Auszug aus Doazmol Band 2: PDF
Autor: indenbergen
Wildheuer
Auszug aus Doazmol Band 6: PDF
Artikel über die Wildheuer aus “Die Neue Alpenpost” 1875:
Der Wildheuer: Wenn wir im Thalgrunde am schönen Augustmorgen vor die Thüre des Hauses treten und unsere Blicke im Umkreis des Gebirges schweifen lassen, so sehen wir da und dort einen blinkenden Punkt – es ist die Sense des Bergheuers. Wenn unser Ohr aufmerksam lauscht, so hört es von Zeit zu Zeit einen fröhlichen Jodel – es ist die Stimme des Bergheuers. Bei der ersten Morgendämmerung hat er sich dort oben entweder schon vom Thale aus eingefunden oder von seinem Lager erhoben. Kurze Unterbrechungen abgerechnet, die durch die Zubereitung und den Genuss der einfachen Mahlzeiten veranlasst werden, mäht er den ganzen Tag rüstig fort; bald bringt er ordentliche «Mädlein» zusammen, die er mit der kurzen Sense sogleich etwas verzettet, bald ist er genöthigt (durch die Unebenheiten des Bodens, das Gerölle oder grössere Felsstücke), statt des eigentlichen Striches der Sense dieselbe nur behutsam zu «ziehen», bald muss er sich aufs förmliche Schaben legen und in diesem Falle vertauscht er gerne die Sense mit der Sichel. In der leichten Luft und umgeben von grossartigen Naturschönheiten ist’s ihm fröhlich zu Muthe, er gedenkt nicht der müden Arme und Beine, nicht der rieselnden Schweisstropfen, bis die untergehende Sonne ihn zur Heimkehr oder zur Ruhe ruft.
Mannigfaltige Gefahren umschweben den Wildheuer während seines Tagewerkes und schon Mancher sah die Sonne des Morgens aufgehen und dachte nicht daran, dass bis am Abend seine Augen auf immer geschlossen würden. Trotz der Fusseisen, deren man sich in einzelnen Berggegenden bedient (in andern sind sie ganz unbekannt; starkgenagelte und mit Spitzen versehene Schuhe ersetzen dieselben), kann der Fuss ausgleiten und damit verliert der Leib sein Gleichgewicht, oder es weicht unter der Last des Heuers ein Stück Rasen und beraubt ihn seines sicher geglaubten Standortes. Durch den Tritt einer Gemse, durch einen starken Windstoss, durch das Abschmelzen von Lawinenschnee gerathen über dem Haupte des emsigen Arbeiters Gerölle und kleinere Felsstücke in Bewegung und rollen den Abhang hinunter; eh’ er sich’s versieht, hat ihn ein Stück erreicht, so dass er entweder verwundet oder in den Abgrund geschleudert wird. Man denke sich nun, in welcher verzweifelten Lage sich ein so an den Beinen oder am Kopf verwundeter Bergheuer in seiner Einsamkeit befindet: er ruft um Hülfe, aber Niemand hört ihn, zwischen Himmel und Erde schwebend, vermag er sich kaum festzuhalten an der steilen Berghalde, die Nacht, deren schneidende Kälte seine Schmerzen vermehrt, bricht herein. Wohl ihm, wenn er des Abends zu Hause erwartet wird, oder sein Nachtquartier so liegt, dass das Abendfeuer vom Thale aus den Seinen bemerkbar ist – in beiden Fällen ahnt man das Unglück und beherzte Männer halten Nachforschungen, bis sie den Unglücklichen gefunden und in Sicherheit gebracht haben! Aber wie mancher ist schon nach langem Harren und Hoffen unter entsetzlichen Qualen doch endlich noch zu Grunde gegangen, weil keine rettende Hand ihm zu Hülfe eilen konnte!
Dass die Wildheuer von Schwindel ganz frei sein müssen, um ihr Handwerk zu treiben, versteht sich von selbst, denn sie gehen oft mit einer schweren Bürde auf dem Nacken durch Pfade, wo den andern Menschenkindern, auch wenn sie gar nichts zu tragen haben, Hören und Sehen ausgeht.
Am zweiten (im Spätherbst am dritten) Tage ist das abgemähte Futter trocken, wenn auch nicht immer dürre, nachdem es nur an den dichtesten Stellen ein wenig gewendet worden ist. Jetzt beginnt das «Aufmachen». Mit dem kurzen Rechen wird von oben herunter das Heu in «Wälme» zusammengezogen, bei welcher Arbeit man wiederum die grösste Vorsicht zu beobachten hat, denn der Boden ist, weil die Arbeit Nachmittags geschieht, trocken und glatt, so dass der Fuss leicht ausglitscht.
Muss das aufgemachte Futter getragen oder gezogen werden, so recht der Heuer jeweilen nur soviel zusammen, als hinreichend ist, um ein Garn («Seiltuch,» «Bläche») zu füllen. Jetzt wird dieses Garn auf einer ebenen Stelle oder hinter einem Felsblock ausgebreitet und geladen. Dann trägt er Bürde um Bürde in Sicherheit. Sind die Heuscheunen («Gaden», «Gädmer», «Finel», «Heuställe») am Fusse des Abhanges gebaut, so lässt er das erste Garn ruhig auf seinem Platze und ladet in senkrechter Richtung darunter ein zweites, ein drittes u.s.w. Hat er die Arbeit des Ladens vollendet, so zieht er das erste Garn herunter zum zweiten, knüpft die beiden zusammen, schleift sie zum dritten, hängt, so viel er zu ziehen vermag, aneinander und bringt seine Ernte endlich unter das schützende Dach des «Finels». In der Region der Tannen werden einige Tannäste unter die Seiltücher gelegt, um dieselben besser zu schonen.
In vielen Berggegenden kennt man die «Heugaden» gar nicht, sondern alles trockene Futter wird in s. g. Tristen (Feimen, Schober) aufgestockt und hält sich in denselben vortrefflich. Zur Anlage solcher Tristen wird ein ebener, geschützter Platz ausgewählt, der, wenn irgend möglich, von den Lawinen nicht erreicht wird: hier rammelt man vorerst eine tannene Latter (junger, abgeästeter Tannenstamm) von 15-20’ Höhe in die Erde und macht ihn mit eingekeilten Steinen recht fest. Dann wird aus Tannenästen eine runde, trockene Unterlage («Tristbett») gebaut und auf diese das Heu kegelförmig aufgelegt. Die «Tristlatte» bildet den festen Haltpunkt, um dieselbe herum wird das dürre Futter in immer engerem Kreise festgestampft und zuletzt auf die Spitze ein Hut von längerem Grase (wo möglich Halmen) aufgesetzt. Um das Kunstwerk gegen Regen und Schnee möglichst sicher zu stellen, zieht man mit dem Rechen den ganzen Schober recht sorgfältig ab, so dass Regen- und Schneewasser an den abwärts gerichteten Halmen abträufelt. Es kann dabei natürlich nicht verhütet werden, dass nicht die äussere Oberfläche des Schobers ausgewaschen wird, allein bei guter Anlage des Triststockes ist der Schaden gering und im Innern bleibt das Heu unversehrt – schöner und «lauterer» als in den Fineln.
Der Wildheuer bindet im letztern Falle (Auftriften) sein Futter selten in Seiltücher, es sei denn, dass das Tristbett höher liegt, als ein Theil seines «Maades»: er zieht vielmehr seine Wallmen allmählig gegen die Schober zusammen und, wenn erstere zu gross werden, so trägt er von Hand, was er mit den Armen zu fassen vermag (in «Arfeln»), denselben zu.
Ist der Triststock vollendet, so gilt es noch, denselben gegen ungebetene Gäste zu schützen, denn die Gemsen, Berghasen, verlaufene Ziegen und Schafe sind dem zarten Heu sehr aufsässig. Zu dem Zwecke wird ein eigentlicher Zaun um den Schober eingerammelt, oder man bedient sich eines Flechtwerks von Sträuchern, das durch eingeschlagene Zaunstecken gehalten wird.
Wenn der Wildheuer seine Arbeit in den Bergen vollendet hat, so kehrt er zufriedenen Sinnes wieder ins Thal zurück und überschlägt dabei, ob sein Futterbedarf für den Winter mit seiner Arbeit gedeckt sei oder wie viel Gewinn er von derselben zu erwarten habe, wenn er seinen gesammelten Vorrath verkaufen will. Und «der Arbeiter ist seines Lohnes werth», um den er nicht nur im sauren Schweisse seines Angesichtes, sondern unter täglicher Todesgefahr gerungen hat.
Vorausgesetzt, Lawinen und Stürme haben in der ersten Hälfte des Winters die «Tristen» und «Heugaden» verschont, so war das Auge des Wildheuers täglich nach den Bergen gerichtet, um den günstigen Augenblick zum Heimholen seiner Ernte zu erspähen. Je nach der Höhe und Lage der Vorräthe ist mehr oder weniger Schnee nothwendig, um dieselben zu Thal zu bringen; führen ordentliche Alpwege, die wenigstens die Breite eines (Zug-)Schlittens haben, bis in die Nähe derselben, so kann beim ersten bedeutenden Schneefall das Heu «gezogen» werden. Die Nachbarn gehen sich in dem Falle hilfreich an die Hand – «heute mir, morgen dir». In der Frühe des Wintermorgens ziehen sie aus, jeder mit seinem Schlitten auf den Schultern (bergauf werden die Schlitten mit leichterer Mühe getragen als gezogen und sind eigens dazu eingerichtet); an dem Fuhrwerk sind 4-5 Heugarne angehängt; bei frisch gefallenem Schnee geht’s langsam voran, Tritt für Tritt muss zuerst gebahnt werden und es wechseln die Leute bei dieser mühsamen Arbeit in dem Vortritt mit einander ab; man macht da keine Complimente, denn Jeder weiss, dass es sich hier nicht um eine Ehre, sondern um eine Plage handelt und dass der Erste die grösste Beschwerde hat. Die Schlitten werden so hoch in den Berg hinauf genommen, als es sich thun lässt – wenn möglich bis an den Fuss des Abhanges, auf dessen abschüssigem Rücken die Heuschober und Stöcklein der Befreiung von ihrem winterlichen Gewande harren. Wenn von da an die Last durch Zurücklassen des Fuhrwerks leichter geworden und nur noch die Garne auf den Schultern liegen, so ist damit nicht viel gewonnen: denn nun muss die steile «Halde» erstiegen und durch langes Zickzack die grosse Anstrengung des Schneetretens so viel als möglich gemildert werden. Wenn der Boden unter dem Schnee gefroren und dieser letztere trocken (staubig), so ist das Unternehmen nicht nur anstrengend, sondern sehr gefährlich, namentlich an solchen Stellen, wo jähe Felsabstürze und Abgründe den Weg umgeben.
Wir sind endlich glücklich am Ziele der Bergfahrt angelangt und gehen nach kurzer Ruhe und Erfrischung an die Arbeit; die Sonne ist unterdessen aufgegangen und ein scharfer Morgenwind umweht unsern hohen Standort. Die Heugarne werden ausgebreitet, eines nach dem andern geladen und in Reih und Glied aneinander gestellt. Der Triststock muss natürlich ganz gefasst werden, weil, einmal angegriffen, er seiner schützenden Bedeckung entbehrt und das Futter sich leicht verderben würde; auch mit dem «Gadenheu» wird, wo möglich, in einer «Führe» aufgeräumt, weil man ungern mehr als einmal den beschwerlichen Weg unter die Füsse nimmt.
