langem Suchen, das unserer Proviantkolonne die Galle erregt, lagern wir uns in einem windgeschützten Amphitheäterchen, vor uns die breite Pyramide des Speer, flankiert von Glärnisch, zu Füssen seitab den obern Zürichsee. Es beginnt ein lebhafter Tauschhandel in Mundvorräten. Schnell fliehen die Stunden mit Murmeltier, photographischen Aufnahmen, Schneeballenschlacht und andern Produktionen. Es kommt uns Zuzug aus Lichtensteig, gerade recht, um mit uns aufzubrechen.

Rasch geht’s thalwärts, wartet unser ja der zweite Tanzboden, der seines Namens eher würdig ist. Dort hören wir auch ein schönes Lied mit der gesunden Moral, ein Clubist solle sich unterwegs nicht verlieben. Nur schade, dass sie erst jetzt kommt; denn wer hätte nicht Feuer gefangen! Wir Bergsteiger haben ja ein empfängliches Herz für Naturschönheiten, und dazu werden auch unsere anmutigen Clubistinnen gehören, die wir diesen Sommer noch auf den Säntis zu geleiten hoffen.

Die Poesie der nun folgenden Nachtwanderung findet Ausdruck im Gesang. Bruchstücke von Liedern in fremden Zungen schweben auf unsern Lippen, getragen von der Erinnerung an entflohene Stunden und verweht vom Abendhauch …

(Quelle: Alpina 1896)

Die Geschichte der Tamina-Bäder

Um 1038 ist die Quelle entdeckt worden, nach der Sage von einem Jäger des Gotteshauses Carl von Hohenbalken welcher als er junge Raben ausnehmen wollte, des aufsteigenden Dampfes aus verborgenem Felsschlunde gewahr wurde, darauf an Stricken sich hinabliess, und das warme Wasser wunderbar aus Felsenritzen hervorquellen sah. Ausser dem werden noch zwei andere Klosterjäger Vils und Thouli von Vilters als Entdecker angegeben. Auch über die Zeit der Entdeckung gehen die Chroniken nicht einig; die Einen setzen sie in das Jahr 1038, andere wie Tschudi, Guler und Sprecher in das Jahr 1240 oder 1242. Für erstere Angabe sprechen aber nebst der mündlichen Überlieferung besonders der gelehrte Meister Hämmerlin (Felix Malleolus) in einem handschriftlichen Nachlasse, das die Quelle früher entdeckt, nach 200 Jahren wieder gefunden, und erst dann in Gebrauch gezogen worden sei, was auch Bucelin in seiner „Rhaetia sacra et profrana“ Ulm 1666 bestätigt. Es mag demnach wohl jeder der genannten Jäger bei der Auffindung dieses unterirdischen Schatzes seinen Antheil gehabt haben, sei es das letztere bei der Ausmittelung dieses Fundes des erstern Gehülfen gewesen, oder dass sie bei der Wiederauffindung der Quelle betheiligt waren. Denn ein Zweig der Carl, auch Carlett genannt, Vasallen des Klosters und fürstliche Jäger, wohnte in Valens, und der letzte desselben, Bartholomäus Carlett, den 12. Juni 1617 in Valens gestorben, rühmte sich, dass seine Vorfahren das Bad entdeckt haben. Vils und Thouli waren ebenfalls Dienstleute des Klosters, und dass sie sich um das Bad verdient gemacht, beweist, dass diese Geschlechter von Vilters allein badfrei gehalten wurden.

Immerhin ist die warme Quelle erst unter den Fürstabt Hugo II. von Villingen um 1242 als Bad in Anwendung gekommen; aber noch mühselig genug, indem wohl eine Gelegenheit und eine Obdach zum Baden vorhanden gewesen sein mag, aber noch kein Haus, und man mehrere Tage im Bade zu sitzen, darin zu essen und zu schlafen pflegte, weil der Zugang so äusserst schauderhaft und gefährlich war. Abt Johann II. Mendelbüren scheint zuerst in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, den kühnen Bau eines Badhauses vollführt zu haben, das mitten über der Tamina auf hölzernen Tragbalken ruhte, die auf beiden Seiten in die Felsenwände eingesenkt und befestigt wurden, wo der Heilquell unmittelbar dem lebenden Felsen entfliesst. Hat wohl je eine menschliche Wohnung über einen so schrecklichen Abgrunde geschwebt? Mitten zwischen zwei zerrissenen Felsenwänden, über hundert Fuss hoch, am weitesten nicht fünfzig Schritte von einander getrennt, tobt unter den Füssen ein wüthender Strom, über dem Haupte drohen Felsenblöcke und herüberhangende Waldbäume, nach Süden und Norden die gräulichen Wände noch geschlossener, so dass kaum eine Spanne des Himmels sichtbar, und die Sonne am hohen Mittag kärglich wenige Strahlen sendet! Der Zugang allein war schon abschreckend, da man theils an hängenden Leitern, theils an Stricken und den der mit Schwindel behaftet war, mit verbundenen Augen an einem Sessel befestigt hinablassen musste. Wahrlich einen kräftigern Beweis von der ausgezeichneten Heilkraft der Quelle kann es wohl nicht geben, als dass sie ungeachtet aller dieser Hindernisse in der Nähe und Ferne in immer grössern Ruf kam.

Nach einer Urkunde von 1382 hat derselbe Abt das Bad den Brüdern Joh. und Walter Camaurizi in Valens auf zehn Jahre zu Lehen gegeben für den jährlichen halben Zins von 6 fl. der fernern Bedingung noch Einiges an Gebäuden auszuführen und die Personen des Klosters unentgeltlich aufzunehmen. Bei stärkerm Andrang der Gäste entstanden theils von den Pächtern, theils von Privaten einige kleine Häuser im Badtobel am Wege nach Valens. Ein anderer Grund, warum ausser der schwierigen Lokalität nicht mehr für zweckmässige Einrichtung des Bades geschehen, wird aus dem fortwährenden Zwist mit dem Schirmvögten hergeleitet, die auch am Bade ihre Rechte behaupteten und seit 1330 den halben Zins bezogen haben, bis 1396 Graf Johann von Werdenberg bei erfolgtem Auskauf der Advocatie auch seine Ansprüche am Bade zu seinem und seiner Voreltern und Nachkommen Seelenheil in einer eigenen Urkunde abtrat.

Nach diesem baute Abt Werner IV. von Reitnau im Jahr 1420 ein neues Badhaus, liess den Weg etwas zugänglicher machen und löste nach und nach die gegebenen Badlehen wieder ein. 1429 wurde es von Joh. Andreas in Ragaz zurückgezogen, 1472 wiederholt Graf Jörg von Werdenberg, Herr zu Sargans und Ortenstein, wörtlich die obige Abtretung seines Grossvaters; 1482 urkunden die Carletten „vnserm gnedigen Herren Abten zu kofen geben habent vnser aigne Hüser, so wir hand in Pfävers im Tobel, namlich vnd des erstern vnser Hus auf der Brugt, das wir an vnser Aenis des alten Carlis Hus gebuwen habend für vnser recht ledig aigen gut vnd insonder och an demselben vorgenannten vnsers Aenis Hus.“ Ebenso giebt 1491 Matthias Cardell, Kaplan, „sin Hustheil im Bad im Tobel, das unter Hans Mosers Hus überm Bach gät,“ und Mosers Haus wurde 1497 durch Obmannsspruch mit 180 fl. Rheinisch ausgelöst.

Eine bedeutende Verbesserung traf Abt Joh. Jacob Russinger, indem er 1543 mit grossen Kosten eine hölzerne Brücke an der südöstlichen Felswand anbringen liess. Sie ruhte auf acht schuhlangen eichenen und lärchenen Pfählen in die Felsen getrieben, war schwebend an der Felswand bei 140 Fuss über der Tamina, bei dritthalbhundert Fuss lang, für zwei bewaffnete Männer breit, mit einer Geländer versehen, und durch ein Thor verschlossen; dann theilte sie sich in zwei Arme, der eine ging nach der Valenserseite, der andere endete an der Felsentreppe nach der Höhe von Pfäfers. Der Zugang war nun nicht mehr gefährlich, wird aber des Abgrundes wegen, über dem wandelte, als so schauderhaft geschildert, dass Keiner das erstemal ohne Herzklopfen und Zittern im Bade angekommen sei. Der Badgebäude waren um diese Zeit zwei, die nach den zwei Armen des Heilquells fast übereinander gebaut waren, und von einer Felswand zur andern auf Querbalken ruhten; das untere enthielt drei, und das obere fünf Stockwerke mit vielen Zimmern und drei grossen Bädern. In einem ausgehöhlten Felsen zunächst der hölzernen Brücke war eine Kapelle – früher ein Weingewölbe – angebracht mit einem Glöckchen, das dem Abgehenden geläutet wurde, der nicht ohne daselbst Gott gedankt zu haben das Bad verlassen mochte. Ein Wasserfall, in dessen Staube die Mittagssonne einen schönen Regenbogen bildet, war der einzige liebliche Augenreiz, den die alten Sänger der Nymphe nebst der schauerlichen Lage vielfach besungen haben.

Beinahe ein Jahrhundert finden wir keine erheblichen Notizen über das Bad, es wurde vom Kloster vernachlässigt, so wie es selbst seit der Reformation durch meistens schlechte Verwalter wiederholt unter fremde Administration gestellt werden musste. Nachdem die alten auf Querbalken ruhenden Häuser durch den fortwährend auflösenden Thermaldunst baufällig geworden, im Winter 1627 das obere Haus durch abgelöste Eismassen und Felsentrümmer stark beschädigt, das untere Haus am 5. Dezember 1629, als es zur Zeit der Pest auch im Winter bewohnt war, durch Unvorsichtigkeit der Bewohner abbrannte, und die Reste dieser mit vieler Mühe unterhaltenen Gebäude bald nachher durch herabfallende Felsblöcke vollends in die Tamina gestürzt worden; fasste der wackere Prälat Jodocus Höslin den grossen Entschluss, die Quelle an den sichern und geräumigen Ort, wo heute noch die Badgebäude stehen, hinzuleiten, und vollführte denselben eben so schnell mit ungewöhnlichen Kosten. Ein sechzigjähriger Mann, Johann Mader von Pläs aus der Gemeinde Pfäfers, durchsuchte zuerst den Schlund und rieth an den jetzigen Ort das Badhaus zu erbauen, und Johann Risch, damaliger Badmeister, durchwatete 1628 im December, zu welcher Zeit die Tamina am kleinsten ist, mit Lebensgefahr auf Stelzen das gesamte Bett derselben von der Quelle abwärts bis an die Stelle wo der Schlund sich öffnet, 1680 Schritte längs der Tamina. Johann Zeller aus dem Algäu, ein berühmter Baumeister, übernahm für tausend Zürchergulden die gefährliche Wasserleitung von der Quelle bis an den bestimmten Ort zu vollführen. In fünf Monaten waren alle Löcher in die Felsenwand rechts der Tamina getrieben, die hölzernen Kanäle gelegt, und die Brücke vollendet; am Pfingstfest 1630 floss das warme Wasser in den neuen Kanälen in Anwesenheit einer grossen Volksmenge unter Anstimmung der Worte des Palmisten: „Flavit spiritus sanctus et fluerunt acquae.“ – Schnell wurde nun auf dem verebneten Platze ein grosses Gebäude aufgeführt und in zwei Abtheilungen, wovon jede fünfzig Zimmer und siebenzig Betten enthielt, das ganze Badgewölbe sehr geräumig und in mehrere gemeinsame Bäder geschieden und von zwei Wirthen besorgt. Jodocus gab dem Bade noch Gesetze und ein während der Badezeit hier wohnender Arzt leitete von nun an die Curen.

Unter dem verschwenderischen Abt Justus Zink von Flums wurde das Bad, nachdem es von 1658 bis 1661 jährliche reine Einnahme 1404 fl. 24 kr. ergeben hatte, 1662 auf drei Jahre an die Gebrüder Heinrich und Johann Good in Mels in Pacht gegeben, für den jährlichen Zins von 1800 fl. und den Bedingungen, dass die Klosterleute badfrei gehalten und Wein und Wildpret vom Kloster bezogen werden.

Den 11. März 1680 stürzten nach anhaltenden Thauwetter schon länger drohende Felsenstücke mit grossen Eis- und Schneemassen über die Quelle und verschütteten dieselbe der Art, dass auch nicht eine Spur des Thermalwassers mehr zu finden war. Im Convent zu Pfäfers wurde ernstliche Berathung gepflogen, ob man die Quelle wieder hervorsuchen oder den ungeheuren Schutt preisgeben wolle; die Sache wurde zum Besten der leidenden Menschheit entschieden. Gegen Ende desselben Monats arbeiteten so viele Männer im Tobel als Raum für sie war, die grossen Felsblöcke zu sprengen und den Schutt wegzuräumen. Am ersten Mai Abends fanden sie noch ganz unerwartet die Quelle, die dann durch den noch bestehenden in Felsen gehauenen Behälter gesichert wurde. – Eine nicht minder wichtige Berathung hatte 1700 statt. Als nemlich Jodocus Gebäude nicht mehr gross genug, unter der früheren Verwaltung in Abgang gekommen und neu erstellt werden sollten, erhob sich die Ansicht im Kloster, die Quelle weiter hinaus zu leiten an den Schwattenfall, die Hälfte Weges zwischen Bad Pfäfers und Ragaz und daselbst die neuen Gebäude auszuführen. Capitular Joseph Zumbrunnen verfocht mit Wärme diesen Plan wie ihn schon vor Jahren die Badeärzte Zimmermann und Reydt empfohlen hatten. Diese Idee drang aber nicht durch, die grössere Verwirklichung sollte einer spätern Zeit vorbehalten sein. Dafür legte Abt Bonifacius I. Tschupp 1704 den Grund zu den noch dauerhaft dastehenden Badgebäuden, die, wenn auch in klösterlichem Stil, doch so ausgeführt worden, wie aus damaliger Zeit wenige Badanstalten Grösseres aufzuweisen haben.

Wie man häufig nach grossen Anstrengungen die Hände in den Schooss legt, nur zu leicht nach einer grossen Anlage vergisst, das Werk zu unterhalten und fortzuführen, so wurde auch für das Bad, nachdem dessen Nachfolger Bonifacius II. zur Gilgen 1716 den Bau vollendet, ein volles Jahrhundert wieder wenig geleistet. Bonifacius III. Pfister von Tuggen liess zur Sicherung der Wasserleitung den Gang zur Quelle tiefer in den Felsen einsprengen, und im grossen Badhaus den Saal aufführen, damals zum Gottesdienst der Reformirten bestimmt. Die angehäufte Casse des Abtes Benedict Borler, der nur zu sammeln wusste, hatte die Revolutionszeit geleert, während welcher das Bad durch die Nationalverwaltung ein Jahr für 300 fl. verpachtet wurde. Wenn auch unser Bad im vorigen Jahrhundert das Loos vieler ähnlichen Anstalten theilte, so blieb es im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts um so auffallender zurück, als man anderwärts den Anforderungen der neuern Zeit zu entsprechen suchte und hier so viel wie nichts geschah, bis der letzte Abt des Klosters sich wieder durch vorzügliche Leistungen in der Badanstalt rühmlich auszeichnete und sich würdig an die ersten Beförderer der Anstalt, an Johann von Mendelbüren, Jodocus Höslin und Bonifacius Tschupp anreiht.

Abt Placidus Pfister verwendete während seines neunzehnjährigen Vorstandes jährlich einen bedeutenden Theil seiner Einnahmen zur Wiederherstellung und Verbesserung der Badanstalt. 1819 wurde bei drohendem Mangel an Thermalwasser an der Quelle ein Pumpwerk errichtet, wodurch die untere nicht benutzte Quelle der obern in Zeiten des Bedürfnisses zugeführt werden konnte, was inzwischen nie nöthig geworden ist. Jährlich ward eine Summe für Bettzeug und Mobiliar verwendet und noch bedarf es derselben bedeutend um die immer höher gestellten Ansprüche der heutigen Bedürfnisse zu befriedigen. 1821 wurde die gegenwärtige Armenanstalt gegründet. In einer Reihe von Jahren wurden im Innern der Gebäude solche Veränderungen und Erweiterungen vorgenommen, dass man sie nicht mehr für dieselben erkennen würde, sie haben eine ganz andere Gestalt gewonnen; beide Häuser wurden um ein Stockwerk erhöht, dadurch um 46 Zimmer vermehrt; zudem wurden im grossen Hause vermittelst Versetzung des Ganges im fünften Stockwerk 9, und im kleinen Haus im vierten und fünften Stockwerk durch Versetzung der Gänge in die Mitte 16 Zimmer gewonnen. Zwischen beiden Häusern wurde ein neues Gebäude aufgeführt mit 6 Separatbädern, einer Wirthsstube und 4 Zimmern. Ferner wurde ein Douchebad errichtet, der geräumige Trinksaal und Speisesaal ganz neu erbaut, vor dem Hause die grossen Terrassen erstellt. In den letzten Jahren des Klosters war lebhaft die Anlegung eines bessern Weges entweder über das Kloster oder längs der Tamina nach Ragaz besprochen und bereits wurden Pläne und Voranschläge von Ingenieurs aufgenommen. Unter der weltlichen Verwaltung verlangte der katholische Administrationsrath ein Gutachten durch den Administrator und Badbeamte über zeit- und zweckmässigere Bad- und Wirthschaftseinrichtung, das insbesondere den Antrag auf Erbauung einer Strasse längs der Tamina nach Ragaz stellte, bei welchem Anlasse auch die Herausleitung der Quelle nach Ragaz berathen, aber bei den gegebenen Verhältnissen noch nicht zulässig erachtet wurde. Die Ausführung verzögerte sich bei bevorstehender Auflösung des Klosters, und mit dem Grund, denn auch bei aller Anerkennung was das Kloster je zuweilen Grosses für das Bad gethan – die grossartige Ausführung dieses Planes, wie wir gleich sehen werden, wäre nicht im Bereiche der Klosterverhältnisse gelegen.

Durch die Säcularisation des Klosters am 20. Februar 1838 wurde die Heilquelle als unveräusserliches Staatsgut erklärt, und der Ertrag, nächst der Unterhaltung und Aeufnung der Anstalt, zu milden und frommen Zwecken, vorzugsweise für Bildungsanstalten bestimmt. Am Schlusse der Saison 1838 hat eine von der Regierung ernannte Badcommission unter Vorsitz des Landammann Näff in sanitarischer, technischer und wirthschaftlicher Beziehung die bestmögliche Benutzung der Heilquelle an Ort und Stelle in allseitige Berathung gezogen, sie hat, zunächst auf die Wahrscheinlichkeitsberechnung hin: dass die Quelle bei ihrem Ursprung eine Temperatur von + 29 ¾ ° R., nach fast viertelstündiger Leitung auf dem Trinksaal noch + 29 ½ ° R. habe, und in Vergleichung einer ähnlichen Wasserleitung von Gastein nach Hof Gastein, wo das Thermalwasser bei einer Temperatur von + 36 ° R. auf einer Strecke Weges von 2 ¼ Stunden durchschnittlich drei bis vier Grade verliere, also das Pfäferswasser durch eine ¾stündige Leitung, auch mit Verlust von 1 ½ – 2 Graden, noch immer mit einer Temperatur von + 27 bis + 28 ° R. in Ragaz fliessen würde – den folgereichen Antrag gestellt, Thermalwasser nach Hof Ragaz zu leiten und daselbst eine neue Anstalt zu gründen. Zu diesem Zwecke und zur Förderung beider Anstalten sollte vorher von Ragaz bis ins Bad Pfäfers längs der Tamina ein Fahrweg erstellt werden, sowohl zum bessern Zugang in das Bad Pfäfers als Behufs der Herausleitung des Thermalwassers nach Ragaz. Beide Pläne sollten beförderlich, und zwar die Kunststrasse bis Frühling 1839 und die Wasserleitung bis Frühling 1840 ausgeführt und damit zugleich die weitern erforderlichen Einrichtungen getroffen werden, und zwar zu Pfäfers: eine Terrasse beim neuen Eingang und entsprechende Empfangszimmer, ferner Erweiterung der Wirthsstube für die zweite Tafel, fünf neue Bäder, sechs Gastzimmer mit entsprechendem Mobiliar u.s.w. – zu Hof Ragaz soll das neue Statthaltereigebäude zu einem Gasthaus umgeschaffen und vorläufig mit sechs Bädern versehen werden. Endlich wurde, zumal bei vorhabendem Bau, die Selbstverwaltung beider Anstalten durch den Staat der Verpachtung vorgezogen und beantragt.

Auf den einlässlichen Bericht des Kleinen Rathes genehmigte der Grosse Rath in der Novembersitzung diese Anträge. Im Winter 1838/39 wurde durch Ingenieur Adolph Näff auf überraschende Weise die ebenso bequeme als an Gebirgsscenen interessante Kunststrasse erbaut und im Sommer 1839 kam man zu Fuss oder in kleinen Chaischen auf den 7/8 Stund langen Weg längs der Tamina nach dem Bade, wo man bisher nur auf einem zwei Stunden weiten mühsamen Bergpfade über Valens oder über die Felsentreppe von Pfäfers dahin gelangen konnte. Ebenso eifrig wurde im folgenden Winter durch den Strasseninspektor Hartmann die Wasserleitung mittelst hölzerner Deuchel längs dem neuen Fahrwege nach Hof Ragaz vollführt. Am 31. Mai 1840 wurde die neue Badanstalt in Hof Ragaz feierlich eröffnet. Nicht nur aus der Umgegend, auch aus den benachbarten Kantonen oder weiter strömten Volksschaaren und Freunde des seltenen Festes herbei. Unter Glockengeläut und Freudenschüssen wurde das Hervorsprudeln der warmen Quelle auf offenem Platze vor dem Gasthof begrüsst. Mehre Festreden feierten an gleicher Stelle die hohe Bedeutung des Tages. Nach gemeinschaftlichem Mittagsmahl und schon früher begann die Wanderung auf dem neuen Badweg neben der Wasserleitung nach dem Bade und dem Gang zur Quelle, wo die Marmorgrotte mit bengalischem Feuer schauerlich schön beleuchtet war. Das frohe Volksfest schloss den Abend mit Feuerwerk in Ragaz, Beleuchtung der Burgruinen Wartenstein und Freudenberg, Freudenfeuer auf dem Pizalon, dem Gonzen und am Falknis. Am folgenden Tag gaben Experten den amtlichen Bericht: Die Temperatur, bei + 13 ° R. der Atmosphäre an der Hauptquelle + 29 ¾ ° R., an der untern Quelle + 30 ¼ ° R., auf dem Trinksaal in Pfäfers + 29 ½ ° R., in Hof Ragaz genau + 27 ¾ ° R.

Bei einer noch vollkommnern Wasserleitung und der projektirten Zuführung der untern Quelle kann man die Temperatur des Wassers + 28 ° R. in Ragaz als stationär annehmen. Die Geschwindigkeit womit das Wasser von der Quelle bis ins Bad Pfäfers in einer Strecke von 1506 Fuss bei 18 Fuss Fall fliesst, giebt nach einem Versuch mit Kohle ein Zeitmass von 6 ¾ Minuten, vom Bade Pfäfers bis Hof Ragaz, eine Strecke von 12506 Fuss bei einem Gefälle von 544 Fuss nach einem Versuch mit gepulvertem Sandelholz, 43 Minuten. Die Quantität des Thermalwassers liefert aus der Hauptquelle in einer Minute 1425 neue Schweizermass, davon fliessen 855 in die Bäder von Pfäfers, 570 Mass nach Hof Ragaz; zudem fliessen 373 Mass der untern Quelle noch unbenützt in die Tamina.

Die neue Schöpfung ist somit über Erwartung gelungen; die junge Anstalt in Ragaz wird zu einem schönen grossartigen Curort erblühen! Es mag nun in Erfüllung gehen, was der alte Felix Hämmerlin vor mehr als 400 Jahren prophetisch ausgesprochen: wenn die Quelle in der weiten Ebene fliessen würde, zweitausend Menschen zumal baden könnten.

… So wie man um den Bogen herum, bei der letzten Ruhebank angelangt ist, stellen sich die Badhäuser dem neugierigen Blicke in eigenthümlicher pittoresker Lage dar. Östlich erhebt sich die Felswand scheinbar senkrecht, doch ziemlich zurückgezogen, in einer Höhe von 607 4/10 frz. Fuss vom Flussbett bis zum Krahn, einem auf den Felsen vorstehenden Hüttchen, von wo früher die Viktualien und andere Transportmittel an einem Flaschenzug in die Badgebäude herabgelassen wurden. …

(Quelle: Die Heilquelle zu Pfäfers und Hof Ragaz sammt Umgebungen
Dr. A. Kaiser, Verlag von Scheitlin und Zollikofer 1843)

Die Pfäfers-Kur für arme Menschen

… In dieser Oeffnung ruhen auf Felsen bei 30 Fuss über der Tamina, massiv von Steinen ausgeführt in südwestlicher Richtung das grosse Haus, die Capelle sammt Mittelgebäude, das kleine Haus und der Trinksaal in einer Länge von 486 Fuss und bei 80‘ hoch. Das grosse Haus hat sechs Stockwerke, im Erdgeschoss Remise, Bäder und Keller; im zweiten Stock, Kellergang, sind eine Reihe Zimmer; im dritten, Küchengang, beim Eingang des Hauses ein langer gewölbter Corridor, Empfang- und Billardzimmer, das Büreau des Directors, der 72 Fuss lange Speisesaal und die Küchen; im vierten, Krämergang, ebenfalls ein grosser Gang mit Krämerbuden, dem Conversations- und einer Reihe andrer Zimmer; im fünften und sechsten, zwei Reihen Gastzimmer. Bereits in der Mitte des grossen Hauses, an der Terrasse gegen Valens ist ein Zugebäude, Anstoss genannt, das jedem Stockwerk entsprechend ein geräumiges Zimmer und Nebenzimmer enthält. Zwischen beiden Häusern befinden sich einerseits die Capelle, die Durchgänge in das kleine Haus, und anderseits die Wirthsstube und der zweite Speisesaal, und denen Separatbäder angebracht sind. Das kleine Haus hat im Erdgeschoss grosse Badgewölbe, im zweiten Stock, Badgang, eine Reihe meist der Armenanstalt bestimmter Zimmer; im dritten, Capellgang, sowie im vierten und fünften Stock sind nach beiden Seiten Zimmer, und unter den Firsten zwei grosse Bettkammern; in beiden Häusern zusammen 140 Gastzimmer. An das kleine Haus stösst der Trinksaal von 60‘ Länge, 44‘ Breite und 20‘ Höhe, nebenan und noch tiefer liegen die Douchebäder. …

(Quelle: Die Heilquelle zu Pfäfers und Hof Ragaz sammt Umgebungen
Dr. A. Kaiser, Verlag von Scheitlin und Zollikofer 1843)

Wie das Wasser der Tamina verwendet wurde

Am Morgen um 6 Uhr finden sich die Curanten mit dem Becher in der Hand im Trinksaal, wo bei Gespräch und Bekanntschaftmachen die Zeit verstreicht bis jeder seine Zahl Gläser getrunken hat. Wem es um diese Zeit – ein bunter Anblick von Gestalten – durch das Hin- und Herspazieren im Gedränge schwindlig wird, was bei zarten Personen auch das Wasser zu bewirken vermag, der trinkt seine Gläser lieber früher, und fängt um 5 Uhr an, oder kommt erst gegen 7 Uhr, oder spaziert auch wohl zwischen den zu trinkenden Gläsern auf dem geräumigen Gängen umher. Eine Stunde nach dem letzten Glas wird gefrühstückt. Darauf trachtet jeder der nicht schon vor dem Wassertrinken gebadet hat, einzeln oder in bekannter Gesellschaft den Vormittag ins Bad zu kommen, wo, besondere Fälle ausgenommen, gewöhnlich eine Stunde verweilt, nach dem man sich ins Bett legt um vollends trocken zu werden. Um 12 Uhr wird mit der Glocke das Zeichen zur ersten und 12 ½ zur zweiten Tafel gegeben. Den Nachmittag verwendet man bei schönem Wetter zu Ausflügen, bei ungünstiger Witterung vereinigen sich muntere Parthien zu fröhlichen Gesellschaftsspielen im Damenzimmer u.s.w. Um 7 ½ Uhr wird nach der Karte gespeist. Während der hohen Saison ist bisweilen des Abends abwechselnd im ersten oder zweiten Speisesaal Tanzmusik. In der Regel pflegt man zeitlich der Ruhe, um des Morgens desto früher im Trinksaal zu erscheinen.

Ueber die verschiedenen Anwendungen, siehe PDF

(Quelle: Die Heilquelle zu Pfäfers und Hof Ragaz sammt Umgebungen
Dr. A. Kaiser, Verlag von Scheitlin und Zollikofer 1843)

Über die Diät während der Kur in Pfäfers

Ueber die Diät während der Cur war früher in Pfäfers Weniges zu sagen, weil nichts Curwidriges bereitet werden durfte. Mit der neuen Ordnung der Dinge ist auch der Tafelgast mündig erklärt. Umso mehr bedarf es der allgemeinen Regeln, damit Jeder das ihn Betreffende beachten möge.

Zum Frühstück ist der Kaffee mit einem leicht verdaulichen Weissbrode in der Regel umso rathsamer als das Wassertrinken Vielen den Kopf einnimmt, der Kaffee ihn wieder erheitert und das Wasser leichter passiren macht. Wer ihn nicht wohl verträgt, nimmt einen leichten Bouillon, oder eine Suppe von Haber- oder Gerstenschleim, auch reinen Cacao. Ein kräftiges Frühstück wie gewürzte Chocolade, Thee mit Butterbrod und andere Zuthaten belästigt zu sehr den Magen, stört die Verdauung des Wassers und hindert den Gebrauch des Wassers.