Ist die Arbeit des Ladens glücklich vollbracht, so werden eine gewisse Zahl von Bürden zusammengebunden (sie wechselt nach der Steilheit des Abhanges), dann stellt sich ein Mann vorn an den gekuppelten Zug, bringt denselben in Bewegung und so werden alle durch den gleichen Schleif in möglichst gerader Richtung bis an den Schlitten geführt. Ist keine Lawinengefahr und überhaupt der Tag zur Arbeit günstig, so jodeln die Heuzüger aus vollen Kehlen und geben damit ihren Weibern und Kindern im Thale das Zeichen, dass Alles gut von Statten geht.
Bei unsern Schlitten angelangt, binden wir die einzelnen Bürden (Seiltücher) los, laden ihrer drei oder vier aufs leichte Fuhrwerk und dann geht’s unverdrossen weiter. Ist der Weg gefahrlos, so ist die Arbeit ein Kinderspiel, mit Ausnahme der Stellen, wo etwa die Schlitten mit ihrer schweren Last bergan gezogen werden müssen: da werden freilich Arme, Beine und Lungen fast über Vermögen in Anspruch genommen, und wir müssten, wenn wir nicht abermals von dem Vortheile der Association Gebrauch machen könnten, fast verzweifeln. So aber helfen wir einander, bis es geht und der letzte Schlitten die Steigung hinter sich hat.
Eine halbe Stunde heimwärts des heimischen Dörfchens kommen uns die «Buben» entgegen, wollen wenigstens den letzten gefahrlosen Theil unserer Schlittenfahrt mitmachen, sitzen aufs Fuder und träumen – zwischen den wohlriechenden Heubündeln majestätisch thronend – von der goldenen Zeit, in welcher sie die ganze Winterparthie mitmachen werden.
Aber nicht alle Heuzüge verlaufen so leicht, wie der beschriebene. Einzelne Tristen und Heustöcklein können nur dann von ihren Standorten und «Fineln» weggeführt werden, wenn eine grosse Masse Schnee in den Bergen liegt, so dass einzelne gefährliche Graben gehörig mit demselben ausgefüllt sind. Auch werden die Heuzüger nicht selten gezwungen, ihre gefüllten Garne über Felsabstürze hinunterzuwerfen, weil sie dieselben nirgends um die Felswand herum tragen oder ziehen können. Sollen nun die Ladungen nicht zerfahren und das Futter grossen Schaden nehmen, so muss ein Tag abgewartet werden, wo unten (am Fusse) der Wand eine sehr tiefe und lockere Schneedecke liegt, auf welche alsdann die Bürden unversehrt niederfallen. Natürlich ist bei einem solchen Stande des Schnees die Arbeit des Erklimmens der Tristbette und Heugaden ausserordentlich beschwerlich, und wenn erst noch an demselben Tage die Lasten streckenweit auf dem Rücken getragen werden müssen, so wird des Heuzügers Kraft ausserordentlich in Anspruch genommen. Man denke sich, was das heisst: mit einer zentnerschweren Bürde auf dem Rücken auch nur fünf Minuten weit durch den tiefen Schnee zu marschiren!
Aber zum Glück sind diese Bergheuer meistens eiserne Naturen, von deren Arbeitskraft und Ausdauer gewöhnliche Menschenkinder sich kaum eine Vorstellung machen können. Wir waren Zeugen, dass Bergleute in mondheller Winternacht und bei einer Kälte von 14° R. nachts um 1 Uhr sich auf den Heuzug begaben, zuerst 2 ½ Stunden ihre Schlitten thaleinwärts abwechselnd zogen und auf den Schultern trugen, dann eine Stunde lang einen steilen Berghang erklommen – und das Alles bei tiefem und lockerm Schnee! Am Ziele ihrer Winterfahrt angelangt, hatten sie mehrere Stunden zu thun, bis sie die «Heubalm» (an einzelnen, wenigen Orten im Gebirge hat die Natur selbst für «Heubehälter» gesorgt: es sind dies die sogenannten «Balmen», gebildet durch schräg einfallende Felswände oder grosse, schiefstehende Felsblöcke, unter deren schützendem Obdach das Bergheu aufgestockt wird) geleert und ihre Garne gefüllt hatten. Jetzt mussten die Bürden erst eine Strecke weit getragen (ein Jeder hatte diesen Weg viermal, d. h. mit vier Lasten zurückzulegen) und dann mehr als eine halbe Stundte bergabwärts bis an den Rand einer Felswand gezogen werden. Da ging die Reise der Heubündel schnell von Statten, sie flogen senkrecht der Wand nach hinunter in den weichen Schnee, ihre Eigenthümer aber mussten einen weiten Umweg machen, bevor sie wieder in Besitz ihrer flüchtigen Habe gelangten. Endlich wurde dieselbe wieder erreicht und auf die Schlitten verladen, aber nun waren erst wieder die 2 ½ Stunden des Thalweges zurückzulegen, bis das mühevoll gesammelte und mühevoll heimgeholte Futter in den Scheunen des Thales eingebracht und dem «theuren Veehli» vorgelegt werden konnte. Es war Nachmittags 3 Uhr, als die Gesellschaft im Dorfe anlangte.
Das «Bergheu» ist in den Gegenden, welche Alpwirthschaft treiben, eine sehr willkommene Zugabe zu dem «Thalheu». Die schmalen Thalsohlen und tieferen Seitengehänge liefern in seltenen Fällen genugsame Winterung für alles Vieh, welches auf den Alpen gesömmert werden kann, und so wird durch die Zufuhr aus den höhern Bergregionen der Futtervorrath bedeutend erhöht. Namentlich sind es die ärmeren Leute, die durch fleissiges Einsammeln von Wildheu einiges Schmalvieh zu halten in Stand gesetzt werden und sich dadurch die nothwendigsten Lebensbedürfnisse auf wohlfeilem Wege verschaffen.
Der Ertrag der Heubezirke ist ein sehr wechselnder. Manche Määder können ohne Schaden alle Jahre gemäht werden, andere mit Vortheil nur im 2. bis 3. Jahr. Sehr abhängig bleibt immerhin die Heuernte von der Winter- und Frühlings-Witterung: Am grasreichsten sind im Allgemeinen diejenigen Jahrgänge, in welchen zur Winterszeit tiefer Schnee fällt, der bis im Mai oder Anfangs Brachmonat liegen bleibt und dann bei der Hitze des Sommers plötzlich wegschmilzt. Ein schnelles, üppiges Pflanzenwachsthum folgt dann in der Regel während des Sommers, das späte Schneewasser düngt den Boden, gibt ihm die nöthige Feuchtigkeit und die Sonnenwärme treibt die Alpenkräuter schnell hervor.
Bleibt hingegen im Winter ein tiefer Schneefall aus oder schmilzt der Schnee schon zu Anfang des Frühlings ab, mangelt so den Pflanzen die zu ihrer gedeihlichen Entwicklung nothwendige Feuchtigkeit, so ist in den Alpen und Heumäädern der Grasertrag spärlich, wenn nicht durch häufigen Sommerregen der Schaden einigermassen ausgeglichen wird. (R. Schatzmann)
(Quelle: Die Neue Alpenpost 1875)
Bergtouren Spitzmeilen
Sarganserland. Flums-Grossberg. Letzten Samstag löste sich auf der Alp „Wiese“ ein grosser Stein von einem Felskopf ab, und rollte in gewaltigen Sprüngen einer Alphütte zu, wo 80 Sentenkühe im Hofe zum Melken bereit stunden. Zum Glücke traf der Stein weder Menschen noch Vieh, sondern schlug Dach und Wand der Hinterhütte ein und nahm sich ein frisches Bad in der Milch und liess sich der Anken von einer ganzen Woche trefflich schmecken. Der Schaden an Milch und Anken ist beträchtlich.
(Quelle: Alpenpost 1873)
Spitzmeilen, Weissmeilen, Magerrain.
Freie Fahrt von Heinrich Spoerry und Johann Baptist Stoop, 9. Juni 1895.
Wenn man mit der Eisenbahn von Zürich nach Sargans fährt, fällt einem auf der Station Flums, besonders etwas unter und ob derselben die originelle Berggruppe im Hintergrund des Schilzthals, Spitzmeilen, Weissmeilen und Magerrain auf. Noch schöner scheinen dieselben auf der Staatsstrasse von Wallenstadt nach Sargans. Die Nordseite dieser Berge wird nie schneelos. Höhen: Spitzmeilen 2507, Weissmeilen 2485, Magerrain 2528. Östlich vom Spitzmeilen und westlich vom Weissmeilen führen Pässe aus dem St. Galler Oberland ins Glarnerland. Diese Pässe 2214 und 2422, werden etwa zu Viehtransporten benutzt, würden sich aber auch für Kavallerie und Gebirgsartillerie eignen. Westlich vom Magerrain geht ein Kletterpfad durch das Galanzthürli auf die Alpen Erdis und Mühlebach.
Wir stiegen über Wardaböll und den Schöneckgrat zwischen Mad und Vans auf den Spitzmeilen, dessen Felsenkopf von der Ostseite unschwer zu erklettern ist. Der Spitzmeilen ist ein ausserordentlich verwitterter Kalkfelsen, freistehend auf einem schönen Schuttkegel und besteht aus zwei Gipfeln, von denen der südliche bestiegen wird. Der nördliche Gipfel, vielleicht noch nie bestiegen, erfordert wegen dem losen Gestein grosse Vorsicht; wir schmückten ihn mit einer Fahne.
Ich habe den Spitzmeilen das erste Mal vor etwa 15 Jahren von der Südseite bestiegen. Bis an wenige Meter geht es gut, aber zu oberst ist das Gestein ganz beweglich. Ich zog Kittel, Schuhe und Strümpfe aus und erstürmte mit Todesverachtung den Gipfel, zog aber vor, auf der Ostseite abzusteigen. Dann musste ich barfuss um den aus scharfkantigem Geröll bestehenden Schuttkegel herum und noch einmal auf der Südseite hinaufklettern, um meine zurückgelassenen Effekten zu holen. Angenehm war es nicht. Seither habe ich stets die Ostseite zum Auf- und Abstieg gewählt.
Sonntag, 9. Juni 1895, änderte das Wetter auf Mittag rasch. Schneeriesel prasselten nieder, und dann fing es an zu regnen. Wir gingen über den Grat zum Weissmeilen hinüber. Merkwürdiger Wechsel von Gesteinsarten in allen Farben und Härten, grau, weiss, rostrot, purpurrot, blau, schwarz, grün, Kalksteine, kohlensaure und schwefelsaure, Granit oder Gneisblöcke, auf dem Gipfel des Weissmeilen mächtige Lagen von Gips (Alabaster?), die ganz das Aussehen von altem Schnee haben und von den meisten als solcher angesehen werden; ferner Gesteine, ähnlich Kraterschlacken, Bimssteinen, Tuffsteinen, Schwefelbildungen, weiterhin Rot- und Blauschiefer; eine wunderbare Anhäufung von Gesteins-Arten und –Lagen. Ob der Weissmeilen mit seinen Schwefelmineralien nicht vulkanischer Natur ist? Die Form lehnt die Vermutung nicht ab. Würde vielleicht Herr Professor Albert Heim die Güte haben, mit der Sektion Piz Sol eine Tour auf den Weissmeilen zu machen und uns über diese Formationen zu belehren? Das wäre eine lohnende Tour.