Das Hauptessen ist das Mittagsmahl; es sei mässig, nahrhaft, aber leicht verdaulich, daher die einfachsten Speisen den Vorzug verdienen. Gute, nicht zu fette und zu sehr gewürzte Fleischbrühe, frisches, mürbegekochtes oder gebratenes Rind-, Kalb- auch Schaffleisch, Geflügel, Wildpret, und von Fischen Forellen oder Hecht ohne viele künstlichen Brühen (Saucen); dazu frische, zarte Gemüse: Spinat, Mangold, Carviol, Kohl, Schotenerbsen, Scorzoneren, gedörrtes Obst, auch frisches als Compots von Zwetschgen, frischen Kirschen. Mehl-, Eier-, Milchspeisen sind nur sparsam zu geniessen; Kuchen, Pasteten, Torten, Confitüren, Käse und frisches Obst noch weniger und nur guten Verdauungsorganen zu gestatten. Dagegen sind geräuchertes Fleisch, Enten, Gänse und Schweinebraten, sowie alle sauern und zur Gärung geneigten Speisen, Salat, rohes Obst und u. dgl. schlechtweg curwidrig und bei sorgfältigen Curanten längst verpönt.

Zum Getränk ist ein milder Wein ohne Säure zu empfehlen, dazu eignet sich auch der hiesige Landwein, von guten Jahrgängen, Veltliner, Burgunder; von weissen Wein abgelegener ächter Markgräfler, Rheinwein u.s.w. Die Wahl wird Gewohnheit und besondrer Krankheitszustand wenn solcher den Wein überhaupt gestattet, am besten bestimmen. – Das Nachtessen bestehe in einer Suppe und Zuspeise und nicht zu spät, damit die Nachtruhe nicht gestört und der Magen in der Frühe zum Wassertrinken wohl empfänglich sei.

Aber nicht allein die ängstliche Wahl in Speise und Trank, auch die Menge derselben ist von nicht geringer Bedeutung. Mässigkeit heisst die goldene Regel, sie ist eine der Hauptbedingungen einer guten Cur. Dieser Grundsatz verdient umso mehr Berücksichtigung in vielen Ständen unsrer luxuriösen Zeit, als bei einer mehrsitzenden Lebensweise und verhältnissmässig weniger Arbeit in freier Luft, die Quelle so mancherlei Unterleibsbeschwerden zu suchen ist. Durch gute Kost und wenig Bewegung wird die Verdauung gestört, werden die Säfte dick, der Umlauf des Blutes gehemmt und erzeugen die krampfhaften Beschwerden, Spannungen und Stockungen im Unterleib – Verstimmung an Leib und Seele.

(Quelle: Die Heilquelle zu Pfäfers und Hof Ragaz sammt Umgebungen
Dr. A. Kaiser, Verlag von Scheitlin und Zollikofer 1843)

Besonders angenehm ist der Ueberfluss an Wasser

Das Badehaus liegt hart am Eingang der spaltenartigen Schlucht, in welcher die Quelle entspringt und aus der die Tamina tobend hervorbricht, hart an die Felsen angelehnt, welche hier eine Höhe von etwa 300 Par. Fuss haben. Auf beiden Seiten des Flusses steigen sie senkrecht auf, dann aber folgt auf der linken Seite eine mit schönem Buchenwald bedeckte Halde, in welcher gut angebrachte Wege schöne Spaziergänge bieten und auf die Terrasse von Valens führen. Das Haus ist alterthümlich gebaut, aber bequem, und wenn auch die etwas düstere Umgebung, die nah herantretenden Felsenwände, das Brausen des Stromes und der enge Kreis, auf welchen das Leben dort beschränkt scheint, für Manche etwas Unheimliches haben, so findet man doch in der Regel, dass die Badegäste den Ort lieb gewinnen. Gerade diese Umstände nöthigen, sich enger aneinander anzuschliessen und es herrscht unter den Badegästen bald ein freundschaftlicher Ton, der sich auch auf die erstreckt, welche aus andern Gründen den Ort zufällig besuchen. Für den wirklich Kranken ist die stille Umgebung angenehmer als ein geräuschvolles Luxusbad, die Genesung oder wenigstens Erleichterung, die bei der anerkannten Heilkraft der Quelle den Meisten zu Theil wird, muss natürlich auch eine dankbare Erinnerung erwecken. Auch für die Armen ist gesorgt, und so bildet die kleine Welt, in welche man hier während der Kurzeit eingeschlossen ist, einen traulichen Kreis, den die Meisten ungern verlassen. So wurde mir wenigstens von Vielen gesagt.

Die Bäder sind gut eingerichtet und besonders angenehm ist der Ueberfluss an Wasser, das nicht erst erwärmt zu werden braucht, um gerade die dem Körper am besten zusagende Wärme zu haben (29 ½ °R.), also ungefähr Blutwärme.

Zur Quelle gelangt man jetzt auf die bequemste Weise, während in früheren Zeiten der Zugang sehr mühsam, wo nicht gefährlich war. Aus der alterthümlichen aber schönen Trinkhalle tritt man auf die Brücke, welche über die Tamina führt und steht nun unmittelbar vor dem Eingang des finsteren Schlundes. Eine von starken Balken und Brettern erbaute Galerie führt über den überhängenden Felsen durch, die sich beiderseits 200-290’ erheben, während die Kluft im Mittel etwa 30’ breit ist. Oben erscheint dem Wanderer nur ein schmaler Streif des blauen Himmels, das Einzige, was er von der sonnigen Oberwelt gewahr wird, während ihn sonst die Schatten der Tiefe umgeben; an mehreren Stellen verschwindet auch dies; unten braust und schäumt die Tamina über Felsenblöcke hin, bei feuchtem Wetter stürzen die Tagwasser als kleine Cascaden in die Kluft und im Hintergrund ist dann ein grösserer Wasserfall, in dessen Staubmasse die Mittagssonne einige Strahlen wirft und farbige Bilder hervorruft. Ueberhaupt erscheint die Kluft am schauerlichsten, wenn die Sonne hoch steht und einige Streiflichter in das Dunkel wirft, welches dadurch noch finsterer erscheint. Die Luft ist kühl und feucht, durch das Strömen des Wassers wird immer eine gewisse Zugluft erhalten. Es macht diese Umgebung unstreitig auf Jeden einen mächtigen Eindruck, auch wenn er sie nicht zum erstenmale sieht, und begreiflich ist es, dass Fremde, die hier zum erstenmale das Hochgebirg betreten und gleich von einer seiner erhabensten Scenen überrascht werden, davon förmlich überwältigt sind. Man geht auf diese Weise etwa 1500’ fort und bei jedem Schritt gestalten sich andere Bilder des unterirdischen Raums; endlich kommt man zur Quelle. Ihre Fassung, in der Tiefe sehr künstlich angelegt, ist äusserlich sehr einfach, eine kleine Terrasse gestattet freiere Bewegung, auch thun sich oben die Felsen weiter auseinander, man erblickt mehr freien Luftraum und die Zweige der Bäume und Büsche, die über die Kluft hängen; das Sonnenlicht blitzt farbig durch sie hin. Aus der Quelle steigen bei etwas kühlem Wetter starke Dampfwolken aufwärts. Hier ist der Weg abgeschlossen; nur auf weiten Umwegen gelangt man an das andere Ende der Spalte. …

Man war früher der Meinung, die Schlucht der Tamina sei eine mit Geschiebe und Bergschutt gefüllte Spalte, welche in unendliche Tiefe hinabreiche und aus dieser komme die Quelle hervor. Dies ist durch die 1857-58 unter Leitung des Ingenieurs Hefti ausgeführten Arbeiten vollkommen widerlegt und damit eine grosse Besorgniss für die Zukunft beseitigt. Nachdem man etwa 15’ tief den Schutt weggeräumt hatte, fand man das Flussbett, so weit es aufgedeckt wurde, aus glatt ausgewaschenem, wie polirtem Kalkfels bestehend. Die Hauptspalte mit ihren Nebenverzweigungen lief schief durch, sie war an den tiefsten Stellen am engsten und lieferte da einige kleine Fäden Thermalwasser, eine ziemlich starke Quelle auf der linken Seite des Flusses und eine sehr starke, etwas von der Mitte gegen die rechte Seite zu, nicht weit von der früher schon gefassten Hartmannsquelle und der alten Hauptquelle. Die feste Beschaffenheit des Felsbodens machte eine vollständige Fassung möglich, welche ausgeführt wurde, so dass man jetzt die ganze Masse des heissen Wassers in seiner Gewalt hat. Käme die Quelle aus Geschiebe, so hätte sich dies nicht ebenso ausführen lassen. Es ist damit zugleich der Beweis geführt, dass die Taminaschlucht eine durch Auswaschung entstandene ist.

Höchst interessant waren die zur Fassung der Quelle mit grosser Energie und Intelligenz unternommenen Arbeiten. Es war gerade mitten im Winter und die Schlucht hatte ihre winterlichen Verzierungen von grossen hereinhängenden Eiszacken u.s.w angelegt. Der Tamina hatte man, da sie um diese Zeit sehr wenig Wasser hat, ein Bett in einer Bretterleitung über der Quelle weg angewiesen und arbeitete unter demselben ungestört in die Tiefe. Der aufsteigende Dampf des Thermalwassers, die flimmernden Lichter in dem dunklen Raume, die da und dort auftauchenden Gestalten der Arbeiter, das Knarren der Pumpen u.s.w. brachten in diese sonst so stillen Räume ein Bild von Leben und Thätigkeit ganz eigenthümlicher Art und wenn man überhaupt in dieser Schlucht von jeher etwas mit dem Eingang in die Unterwelt Verwandtes gefunden hat, so hatte diese Scene in der That etwas Infernalisches.

Diese Arbeiten wurden später dadurch fortgesetzt, dass auf der rechten Seite ein Stollen in die Felsen getrieben wurde, um die Quellspalte tiefer im Berge zu treffen. Man erreichte sie, nachdem man etwa 80’ im festen Fels vorgegangen war, aber eine neue wunderbare Erscheinung zeigte sich hier. Die Spalte erweiterte sich zu einer nach OSO gestreckten Höhle, welche mit Thermalwasser gefüllt war, und sich in mehrere Seitenräume theilte. Allerlei Stalaktitengebilde hingen von der Decke, mächtige Dampfwolken drangen aus der Kluft hervor und ein Bach von heissem Wasser floss durch den Stollen ab und fliesst fortwährend. In den ersten Tagen nach der Entdeckung, ehe durch die zur Benutzung nothwendigen Verbauungen der ursprüngliche Charakter dieser Scene etwas verwischt wurde, war diese gewiss das Wunderbarste in der ganzen an Merkwürdigkeiten so reichen Umgebung und ist auch jetzt noch höchst sehenswerth. … Durch diese neue höchst wichtige Entdeckung ist das Bad wohl für immer gegen Wassermangel sicher gestellt. …

(Quelle: Naturbilder aus den Rhätischen Alpen. Ein Führer durch Graubünden. Von Prof. Gottfried Theobald. Chur, 1862)

Das so berühmte Pfeffers-Bad

Inhalt der Erd-Beschreibung der Landvogtey Sargans
Von Mineral-Wassern und Heil-Bädern ist in dieser Landschaft merkwürdig:

Das so berühmte Pfeffers-Bad. Diese von Natur warme Quelle entspringt hinter dem Fürstlichen Kloster Pfeffers, in einer stündigen Entfernung zwischen Mittag und Abend, in einem grässlichen und tief ausgehölten Tobel, etwa 1 ½ Stunden von dem Rhein, unter einem schreklich überhangenden Felsen. … Die eigentlichen Quellen entspringen in einem Tobel zur rechten Seite des Tamina-Bachs gegen Morgen an verschiedenen Orten aus harten Felsen-Klüften, sonderlich aus den harten Felsen-Rumfen oder Gruben, welche man wegen ihrer Form den Kessel nennt, in so grosser Menge, dass das Wasser zur Treibung eines Müllen-Rads mehr als hinlänglich seyn würde. Die Menge des Wassers könnte noch grösser seyn, wenn man die andern ebenfalls warmen Quellen, welche an verschiedenen Orten in dem grässlichen Tobel herunterquellen, zusammenleiten würde.

Anfänglich gebrauchte man das Bad-Wasser an dem Ort der Quelle, oder in einer sehr tiefen Höle zwischen zween sehr scheusslichen Felsen. Einer derselben war wie ein Gewölb eingebogen; lenkte sich auch gegen dem vorüberstehenden dergestalt, dass oben in der Höhe eine Oeffnung entstuhnde, durch welche in dem höchsten Sommer bey Mittag die Sonne etwa eine Stunde lang ihre Stralen herunterfallen lassen konnte. Die Badenden steurten sich mit den Füssen an den so genannten Kessel oder die Haupt-Quelle, in welchem das Wasser bis auf eine völlige Manns-Höhe stiege; sie war mit einem hölzernen Gitter verwahrt, damit niemand darin sinke. In der Entfernung von einigen Schritten, ob dem Kessel, entspringt eine andere warme Quelle; man nannte sie das Herren-Bad; sie wurde ebenfalls in den Kessel geleitet. Gegen Aufgang an der Tamin, auf der Felsen-Höle, kömmt noch eine andere Quelle von warmem Wasser hervor, welche der Gumpen genennt wird. Der Raum, nächst den Quellen, war anfangs überaus eng. Durch Herunterstürzung einiger überhängender Felsen wurde zwar eine Weite von etwa 50 Schritten gewonnen, so dass daselbst für die Bad-Gäste etwa drey bis vier elende Hüttgen angelegt wurden. Weil aber der Zugang zu diesem grässlichen, alles Sonnen-Lichts beraubten Ort, überaus mühsam und beschwerlich war, da man vermittelst Striken und Leitern über Felsen-Wände hinunter in die Höle gelangen musste; weil man auch, wenn man endlich den hässlichen Ort mit äusserster Lebens-Gefahr erreicht hatte, immer in Sorgen stehen musste, von den überhängenden Felsen zerschmettert, von dem förchterlich vorbeyrauschenden Tamin-Bach, der öfters wütend austrat, weggeschwemmt zu werden; die Bad-Hüttgen auch mehrmalen von herabgerollten Steinen, Rüffenen, Bäumen, – – zu Boden gequetscht wurden; so zwang dieses die Kranken, an diesem wilden und aller Sonnen-Stralen mangelnden Ort eine übereilte Cur zu machen; die meisten aber liessen sich von der Besuchung dieses sonst heilsamen Bads abschreken. Diesem schrekbaren Zugang in das Bad wurde erst Ao. 1543 in etwas abgeholfen: Man hieng in die Felsen eine starke Brücke, welche an den Seiten mit Brust-Lehnen befestigt war; weil sie aber nur hölzern war, konnte sie in diesem feuchten Abgrund nicht lange dauern. Man entschloss sich also, das Wasser etwa 600 Schritte von der Quelle durch verschlossene Canäle in ein gelegeners und minder gefährlichers Ort zu leiten. Dieses wurde Ao. 1630 ausgeführt, ungefehr an eben demjenigen Ort, wo noch dermalen das Bad-Haus steht, nemlich zwischen stozigen Felsen, an einer Bergwand, an und über den wilden Tamin-Bach. Das neue Bad-Gebäude, welches in dem Anfang dieses Jahrhunderts aufgeführt worden, ist gar lang, aber schmal, 4 Etages hoch. Es ist so wol eingerichtet, dass gegen 200 Personen darin Herberg finden können; allein um dasselbe herum ist nicht der mindeste Raum etwa zu einem Spazier-Gang. Auf dem obersten Boden ist den Evangelischen Bad-Gästen zu Haltung ihres Gottesdiensts ein Ort angewiesen; die von der Römischen Kirche können in einer besondern Capell den Gottesdienst besuchen. Das Bad wird von Fremden und Heimschen in dem Brachmonat, Heumonat und Augstmonat, zahlreich besucht. Man bedient sich des Wassers um zu baden, doch noch mehr um zu trinken. Die Bäder sind desnahen nicht gar zahlreich; das Wasser aber wird in die ganze Eidgenossschaft, Teutschland, Italien und Frankreich, in gröster Menge abgeführt. Das Bad selbst, mit allen seinen Gebäuden und Zugehörden, ist ein Eigenthum des Klosters Pfeffers; es lässt auch in dem Bad-Haus die Wirthschaft durch einen eigenen Amtmann besorgen. Die Nuzmessung, welche ihm von den Gästen und dem in die Ferne abgehenden Wasser zufliesst, ist überaus wichtig. Ungeachtet die Natur in dieser schrekhaften Höle nicht das Mindeste zum Unterhalt des Menschen (das Wasser allein ausgenommen) hervorbringt, so ist doch die Wirthschaft nicht nur zur Nothdurft, sondern auch zur Sättigung der Wollust immer wol bestellt; und dieses ohne übermässige Unkosten. Obgleich auch der Ort, wo dermalen das Bad-Haus steht, bey weitem nicht so grässlich ist, als der ehemalige Aufenthalt bey der Quelle, so würden doch Uebelthäter, denen das Leben abgekennt ist, Gnade verdienen, wenn sie gezwungen wären, sich allhier ein Viertel-Jahr aufzuhalten; nur die Hoffnung, zur Gesundheit (vermittelst der grossen Heil-Kräfte des Wassers) wieder zu gelangen, können einem elenden Kranken den Aufenthalt alldort erträglich machen. Sieht man von der Höhe des Bergs, von der Seite des Klosters, auf das in der grässlichen Kluft stehende Bad-Haus hinunter, so stellt es sich dem Auge nicht anders als wie ein langer Kasten dar.

Das Wasser dieses berühmten Bads ist unfärbig, ohne den mindesten Geschmak oder Geruch, Crystall-lauter, gleich dem reinsten Berg-Wasser, auch eben so leicht als das Regen- und Berg-Wasser. Jedermann trinkt dasselbe bey der Quelle mit gröstem Appetit, der sich, je mehr man davon geniesst, vermehrt; es ist ganz frey von schwefelichten, salzichten und andern Theilgen, welche den einen mehr als den andern könnten angreiffen. Man beobachtet ferner keine Veränderung aus Anschüttung flüssiger oder trokner Sachen, als des Scheid-Wassers, distillierten Essigs, Vitriol-Salarmoniak-Geists, Violen-Erbselen-Safts; auch alsdann nicht, wann sie einen oder mehrere Tage mit dem Quell-Wasser vermischt bleiben. Da sich auch bey andern von Natur warmen Bädern Schwefel-Blumen in die Höhe ziehen, oder sich auf dem Wasser eine weisse oder gelbe Haut zeiget, welche sich abnehmen und troknen lässt, auch an den Wasser-Behältern und Teucheln sich ein Bad- oder Tug-Stein anhängt, in den Gefässen aber sich eine gelbe oder weisse Erde ansezt, – – so gewahret man von allem diesem nicht das Mindeste bey diesem Wasser.

Seine Würkungen sind also, so wol bey dem Baden als Trinken, der Gesundheit überaus zuträglich; indem es wegen seiner Reinigkeit und Flüchtigkeit alle Eingeweide, auch selbst die allerkleinsten Aederchen durchdringt, die anklebenden irrdischen und schleimichten Theile auflösst und ausführt; also die Verstopfungen, die Quelle der meisten und schmerzhaftesten Krankheiten hebet, die schädlichen Säfte des Cörpers theils durch einen sanften Schweiss, theils durch den Harn abtreibt. Anfänglich verursacht es zwar Mattigkeit der Glieder, auch bisweilen andere weit aussehende und gefährliche Zufälle; geht aber die Cur zu Ende, so zeigt sich erst dann die Würkung des Wassers, in gänzlicher Ermunterung der Kräfte des Cörpers und des Geistes. Was auch die innere Trink-Cur von denen der Gesundheit schädlichen Feuchtigkeiten nicht gänzlich auflösst, das wird gewöhnlich durch die äussere Bad-Cur erreicht. Sehr viele Arten von Krankheiten, als Haupt-Schmerzen, Lähmungen vom Schlag, Schwindel, Fallende Sucht, Abnahm des Gedächtnisses, des Gesichts, Gehörs, der Verstopfung des Milzes, der Nerven, gichtersche Zufälle, alte Schäden und Verwundungen, Fieber, Gläich-Sucht, Podagra, Blasen und Nieren-Stein, – – haben durch den Gebrauch des Wassers zu Pfeffers können gehoben werden. …

Als man Ao. 1704 zu dem dermaligen Bad-Haus einige Marmor-harte Felsen allernächst bey dem Plaz selbst sprengte, entdekte man in den Zwischen-Spälten kleine Crystallen, desgleichen Muschel-Steine, nebst dem so genannten Kümmich-Stein oder Lapis frumentalis.

Zwischen Pfeffers und dem Dorf Valens befinden sich an dem Weg, der nach dem Bad führt, graue, dürre, brüchige Schiefer-Steine. Ob Valens aber, gegen dem Grauen Horen, eine andere schwarze, aber härtere Art Schiefer-Steine; sie gleichen fast überall den so bekannten Glarner-Tafel- oder Schiefer-Steinen.

Bey und in der Bad-Quelle zeigt sich eine gelb-rothe subtile Erde; man bedient sich derselben nüzlich zu Auftroknung flüssiger Schäden.

Nahe bey dem alten Bad-Hause, welches bald nach Erbauung des neuen von herabgestürzten Felsen zerschmettert wurde, quolle aus einem Felsen ein kalter Brunn heraus, dessen Wasser einen anziehenden Kupfer- und Eisen-Geschmak hatte. Man gab ihm (seinem Entdeker, einem Freyherrn König, zu Ehren) den Namen des Königs-Brunnens. Dermalen aber ist derselbe ebenfalls verschüttet.

(Quelle: Johann Conrad Fäsi: Genaue und vollständige Staats- und Erd-Beschreibung der ganzen helvetischen Eidgenossenschaft, derselben gemeinen Herrschaften und zugewandten Orten. Zürich, 1765-1768)

Es liegt dieses kostbare Bad …

In der Graffschaft Sargans. Das Pfefers-Bad

Es ligt dieses kostbare Bad / in Latein Thermae Favarienses, Favariae, Favarianae, Favorinae, Piperinae genannt / in der Graffschafft Sargans / gehöret eigenthumlich zu dem Gottshauß Pfefers / aber unter der VII. Alten Orthen Bottmässigkeit / in einer tieffen Berg-Klufft / gleich dem Gold und Edelgesteinen / welche gemeinlich eintweders in tieffen Berg-Werken / oder hartesten Felsen eingesenket sind / von dannen sie nicht können hervor gezogen werden ohne grosse Mühe und Kösten. …

Obgleich diesere Wasser-Quell eingesenket ist in einer tieffen Berg-Höle / so habe doch vermittelst meines Wetter-Glases / in einer A. 1704 alldort gehaltenen Cur befunden / daß sie über unsere Statt erhöhet 700 bis 800 Züricher Schuhe. Es scheinet zwahr diesere Observation von geringem Nutzen seyn / ob ich wisse / wie hoch dieses Bad lige in Ansehung unserer / oder anderer Eydgnössischen Stätten; sie gibet mir aber Anlas zu folgendem Vernunfft-Urtheil / welches sich gründet auf die gesunde Lehr der Natur-Wissenschafft / und den Trink- und Bad-Gästen einen herzhafften Muth machet / die Cur mit Freuden anzuheben / und zu erwünschtem Zweck zubringen. Weilen dieses Heil-Wasser so viel 100 Schuh über unsere Zürichische / und andere respective niedrigere Lande erhebt / so wird alldort die äussere Lufft / welche innert uns / in unserem Geblüt / Aderen / und allen kleinsten Theilen enthalten / ihre Ausdehn-Krafft mit erfolgender desto grösseren Wirkung zeigen / alle kleinste Bläs- und Aederlein unserer Leiberen erweiteren / worbey dann die sonst subtilen / häuffig eingetrunkenen Wasser-Theilichen desto leichter können alle Aederlein durchgehen / den Kreißlauff aller Säfften beförderen / die hier und dort an den Wänden der kleinsten Röhrlein anklebenden Schleimerigkeiten ablösen / und fortführen / folglich die Verstopfungen / welche der meisten Krankheiten Ursachen sind / auflösen / endlich die Gesundheit wiederum erstatten. Hieraus ist leicht zuschliessen / daß / wann die Truck-Krafft der äusseren Lufft noch mehr durch die eingeschlossene Wärme des Bads selbs geschwachet wird / die innere Lufft desto mehr sich wird ausdehnen / wie dann dieses erfahren die jenigen Bad-Gäste / welchen der ganze Leib geschwillet / öffters in solcher Maaß / daß die Haut möchte zerspringen; worauf mehrmalen die beste Gesundheit erfolget. Aus bisherigen Fundamenten lasset sich schliessen / daß dieses Pfefers-Bad dienstlicher / oder besser werde zuschlagen uns Züricheren / oder anderen in niedrigeren Orthen wohnenden Schweitzeren / und noch besser denen Teutschen / Franzosen / Italiäneren / oder Holländeren / als denen anwohnenden Unterthanen der Graffschafft Sargans / oder noch höher ligenden Pündtneren: welches alles aber zuverstehen ist mit Vorbehalt der Natur / Krankheit / Alters / und anderer Umständen / welche einen jeden Menschen ins besonder angehen. Aus gleichem Grundsatz kan man urtheilen von oben angerühmter gesunden Eigenschafft aller Gebirgischen Wasseren.

Fraget man von der eigentlichen Natur / oder Beschaffenheit des Pfefers-Bads / so ist zuwissen / daß bis dahin alle Naturforscher selbiges angesehen vor ein Mineralisches / oder solches Wasser / welches verschiedene Mineralische Theil in sich halte / und krafft derselben in dem Leib des Menschen wirke; und ware man eher bedacht solche frömbden Theil zubenennen / als aufzusuchen. Fuchsius, Rulandus, und andere / schreiben diesem Wasser zu einen Schweffel / Salpeter / Kupfer / Eisen und Gold. Thurneisser den Magnet / Gold / Kupfer und Schweffel. Bruschius Gold / und Kupfer. Abiss Eisen / gesiegelte Erde / Salpeter / nebst dem feinsten Gold; deme auch unterschreibet Zimmermann / welcher dem Goldischen Schweffel die vornemste Krafft zueignet. Die einige diesem Wasser anerbohrne Wärme hat alle Scribenten glauben gemacht / daß gewisse Mineralien darinn sich finden müssen / weilen in ganz Europa kein natürlich warmes Wasser ist / das nicht Schweffel / oder andere Mineralien enthalte; diejenigen absönderlich / welche die Wärme der Bäderen herleiten nicht so fast von unter-irdischer Wärme / als von Zusamenkunfft widerwertiger alcalischer und saurer Theilen / und daher entstandenem Jast. Es wird mir aber erlaubt seyn / gleich anderen Naturkündigeren diesere Freyheit gedeyet / meine unmaßgebliche Gedanken dahin zueröffnen / daß dieses Wasser kein Mineral-Wasser zunennen / folglich von allen anderen Europäischen warmen Bäderen zuunterscheiden seye. Dieser / meine muthmaßliche Meinung / damit sie nicht vor eine eitele Vernünfftelung angesehen werde / besteiffe mit folgenden Gründen. 1. Ist es unfarbig / ohne einichen Geschmack / oder Geruch / Crystall-lauter / gleich dem reinesten Berg-Wasser; folglich auch 2. jederman gleich annehmlich / weilen darinn keine schweffelichte / saltzichte / oder anderst gestaltete Theile sich finden / welche die Zung / als des Geschmacktes Werkzeug / könten empfindtlich rühren / oder den einten Menschen mehr / den anderen weniger angreiffen. 3. Entstehet keine Aenderung aus Anschüttung allerhand flüssiger / oder truckener Dingen / als da sind das Scheidwasser / destillierter Essig / Vitriol-Salarmoniac-Geist / Violen-Safft / Erbselen-Safft; Obgleich man sie einen oder zwey Tag stehen laßt. Aus Vermischung des in Wasser aufgelößten sublimierten Quecksilbers habe oben auf dem Pfeferser-Wasser wahrgenommen ein von Pfauenfarben schimmerendes Häutlein. So auch nach Angiessung des Weinstein-Saltzes / oder Oels / hat sich erzeiget eine etwelche Verdunklung / auf welche innert etlichen Stunden sich zu Boden gesetzet ein weisses Wölklein; Also hat auch eine geringe weisse Dunklung verursachet der Tatarus tartarisatus Ludovici. Dieses sind aber solche Aenderungen / welche von geringerem Gewicht sind / und bald bey allen gemeinen Berg- oder anderen Brunn-Wasseren zusehen. Und ist über diß zugewahren / daß dieses Pfefers-Wasser zu einen Zeiten eine mehrere Aenderung zeiget durch die Chymische Proben / zu anderen eine wenigere / oder gar keine; welches bezeugen können viel gelehrte und erfahrne Medici, so dieses Wunder-Wasser auf die Prob setzen / und erkundigen wollen. 4. Habe ich durch Mittel einer subtilen Waag befunden / daß dieses vorhabende Pfefers-Wasser in gleichem Gewicht ist mit dem Gebirgischen Brunnen- auch fast mit dem Regen-Wasser / woraus dann alsobald abzunemmen / daß darinn nicht enthalten frömbde Mineralische Theil / deren Gegenwart in anderen natürlich warmen Bäderen eine grössere Schwere verursachet. Etwann habe in 7 Quintlein warmen Pfefers-Wasser gefunden / daß es um ein halbes / oder ganzes Gran leichter gewesen / als so es kalt abgewogen worden / welches dem in den Löchlein enthaltenen verdünnerten Lufft zugeschrieben. 5. Gleichwie in anderen natürlich warmen Bäderen man gewahret / daß sich in die Höhe zeuhen einiche Schweffel-Blumen / daß auf dem Wasser sich zeiget eine weisse / oder gelbe Haut / welche man kan abnemmen / und tröcknen / daß an denen Wasser-Gehalteren und Canälen sich anhenket ein Bad- oder Tugstein / daß endlich auch zu Boden sich setzet eine weisse oder gelbe Erden / also spüret man hier dergleichen nichts.