Wir gingen über die Passlücke 2422, die wir letzten Winter auf Ski zu überschreiten gedachten, und versprachen uns, das Vorhaben nächsten Winter auszuführen, und stiegen über den Grat westwärts bis 2462. Durch das Mühlebachthal kroch ein schwarzes Wetter herauf. Schwere Wolken strichen über den Grat. Wir rutschen in sausender Fahrt den steilen Schneehang auf die Alp Fursch hinab, unser Specialvergnügen. An diesem Schneehang zeigen sich horizontal laufende Schründe, Chlägg, wie bei einem Gletscher. Die Alp Fursch war früher offenbar von einem Gletscher bedeckt; die zahlreichen, sehr deutlichen Moränen, auch auf der Karte, „Abendweid“, eingezeichnet, beweisen es auf das überzeugendste. Ob der Schneehang am Weissmeilen ein Rest davon ist, oder der Anfang zu einem neuwerdenden Gletscher?
Die Alp Fursch, eine Welt für sich, von vielen Quellbächen durchflossen, die vereinigt den schönen Wasserfall des Furschbach bilden, weist einen Pflanzenreichtum auf, wie vielleicht keine zweite Alp der Schweiz. Die mächtigen Urwälder von Tannen und Arven an der First, auf der Abendweid und unter den Saxern sind zwar verschwunden, dem Klima oder Unverstand zum Opfer gefallen. Modernde Holzreste sind ihre letzten Spuren. Jetzt müssen die Zusennen das Holz stundenweit herauftragen. Die Mitglieder der Sektion Piz Sol des S.A.C. in Flums haben vor, nächsten Herbst unter den Saxern eine Arvenpflanzung anzulegen.
Wer den Blumenreichtum in Fursch in der ganzen Fülle, Pracht und Mannigfaltigkeit sehen will, komme in der ersten Hälfte Juni und bewundere die Blütenhügel von Azaleen, Silenen, Steinbrechen, die Gärten von blauen, weissen, roten und gelben Gentianen, leuchtenden Primeln, goldenen Sieversien, schöngeformten und zartgefärbten Anemonen, zierlichen Soldanellen, dunkelvioletten, gelben und weissen Veilchen, bescheidenen Crocus, betäubend duftenden Seidelbasten…, wer kennt und nennt sie alle, Floras liebe Kinder, die hier versammelt sind auf hoher Alp. Später kommen noch Männertreu, zwei Arten Alpenrosen und Edelweiss – am Saxmor – dazu.
Über Namen, Schreibarten u. a. In der Ortssprache wird Spitzmeile, dagegen Wissmil gesprochen; eigentümliche Inkonsequenz. – Verschieden ist die Schreibart von Magerrain. Eschmann schreibt Magereu, Dufour Mageren, Siegfried Nr. 264 Magereu, Nr. 266 Mageren. Der Name scheint wie Spitzmeilen und Weissmeilen deutsch zu sein mit dem Sinn: „Der magere Rain“. Dann muss er geschieben werden: Schriftdeutsch Magerrain, Flumserdütsch Magerrai, Quartnerdütsch Magerräu. Die Schreibweise aller Karten wäre also unrichtig. Saxmor, auf den Karten fälschlich Sexmor, Analogie Sass Maor in den Dolomiten, verdeutscht „schwarzer Fels“, sehr zutreffender Name. Nach unserm Dialekt wäre die dem Laut nächstkommende Schreibart Sachsmor, was sich bei schriftdeutscher Aussprache mit Saxmor deckt. Ebenso Saxer (Sachser) auf den Karten fälschlich Sexer. Im grossen Saxer geht eine Kluft tief in den Berg hinein. Sage von einem verborgenen Schatz, den ein Ungeheuer hüte. Ein Älpler sei bis zu einer Thüre vorgedrungen und habe geklopft. Da rief eine Stimme: „Der Schlüssel liegt ob der Thür“. Dem Mann sei das Courage vergangen, und halb tot vor Schrecken sei er wieder ans Tageslicht gelangt. Wir werden diesen Sommer, wenn der Schlüssel noch ob der Thür liegt, davon Gebrauch machen.
Werdenbühl hiess früher Blatt Nr. 266 des topographischen Atlas. Wir haben es umgetauft in Spitzmeilen. Werdenbühl ist auch so eine verschriftdeutschende Fälschung von Wardaböll, einer Alp im Schilzthal. Ähnlich hat man Valtüsch ein Valteusch, aus Balzu ein Balzaun, aus Casella ein Gasellen, aus Pradella ein Bardellen, aus Capatscha ein Gapösche oder gar „in Gebüschen“, aus Craplong, denn so spricht man heute wie vor 1000 Jahren, und zwar Crap mit dem breiten Bündner a, das sonst nur bis Ragaz reicht, ein Grepplang, aus „der Seez“ (masc.) ein „die Seez“ (fem.) u.s.w. fabriziert und in Cirkulation gebracht. Gut, dass der gesunde Sinn des Volkes jahrzehntelang solchen Unsinn nicht annimmt, wenn er auch in allen Büchern und Karten steht. Es ist höchste Zeit, dass man gegen diese Namenverderber einmal anfängt zu wüten, gegen diese Sprachfälscher, die in ihrer Blasiertheit von der Geschichte unseres Landes keine Ahnung haben, noch weniger davon, dass wir an unserm urchigen Schwizerdütsch in seinen Nuancen von Landschaft zu Landschaft, ja von Dorf zu Dorf einen Schatz besitzen, den die Gelehrten immer mehr werten. Der gebildete Glarner, Zürcher und Basler schämt sich nicht, in Gesellschaft glarner- und züridütsch und baslerditsch zu reden, aber bei uns meint jeder Gemeindratsaspirant, seine Bildung, seine „Gwestheit“ zu zeigen, wenn er das „Buredütsch“ verachtet und in Vereins- und Gemeindeversammlungen einen widrigen Schwabenjargon spricht, nur nicht das Idiom seines Geburtsortes. Ihr eitlen Dummköpfe, gutes Gold gegen schlechten Messing zu vertauschen.
Das Schwizerdütsch zu pflegen und in seiner Reinheit und Mannigfaltigkeit zu wahren und seine Fälscher zu verachten, ist auch eine Aufgabe des Schweizer Alpen-Club, und zwar eine schöne, in § 1 der Centralstatuten enthalten. Das Schwizerdütsch, die Volkssprache, die Ursprache, das Altdeutsch ist eine Eigentümlichkeit des Schweizer Hochgebirgslandes so gut als seine Berge und Gletscher, und formenreich wie die Alpenflora ist das Schwizerdütsch, jeder Dialekt eine Species, eine seltene Alpenblume, nur in einem Tal zu finden.
Wir kamen vom Spitzmeilen und Weissmeilen. Zu Fusch, in einer noch unbewohnten Alphütte, assen, tranken und plauderten wir, feuerten und trockneten uns. Ein Donnerwetter zog über Berg und Thal.
(Quelle: Johann Baptist Stoop in: Alpina 1895, S. 109f.)
Sektionstour auf den Spitzmeilen (2505 m)
Samstag/Sonntag 10./11. September 1904. Mit der Verschiebung dieser Tour um acht Tage hatte man keinen guten Wurf getan.
Sieben Mann fanden sich für die Tour zusammen, alle voll Hoffnung, es werde sich das Wetter, das Samstags nicht sehr einladend war, auf Sonntag bessern, lauteten doch die Witterungsberichte günstig und stand auch der Barometer gut.
Die Hoffnung schwand auch dann noch nicht vollständig, als gegen das Glarnerland zu bereits der Regen an die Wagenfenster klatschte und der telegraphisch bestellte Führer am Bahnhof in Weesen nicht zu finden war. Man tröstete sich damit, er werde abends nachkommen.
Nachdem in Flums noch von dem bekannten ausgezeichneten Brod gefasst worden und der eine der Teilnehmer noch eine Lebkuchenscheibe im Rucksack versorgt hatte, gings über Portels auf nassem Wiesenpfade dem Schilztale zu. Der Regen hatte nachgelassen und beim Aufstieg nach der Bruggweite hatten wir sogar „lichte Augenblicke“. Die Spitzmeilenhütte kam später mehrmals aus dem Nebel, näher kommen wollte sie nur langsam.
Auf der Alp „Wiesen“ liessen wir uns eine Milch kochen und tranken davon nach Herzenslust. Eine ganze Anzahl Schweine wollte sich partout an unserem Mahle beteiligen, speziell einer unserer Kameraden hatte die grösste Mühe, die unappetitlichen Gäste an der Untersuchung seines Rucksackinhaltes zu verhindern. Nicht genug an dieser Plage, bekam dem Armen die Milch auch nicht am besten und musste er mehrmals eine von der unsrigen abweichende Route einschlagen. Ein neuer Regenschauer veranlasste uns in einem Gaden der untern Matossaalp ins duftende Heu zu kriechen und bessere Zeiten abzuwarten. Bereits fing es an zu dunkeln, als wir endlich in die Felspartie unter der Clubhütte kamen.
Die verschiedenen „Halte“ eingerechnet hatten wir von Flums bis zur Hütte nahezu 6 Stunden gebraucht.
Eine währschafte Erbssuppe weckte die etwas schlaffen Glieder und ein ausgezeichneter Punsch die Geister.
Als bis gegen 10 Uhr der erwartete Führer nicht erschien, begab man sich zur Ruhe. Die Tagwacht war auf 4 Uhr festgesetzt, Regen und Nebel liessen uns aber die Decken um diese Zeit wieder über die Ohren ziehen. Gegen 6 Uhr lichtete sich die Geschichte etwas und um 7 Uhr verliessen wir endlich die gastliche Hütte, nachdem uns und den Spitzmeilen noch Einer verewigt hatte, zwei Bilder auf einer Platte.
Über Matten, den Bach und eine Geröllhalde gings auf den Grat zu, von dem aus wir prächtige Ausblicke auf die Kurfirsten und Alvierkette, die Glarneralpen, voran Ruchi und Hausstock hatten, während in den Niederungen die Nebel wogten. Genau in einer Stunde standen wir am Fusse des Spitzmeilen und in 10 Minuten auf dem Gipfelgrat beim Steinmannli. Aussicht hatten wir leider da oben keine, wir stacken im dichten Nebel.
Die Kletterei vom Fuss des Spitzmeilenkegels bis zum Gipfel ist sehr interessant, erfordert aber, besonders bei einer grösseren Truppe, sauberes Gehen; gute Handgriffe finden sich überall.
Der Nebel und die Kühle machten sich etwas unangenehm fühlbar, wir hielten uns daher nicht lange auf dem Gipfel auf. Leider setzte auch der Regen wieder ein und verhinderte eine richtige Orientierung nach der Karte. Wir gerieten zu weit nach links und konnten einfach den ins Krauchtal führenden Schöneggpass nicht finden. Ein Luftzug zerriss für einige Zeit die Nebel und wir glaubten in weiter Ferne rechts den Pass erkannt zu haben. Über Felsenabstürze, Sümpfe, Bäche kletterten wir dem vermeintlichen Schöneggpass zu und gerieten dann in die Rinderhörner gegen den Faulen zu, wo wir an Hand von Karte und Kompass feststellen konnten, dass das Tal zu unseren Füssen, das einen Augenblick sichtbar gewesen, nicht das Krauchtal sein konnte, sondern das Vansbachtal, das von der Alp Wiesen ins Schilztal mündet. Unsere Situation wurde damit nicht viel gemütlicher, umsoweniger, als wir einen unserer Kameraden, der auf Rekognoszierung in den Felsköpfen vorgeklettert war, nicht mehr finden konnten und trotz allem Rufen von ihm keine Antwort mehr kam. Mit Resignation schickten wir uns in unsere fatale Lage und lagerten, da es derweilen gegen Mittag rückte, für eine halbe Stunde in den Felsen, mit der Hoffnung, es möchte mittlerweilen doch ein gnädiger Windstoss einmal etwas die Nebelmassen zerreissen. Endlich fanden wir dann einen getretenen Pfad und, demselben folgend, vermochten wir in einem einen Moment aus dem Nebel tretenden Gebirgsstocke den Spitzmeilen zu erkennen. Nun konnten wir uns endlich orientieren und feststellen, dass wir auf der Willenbützfurkel standen. In nordwestlicher Richtung dem Pfad folgend, vermochten wir dann bald den Steinmann am Schöneggpass erkennen, dem nun zugesteuert wurde. In der Nähe stiessen wir dann auch wieder auf unsern verlorenen Kameraden, der fast nicht zu überzeugen war, dass wir nach ca. 3stündigem Umherirren nun doch den Abstieg ins Krauchtal gefunden.