Worzu aber / möchte einer sagen / dienet diese weitläuffige Vernünfftelung? Genug ists / daß dieses Heil-Wasser vortreffliche Wirkungen thut / genug wann wir uns dessen zu unserer Gesundheit können bedienen; und unnöthig / daß ich wisse / was vor Theil diß Wasser in sich halte / oder / wie es in unseren Leiberen wirke? Recht so / wann es gerahtet; genug ists ja einem unverständigen Arzet / oder Arzney-Stümpler / daß er seinen Patienten auf das blinde Glück hin solche Bad-Curen einrahtet / und ligt ihme wenig daran / ob sie glücklich ausschlagen / oder nicht. Ein verständiger und gelehrter Arzet aber gehet gewissenhafft in die Sach / und gründet sein Ein- oder Mißrathen auf eine grundliche Wissenschafft beydes der Arzney / und der Krankheit: Er kennet des Menschen Leib / und dessen Verrichtungen / gesunden oder kranknen Stand / er weißt wie die Gesundheit bestehe (ins gemein zureden) in gewisser Beweg-Vereinigung oder Temperatur des Geblüts / und übriger Feuchtigkeiten des Leibs / in unverhindertem Einfluß der Geisteren in alle Glieder / in dem Tono, oder steiffen Haltung aller vesten Zäserlein / und endlich in dem Gleichgewicht aller so wol flüssigen / als trockenen und vesten Theilen des Leibs; folglich die Krankheiten herrühren von verderbter Bewegung der Leibes-Feuchtigkeiten / und Geisteren / in veränderter ihrer Gestaltsame / oder Beschaffenheit / in vermehrten / oder verminderten Spannung der Zäserlein / endlich auch in aufgehebtem Gleichgewicht aller Theilen des menschlichen Kunstwerks etc.

Wann nun ein verständiger Arzet gleich einem erfahrnen Uhrenmacher kennet den gesunden / und kranknen Zustand dieses von Gott selbs verfertigten Uhrenwerks / und die Wirkung des Pfefers-Wassers aus obeingeführten Gründen herleitet nicht so fast von unbekanten Mineralien / als von der lauteren Quell der natürlichen / durchtringenden Wärme / der Subtil- und Kleinheit aller Theilen dieses Wassers / so wird er aus diesem einfalten Grundsatz ohnschwer fassen können / wie dasselbe ausserlich durch die Bad- oder innerlich durch die Trink-Cur wirke / wie es durch den Magen in die Gedärme / durch diese in die äussersten Löchlein der Milch-Gefässen / und von dannen in das Geblüt durch alle kleinsten Aederlein gehe / die hier und da anklebenden schleimerig-irrdischen Theil auflöse / und ausführe / folglich die Verstopfungen / welche der meisten Krankheiten Ursachen sind / weghebe: Wie über diß auch diejenigen zähen Feuchtigkeiten / welche durch die innerliche Trink-Cur nicht haben können aufgelößt / und aussert den Leib geführet werden / durch die aussere Bad-Cur weiters verdünneret / die Löchlein der Haut eröffnet / die Zäserlein erweychet / die kleinsten Aederlein auf oben erklärte Weise ausgedehnet / und die frömbden unnützen Theil / theils durch den Schweiß / theils durch den Harn weggetrieben werden / worbey anfänglich zwahr entstehet Mattigkeit der Gliederen / und andere etwann weit aussehende und gefährliche Zufälle / hernach aber / wann die Cur zu End / offt auch erst zu Hauß / der ganze Leib wiederum zu gesunden Kräfften / und das Gemüht zu frölichen Gedanken wiederkehret: Wer / sage ich / die Natur und Wirkungen dieses Pfefersischen Heil-Wassers auf solche Weise mit vernünfftigen Gedanken erwiget / eines jeden Menschen / der seine Gesundheit zuerhalten / oder wieder zubringen sorgfältig ist / Beschaffenheit in Betrachtung zeuhet / die Krankheiten kennet / dero Ursachen grundlich erforschet / der wird mit desto grösserer Sicherheit solche Haubt-Curen selbs unternemmen / oder unterlassen / anderen auch ein- oder abrahten. …

Zum Beschluß werde dem curiosen Leser vorstellen verschiedene Mahlerische Zeichnungen dieses Wunder-Bads / und dißmal mit wenigem andeuten einiche da herum befindliche Merkwürdigkeiten der Natur.

Nahe bey dem Bad-Hauß sprengte man zu dem Neuen ansehenlichen Gebäu in dem Sommer A. 1704 einiche Marmor-harte Felsen / in deren Zwischenspälten sich finden liessen einiche kleine Crystallen / aber auch in ihrer Mitte einiche Muschelsteine / nebst dem so genanten Kümmistein… Dergleichen Steine / weilen sie nach der gemeinsten und sichersten Meynung herkommen von der Sündflut / und deren gewisse Anzeigen sind / geben uns zuverstehen / daß zur Zeit dieser allgemeinen Ueberschwemmung auch die jetzt hartesten Marmor weych gewesen / so daß die Meer-Muschelen und Schnecken sich in selbige domals lettichte Materi habe können einsenken.

Zwischen Pfefers / und dem Dorff Valenz / finden sich an dem Weg graue dürre brüchige Schiffersteine / und ob Valenz gegen dem Grauen Horen / (welches Gebirg über das Bad erhöhet über die 2000 Schuhe / andere schwarze / und härtere / welche an Gestalt gleich sind denen Blattensteinen / welche aus dem Glarnerland verführt werden bald in alle Theil Europae.

Bey und in der Quell findet man eine gelbrohte subtile Erde / von welcher / als einer Terra solari die Kräffte dieses Heil-Wassers von vielen hergeleitet werden; und ist nicht zulaugnen / daß etwann bey Abrauchung des Wassers etwas von dieser Erden in dem Geschirr überig bleibet. Es ist auch diesere Erden kostlich zu Auftröcknung alter fliessender Schäden / wann sie darauf gestreuet wird. Und zweifle ich keines wegs / man könte sie auch mit Nutzen innwendig brauchen / zu Versüssung der scharffetzenden Feuchtigkeiten / an statt einer gesiegelten Türkischen / oder Schlesischen Erden. Ob aber von etlich wenigen Granen / so sich in etwelchen Massen finden / hergeleitet werden können die Wirkungen des Wassers / überlasse dem vernünfftigen / mit keinen Vorurthlen eingenommen Leser; deme gleichfahls zubeurtheilen frey stehet / ob die Ursachen so kräfftiger Wirkungen können beruhen auf einichen Gold-Flämmlein / oder Stäublein / welche dann und wann in dem Pfefers-Wasser (sonderlich / wann es lang gestanden) sind gewahret worden. Obgemeldter Erden / und auch dieser Goldflitschen halb bin versicheret / daß sie herkommen aus dem Fels selbs / (darinn die Quell entspringt) welcher von unter-irrdischer Wärme und Feuchte also mürbe gemachet worden / daß die darinn enthaltene frömbde Theil abgelediget worden / und in Vorschein kommen.

Von denen Wirkungen dieses Pfefersischen Heil-Wassers könte sehr viel gesagt werden / wann mich wolte der Weitläuffigkeit bedienen / und diejenigen Sachen / welche in ganzen Bücheren zufinden sind / ausschreiben. Es ist aber diß nicht mein thun. Gleichwol kan nicht umgehen / aus oben gesetzter Grund-Lehr von der Natur und Eigenschafft dieses Wassers zuschliessen / daß derselben so wol innerlicher als äusserlicher Gebrauch diene haubtsächlich zu Auflösung allerhand Verstopfungen / zu Abledigung derjenigen schleimerig-irrdischen Theilen / welche sich da und dort in denen kleinsten Röhrlein verstecket / oder an dero Wände sich angesetzet haben / worinn gewißlich der vornemsten und meisten Krankheiten Ursachen bestehen / als zum Exempel dienen können die Haubtschmerzen / Tropf- oder Gutschlag / Schwindel / Fallende Sucht / Abnemmen der Gedächtnuß / Verdunklung des Gesichts / Verminderung des Gehörs / Verstopfung des Milzes / Gekröses / Leber / allerhand Gattung Melancholey oder Schwermuth / Verstopfung der Nerven / und daher kommende Mattigkeiten / Schwachheiten / zitterende und gichterische Bewegungen der ausseren Gliederen; alte Schäden / in welchen etwann Kuglen / oder Spreissen / oder abgeledigte Beine verborgen ligen; alte Fieber; Gleychsucht / Podagra; Blasen- und Nieren-Stein; Muter-Krankheiten / allerhand Art Raud / Fistlen / und tausent andere dergleiche Zustände mehr / in welchen diß Heil-Wasser nach Beschaffenheit des Patienten / und der Krankheit selbs von einem verständigen Arzet kan gerahten werden. Ich meines Orths benüge mich allen und jeden / denen vor ihre eigene / oder anderer Menschen Gesundheit zusorgen obliget / vorzustellen diese allgemeine / und Fundamental-Regel / nach welcher sie sich in allen vorfallenden Begebenheiten richten können. Wo die verstopfende Ursach der Krankheit annoch innert den kleinsten Ader-Röhrlein stecket / und dero Zäserlein noch einiche Kräffte haben / da kan das Pfefers-Wasser / menschlicher Weise darvon zureden / innerlich oder äusserlich wirken. Wo hingegen obbemeldte Röhrlein geöffnet / zerrissen / oder von der Schärffe der Materi durchfressen / oder die Zäserlein ihre Spann- und Treib-Krafft verlohren / oder Gefahr ist / es möchten irgends an einem vornehmen Orth die äussersten Aederlein von dem Gewalt des Wassers / gleich einem Damm / durchgebrochen werden / da hüte man sich vor dieser Cur / sonderlich / wann auf sothane Weise leiden die edleren / inneren Theile des Leibes / dannenhero meiden diß Wasser die Wasser-Schwind-Gelbsüchtigen / Aussätzigen / die mit der rohten Ruhr behafftet / mit der alten nodosa podagra geplaget / ja auch die schwangeren Weiber. …

Seines Orths (des Pfefers-Bads) halben / von dessen Erfindung / sind die Authores um etwas different, die glaubwürdigste Meynung ist / meines Erachtens / daß das Bad Anno 1240 erfunden worden.

Diese von Natur warme Brunn-Quellen entspringt hinter dem Fürstl. Kloster Pfefers / ohngefehr einer starken Stund Wegs / zwischen Mittag und Untergang / in einem Thal und sehr tieffen ausgehölten Hölen / anderhalb Stund Wegs von dem Rheinstrom hinein / unter einem erschröcklich überhangenden Felsen… In diese Höle fliesset ein von Mittag hero ein Bach / Tamina genannt / zwischen gäch-stotziger Höhe / und unbeschreiblichen Felsen eingeschlossen.

Denkwürdig ist / daß in dem 1611. Jahr durch die streiffende Pest / die benachbarten Dörffer / wie auch das Kloster ausgeödet worden / und aber die Schweitzer und Pündtner / ein weg als den anderen / wie auch andere Völker sich in das Bad begeben / ist deren keiner an der leydigen Pest gestorben / so gleichfahls auch des 1629. Jahrs bey der allgemeinen Pest beschehen / massen dann ihrer viel daselbsten / bis in den tieffen Winter / da das untere Gast-Hauß abgebronnen / sich vor der Pest sicher erhalten / dermassen scharff und gesund ist jenes Luffts Durchstrich; In dem alten Bad / sind 3 Bad-Schwemmen gewesen / darinnen bey 100 Personen einsitzen und baden können.

Das warme und köstliche Quellen-Wasser entspringt innert zur rechten Seiten des Bachs Tamina, gegen Aufgang an mehr Orthen / aus den harten Felsen-Klufften / sonderlich aus den harten Felsen-Rumpfen oder Gruben / so man wegen der Form den Kessel genennet / und zwahren in solcher Mänge / daß es zu Umtreibung eines Mühlen-Rads wol erklecken kan / und so die Quellen auf ebenem anderem Land wäre / 2000 Personen zufassen genugsam seyn wurden / so reich ist diese Quelle; Ja es erkleckte desto mehr / so man die anderen warmen Quellen / deren etliche / zusamen ziehen und verfügen wurde / welche allenthalben in dem Tobel herunter quellen.

Die Haubt-Quellen des Kessels erreicht in ihrer Höhe eines Manns Höhe / dahero dieselbe mit einem höltzenen Gitter / daß niemand darein sinke / versehen / daran sich die Badenden mit den Füssen gesteuret.

Ob dem Kessel ohngefahr 2 Manns-Klaffter / entspringt eine andere warme Quelle / so das Herren-Bad genannt / so auch in den so genannten Kessel geleitet wird / gegen Aufgang und am Bach Tamina auf der Felsen-Höle / entspringt noch eine andere Quelle warmen Wassers / gleich den anderen / so man den Gumpen genennet.

Ohne Unterlas quellen diese warmen Wasser neu / und das vorige fliesset ab / welches in anderen warmen Wild-Bäderen nicht leichtlich beschiehet / sondern dero allzugrosse Hitz / eintwedern man mit vermischtem kaltem Wasser / oder für sich selbst / in den Bad-Wannen erkülen lassen muß / dardurch die subtilesten Kräfften (so die Seel oder Geist sind) verriechen / und offt erschöpft werden. Auch in anderen warmen Bäderen / der von den Kranknen badenden Leiberen abgeledigte Wust und Unraht / in den Bad-Wannen bleibet / in diesem Wunder-Bad aber wird solcher durch das stätige / in grosser Mänge zufliessende warme Bad-Wasser / ohne Unterlas abgeführet und gereiniget; Woher dieses edle Wasser fliesse / vermeynen etliche / daß dasselbige von weitem herfliesse / von den höchsten Berg-Jöcheren gegen Aufgang / und alsdann durch viel Gäng / Schlupf und Klüfften des Bergs in dieser scheutzlichen Höle herüber quelle; So mehr gläublich als erweislich; Zwahren eine lange Reyß / und weiten Zufluß / gibt des Wassers temperierte Wärme.

In dem abscheuhlichen Orth des alten Bads sind die Leuth allzeit wegen der einhangenden Stein-Felsen / und offt herabfallenden Rüffenen / Bäum und dergleichen Materi / so ohnversehens von der Höhe hinunter über die Bad-Tächer gestürzt worden / mit Forcht und Schrecken umgeben gewesen / deßwegen die Baden-Cur praecipitanter geförderet / ja offt ohne Verrichtung vollkommener Badenfahrt sich wiederum naher Hauß begeben; So sind ebenmässig die Wirthshäuser zum öffteren / durch Einfallen grosser Steinen / Schnee-Lauenen / Eis-Klotzen ganz verschlagen / und in den Bach Tamina gestürzet worden.

Nicht weniger ist der Fluß Tamina so hoch gewachsen / viel Holtz / Stein und anderen Unraht mit sich geführet / daß zubesorgen geweßt / daß die Gast-Häuser und Bad möchten samt den Einwohneren durch solche Wasser-Güß / kläglich versenkt / wenigst übel geschädiget werden / dannenhero mehrmalen (jedoch unverhoffter Weis) das Geschrey erschollen / das Bad seye eingefallen / und die darinn sich befindenden Menschen / ums Leben gebracht worden.