Die Schöneggpasshöhe hatten wir nun allerdings gefunden, schwierig aber wars jetzt bei dem Nebel auch den richtigen Abstieg ins Tal zu finden, ist der Weg doch bei hellem Wetter selbst fast nicht zu sehen.
Durch und durch nass, kamen wir nach manch unliebsamer Rutschpartie schliesslich ins Krauchtal hinunter. Auf der Krauchtalalp liessen wir uns eine Milch munden und zogen dann tapfer fürbass, wartete in Matt unser doch der bestellte Wagen. Aber, oh weh! Alles Fragen in Matt half nichts, der Wagen war nicht da und so hatten wir keine andere Wahl, als die Landstrassenwanderung nach Schwanden zu Fuss zu machen.
Hier in Schwanden hatte man uns nicht erwartet. Unser im Bahnhof Enge aufgegebenes Telegramm war allerdings angelangt, aber zu spät. Da dann gleichzeitig das Wetter so umgeschlagen, glaubte man in Schwanden, wir seien trotz Telegramm nicht verreist. Damit hatten wir auch die Erklärung, warum uns weder Führer noch Wagen erwartet.
Das überwundene Missgeschick und die überstandenen Strapazen während dieser Nebelfahrt liessen uns den von Herrn Schönenberger zum Schwanderhof servierten ausgezeichneten Gemspfeffer nur um so besser schmecken.
(Quelle: Alpina 1904, S. 184f.)
Graue Hörner, Pizol, Zanaihorn und Sazmartinhorn
Grauehoren ein hoher gähstotziger Berg / dessen nackende Felsen in Gestalt grauer Hornen über Valenz im Sarganserland aufsteigen: A. 1704 habe ohngefehrd den halben Weg gemachet / und gefunden / daß die Höhe / welche ich erreichet / in ansehung des Pfäfersbads zurechnen 1200 Schuhe.
(Quelle: Helvetiae stoicheiographia. Orographia et Oreographia. Oder Beschreibung der Elementen/Grenzen und Bergen des Schweizerlands. Der Natur-Histori des Schweitzerlands. Erster Theil. Johann Jakob Scheuchzer. Zürich 1716)
Die schauderhaft zerrissenen Spitzen der grauen Hörner
Wir wenden uns von Valens aufwärts in das Thal, das nach Norden aufsteigt, indem wir uns auf dessen östlicher Seite halten. Der Weg geht meist steil aber angenehm durch Wiesen und Wald, dessen untere Partien sich durch mächtige alte Ahornstämme auszeichnen; höher hinauf machen diese der Tanne Platz. Unten im Tobel braust der Thalbach und jenseits desselben entwickelt sich die Fortsetzung des Monte Luna zu steilen felsigen Gräten von dunklem Nummulitenschiefer, nach rechts tauchen die schauderhaft zerrissenen Spitzen der grauen Hörner auf, das Ziel unserer Wanderung. Wir gelangen auf die Alpenweiden und bald zu einer ansehnlichen Sennhütte, wo wir einige Augenblicke ausruhen und zum Frühstück Milch trinken können, die uns die freundlichen Sennen gern überlassen. Höher steigt dann der Weg an der steilen aber immer mit Gras bewachsenen Berglehne, und wir gelangen vor die Felsenmasse der grauen Hörner, welche unersteiglich steil sich herabsenkt, während die Gipfel wie Ruinen gebrochener Burgen drohend herabschauen. Die Felswand besteht aus schwarzgrauen Nummulitenschiefer und Flysch, welche südöstlich in den verwickeltsten Biegungen und Verschlingungen einfallen; auf ihnen liegt ein schmaler weissgelber Kalkstreif, dem jene Thürme und Zacken aufgesetzt sind, welche aus rothem und weisslichem Verrucano bestehen, ziemlich ähnlich dem bunten Sandstein, welchen er vertritt. Aber dieser Kalk und Verrucano fallen nördlich und sind dem viel neueren Schiefer aufgelagert, und das zwar nicht blos auf dieser Seite, sondern auch auf der andern und so ringsum, so dass eine viel ältere Formation buchstäblich der jüngern aufgesetzt ist, während unten im Thal von Vättis derselbe Verrucano als die Grundlage des Kalkgebirgs erscheint, wie dies in der Ordnung ist, und jenseits der grauen Hörner auch wieder alles regelrecht ihm aufgelagert ist. Ich habe dies lange nicht glauben wollen, aber die Thatsache ist da, unbequem wie jedes andere fait accompli; noch im Sommer 1858 untersuchte ich mit Herrn Escher v. der Linth die jenseitigen Abhänge, welche dieser schon lange kannte, und wir kamen zu keinem andern Ergebniss. Dies ist unstreitig eine Ueberschiebung, wie sie aber zu Stande gekommen, das kann erst weitere Beobachtung lehren, die sich nicht blos auf diesen Punkt beschränkt. Es sind bis jetzt fast alle solche scheinbare Widersprüche in der Gebirgsbildung gelöst worden und dieser wird auch gelöst werden. Wir lassen einstweilen die Sache liegen wie sie eben liegt und steigen vorläufig über die Flyschschichten, in denen sich sehr schöne Fucoiden finden, der einzigen Lücke zu, welche sich in der steilen Felsenmauer zeigt. Wirklich ist hier ein Durchgang über unendliche Trümmerhaufwerke von Verrucano, die wir erklettern. Auf der Höhe der Breche angelangt, bietet sich uns ein Anblick, der selten seines Gleichen hat. Wir stehen vor einer tiefen Einsenkung, welche man für den Krater eines Vulkans halten möchte, wenn überhaupt an dieser Stelle und in diesem Gestein an einen solchen zu denken wäre. Diese Tiefe ist ausgefüllt mit dem ziemlich ansehnlichen Wildsee, in seinem Hintergrund, steigt ein mächtiger Gletscher, welcher unten den See berührt, zu der steilen Höhe des Piz Sol auf; das grünliche Gewässer des Wildsee’s ist noch halb mit Eis bedeckt, das nie ganz zu schmelzen scheint, rings umher stehen die steilen Hörner um den See und den Gletscher her, seltsame wilde Felsengestalten mit kühn vorspringenden Ecken und Kanten, theilweise überhängend und nickend, anscheinend den Einsturz drohend, kahl und von düsterer grauröthlicher Farbe. Die Höhe ist ziemlich gleich, etwa 2660 M., nur die Spitze des Piz Sol erhebt sich zu 2847 M. Mächtige Trümmerhaufwerke umlagern sie alle, weite Spalten gehen tief hinab. Steigt man auf irgend eine dieser Spitzen, was trotz des gefährlichen Aussehens bei den meisten möglich ist, so hat man eine ausgedehnte wirklich herrliche Aussicht, und in dieser Beziehung ist namentlich der Piz Sol und die Wildspitze zu empfehlen. Man sieht tief in die Bergwüsten des Sardonagebirgs, in das Taminathal und dieses aufwärts in die Berge des Bündner Oberlandes, abwärts breitet sich das Rheinthal und der Bodensee aus, wie ein Silberfaden schlängelt sich der Rhein diesem zu durch die grünenden Fluren; gegenüber nach Osten erscheinen die Prätigauer Gebirge zu beiden Seiten des Thales, das man ganz übersieht; der Rhäticon und die Gletschermassen des Selvrettastockes begrenzen die Aussicht. Rechnet man dazu die seltsame wilde Umgebung, so ist dies alles wohl schon die Mühe der Ersteigung werth.
(Quelle: Gottfried Theobald: Naturbilder aus den Rhätischen Alpen. Ein Führer durch Graubünden. 2. Aufl. Chur 1862, S. 72-74)
Wir haben aber keine Tanzschuhe an
Valplana ist unsere erste Gasse, bald war über die Weide der Eingang des Thälchens erreicht, ein Querwall und eine Terrasse nach der andern erstiegen, und eine Stunde nach unserm Weggehen befanden wir uns bereits am Beginn der Schutthalden, welche sammt den seltsam gezackten Felsgräten die Seitenwände ausmachen. Die enge Thalsohle ist hier oben mit hartem Schnee bedeckt und bietet da, wo sie nicht gerade unterhöhlt ist, die beste Strasse.
Schon von einer der unteren Terrassen aus hatte Martin zwei vor uns gehende Männer entdeckt und wir nicht ermangelt, ihnen ein kräftiges Hailoh zuzurufen; statt aller Antwort verschwanden dieselben bald aus unsern Blicken. Rüstig stiegen wir nach und hatten die Freude, um 5 Uhr 32 Minuten den Sattel des Kranzes der grauen Hörner erreicht zu haben, links stand die Wildspitze, nach rechts zog sich der Schwarzblankgrat nordwärts. Dieses ist die Lücke, durch die auch Herr Professor Theobold seiner Zeit die Gegend besuchte…
Martin, Knecht aus dem Bad Pfaffers, wurde mir von Herrn Direktor Egger freundlichst als Träger des Mundvorraths mitgegeben; bisher war er stets eine kleine Strecke voraus und als ich die Lücke erreicht hatte, bereits über einen Schuttwall nach rechts hinübergestiegen, um den Schwarzsee zu suchen. Meine Gedanken und Wünsche aber flogen in erster Linie nach links, jener weissen Spize zu, am obersten Ende des Gletschers, welche ich für den Piz Sol hielt. Da ich nicht folgte, kehrte mein Begleiter bald zurück und wir begannen die Ueberschreitung einer gewaltigen Trümmerhalde zwischen dem See und der östlichen Gipfelreihe durch nach Süden; nicht zu rasch, weil man Schritt für Schritt darauf trachten musste, mit dem Fuss auf einen festliegenden Felsblock zu treten, um nicht etwa beim Umkippen eines solchen ein Bein in eine der vielen Klüfte einzuklemmen, oder sich sonst an den scharfen Kanten tüchtig zu beschädigen; zuweilen wurden kleine steile Schneehalden querüber passirt, was des nicht allzuharten Schnee’s wegen keinen Anstand verursachte. Eine angenehme Eigenschaft der Felstrümmer hier ist deren sandig rauhe Oberfläche, so dass man nicht fürchten muss, auch auf stark geneigten Flächen auszugleiten. Dass die Route quer über eine im steten Wachsen begriffene Trümmerhalde, deren Beschotterungsmaterial aus Blöcken besteht, die bis zur Grosse eines Bahnwärterhäuschens bunt durcheinander gewürfelt da liegen, nicht nivellirt ist, versteht sich von selbst. Wir haben aber keine Tanzschuhe an, haben uns trotzdem hie und da schon im Balanciren geübt und kommen fröhlich durch. Jetzt betraten wir über eine Schneehalde hinuntergleitend den Rand des Gletschers, er steigt nur sanft nach Süden an, ist hier spaltenfrei und eine herrliche Abwechslung nach der rauhen Steinroute. Die eingetretenen Spuren zweier Gemsen ziehen sich quer über unsern Weg, aber die Thierchen selbst sind unsichtbar. Ganz leicht kann man auf dem Gletscher nach und nach gegen Westen ansteigend, den dortigen Grat erreichen und sich dann mit der Erkletterung der höchsten Spitze befassen, doch ich hatte Lust, vorher über jenen südlichen Grat hinauszuschauen; bald verliessen wir daher den Schnee und gelangten über eine ganz trümmerlose schwach ansteigende Böschung des südlichen Kranzgrates an den Rand desselben. Es war 6 Uhr 15 Minuten. Steil fallen hier die Felsen in’s obere Val Graussa hinab, und kaminartige Runsen zertheilen den ohnehin ungleich hohen Zug in verschiedene Abtheilungen, hie und da mit alten Schneewehten ausgefüllt. Martin jauchzte einen hellen Morgengruss einem seiner Bekannten in die Zaneyalp hinunter, und nicht lange, so ertönte eine ebenso fröhliche Antwort aus dem Felsenkessel herauf.
Erst hier erkannten wir genau, dass der weisse Gipfel nicht die höchste Spitze sei, sondern ein mehr nördlich stehender Zahn der westlichen Einfassung des Gletschers. Eine Strecke weit vor uns gegen Westen schien der Gletscher ganz auf den südlichen Felsrand hinauszustehen, seine allgemeine Steigung gegen Westen war nicht bedeutend und gewiss leicht hinauf zu kommen, nur eins gefiel mir nicht; ich hatte mir vorgestellt, ein Gletscherchen wie z.B. auf dem Säntis anzutreffen und unterliess deshalb ein Seil mitzunehmen; nun aber lag etwas weicher Schnee da, welcher verschiedene leicht eingesenkte lange Querlinien zeigte, die sicheren Zeichen verborgener Schrunde.
Aus diesem Grunde und weil Martin noch nie vorher einen Gletscher betreten hatte, hielt ich fürs Gerathenste, so lang als möglich dem Felskranz zu folgen, und siehe da, an der gefürchtetsten Stelle ging der Gletscher nicht bis an den Aussenrand, es war nur eine der vielen Einsenkungen des Grates, sogar so flach, dass das Stück eines Teiches welches unter die hier ungefähr 8 bis 15 Fuss hohen Firnwand reichte, Raum fand, und wir noch zudem bequem wie auf einer schönen Landstrasse aussen herum spatzieren konnten.
Jetzt aber galts zu klettern, der Felsgrat war steil und scharf, aber so zerrissen, dass entweder auf der einen oder andern Seite der Kante stets Stellen gefunden werden konnten, uns das Weiterdringen zu erleichtern; die rauhe Oberfläche kam uns an den abschüssigen Stellen sehr zu statten, ja sie machte uns so sicher, dass wir manche Stufe ohne Bedenken betraten, die wir auf einer andern Steinart gewiss umgangen hätten.
Da sitzt Einer zusammengekauert an einem Felsblock gelehnt, den Hut mit dem Nastuch an den Kopf festgebunden, damit ihn der scharfe Wind nicht entführe, eine Büchse quer über seinen Knieen liegend; es ist ein Jäger auf scheues Wild lauernd, das er über die Felsbänder von den Zaney-hörnern her erwartet. Schade, dass er nicht eine halbe Stunde früher bei uns war, wo wir einen Trupp Schneehühner aufscheuchten. Gewiss war er einer der zwei von diesen Morgen, Martin redete ihn auch in diesem Sinne an, der aber war nicht wenig betroffen, bei dieser Gelegenheit zu erfahren, dass zweimal zwei Jäger vor dem ersten September Ragatz und Pfäffers mit Wildpret versehen wollten; es waren also Rivalen in der Nähe. Nach ein paar gemüthlich gewechselten Worten verliessen wir den kräftigen, blühend aussehenden Mann der Wildniss und kletterten unsere Wege.
Noch mehrere Mal mussten wir uns mit Händen und Fussen durcharbeiten, da kam eine Stelle, wo nicht fortzukommen war und der Gletscher musste betreten werden, ohnehin sollten wir bald nach Norden umlenken und so wählten wir eine Stelle, um von den Klippen auf den Gletscher oder Firnrand hinüber zu springen; dann über eine ziemlich feste Kante balancirend, links der fast überall an solchen Orten sich findende kluftartige Abstand zwischen Fels und Eis, rechts die steile Firnhalde, erreichten wir bald eine weniger abschüssige Stelle dieser letztern, an derselben hinuntergleitend schnell die Gletscherfläche, und bald darauf ein Gletscherjoch vom Südgrat zu den höchsten Hörnern des Westgrates. Diesem zu folgen hätte uns, zwar ohne die mindeste Mühe, nur an den Fuss einer unersteiglichen Felswand gebracht, wir mussten uns deshalb nach einer andern Richtung umsehen, was übrigens nicht schwer fiel. Vor uns gegen Westen lag noch der alleroberste Theil des Gletschers in Form einer eigenthümlich gesenkten Mulde, genährt von den nun nicht mehr hohen Schneehalden der umstehenden wenigen Gipfel. Links lag der von unten aus für den Piz Sol gehaltene, südlich der Zahl 2847 der Generalstabskarte stehende Gipfel, rechts das höchste Horn.
Quer durchliefen wir die Mulde auf kürzestem Weg zum jenseitigen westlichen Felsgrat, es war 7 Uhr Morgens, folgten diesem sodann nördlich auf eben so rauhen Treppen wie am Südgrat und erreichten das Horn, aber das nächste ist noch ansehnlich höher, also abwärts in die Lücke und dann wiederum eine Felszacke nach der andern ergreifend und uns hinaufschwingend. Halt! da kommt eine kritische Stelle, vorwärts geht’s nicht mehr, es ist allzu steil, rechts herum an der Gletscherseite ist’s noch viel schlimmer, überhängend, geradezu unmöglich, aber links herum auf der Westseite bildet das verwitterte Gestein gerade so viel Haltpunkte, um mit einiger Vorsicht gefahrlos weiter zu kommen.
Die faulen Tafeln und Schiefer werden je nach Umständen mit dem Stock, dem Fuss oder mit der Hand beseitigt und aufmerksam folgt das Auge den tollen Sprüngen der Blöcke, wie sie in die Tiefe des Ober-Lawtinathales hinunter sausen, an den scharfen Felszacken zu Dutzenden von Stücken zerschmetternd und im Aufschlagen ganze Furchen von Trümmern in rasselnde Bewegung bringend. Indem wir so den naturwüchsigen Obelisken von Süd nach Nord umgangen, erreichten wir über wenige Stufen hinauf den Gipfel des höchsten Hornes der grauen Hörner; 2847 Meter oder laut der neuen Genfer Correctur 2851 Meter ü. M. Hurrah, hioho. Raum haben mein Begleiter und ich gerade genug, um zwischen uns noch das Säckchen mit dem Proviant vorzunehmen, auch ein winziger Bergfink sitzt kaum auf doppelte Armslänge ruhig neben uns auf einer Felszacke und schaut verwundert auf die neuen Ankömmlinge. Aber schnell noch notirt: 15. August 1864 Piz Sol. Ankunft 7 Uhr 12 Minuten Morgens. Also in der kurzen Zeit von drei Stunden, von Alp Lasa aus, und durchaus nicht übertriebenen Marschirens kann man sich hier das Vergnügen einer prachtvollen Aussicht verschaffen. Vollkommen reine Ausschau bot sich uns heute freilich nicht dar, ein heftiger Westwind blies von Zeit zu Zeit kleine Nebelchen an uns vorbei und vom Val Graussa her stiegen stets neue an den östlichen Hörnern, der Wildspitzkette empor, wo sie vom Wind theils weggezerrt, theils in’s Thal hinunter gedrückt wurden, um in neuem Anlauf an der windfreien Seite aufzusteigen. Nach jener Richtung konnte keine Fernsicht gewonnen werden, sonst aber war der Himmel klar, das Panorama grösstentheils deutlich.
Südlich vor und unter uns liegt der höchste Theil des Gletschers, er senkt sich zuerst östlich und wendet sich dann um einen Felsvorsprung, die westliche Hörnerreihe halb umfliessend, nach Norden, immer breiter werdend, ohne aber sein Ende zu zeigen, ebenso wenig sieht man den Wildsee; desto besser beherrscht der Blick den ganzen Kranz der eigenthümlich verwitterten Hörner, von denen allerdings die Mehrzahl erklettert werden können; alle sind um ein bedeutendes niedriger als unser Standpunkt, nur eine scharfe Pyramide erhebt sich am südlichen Ausläufer nahezu in gleiche Höhe, es ist dies der 2829 Meter hohe Brändlisberg. Die Kette der Wildspitze deckt die Verzweigung gegen Pfäffers und Ragaz. Die übrigen Arme der Gruppe liegen klar vor uns, zwischen dem tiefen Calfeuser- und Weisstannenthal und der breiten Thalsohle des Rheins; ein Hautrelief in Natura, eingerahmt in erster Linie vom Calanda, der Ringelspitzkette und der Sardonagruppe mit ihren nördlichen Ausläufern, deren zahlreiche Köpfe, Foostock, Faulen, Spitzmeilen u.a. in dem Piz Segnes mit seinem Silberhaupt und dem wirklich abschreckend geformten Saurenstock ihren Regierungssitz erkennen müssen. Sehr rauh und steil scheinen von hier aus die Felswände dieser Gruppe, äusserst zerborsten und nur selten einen gangbaren Durchgang zeigend der aus vielen Abtheilungen bestehende Sardonägletscher; eine einzige Ausnahme macht der sanft geneigte, ja fast horizontale Firnkamm vom Saurenstock gegen den Piz Segnes. Doch über den düster ernsten Chef der vom Wetter gebräunten Avantgarde schaut der General der östlichen Schweizerberge, der alte ruhige Tödi hervor, zwar nur mit seinem weissen Scheitel, aber unverkennbar. Rechts hinter der Scheibe hervor gucken die Clariden in ihrem Querschnitt, kühn herausfordernd stehen sie da, ihre schroffen Felswände dem breiten offenen Norden zuwendend, denn was vermögen alle die unzähligen braunen und grünen Köpfe, Rücken und Sättel dem verwöhnten Blick zu bieten; ein Geduldspiel, dass einem die Augen überlaufen, besonders wenn der Wind die hülfreiche Karte fast zerreisst und die Blätter des Notizbuches zu singen anfangen. Da steht den Clariden gegenüber die Schächenthaler Windgälle, obgleich ein ansehnlicher Kamerad, doch wie ein Frosch vor einer Sphinx. Eine stattliche Pyramide stellen die Freiberge mit ihrem Hochkärpf auf, aber vor Allen nach dieser Richtung hin zieht der breitschulterige felsige Glärnisch den Blick auf sich, Vreneli’s Gärtli, Ruchi, Bächistock, sie sind auch von Osten aus gesehen ebenso geformt wie von Westen, daneben steht noch der rauhe Grieseltstock…
Ist’s fertig? Ja so en gros — grün und braun und weiss, das sind die Hauptfarben, die in mannigfacher Schattirung dem Auge das Bild so angenehm machen. Das Blau, durch stille oder bewegte Gewässer den Abglanz des Himmels auf der Erde so wohlthuend wiedergebend, ist hier äusserst spärlich vertreten, und doch ist kaum eine kleine Berggruppe so reich versehen damit als gerade die grauen Hörner. Um alle die Seelein zu schauen, muss man verschiedene Wege einschlagen, und das sollte nun geschehen. Noch ein Blick ringsherum, dann Adieu Piz Sol. Kreuz und quer durchwanderten und durchkletterten wir nun den Krater, besuchten noch den Punkt 2432, von wo man tief unten den hellgrünen Schottensee erblickt, schweiften fast um den ganzen Wildsee herum, erlustigten uns an den Felssätzen des Schwarzblankgrates und stiegen dann fröhlich zu Thal.