Diese abscheuliche Spelunken / in welcher die Sonn selten nicht länger als eine Stund lang hinein geglanzet / also daß man ohne Liecht nicht über ein oder zwey Stund das Brevier betten / noch anders lesen können / so zu jederzeit viel Forcht / Schrecken und Sorg verursachet / so dann in die lange Brucken zu Zeiten eingeschlagen / die Gebäu durch immerwährende Dämpf verfäult / und zu Grund gericht worden; Die Unkösten / neue Gebäu anzusetzen / hat dem Kloster viel Nachdenkens und Nachsinnens causiert / aus Beysorg / das Einkommen wegen neuer Gebäuen / jährlicher Erbesserung der alten / möchte solche Unkösten nicht ertragen / sondern zu gering seyn. Anno 1625 ist das ober Wirthshauß / Winters-Zeit / durch einen herunter gefallenen grossen merklichen Stein gänzlich zu Stucken gericht / und an dessen statt mit grossem Unkosten einen anderen Bau sorglich fürzunemmen / oder wie das warme Wasser an ein sicher Orth möchte geführt werden / Anlas besser nachzudenken möchte gegeben; Johannes Mader von Pläß in des Gottshauß Jurisdiction, war der erste / deme dieses Werk Tag und Nacht sehr angelegen / hat zum anderen mal die Felsen / Wald und Spelunken wol contempliert / und besichtiget / er letstlich einen sicheren Orth / da das Bad durch verwahrte Canäl auf ein Felsen eingehauene Brucken kommlich möchte geleitet werden / erfunden / war eben das Orth / da jetzt das Wirths- und Bad-Hauß Anno 1630 erbauet worden; Da er sein Gutachten unter die Leuth kommen lassen / ist er von Mäniglich veracht und verlacht worden / jedoch beschützte ihne / in der Intention, der damals regierende Herr Praelat Jodocus Höslin, welcher solchem wichtigen Geschäfft eiferig (als ein sehr gelehrter Herr) und tieffer nachgesinnet / auch vieler Gelehrten Gutachten hierüber einnemmen lassen / auf des Maders Aussag / begab sich Johannes Reisch / damals geweßter Bad-Meister / in eine sonderbare Gefahr / Anno 1628 8. Tag vor Weyhnachten / ist er allein mit einer starken Stangen / ohne anders Instrument oder Werkzeug von der warmen Quellen durch den Bach Tamina auswerts gewattet / bis er in eine Tieffe unter der Klufft in Occidentalischen Felsen gerahten (die man sonst Mariae Magdalenae Klufft oder Spelunca heisset) bis an den Mund in Wirbel hinein gefallen / da sonsten der Bach zu seiner Zeit nicht groß an Wasser pflegt zuseyn / er erhebt sich mit grosser Mühe aus der Tieffe / gieng in St. Mariae Madgalenae Höle / fasset grossen Muht von neuem fortzusetzen / auch durch den Fluß hinaus gesetzt / bis er zu dem Platz / da der neue Bau hernach ausgeführet worden / kommen / zeiget es noch selbigen Tags im Gotts-Hauß an / also daß man zwahren sein Vorgehen in seinem Werth hat lassen verbleiben. …

Hinzwischen aber den 3. Tag Decembris, Anno 1629 / ward das untere Wirthshauß durch Verwahrlosung dreyer jungen Mägdlein / die aus Forcht der erblichen Pest sich in dem Tobel salviert / in die Aschen gelegt.

Diese glück- oder unglückliche Brunst hat … mancherley Gedanken gemacht / aber zuletst darfür haltende / daß es nicht ohne sonderbare Göttliche Providenz geschehen seye / dardurch den warmen Brunnen aus der Gefahr anderwerts zuleiten / und nohtwendige Gebäu zumachen / auch samt untergebenem Convent in eine Deliberation begeben / durch eine neue Wasser-Leite von der warmen Brunn-Quell aus dem gefährlichen Tobel herfür zunemmen … / endlich einhelliglich concludieret in Gottes Namen diß Werk vorzunemmen / damit vielen anderen Beschwernussen / die innert dem grausamen Tobel allzeit sich zugetragen / und fehrners zubeförchten / wie gleich oben bedeut / gewesen / als Schrecken / Zitteren / Finsternussen / Gefahr des Einfahls / Ungestümmigkeit des durchlauffenden Bachs / und anderen Ungelegenheiten abzuhelffen; Hiermit mit Meister Johann Zelleren von Sundhofen aus dem Allgöw / einem Zimmermann / A. 1629 den 19. Decembris ein Accord getroffen / und das Werk an die Hand genommen / die Canäl / so zu dem warmen Wasser gehören / von Weiß-Thannen / die Jöcher aber und Untersätz von Lerchenem Holtz gemacht / alle Canäl / und ein jeder insonderheit 10 Zoll weit / die Sark / das ist der Boden / die Wänd und Deckel darauf / jedes 4 Zoll dick sind / die Deckel allenthalben um 1 Zoll eingefaltzet; Die Canäl innwendig glatt / sauber gehoblet / auch aller Orthen / wo die Canäle zusamen gestossen / mit Eisernen Zwingen zusamen gestossen worden. Er Meister Zeller hat durch das ganze Tobel hinaus / so weit die Canäl geführt worden / neben solchen Canälen ein Staig gemacht zwey Schuh breyt / und 4 Zoll dick / durch den Steinmetz Zeller den Kessel / das ist / bey des Wassers Ursprung in alle vier Eck sauber und glatt aushausen lassen / und dann ein Eychenen Kasten darein machen / solchen wol verkütten und verdecken / damit weder Wasser noch Dampf darvon kommen möge.

Die Löcher zu jedem Joch sind 18 Zoll tieff in Felsen gehauen worden; Auch unter jedes Joch / wo es vonnöhten / ein Untersatz gemacht worden / er Meister Zeller hat an dem jenigen Orth und Platz / wo das Wasser durch die Canäl seinen Ausgang nimmt / ein Gemächlein / so 10 Schuh breyt machen müssen / darinnen man alsdann das Wasser probieren und baden können; Diß ist der Bericht von der Ausführung aus dem alten Tobel an das Orth / wo jetzt das so genannt neue Bad- und Gast-Hauß stehet.

Im Jahr 1630 zu End des Monats Januarii ist die neue Brucken über das Wasser zuführen glücklich angefangen worden / inmassen alle / so es anschauen / billich für ein merkliches Wunder-Werk halten / und bekennen werden; diese Bruck ist vest und stark.

Von dem ersten Canal / welcher das beste warme Wasser einschluckt / sind bis zum neuen Bad ohngefehr 600 Schritt / oder 208 Klaffter.

Die Bruck ist an dem gegen Aufgang der Sonnen bestehenden Felsen angehangt / fast bis zu End der Spelunken / da sie über den Bach gegen Niedergang nicht weit von dem neuen Bad / übergesetzt ist / ligt höher bey dem vorderen Ursprung / als der Tamin-Bach 23 Schuh. Zu Ende aber (weil dieser kalte Fluß immer tieffer fliesset / wie der Augenschein von Zeit zu Zeit klärlich erweiset) mehr als 30 Schuh; Und sind die Lerchenen Jöcher / darauf die Brucken und Canäle aufgesetzt / an der Zahl 101 tieff und vest / 18 in 20 und theils mehr Zoll weit hinein gezapft.

So man die Circumstantias wolte erwegen / hat man sich ab diesem Bau billich hoch zuverwunderen / weilen oben herab Niemand darzu gelangen möchte / wegen des grausamen Tamin-Bachs / so mit grossem Gewalt herunter tringt / und den Furth allerdings dermassen bezwinget / daß man keinen Fuß nicht aufsetzen mag. Zu beyden Seiten erheben sich die gähen Felsen und Schroffen / etliche Thurn hoch / und kan man diesen Bach weder abgraben / noch von seinem gewohnlichen Lauff verhinderen / so ist auch unmöglich an Seyleren oder anderen Instrumenten sich oben herab zulassen / ja man möchte nirgends als allein in den Tamin nicht ohne Sorg und sonderbare Gefahr aufstehen / und ist die Klufft am selbigen Orth ganz eng / man könte ohne Todes-Gefahr in solcher Arbeit wenig verrichten / sonderlich da die Zimmerleuth und Steinmetzen unter einanderen wegen der Streych / Schläg / Klopfen / Erthönen / auch des herunter grausamen rauschenden Bachs / ob sie gleichwol zusamen geschreyen / dannoch nicht verstehen können / sondern mit Gebärden / Hut-Schwingen / oder hellem scharffem Pfeiffen ihr Begehren andeuten müssen.

Nun ist oberzehltes gefährliches Gebäu der Brucken / und vollkommener Wasser-Führung / in fünf Monat durch die Enge des Tobels nicht ohne Mänigliches Verwunderung glücklich vollendet worden: Aussert daß ein Zimmermann von einem herab fallenden Eis-Klotzen zu Frühlings-Zeit ab dem Gerüst in den Bach 30 Schuh hoch gestürzet worden / das linke Beyn zerbrochen / der doch aus dem Bach gezogen / und hernach wiederum zu seiner vorigen Gesundheit und Kräfften gelanget ist.

Die Klufft der neuen Brucken nach übertrifft an Wunder-Dingen die Spelunken des alten Bads nicht wenig / dann vielmalen stossen die Felsen entweders in der Höhe oder Mitte zusamen / also daß sie an gewissen Orthen einen ganzen Beschluß machen / darüber man gewanderet ist / und noch wanderen kan / und diese Gelegenheit der Beschluß genennt wird; Von dem rinnenden Fluß / bis hinauf zu dem Beschluß achten die Wolerfahrnen 293 Schuh hoch / hangen auch hin und wieder theils zu oberst an der Höhe / theils in der Mitte Stein / so 8 oder 10 mal grösser als Mühle-Stein sind / in Summa auf- und abwerts hin und wieder / wo man die Augen wendet / findet man nichts als ein Wunder-Werk. …

(Quelle: Hydrographia helvetica. Beschreibung der Seen/Flüssen/Brünnen/warmen und kalten Bäderen / und anderen Mineral-Wassern des Schweizerlands. Der Natur-Histori des Schweitzerlands zweyter Theil. Johann Jakob Scheuchzer. Zürich 1717)

Nirgends sah ich Natur und Kunst sich gegenseitig so innig die Hand bieten

“Ich habe die berühmtesten Bäder Europas mehrere Male besucht, aber nirgends sah ich Natur und Kunst sich gegenseitig so innig die Hand bieten, wie in Ragaz-Pfäffers», sagt Dr. Wolff von Warschau – und wer je dort geweilt hat, sei es in gesunden oder kranken Tagen, wird mit Dankbarkeit und Bewunderung an diese Gegend zurückdenken, wo die Zauber des Paradieses und die Schrecken der Unterwelt so hart neben einander stehen. Dieses Revier hat denn auch seit den ältesten Zeiten mehr als jedes andere in der Alpenwelt die stete Aufmerksamkeit der Naturkundigen und Naturfreunde auf sich gezogen; jetzt aber kommen in den wenigen Sommermonaten eines jeden Jahres über 30’000 Reisegäste und über 2’000 Kurgäste dahin, welche zusammen 60’000 Bäder nehmen. Machen wir nun einen Gang durch dies Theater der vornehmen Touristenwelt aller Länder.

Wer vor zwanzig Jahren einmal in Ragaz war und heute wieder dahin kommt, der wird staunen über die Veränderungen, welche hier vor sich gegangen. Wo damals niedere Häuschen an schmutzigen, krummen Gassen sich breit machten und Alles den Stempel der Armuth und kleinbäuerischen Unordentlichkeit zeigte, da steht jetzt in stolzer Pracht längs breiter, schnurgerader Strassen mit Trottoirs und Plantanenalleen Palast an Palast mit prachtvollen Waarenmagazinen und eleganten Ausstellungen hinter den grossen Schaufenstern, mit feinen Cafés und komfortablen Pensionen, mit heimeligen Gartenhäuschen und rebenumkränzten Schattengängen; wo früher ein paar magere Kühlein mühsam den Erntewagen zogen, da fliegen jetzt muthige Rosse mit dem bunten Omnibus, mit der eleganten Kutsche dahin; wo ehemals Rinder auf magerer Weide im Frühjahr und Herbst ihr spärliches Futter fanden und arme Hirtenbuben zur Obstzeit auf die Marode gingen, da lustwandelt jetzt die vornehme Welt aus aller Herren Länder und aus dem freien Amerika zwischen Springbrunnen und Blumenbeeten, unter Rosengängen und Pflanzengruppen aus südlichen Zonen. Alles ist Leben, Alles Reichthum um und um. Wer ists denn, der diese Wunder «aus dem Boden gestampft hat»? Es ist die Hand unermüdlicher, berechnender patriotischer Männer unter der fördernden Gunst der Regierung. Die überaus günstige klimatische Lage dieses Kurorts, in dessen weiten Gärten die köstlichsten Trauben reifen und den feurigsten «Oberländer» erzeugen, die herrliche Umgebung mit ihrem grossartigen, wechselvollen Panorama, die Eisenbahn, welche zehnmal des Tages in nächster Nähe anhält und zu den herrlichsten Ausflügen einladet, die schauerlich-grossartige Taminaschlucht mit der wunderbaren Heilquelle – diese Vorzüge haben allerdings auch wesentlich zu dieser Umwandlung mitgewirkt, aber immerhin fällt das Hauptverdienst an dem grossen Werke obgenannten Faktoren, dem Unternehmungsgeist und ausdauernden Fleisse einsichtsvoller Männer zu; denn andere Nachbarländer besitzen auch ganz ebenbürtige Thermen mit ebenbürtigen Naturschönheiten, und doch erklärt Professor von Sigmund in der «Wiener medizinischen Presse», dass er mit einem wehmüthig neidischen Gefühle Ragaz-Pfäffers betrachten müsse und in Oesterreich ganz und gar keine Anstalt kenne, welche in ihrer Einrichtung für Kurgäste und Touristen sich auch nur halbwegs mit jener von Ragaz-Pfäffers zu messen im Stande sei, und fragt am Schlusse seiner Abhandlung: «Wie lange mag es dauern, bis auch in dem mit Quellen und dazu Naturschönheiten mannigfachster Art gesegneten Oesterreich eine auch nur annähernd gleiche Thätigkeit erwacht?» Aehnliche Stimmen kann man in der Saison jeden Tag hören, wenn man sich unter die bunte Menge auf den Promenaden begibt.

Unser Bild vermag eine Idee der grossartigen, zum Theil schon vollendeten Bauten der Simon’schen Kuranstalten und zugleich eine genaue Ansicht der Gegend zu geben: Hier der riesige «Quellenhof» inmitten prachtvoller Gärten, dort die Badeetablissemente, drüben der «Hof» in seinem Pappelkranze, an der rauschenden Tamina das Dorf mit seinen Hotels, darüber hinweg die altersgrauen Ruinen des «Freudenberges» – und dies ganze Bild in dem grossartigen Rahmen! Wie blitzt der Rhein, hier noch voll jugendlicher Kraft und Ungebundenheit, so kühn zu uns herauf vom Fusse der befestigten Höhen ob der Luziensteig; stolz weist uns der Gonzen im Norden seine Felsenstirn und weit im Hintergrunde grüssen die sieben Häupter der Churfürsten. Nur Schade, dass die eben so schöne Aussicht nach Osten, das sanft ansteigende Rebgelände von Meienfeld am Fusse des kahlen Falknis hier nicht angereiht werden konnte.