(Quelle: Frey-Gessner im SAC Jahrbuch 1865)
Die bis anhin bekannten Besteigungen des Piz Sol (höchste Spitze der grauen Hörner) gingen alle von Valens aus; von Weisstannen aus ist es wohl auch thunlich, allein schwieriger ist es dort, einen passenden Führer zu finden, der den Weg kennt; in Vättis erkundigte ich mich vor einigen Jahren, ob eine Besteigung von dieser Seite möglich, allein bestimmten Bescheid konnte mir nicht gegeben werden und war sie damals von den dortigen Bewohnern wohl noch nicht gemacht worden. In so weit die Beurtheilung des Gebirgsstockes aus grösserer Entfernung zu einem Schluss befähigt, halte ich eine Besteigung von dieser Seite unter Führung eines gewandten Bergsteigers keineswegs für unmöglich.
Der Piz Sol (2847 m) von den Grauen Hörnern wird am besten von der Lasaalp (1846 m) ob Valens (gute Sennhütte) durch das Valplana und die Eisschlucht hinauf bestiegen. Von der Südseite vom Terrsolthal und Alp (1980 m) ist es viel mühsamer. Von Weisstannen zu weit. J. G. Steinmann, eidg. Topograph in Bern.
Die grauen Hörner sind am besten von Ragaz aus zu besteigen mit Nachtlager auf der Alp Terrsol. Gute Sennhütte, Rückweg über Vättis oder Valens und Bad Pfäfers. Nach Weisstannen schwierig und weit. Gonzenbach, Hof Ragaz.
(Quelle: Die Alpenpost 1871)
Der Anblick dieser abgeschlossenen Hochwüsten-Landschaft
Nach einem sehr frugalen Imbiss in Valens schlenderte kürzlich Sonntag Nachmittags die muntere Truppe nach dem Oberstafel der Lasa-Alp, wo sie schon um 5 Uhr anlangte und nach einem gründlichen Labetrunk von frischer Milch sich in den armseligen Hütten, so gut es gehen wollte, einrichtete. Das Wetter war zweifelhaft; wildes Gewölk streifte durch die Landschaft und ballte sich am Montelunazug, den zerrissenen Köpfen der Grauen Hörner und am Vasönerkopf, den man noch gerne besucht hätte, fest. Die Nacht wurde in einem niedrigen Dachwinkel, Mann an Mann gepresst, auf wenigem schlechten Heu und Lumpen zugebracht, während von Zeit zu Zeit heftige Strichregen auf die Dachschindeln niederprasselten. Schon um 2 Uhr dämmerte das Morgenlicht zwischen den Balkenlücken herein und lud zum Aufstehen und ersten Trunke an dem Gletscherbache ein, der durch die mondbeglänzten Alpweiden herunterschäumte. Der Himmel strahlte jetzt in voller Dämmerpracht; nur wenige Wolkeninseln lagen an fernen Bergzügen still und friedlich vor Anker. Aus dem mitgenommenen Moccapulver bereitete eine kundige Hand mit höherem Verständniss in der Universalpfanne ein probates Getränk, welches das dankbare Publikum sofort aus den Holzbrennten emsig auslöffelte, und um halb 4 Uhr setzte sich die Kolonne wohlgemuth in Marsch. Golden stieg der Tag von den Gipfeln nieder, während sie in weitem Bogen die Weiden hinanmarschirte, wo auf tausend leuchtenden Blumengesichtern noch die Thränen der Nacht funkelten. Endlich war der erste Bergriegel mit seinem Blockgetrümm und seinen Schneezungen erreicht, wurde der Proviant und alles Entbehrliche abgelegt und versteckt und dann über Valplana hinauf marschirt bis zum obern Felsriegel, über dessen Schwelle sich nun der Einblick in den eigentlichen Schoos der Grauen Hörner-Gruppe öffnete.
Diese bildet hier einen oblongen Circus von schauerlich zerrissenen, in den wunderlichsten Formen ausgefressenen, ganz nackten und jähen Hörnern, Pyramiden und Zacken, in dessen kraterartiger Mulde Blockwüsten, Firnfelder und ein Gletscher den einsamen Wildsee umrahmen, auf dessen Eisdecke die niederrieselnden Schmelzwasser ein buntes Netz grüner Lagunen gemalt hatten. Ganz eigenthümlich ergreifend wirkt der Anblick dieser abgeschlossenen Hochwüsten-Landschaft, die kaum ihresgleichen hat, ein Bild des Todes, der grauenhaftesten Zerstörung. Mit gehobenem Gefühl und voller seliger Wanderlust balancirte die Kolonne über die scharfkantigen Trümmer und arbeitete sich im bequem angeweichten Firn erst gegen den südlichen Rand des Circus hinan, wo die zerstörenden Naturkräfte einer Felszacke eine wunderliche Menschenähnlichkeit verliehen haben, und wandte sich dann nordwärts zu der dreiköpfigen Hauptzacke des Piz Sol. Diese wurde von der Westseite angepackt, und man gelangte zuerst aus Unkunde des Führers, der noch nie oben gewesen, auf eine Nebenspitze und dann über ein morsches Felsband auf den Hauptgipfel, eine freilich sehr beschränkte Localität; doch finden fast ein Dutzend Personen auf und an dem luftigen Wolkenstuhle leidlich Platz bei nicht allzu unbescheidenen Anforderungen.
Es war gegen halb acht Uhr und die Temperatur in der leichtbewegten Luft sehr angenehm. Die nächste Umgebung ringsum trägt das ausgesprochenste Gepräge der unaussprechlich wilden Gebirgsscenerie, welche dieser Gruppe eigen ist. Nordwärts starrt der Trümmer- und Eiskrater des Wildsee’s; an ihrer Seite streicht vom Sol eine Kette, die sogenannte Gilbe, ursprünglich ein Felswall von ungefähr gleichmässiger Höhe, aber durch die Zerstörung der Jahrtausende in eine lockere Reihe einzelner nackter Zacken von den seltsamsten Formen zerfressen, südwärts streckt sich der etwas compactere Grat, welcher der verwitternden Auszähnung etwas besser widerstanden hat, zum Brändlisberg, wieder andere phantastisch gegliederte Kämme nach Süd- und Nordost, und zwischen ihnen senkt sich das Auge in grausige Trümmerwüsten, aus denen von Zeit zu Zeit Nebelmassen aufwirbelten, um in den von den besonnten Felsketten erwärmten Luftschichten sofort zu zerfliessen. Die nördliche Bogenhälfte des Panorama’s war grösstentheils von einem wild kochenden Wolkenmeer verhüllt, aus dem hie und da eine bekannte Parthie auftauchte, während in der südlichen die Ringelspitzkette, gegenüber die Glarner, Urner und Bündner Alpen (besonders schön die Silvretta-, Bernina- und Disgrazzia-Gruppe) das Auge entzückten.
Ein seliges Stündchen verrann und noch ein halbes. Der kleine Becher kreiste und die Hochrufe auf die ewig schönen Heimathberge, die Lieben am fernen Heerde und auf Alles, was ein Clubistenherz erfreut, hallten in die Grauen Hörner hin, die zu solchen Neuerungen fast grämlich dreinschauten, während zu Füssen plötzlich eine erschrockene Gemse aufsprang und eine Geröllsaat ihrer Spur folgte. Der Abstieg wurde der Kürze wegen durch eine steile Schneekehle am Seil auf den Gletscher genommen, und dann, nachdem der Circus verlassen war, langsam botanisirend und die leuchtenden Schätze einer herrlichen, viele Seltenheiten bergenden Flora einsammelnd, zur Proviantstelle. Nach kurzer Rast erfolgte der Rückweg am Wangserseelein vorüber, über die Laufböden und den langen Kamm, der sich über leuchtende Alpenrosenfelder zur Ragazeralp senkt, ein ausserordentlich schöner Marsch, während dessen erst ein erschrocken davonlaufender Schneehahn, dann ein stattlicher Rehbock und später ein paar Rehgeissen die Wanderer erfreuten. Es sind dies Einwanderer aus dem Lichtensteinischen, gegenwärtig 10-12 Köpfe starke Aufenthalter in den Vilterserwäldern und würden gern bleibend Niederlassung nehmen, wenn die Frevler nichts dawider hätten. Um 3 Uhr langte man in Ragaz an, wo die wohlthätige Therme manche kleine Unbilde des Tagewerks versöhnte.
(Quelle: Die Alpenpost vom 11. Juli – 1. August 1874)
Die Grauen Hörner
Wenn einmal ein Name treffend gewählt ist, so ist es hier der Fall: von welcher Seite man sich dieser Gruppe nähert, nichts als Hörner, keine Spitzen, Stöcke, Köpfe, alles veritable Hörner und alle sind grau, schwarzgrau oder weissgrau, wie so eine Versammlung von Clubveteranen. Ein Horn davon ist das höchste, es heisst ironisch Pizsol, wohl nur deshalb, weil es im Hintergrunde der Alp Tersol steht, wo es sich von allen aus ein wenig markirt. Sonst muss man diesen Gebieter der Gruppe immer suchen. Seine Ueberlegenheit über andere Gipfel ist nicht sehr gross; das Sazmartinhorn hat nur 1 m weniger und ist dafür viel imposanter; das höchste der Zanayhörner reicht bis auf 24 m an die Majestät heran. Lässt man einmal einen Turnverein auf den Pizsol, so reissen ihn die zusammen, er könnte eigentlich von selbst auseinander fallen, solo, so verwittert und verlottert sieht er aus.