Machen wir aus diesem Paradies einen Gang zur Quelle. Da, wo die brausende Tamina aus hohem Felsenthore hervorstürzt, betreten wir die Strasse, welche in sanfter Steigung durch die Schlucht führt. Rechts und links thürmen sich hohe Felsenwände aus Nummulitengestein senkrecht auf; an diesen hat der wilde Bergbach Jahrtausende lang genagt und gespühlt, bis die tiefe Schlucht ausgewaschen war, und auch noch jetzt ist er im Stillen thätig, so dass dem Strässchen hie und da die Gefahr des Einsturzes drohen würde, wenn man nicht solch stillem Zerstörungswerke Wehr und Wuhr entgegen stellte. So eng die Schlucht ist, so findet doch unser Auge stets des Interessanten die Fülle: hier zeigt der bunte Alpenspecht an einer überhängenden glatten Wand das feurige Roth seiner Schwingen, dort tummelt sich ein Schmetterling über dem aufspritzenden Gischt der Tamina; bald sind es mächtige Felsblöcke im Flusse, bald zierliche Ruhebänkchen am Wege, bald eigenthümliche Formationen der Steinwände, bald Baumgruppen, Wasserfälle, Equipagen und Spaziergänger. So kommen wir in einer leichten Stunde zu den drei grossen, klosterartigen Badegebäuden von Pfäffers. Genesende und Kranke sitzen da in bunten Gruppen im Schatten der Akazien in den terrassenartigen Anlagen hinter der Anstalt, in den geräumigen Salons und in der hohen, säulengetragenen Trinkhalle, von wo aus man in die schauerliche Quellenschlucht eintritt. Eine kühn gewölbte Brücke führt uns über den Abgrund, in welchem die Tamina ihre Fluthen tosend dahin wälzt, dann geht’s hinein in die finstere Kluft. Zu unseren Füssen rauscht die Tamina aus dem dunkeln Schlunde hervor; über uns wölben sich die Felsen in einer Höhe von 200-290 Fuss stellenweise vollständig zu, so dass nur durch einzelne Lücken das liebe Sonnenlicht in die feuchte Tiefe dringt oder grünes Laubwerk grüssend hernieder winkt. Der Weg ist zum Theil in den harten Felsen gesprengt, theils durch feste Quadermauern gestützt und überall mit soliden Barrieren versehen, so dass man sich ganz gefahrlos dem überwältigenden Genusse dieses Naturwunders überlassen kann. Staunend stehen wir lange in stummer Betrachtung des kühnen Gewölbes, in Bewunderung der Erosionsgewalt des sonst so ohnmächtigen Wassertropfens; ehrfurchtsvoll beugen wir uns vor der Macht der Natur, die im Stillen mit den scheinbar schwächsten Mitteln so Grosses wirkt und schafft. Nachdem wir beinahe anderthalbtausend Fuss in die Kluft eingedrungen sind, öffnen sich die Felsen oben ein wenig und der aufschwebende Dunst sagt uns, dass wir in der Nähe der Quelle seien. Wir steigen ein paar Stufen hinan, öffnen eine Thüre und gelangen unter dem Schein der Laterne durch einen 100 Fuss langen Stollen zur dampferfüllten Höhle der Quelle, aus welcher das heisse Wasser in das Bad Pfäffers und durch eine über 14’000 Fuss lange hölzerne Röhrenleitung in den Hof Ragaz geführt wird. Schweisstriefend kehren wir in die Taminaschlucht zurück, durch welche wir aber nicht mehr weiter vorzudringen suchen; denn bald wölben sich die Felsen wieder zu und die Fortsetzung dieser schauerlichen Unterwelt wird für den menschlichen Fuss unzugänglich. Mit Freuden begrüssen wir bei dem Eintritt in das Badgebäude den blauen Himmel wieder; dann steigen wir rüstig den steilen Weg durch junge Buchwäldchen hinan, überschreiten die Tamina da, wo sich die Felsen mehrere hundert Fuss über der dunkeln Schlucht berühren und suchen sodann die freundliche Höhe des Dorfes Pfäffers durch den treppenartigen Fusssteig zu gewinnen, der sich zwar gar sauer erklimmt. Wie herrlich ist’s da oben! Welche Aussicht hinunter auf das Thal des Rheins und zurück in die Berglandschaft des Kalfeuserthales. Das geräumige Kloster St. Pirminsberg, einst der Wohnsitz fröhlicher Mönche, jetzt eine berühmte Heilanstalt für Solche, deren Geist umnachtet ist, erhebt sich stattlich auf der Kante der Terrasse; Gärten und Wiesen mit Obstbäumen und wetterbraunen Bauernhäusern bedecken das Plateau. Von hier, dem freundlichen Bergdörfchen, wären wir auf der breiten Strasse, die in grossen Bogen den bewaldeten Abhang hinunterführt, in einer Viertelstunde im Hofe Ragaz; wir wollen uns aber am Wege unter einen dieser herrlichen Nussbäume setzen und im Geiste die Zeiten an uns vorüberziehen lassen, in denen Ragaz-Pfäffers das geworden, was es jetzt ist.

In der Zeit als der heilige Gallus im Arboner Forste eine Pflanzstätte des Christenthums gründete und dessen Schüler Sigisbert das Licht des Evangeliums weit hinauf in die Alpen bis an die Quellen des Vorderrheins trug, fasste Pirminius, Bischof von Meaux in Franken, den Plan, den heidnischen Bewohnern in der Gegend, die unser Auge von hier aus erblickt, das Geschenk christlicher Kultur zu bringen. Er legte zu diesem Zwecke am linken Ufer der Landquart, da, wo jetzt das Schloss Marschlins steht, den Grund zu einem Kloster; als aber, so erzählt die Legende, ein Zimmermann beim Holzfällen sich verwundete, nahm eine weisse Taube einen der blutigen Späne in den Schnabel und flog damit über den Rhein in die Höhe des diesseitigen Waldes, setzte sich hier auf den Gipfel der Lärche und liess das Holzstück zur Erde fallen. Pirminius, eine höhere Deutung erkennend, war dem Vogel nachgeeilt, fand den Span und sprach: «Hier will Gott seine Wohnung haben». Sogleich ordnete er hier den Bau des Klosters an und setzte die fliegende Taube mit dem Span im Schnabel in das Wappen des Stifts.

Im Jahre 731 stand der Bau da und Pirminius setzte 12 Mönche aus dem von ihm im Bodensee gestifteten Kloster Reichenau hieher. Prächtig blühte die neue Anstalt auf und mehrte ihren Besitz durch bedeutende Schenkungen und Vergabungen, übte rühmliche Gastfreundschaft, stiftete ein Krankenhaus und erwarb sich grosse Verdienste um die Belehrung des Volkes. Mit dem Wachsthum des irdischen Besitzthums aber gerieth das Kloster (nun Pfäffers geheissen, wahrscheinlich abgeleitet von Papa, Pfaffe) sowohl mit andern geistlichen Stiftungen, als auch mit seinen eigenen Kastvögten in langwierige Fehden, die es dem Zwecke der Volkserziehung bedeutend entfremdeten. In diese Zeit des Drangsals fällt die Entdeckung der warmen Quelle in der Taminaschlucht (1038). Nach der Sage war es ein Jäger des Gotteshauses, Karl von Hohenbalken, der bei der Plünderung eines Rabennestes auf einem überhängenden Baume am Rande der Taminakluft des aufsteigenden Dampfes im verborgenen Felsenschlunde gewahr wurde, darauf in Stricken sich hinabliess und das Wasser aus den Ritzen der Steinwand hervorquellen sah. Die Therme fand indes erst um das Jahr 1242 ihre Verwendung als Bad. Die Einrichtung war aber elend genug. Die Patienten liessen sich an Seilen hinunter in die grausige Schlucht, sassen mehrere Tage im Wasser, assen und schliefen darin und erklommen endlich, genesen, mit Lebensgefahr die Höhe wieder.

Erst in der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts wurde drunten ein ordentliches Badehaus aufgeführt, das mitten über der Tamina auf hölzernen Tragbalken ruhte, die in den Fels eingerammt waren. Doch auch jetzt hatte das Badeleben noch wenig Reiz, «denn mitten zwischen zwei zerrissenen Felswänden, mehr als hundert Fuss über dem tobenden Wildwasser, an der weitesten Stelle ein offener Raum von nicht mehr als fünfzig Schritt, über dem Haupte drohende Felsblöcke und überhängende Waldbäume, nach Süd und Nord die Felsen geschlossen, kaum eine Spanne des blauen Himmels sichtbar, durch welche die Sonne nur am hohen Mittag kärglich wenige Strahlen sendet, der Zugang nur durch hängende Leitern und Stricke ermöglicht, so dass mit Schwindel behaftete Menschen mit verbundenen Augen auf einem Sessel befestigt, herabgelassen werden mussten, das war die erste Badeinrichtung in Pfäffers.» Erst 1543 fand eine bedeutende Verbesserung derselben statt, indem Abt. J. J. Russinger eine solide Treppe, 350 Fuss lang und mit einem Geländer versehen, in die Tiefe führen und dort zwei bequeme Gebäude und eine Kapelle einrichten liess. Mittlerweile war der Ruhm des Bades schon weit hin erklungen und Gelehrte verzeichneten dasselbe als Naturwunder in ihren Schriften; allein die hereinbrechenden Kriegszeiten (Zürich- und Schwabenkrieg) und die Reformation zogen das Kloster so sehr in Mitleidenschaft, dass die Badegebäude theils durch die im Thermaldunst beschleunigte Vermoderung, theils durch die Wucht der Tamina, theils endlich durch eine Feuersbrunst total zu Grunde gerichtet werden konnten; Niemand hatte sich mehr um den Segensquell bekümmert. Erst Abt Jodocus nahm sich desselben wieder an und zwar in einer Weise, dass ihm die Nachwelt solange dankbar sein muss, als die Therme fliesst. Er liess nämlich ein grosses Badegebäude mit 100 Zimmern an der Stelle errichten, wo es heute noch steht, auf Pfingsten 1630 das warme Wasser durch eine kostspielige Leitung in dasselbe führen und die Patienten durch die Wirthe und Aerzte besorgen. Fünfzig Jahre später wurde aber die Quelle durch ein furchtbares Gewitter so vollständig verschüttet, dass keine Spur des Thermalwassers mehr zu finden war und man sich im Kloster ernstlich fragte, ob sich nur an eine Wiedergewinnung derselben denken lasse. Doch der Versuch, sie wieder zu heben, gelang nach ungeheurer Spreng- und Wegräumungsarbeit und sie wurde in einem in den harten Fels gesprengten Behälter vor ähnlichen Unfällen sicher gestellt. Noch manchen Sturm hatte aber die Anstalt in der Folge zu erleben, bis sie, durch die Aufhebung des Klosters 1838 in Besitz des Staates St. Gallen gekommen, recht gründlich verbessert und erweitert und durch eine Strasse längs der Tamina mit Ragaz verbunden wurde. Auch ein Theil des Thermalwassers wurde da hinausgeleitet und die neue Badanstalt im Hof Ragaz 1840 durch grosse Festlichkeiten eröffnet. Verbesserung folgte nun auf Verbesserung. Es wurden sämmtliche Quelladern im Taminabette gefasst, wodurch, sowie auch durch Erbohrung der neuen Quelle mittels des Stollens (1860), ein für jeden Bedarf genügendes Wasserquantum gewonnen ward; der Weg zur Quelle wurde neu hergestellt, neue Gebäude entstanden und zahlreiche neue Bäder mit verbesserter Einrichtung. Der Zudrang von Kranken und Naturfreunden stieg von Jahr zu Jahr: Ragaz wandelte sich vom armen Dörfchen zum schmucken Städtchen um; die Regierung baute daselbst die Badehalle und endlich trat der Staat 1868 den Hof Ragaz mit allen dazugehörigen Gebäuden und Liegenschaften und den Ruinen Freudenberg und Wartenstein käuflich, den Betrieb des Bades Pfäffers und der Badehalle in Ragaz konzessionsweise auf 100 Jahre an Hrn. Direktor Simon zum Zwecke der Errichtung einer grossartigen Kuranstalt nach vorgeschriebenem Plane ab. Dies führte denn auch die in der Einleitung berührte, grossartige Umgestaltung des Kurortes herbei.

Im Stollen beträgt die Wärme des Wassers 30 ° R., in der Trinkhalle zu Pfäffers 29 ¼ ° R., in Ragaz 27 ½ -27 ° R. und zwar ist die Temperatur eine höchst konstante; sehr veränderlich, von den Witterungsverhältnissen abhängig hingegen ist die Menge des Thermalwassers. In trockenen Zeiten beträgt sie nur 1200 Mass per Minute, während sie sich in nassen Perioden auf das vier- bis fünffache steigern kann. Das Wasser ist rein, krystallhell, ohne besonderen Geruch und Geschmack; es zeigt nicht den geringsten Niederschlag und wenn es auch 30 und mehr Jahre in Flaschen aufbewahrt wird. Die vorzüglichen Erfolge in der Heilung verschiedener Körperleiden werden wohl mehr in der konstanten Temperatur der Therme als in den chemischen Eigenschaften derselben zu suchen sein. Denn ihre vorgenommenen Analysen, sowie die geologische Erforschung der Gegend führten zu dem Resultate, dass das Wasser gewöhnliches Regen- und Schneewasser sei, welches im Gebirge (wahrscheinlich auf den grauen Hörnern) in die Felsenspalten einsickere, bis in diejenigen Tiefen der Erde eindringe, wo eine konstante bedeutende Wärme herrscht, sich diese aneigne und endlich damit in der Taminaschlucht zu Tage trete.

(Quelle: Die Alpenpost 1871. Aus des Herausgebers «Charakterbildern Schweiz. Landes, Lebens und Strebens»)

… so haben wir da einen riesigen Fortschritt

Wer Ragaz oder vielmehr die grosse Badanstalt neben dem Flecken Ragaz seit einigen Jahren nicht gesehen hat, der kennt es nicht wieder, wenn er jetzt dahin kommt, und wenn man bedenkt, dass Ragaz als Bad erst dreissig Jahre alt ist, so haben wir da einen riesigen Fortschritt. …

Die Einrichtungen des Bades blieben aber noch lange sehr primitiv, obgleich die Heilkraft des Wassers in Ruf gekommen und in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhundert ein kleines Kurhaus gebaut war, das mitten über der Tamina auf Balken ruhte, welche zu beiden Seiten in die Felswände eingelegt waren. Wie die Kur noch im 15. Jahrhundert beschaffen war, erzählt der gelehrte Felix Hemmerlin (Malleolus) aus Zürich in seinem 1451 erschienenen Traktat von warmen Bädern. Man pflege sechs oder sieben Tage im Bade sitzen zu bleiben, darin zu essen und zu schlafen, eine einzige Nacht dazwischen ausgenommen, wo ausserhalb einmal der völligen Ruhe gepflegt werde, und einer solchen intensiven Kur unterwerfe man sich, weil das Hinaufsteigen aus der Schlucht und das Hinabsteigen wegen des steilen Weges und der hängenden Leitern so schauderhaft und gefährlich sei. Ein Wirthschaftsgebäude scheint damals in der Kluft noch nicht gewesen zu sein; aber auch später, als ein solches eingerichtet war, wurden die Badegäste in einem Sessel an Stricken herabgelassen und kamen durch eine Oeffnung des Hausdaches in das Haus. Wer zum Schwindel geneigt war, liess sich die Augen für die Fahrt in die Unterwelt verbinden. In regnerischen Sommern war eine dortige Badekur besonders grausig und schaurig. …

((1543)) schilderte Sebastian Münster in der „Cosmographey“ die Badeeinrichtung von Pfäfers: „Ich wollt dir gern dis Bad mit einer Figur vor Augen stellen, wann es müglich were. Es ist so gar zwischen den grawsamen hohen Felsen beschlossen, dass man sein Gelegenheit nicht anzeigen kann. Es ist ein treffliche weite Spelunk, von zweyen hohen Felsen erwachsen, under welchen der ein ganz gebogen ist, wie ein Gewölb, und neigt sich gegen dem andern, und lassen oben in der Höhe gegen Mittag ein Oeffnung, dass die Sonn Sommerszeiten zu Mittag ein Stund ungefährlich darein scheinen mag, aber dennoch ganz dunkel da unden ist, dass man auch um den Mittag eines Lichts in den engen Gemachen bedarf. Dann es stehn unden gleich über dem fliessenden Gletscherwasser drey oder vier Häuslein, darinnen man kocht und kleine Stüblin hat. Am andern Felsen, der schlecht über sich geht, sind grosse und tiefe Löcher gehawn, starke Hölzer darein gelegt und zu einer Brücken geordnet, die haldet oben herab, dass man jetzundt mit Pferden hinabkommen mag bis zum Badt. Dis Wasser ist ziemlich warm, aber nicht heiss, dringt herfür durch ein Spalt des Felsens und ist Sommerszeit ein Fluss so stark, dass es Wasser genug hett für 2000 badender Menschen, wann sein Quell auf einer Weite were. Nun aber ist der Kasten (auch in Felsen gehawen) so eng, dass nicht viel über 100 Menschen darin sitzen mögen, die sich dannoch ganz eng und nah zusammen schmücken müssen, und sitzen da in der Dunkelheit, wie die Seelen in St. Patricii Fegfeuer. Ehe die Bruck oder Steg ist gemacht worden, sind viel Menschen Schwindels halb wider ungebadet hinweg gezogen, da sie gesehen haben die gähe Tiefe, so man hinab hat müssen steigen zum Bad.“

Aus der weiteren Geschichte des Bades Pfäfers hebe ich nur die Hauptmomente ganz kurz hervor. Die von Münster erwähnten Häuslein, welche als Herbergen und Wirthschaftsräume dienten, waren, wie die Badeeinrichtungen, besonders in der rauhen Jahreszeit, stets dem Verderben ausgesetzt. Bald drohte die wilde Tamina, welche mächtige Steine rollte und wo sie ein Ufer fassen konnte, ihre Kraft an ihm versuchte; im Jahre 1624 war eins der kleinen Gasthäuser von einem herabstürzenden Felsblock in den Abgrund geworfen worden; fünf Jahre später war das zweite mitten im Winter durch einen Brand verzehrt. Es hatten sich damals mehrere Personen, um der Ansteckung von der herrschenden s.g. Pest zu entgehen, in dieses gefährliche Winterquartier geflüchtet und da war durch Unvorsichtigkeit der Brand entstanden. Der lange gehegte Plan, die Quelle aus der Schlucht herauszuleiten, wurde 1630 ausgeführt vom Prälaten Jodocus Höslin, welcher auch da, wo noch jetzt das Kurgebäude steht, ein grosses Gebäude mit zwei Abtheilungen, jede von 50 Zimmern und 70 Betten, ausführen liess. Das Badgewölbe wurde in mehrere gemeinsame Bäder abgetheilt. Dies war der Anfang zu weitern Fortschritten im Anfang des 18. Jahrhunderts und in der Folgezeit. Einen neuen Aufschwung nahm das Ganze von 1819 an; es geschah das Mögliche, um bei der beschränkten Räumlichkeit den von Jahr zu Jahr sich mehrenden Kurgästen Aufnahme zu verschaffen. Aber erst durch einen grossartigen Plan gelang es, die unüberwindlich geschienene Schwierigkeit der räumlichen Enge zu beseitigen.

Im Jahre 1838 traf das Schicksal mancher Klöster in der Schweiz auch die Abtei Pfäfers. Sie wurde sekularisirt und damit kam auch die Heilquelle Pfäfers an den Staat St. Gallen. In unserem Jahrhundert der Erfindungen für Friedenswerke und Kriegszwecke kann es nicht Wunder nehmen, dass man nun daran dachte, die Heilquelle von Pfäfers auch insofern zu sekularisiren, dass man sie aus der klösterlichen Eingrenzung befreite und in grösserem Massstabe als es bisher möglich gewesen war, nutzbar machte. Die Ausführung des Gedankens ist aber doch gross zu nennen. Es wurde beschlossen, das Thermalwasser in hölzernen Röhren längs der Tamina bis zu dem dreiviertel Stunden entfernten Dorf Ragaz zu leiten, wo einer Badekur Luft und Licht nicht fehlen würde, zugleich aber zur Linken des Bergstroms eine Kunststrasse von Pfäfers bis Ragaz zu bauen. Man berechnete, dass das Thermalwasser auf diesem Röhrenwege nur etwa 2 Grad R. an Wärme verlieren, also noch mit 27-28 Grad in Ragaz anlangen werde. Das Statthaltereigebäude in Hof Ragaz wurde zur neuen Badeanstalt und zum Gasthaus ausersehen. Zugleich musste man jetzt und in den nächsten Jahren der Fassung und Beherrschung der Quellen bei ihrem Ursprunge eine besondere Pflege widmen. Schon am 30. Mai 1840 konnte die Feier des ausgeführten Unternehmens statt finden. …

Ragaz wurde rasch ein berühmter Kurort, auch schon als man noch nicht auf der Eisenbahn dahin kommen konnte und es wäre ohne Eisenbahn berühmt geworden. Eine Fahrt, etwa von Zürich her, war damals umständlicher als jetzt, aber bei günstiger Witterung weit genussreicher. …

Ragaz würde nur eine nicht eben bedeutende Zwischenstation auf der nach Chur führenden Bahn sein, wenn nicht die Bäder im Hintergrunde ein so grosse Anziehungskraft hätten. Jetzt stehen Omnibus von Gasthöfen in der Reihe, als ob eine bedeutende Stadt in der Nähe wäre. Ich wähle das elegante Gefährte des „Quellenhofs“, denn es liegt mir daran, Ragaz auf seiner höchsten Entwicklungsstufe kennen zu lernen.

Ich hatte Ragaz seit zehn Jahren nicht gesehen. Damals war mir „Hof Ragaz“ als ein Hotel ersten Ranges erschienen, jetzt kam es mir nur vor als eine ältere Zubehör zu dem grossen Prachtbau des „Quellenhofs“ mit seinen neuen Nebenbauten in den schönen Gartenanlagen. Die Umwandlung des Ganzen hat erst in den letzten zwei Jahren stattgefunden und ist so grossartig, dass man sie amerikanisch nennen kann. Der Direktor Simon, der jetzige Eigenthümer, ist auch ein Mann von amerikanischem Unternehmungsgeist und verbindet damit den Geschmack eines Künstlers. Er ist Architekt, hat früher in Petersburg palastartige Bauten ausgeführt, dann in St. Gallen zum neuen Bahnhofsquartier den Impuls gegeben und ist auch besonders für den Neubau von Glarus thätig gewesen. …

Wenn Ragaz schon bisher ein Kurort von europäischer Berühmtheit genannt werden konnte, so ist durch die neuen Einrichtungen dafür gesorgt, dass fortan noch mehr europäische Menschheit hier ausruhen und neue Lebenskraft sich holen kann und wann ist wohl das Bedürfnis dazu grösser gewesen als eben jetzt?

… Die hölzernen Röhren am linken Bord der Tamina entlang sind jetzt durch eiserne ersetzt und wie diese an sich solider sind, so befinden sie sich auch nicht mehr auf der Oberfläche des Bordes, sondern sind eingelegt und dadurch den Einflüssen der Witterung und dem Verderben nicht ausgesetzt. …

Quellenhof und Hof-Ragaz haben zusammen 80 Bäder in grösseren und kleineren, mit mehr oder weniger Eleganz ausgestatteten Räumen. Ich konnte mir ein grösseres Kabinet auswählen und unwillkührlich kam mir die Vergleichung der hiesigen Einrichtungen mit dem Badeapparat in den kellerartigen dumpfen Spelunken in Baden im Aargau, wo man sich freut, wenn man seine Zeit abgesessen hat. Wie das Murmeln einer Quelle unterhält im Quellenhof das fortwährend in gleichem Masse abfliessende und zuströmende reine und klare Thermalwasser und die baulichen Einrichtungen sind der Art, dass auch die Luft oberhalb rein bleibt und nicht ein feuchter Niederschlag belästigt. Für Douchen ist natürlich vielfach gesorgt und ingeniös sind die Apparate, um einzelnen Theilen des Körpers, z.B. einem gelähmten Arm ein durch starke Strömung potenzirtes Spezialbad zuzuwenden. Eine vorzügliche Zugabe zu den sonstigen Badeeinrichtungen ist das neue Schwimmbad. Neben der Badehalle unter dem Dach eines besonderen Gebäudes ist ein 80 Fuss langes und 30 Fuss breites Bassin, in welches von dem reichlichen Thermalwasser fortwährend eine genügende Quantität zuströmt. Die Temperatur des Wassers in dem Bassin ist regelmässig 22-23 Grad R. Den beiden Geschlechtern sind in diesem Schwimmbade bestimmte Tagesstunden für ihre Schwimm-Turniere zugetheilt.

Dass in wirthschaftlicher Beziehung der Quellenhof ein Hotel ersten Ranges ist, brauche ich kaum zu erwähnen. Es sollen dort 300 und in dem damit verbundenen Hof Ragaz 200 Personen Quartier finden können. Der gemeinsame Speisesaal für beide Hotels ist im Quellenhof und von genügender Grösse, da sich die Gäste auf die Tables d’hote um 1 Uhr und um 5 Uhr vertheilen und am Abend à la carte gespeist wird. … Dreimal am Tage spielte die treffliche Kurkapelle in dem Musikpavillon in den Anlagen oder in dem bedachten Gange bei der Badhalle oder in dem untern Saal des für sich stehenden Restaurationsgebäudes, welches Lesezimmer, Billard, Rauchzimmer etc. enthält. …

… Auf dem seit 1839 zu einer Fahrstrasse gebahnten Wege von Ragaz bis zu dem über 500 Fuss höher liegenden Bade Pfäfers ist vieles anzustaunen. … bis man unmittelbar vor den sich zusammenschliessenden Felswänden der Hauptschlucht den Gebäudecomplex des Bades erblickt. Um die Mittagszeit bei heiterem Himmel, der doch auch hierher seinen Segen spendet, und in der Vorahnung der Finsternis des dahinter liegenden, oft dem Orkus verglichenen Schlundes, gewährt das Hauptgebäude einen freundlichen Anblick, gewöhnlich dominirt aber der Ernst, zumal wenn man auf die Kranken und Bresthaften blickt, welche auf den Bänken daneben etwas frische Luft schöpfen oder auf engem Raum mühsam den Versuch einer Bewegung wagen. Pfäfers ist kein Modebad, sondern ein Heilbad im ernsten Sinn. Wenn man eintritt, fühlt man sich von Klostermauern umfangen und der freundliche Wirthschafts-Direktor erscheint wie ein milder Prior eines Hospizes im rauhen Gebirge, aber man wird nicht von Laienbrüdern bedient, sondern von blühenden Mädchen, welche kein anderes Gelübde gethan haben als tugendhaft zu sein, ohne der Welt zu entsagen.

Die Badesaison geht in Pfäfers früher als in Ragaz zu Ende, nämlich schon im September. Wie düster und feucht es dann in den Wintermonaten dort sein mag, kann man daraus abnehmen, dass sämmtliche von den Badegästen benutzte Betten, um sie vor dem Verderben durch Feuchtigkeit zu sichern, früher in das Kloster Pfäfers und seit dieses als Irrenanstalt benutzt ist, in das Pfarrhaus von Valens gebracht wurden. Jetzt transportirt man sie wahrscheinlich nach Ragaz.

Die wirthschaftlichen Einrichtungen sind in Pfäfers in ganz anderer Weise grossartig als in Ragaz. … Nach Pfäfers geht niemand, um üppig zu leben und sich in der sogenannten feinsten Gesellschaft zu bewegen. Die Gesellschaft hat hier ihre Rangordnung, welche sich kundgiebt in der Verschiedenheit der zu benutzenden Bäder, wie in den Abstufungen der Quartiere und der Mittagstafeln. Pfäfers hat in einer Region der Gebäude noch den Charakter eines klösterlichen Armenbades behalten, denn die Gemeinden des Kantons St. Gallen können arme Kranke hier unterbringen gegen eine Zahlung von 20 Franken für eine dreiwöchentliche Kur, die Beköstigung einbegriffen. Auch anderen unbemittelten Kranken ist es möglich, hier für eine sehr mässige Ausgabe, wenn auch nicht für eine solche Minimalsumme, eine gründliche Kur zu machen. In der obern Region dagegen, wo eine sehr gute Table d’hote den durch das Baden geschärften Appetit einladet, sind nicht wenige Fremde, welche lediglich den Bädern von Pfäfers denen von Ragaz den Vorzug geben, weil sie jene als unmittelbar an der Quelle befindlich für wirksamer halten, nicht aber aus ökonomischer Berechnung. … Anders als in Ragaz bestand die Badegesellschaft in Pfäfers grossentheils aus Schweizern und das ist wohl die Regel. Eine andere, damit aber doch etwas zusammenhängende Verschiedenheit liegt darin, dass in Pfäfers die Gesellschafter sich schnell mit einander einleben und das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit haben, was in Ragaz entweder gar nicht der Fall ist oder doch nur annähernd in einzelnen Kreisen des grossen Ganzen. Kommt in Pfäfers ein neuer Gast heran, so wird er an der ersten Mittagstafel gemustert; die schon installirten Kurgäste wünschen zu wissen, wer und woher er sei, und dieses erste aus Wissbegierde entsprungene Interesse gestaltet sich, wenn der Neuangekommene nicht unsocial ist, bald zu einem wohlwollenden gegenseitigen Interesse. Ragaz und Pfäfers unterscheiden sich in ähnlicher Weise von einander wie eine grosse und kleine Stadt. …

(Quelle: Wanderstudien aus der Schweiz. Eduard Osenbrüggen, 1867-1881)