In einem Raume von kaum 1 Quadratstunde zählen wir über 30 Hörner, vom Zentrum aus gehen 4 Hauptkämme, die sich ihrerseits wieder in eine Anzahl Zweige gliedern; so gabelt sich z. B. der Kamm der Zanayhörner siebenfach. Alles graue Hörner, an die sich graue Schutthalden anlegen; wandert man über diese hin, so wird man selbst ganz grau. Ist man einmal so recht drinnen, so empfindet man vollständig den wilden, rauhen Charakter des Hochgebirges. Wie um das Auge etwas zu erquicken oder zu versöhnen, erscheinen in dieser Wildniss drei herrliche Seelein, der grünblaue Wildsee, der weissblaue Schottensee und der schwarzblaue Schwarzsee. Um das Bild des Hochgebirges zu vollenden, liegt in einem kleinen Kessel der kleine Pizsol-Gletscher, so dass es kaum ein anderes Gebiet geben kann, das mit dieser relativ geringen Erhebung so vollständig das Wesen des Hochgebirges trägt. Das überwältigende Bewusstsein hat man allerdings auf keinem dieser Hörner, hoch über allen andern zu stehen, triumphirend über die ganze Umgebung, wo alles andere bei weitem nicht an unsern Standpunkt heranreicht. Dafür hat man aber auch nicht den Eindruck, ausser dem erstiegenen keinen andern lohnenden Gipfel mehr in der Nähe zu finden; in den Grauen Hörnern lockt es uns im Gegentheil, auch andere Gipfel zu nehmen, die so lohnend, zum Theil noch lohnender sind als der höchste selbst. Wir befinden uns hier in einem wahren Labyrinth von Gipfeln; ohne Karte oder ganz detailirte Kenntniss der Gliederung dieser Gruppe kann man sich kaum erkennen und z.B. beurtheilen, in welches Thal oder Thälchen jeder der unzähligen Sättel hinüberführt. Oft glaubt man, eine einzige Kette von Hörnern zu sehen; dann löst sich beim Wechseln des Standpunktes diese Kette auf in 2-3 andere, getrennte. Die meisten Gipfel sind namenlos, glücklicherweise, sonst würde die Konfusion noch grösser. …
Gewöhnlich wird von den Grauen Hörnern nur der Pizsol besucht. An Zugängen fehlt es nicht, so dass es wohl kaum einen zweiten Gipfel gibt, der so mannigfache Auf- und Abstiege gestattet. Meistens geht man von Ragaz aus, welcher Weg, wenn er auch einige Nachtheile gegenüber andern hat, doch immer der beliebteste bleiben wird, und mit Recht. Nach Ragaz kommt man sehr leicht, findet dort schon viel Interessantes, (auch die Pfäverserschlucht sieht man immer wieder gern). In der Alp Lasa findet man gutes Quartier und in 3 Stunden ist der Gipfel erreicht. Eine Variante dieses Aufstieges über Valens ergiebt sich, wenn man nach der Hütte von Oberzanay und von da zum Gipfel aufsteigt; diese Hütte liegt noch ca. 100m höher als Lasa und näher am Gipfel. Durch das Schafälpeli kommt man leicht, wenn auch nicht gerade angenehm über Schutthalden zu Punkt 2791 und von da zum Signal 2849. Ein anderer Weg führt über Ragaz nach der Alp Pardiel 1708m, den man vielleicht einschlagen wird, wenn man am Nachmittag erst spät von Ragaz fort kann und dafür am Morgen Zeit genug hat. Von der Alp Pardiel wandert es sich sehr schön über die Laufböden der Wildseefurkel zu.
Nimmt man Vättis zum Ausgangspunkt, so hat man ebenfalls verschiedene Möglichkeiten, z.B. nach Vättnerälpli 1896 (als Nachtquartier eignet sich die Schäferhütte im Gelben Berg weniger); dann durch das Thälchen zwischen Aelplikopf und Drachenberg zum Punkt 2670 und über den Grat zur Furggla 2577, endlich über Crisp und Punkt 2767 zum Gipfel. Auf diesem Wege, der allerdings etwas lang ist (Vättis-Vättnerälpli 2 ½ Std., Vättnerälpli-Pizsol 4 ½ – 5 Std.) geniesst man eine prächtige Gratwanderung. Das Gegentheil, eine langweilige Thalwanderung, die zudem noch durch die Schlucht des Tersolbaches ihre Schwierigkeiten hat, findet man auf dem Wege über Gigerwald-Tersolalp. Von den Hütten dieser Alp in 3 Stunden über Wildhand steinig und rauh zum Pizsol.
Von Mels aus führen ebenfalls verschiedene Wege nach Rom. Man kann directe aufsteigen nach Muggalp und Gaffia 1862m oder Vermi 1804m und über den Gamidauerkamm und Schwarzplangg zum Wildsee, oder man schlägt den Weg durch das Weisstannenthal ein. Da empfiehlt sich besonders ein Weg von der Schwendi aus über Precht nach Obergamidaur 2081m (höchste Hütte St. Gallens); dann von dort zum Schwarzsee und über den Schwarzplangggrat am Schotten- und Wildsee vorbei zum Gipfel. Man kann auch durch das Gafarratobel hinein über Vermol und dem rechten Ufer des Baches folgend zum Schottensee aufsteigen; doch ist dieser Aufstieg als Thalwanderung nicht lohnend. (Ein Aufstieg sollte immer so gewählt werden, dass man möglichst rasch in die aussichtsreichen Höhen gelangt und dafür möglichst lang darin verbleiben kann. Man soll den Genuss einer Gipfelbesteigung in einem schönen Aufstieg mit immer neu sich bietenden Bildern suchen, deren schönstes und Schlussbild dann die Aussicht vom Gipfel selbst ist).
Endlich von Weisstannen aus. Will man z.B. am Morgen früh von Weisstannen fort, so steigt man am besten zum Gafarrabühl hinauf, um von da dem Grat nach den Punkt 2402 und den Sattel 2593 zu gewinnen, eine ungemein bequeme Bummelei; von diesem Sattel traversirt man nach dem Pizsolgletscher und von diesem auf dem gewohnten Weg, den Pizsol etwas südlich umgehend nach dem Gipfel. Möchte man am Abend noch in eine Alphütte hinauf, so findet man in Ober-Lavtina 1909m, freundliches Quartier und ist dann am Morgen auch in 3 Stunden auf dem Gipfel, entweder über den Sattel 2593 nach dem Wildseekessel oder aus dem Kiesthälchen directe unter Punkt 2720 durch, einem Felsbändchen folgend, zum Westfusse des Pizsol. An der Stelle, wo man aus dem Thälchen den Felsen zuschwenkt, hat Führer Hobi von Mels einen Wegweiser angebracht.
Wir haben also nur die wichtigsten gezählt, bloss ein Dutzend verschiedener Zugänge zum Pizsol; da hat man auch eine grosse Auswahl im Abstieg. Man sollte nun wenn immer möglich Aufstieg und Abstieg so combiniren, dass man dabei alle drei Seelein, Wildsee, Schottensee und Schwarzsee berührt; namentlich der letzte ist in seinem stillen Kessel wunderlieblich.
Will man bei eintretendem Nebel oder Unwetter so rasch als möglich aus diesen wilden Höhen in’s Thal hinabkommen, so steure man immer dem Wildsee zu, den man finden muss, wenn man einfach der Tiefe zugeht. Vom See aus kann man leicht die Furkel 2515 und das Vaplonathälchen gewinnen, oder man geht noch weiter der Tiefe nach, folgt dem Ostufer des See’s und dem Murmeln des zum Theil mit Schutt bedeckten Baches bis zum Schottensee. Dort sucht man wieder den Ausfluss und steigt dann zwischen Felswand und Bach an dessen rechtem Ufer in’s Gafarrathal hinunter, wo man dann von selbst auf den Weg gelangt. Bei den Hütten „im Loch“ überschreitet man den Bach und gelangt durch das Thälchen hinaus nach Schwendi. Dieser Weg würde sich als Aufstieg am meisten empfehlen, wenn man z.B. Lasten nach dem Wildsee transportiren müsste.
Bei den drei Seelein werden dem Besucher die starken Balken auffallen, welche man an deren Ausfluss findet; diese dienen zum Aufstauen des See’s, um durch zeitweiliges Ablassen genug Wasser zum Holzflössen zu haben.
An unerstiegenen Gipfeln, oder solchen, von deren Ersteigung man keine verbürgte Kunde hat, ist in der Gruppe der Grauen Hörner noch eine hübsche Auswahl vorhanden. Dem Pizsol sind ebenbürtig und zum Theil wegen der grossartigern Form überlegen, namentlich das Sazmartinhorn 2848m und das höchste der Zanayhörner 2825m. Beide sind von Süden resp. Westen her zu nehmen. Dann sind namentlich die Hörner östlich des Wildseekessels von 2649-2688 noch unbesucht, wie die Gipfel des Grates zwischen Pizsol und Seezberg. Jede einzelne dieser Spitzen ist im Detail gewiss so interessant oder interessanter als der Pizsol selbst, der unter all diesen schlanken Zinnen eine ziemlich knotige Figur macht. Westlich von Valtüsch harrt der Hangsackgrat 2640m des ersten Bergsteigers.
Ein kürzerer Passübergang von Weisstannen nach Vättis als über den Heidelpass ist derjenige über Piltschina-Tersol, doch wird man den nur einmal und dann nicht mehr machen. Für einen angehenden Hochclubisten und Pfadfinder bieten die Grauen Hörner mit ihrer Umgebung ein prächtiges Uebungsfeld; man wird dabei immer von Erfolg gekrönt sein, was so sehr aufmuntert zur Lösung von schwierigern Aufgaben an andern Orten. Freilich wird man bei dieser Pfadfinderei hie und da ein abgenagtes Rippli finden, das nicht ein Adler dorthin getragen, sondern ein ungeflügelter Topograph. Der Pizsol ist sehr spät erstiegen worden, zum ersten Male am 15. August 1864 von Herrn Frey-Gessner in Zürich. Auch Escher von der Linth und Theobald, die, namentlich der Erstere sehr viel dort herumgestiegen, z.B. im Anfang der Vierziger Jahre, waren vorher nicht oben. Nach den hinterlassenen Notizen Eschers hatte er mehrmals angesetzt; ungünstige Verhältnisse hinderten ihn aber immer am Erreichen des Zieles.
Der Umstand, dass der Pizsol schon in der ersten Triangulation des Kantons St. Gallen in den Vierziger Jahren als Fixpunkt aufgenommen wurde, dass ferner ein anderer Fixpunkt, der sog. Simel 3061m, der viel schwerer zugänglich ist, schon damals mit einem flotten Steinmann gekrönt wurde, scheint es doch wahrscheinlich zu machen, dass eben ein solcher Allerweltsgeometer auch in aller Stille schon vor 1864 seinen Fuss auf jene Höhe gesetzt.
(Quelle: Fridolin Becker: Itinerarium für das Excursionsgebiet des S.A.C. 1888: Graue Hörner – Calanda – Ringelspitz. Glarus 1888, S. 24-29)
Heute soll’s dem Sazmartinhorn, 2848 m, gelten.
Mittwoch den 25. Juli verlasse ich um 6 Uhr mit David Köhler das einfache, aber gut gehaltene Gasthaus zur Lerche, für einige Tage mit Proviant wohl ausgerüstet. … Der gewöhnliche Weg in’s Kalfeuserthal, der sich bis St. Martin auf dem rechten Ufer der Tamina befindet und die unangenehme Eigenschaft hat, bald aufwärts und bald wieder abwärts zu gehen, wird etwa eine Viertelstunde weit verfolgt, dann benutzen wir das neue Strässchen, das bis zum Gigerwald angelegt wird und augenblicklich bis auf ein Stück von vielleicht zehn Minuten nahezu vollendet ist. So viel ich weiss, wird es durch den Kanton gebaut, der hier Waldungen besitzt. Eine Fortsetzung, wenigstens bis St. Martin, steht hoffentlich in nicht allzu weiter Ferne. Das Strässchen überschreitet bald die Tamina und steigt dann allmälig durch schönen Wald bergan. Noch sind wir keine Stunde unterwegs, als wir den Bach aus dem Tersol überschreiten und die prächtigen Wiesen von Gigerwald betreten. Auf unserer Thalseite erheben sich die gewaltigen Felswände des Gigerwaldspitzes und des Gelben Berges, gegenüber die nicht minder grossartigen der Orgeln und der Gipfel östlich der Ringelspitze, und im Rückblick endlich zeigen sich die Massen des Calanda. Sofort geht’s nun steil und immer steiler in’s Tersol hinein, auf einem Weg, der gelegentlich kaum zu erkennen ist, aber an Romantik seinesgleichen sucht. In der Nähe des kleinen Baches, der vom Gigerwaldspitz herunter kommt, wird gefrühstückt und dann noch eine halbe Stunde lang thaleinwärts gestiegen, bis man fast eben zu den Hütten von Tersol hinein sieht. Jetzt geht es sehr steil die Grashalden zur Linken hinan, zum Schönbühl, der seinen Namen mit Recht führt, dann, nicht mehr so anstrengend und in der obersten Partie etwas nach Norden umbiegend, zum Grat und zuletzt, vielleicht 20 m abwärts, zum Signal des Gigerwaldspitzes, 2296 m, der in gigantischen Wänden zum Kalfeuserthal abfällt. Nach zwanzig Minuten Aufenthalt treten wir, zehn Minuten nach 10 Uhr, den Weitermarsch zum Sazmartin an, der so ziemlich vorgezeichnet ist, da man im Grossen und Ganzen einfach dem Grate zu folgen hat. Bis zu Punkt 2582 ist es ein sanftes, fast müheloses Ansteigen, immer mit herrlichem Blick in die umliegende Bergwelt und die Thäler Tersol und Kalfeusen. Jetzt verlässt man den Grat und hält sich am westlichen Abhang, doch ohne je weit von ihm, dem Grat nämlich, abzukommen. Bei Punkt 2658 betritt man ihn wieder. Diese Stelle kann auch, ohne besondere Mühe, direct vom Tersol aus erreicht werden. Wir halten eine stündige Mittagsrast und erreichen dann in einer halben Stunde, immer dem Grate entlang, mit etwas Kletterei den ersten Gipfel des Sazmartin, der circa 10 m niedriger als der Hauptgipfel und von ihm durch eine ziemlich beträchtliche Lücke getrennt ist, deren Ueberwindung indessen nichts auf sich hat. Um halb 2 Uhr stehen wir, vermuthlich als die Ersten, auf dem Sazmartinhorn. Unsere erste Arbeit ist die Herstellung eines ordentlichen Steinmanns, dann geht’s an die Musterung der Aussicht, die heute bei dem hellen, allerdings etwas windigen Wetter nichts zu wünschen übrig lässt. Die Fernsicht ist, wie zu begreifen, so ziemlich diejenige des Piz Sol, bedeutende Verschiedenheiten können sich nur für die nächste Umgebung zeigen. Recht hübsch präsentirt sich ein Theil des Dorfes Weisstannen, das vom Piz Sol nicht gesehen werden kann. Nach Süden und Westen ist die Fernsicht so ziemlich verhindert durch die Ringelspitz- und Sardonagruppe, die sich dafür in nächster Nähe um so schöner zeigen. Ausgedehnter ist der Blick gegen Osten und Südosten, ich erwähne einige der Hauptgipfel, soweit ich sie überhaupt erkennen konnte: Rothe Wand, Scesaplana, Silvrettagruppe, Piz Linard, Piz Kesch, Piz d’Aela und Piz d’Err. Die vielen kleinern Gipfel im Norden und Nordwesten sind natürlich fast alle zu sehen, da der Piz Sol kaum etwas zu verdecken im Stande ist. Wir studiren auch etwas die verschiedenen Zugänge zu unserm Gipfel und erkennen zunächst, dass der Uebergang zum Piz Sol sich ganz wohl ausführen lässt. Da der verbindende Grat ziemlich tiefe Lücken aufweist, muss man allerdings beträchtlich in die Tiefe steigen. Der Abstieg in’s Piltschina und damit nach Weisstannen bietet ebenfalls keine Schwierigkeiten. Am leichtesten ist aber jedenfalls der Zugang über den westlichen Grat, den wir für den Rückweg wählten. Wer also von Vättis aus die Tour möglichst bequem machen will, wird sich nach St. Martin begeben, dann zur Alp Brändlisberg hinauf und in nördlicher Richtung zum Grat zwischen Sazmartin und Punkt 2730. Der von uns eingeschlagene Weg ist aber gewiss der interessantere. Wenn ich endlich noch Sazmartin und Piz Sol mit einander vergleichen soll, so ist, wie oben bereits bemerkt, bezüglich der Fernsicht kein nennenswerther Unterschied, doch der Vorzug eher auf Seite des Piz Sol. Das Sazmartinhorn dürfte dagegen bezüglich der nähern Umgebung in erster Linie stehen. Im Ganzen aber würde ich eine Tour auf den Piz Sol vorziehen wegen der zahlreichen See’n, die man zu besuchen Gelegenheit hat. Es empfiehlt sich dann freilich, wenn der Sommer nicht ganz günstig ist, bis in den August hinein zu warten, um alle See’n offen zu finden. Wählt man den Weg über die Vilterseralp und den Abstieg über Schwarzplangggrat und Gamidauerkamm, so kommt man an nicht weniger als sechs See’n vorbei und geniesst während des Aufstieges sowohl als des Rückweges die herrliche Aussicht in’s Rheinthal. – Um halb 3 Uhr begeben wir uns auf den Rückweg. Mit Leichtigkeit liesse sich Punkt 2730 m besteigen, doch sind wir heute zu bequem dazu und haben zudem noch einige Stunden Marsch vor uns, bis wir unser Nachtquartier, die Hintere Ebene, erreichen. Ueber Schnee und Geröll und von zahlreichen Murmelthieren bewohntes Gelände geht’s hinunter und hinüber zu den Zinerböden. Beinahe glaubten wir, einen «Munk» fangen zu können. Wir hatten ihn überrascht, er flüchtete sich auf ein Schneefeld und verschwand plötzlich. Wir dachten, er habe sich nur geduckt, eilten hinzu und waren nicht übel erstaunt, zu sehen, wie die Thiere sich durch den gewiss noch 2 m tiefen Schnee eine Röhre gegraben hatten. Um 4 Uhr gelangen wir zur obern Malanseralp, 1990 m, und halten uns eine Stunde auf, bis sich die jetzt sehr drückende Hitze etwas gemildert hat. Dann führt uns ein Marsch von anderthalb Stunden über die Plattenalp hinunter zur Brennhütte und zur Hintern Ebene, 1780 m.
(Quelle: W. Gröbli im Jahrbuch 1888)
Die Grauen Hörner im Spätherbst
Prächtig schauen an jedem schönen Tage die Grauen Hörner über die Klus in’s Vorderprättigau herein und laden den Bergfreund zum Besuche ein. Keine andere Berggruppe präsentirt sich von Schiers aus so schön, wie die Grauen Hörner, denn die eigentlichen Prättigauergebirge Rhätikon, Hochwangkette und Silvrettagruppe sind durch Vorberge ganz oder größtentheils verdeckt und werden erst sichtbar, wenn man etwas in die Höhe steigt; die Grauen Hörner dagegen sieht man vom Thalboden und selbst von der Mitte des Dorfes aus, und zwar mit fast allen ihren wichtigern Gipfeln, Gräten und Einschnitten. Vom Fenster aus, an dem ich diese Zeilen schreibe, sehe ich z.B. den ganzen Grat vom Garmil (2012 m) bis zum Punkt 2791; dahinter den Piz Sol (2849 m) und den Punkt 2770m zunächst rechts oder nördlich von demselben, dann die hintern Zanayhörner vom Punkt 2791 m bis Punkt 2825 m, mit der daran gelehnten wilden Zanayalp, und als Gegenstück hiezu die Vasanealp, die Lasaalp und das kleine Thälchen Vaplona, mit den darüber thronenden Gipfeln: Vasanekopf, Schlößlikopf und Tagweidlikopf. Die Vaplonaköpfe, so nenne ich die Köpfe auf der Südseite von Vaplona, vom Hochpardiel (2355 m) bis zum Wildseehorn (2688 m), werfen gerade jetzt ihre Schatten in das noch in der Abendsonne glänzende Vaplona… Das ganze diesjährige Clubgebiet ist also der Hauptsache nach vor mir aufgestellt, und die Gesellschaft grauer Clubveteranen, wie das Itinerar die Grauen Hörner nennt, lud uns jüngere Clubgenossen freundlich zum Besuche ein…
Da bringt der Spätherbst unerwartet schöne Tage. Die Berge sind zwar weit, bis über Alp Lasa herab, überschneit; aber im hellsten Sonnenglanz, in wunderbarer Schönheit grüßen und winken die Grauen Hörner über die Klus herein, und da sollte man daheim bleiben? Wegen ein wenig Neuschnee? Nein, wir gehen, nämlich Freund Zwicky und ich.
Samstag den 27. Oktober, Mittags 11 Uhr, wird in Schiers aufgebrochen; raschen Schrittes geht’s nach der Station Landquart, dann per Bahn nach Ragaz und sofort weiter nach dem Bade Pfävers und hinauf nach Valens, wo wir unsern Proviant ergänzen und bei Schreiber Üehli zur Post die Schlüssel zur Alphütte in Lasa holen. Der gute Mann macht ein bedenkliches, fast erschrockenes Gesicht, als er von unserm Plane hört, und meint, wir würden des weichen Schnee’s wegen wohl bald umkehren. Um 4 Uhr wird unter den Glückwünschen Üehlis und seiner Frau der Aufstieg nach der Lasaalp begonnen. In mäßiger Steilheit geht’s bergan, und schon wenig über Valens, etwa in einer Höhe von 1000 m, treffen wir den ersten Schnee, der zuerst nur in wenigen kleinen, dann in immer zahlreichern und größern Flecken auftritt, die bald genug zu einer gleichmäßigen Decke verwachsen. Diese aber trägt uns und weckt darum gute Hoffnungen auf den folgenden Tag. Auf der untern Hälfte des Weges treffen wir noch hie und da Leute an, denen aber unser Vorhaben durchaus nicht gefällt. Die Grauen Hörner würden uns nicht fortlaufen, meint ein älterer Mann, wir könnten die auch das nächste Jahr besuchen, wenn’s gerade sein müsse, und er hatte eigentlich nicht so ganz Unrecht. Wir aber lassen uns weder belehren noch abschrecken und steigen rasch aufwärts, denn die Zeit drängt und die Nacht bricht bald herein.
Um 6 ½ Uhr ist der Säß erreicht; nach einigem Suchen finden wir die Hütte, zu der unsere Schlüssel passen, und bald steigen darin die Flammen lichterloh auf; sie erleuchten sie nur, sie erwärmen sie nicht. Leider haben wir nichts auf’s Feuer zu setzen. Wohl hatten wir Kaffeepulver mitgenommen, um uns am Abend und am Morgen einen warmen Kaffee zu machen, aber die Pfanne, die wir in der Hütte zu finden hofften, war nicht da, und wir hatten keinen Kochapparat mitgenommen. Wir mußten uns also mit Brod, Fleisch und Wein begnügen. Auch der Schlafraum war zu dieser Zeit, selbst für die bescheidensten Ansprüche, ungenügend. Er bestand in einem engen Dachraum, zu dem man mittelst einer Leiter aufsteigen mußte, und enthielt gerade Heu genug zur Herstellung einer nicht zu harten Unterlage. Doch genügte der Vorrath nicht, um auch noch eine Decke machen zu können, und so konnten wir wegen der Kälte nicht oder doch nur wenig schlafen. Solche Alphütten sind eben nur im Sommer, wenn das Vieh auf den Alpen weidet und Senn und Alpknechte die Hütte bewohnen, auch für Touristen brauchbar. Sind einmal die Aelpler wieder zu Thal gestiegen und haben sie, wie das gewöhnlich geschieht, Schiff und Geschirr mitgenommen, so enthalten die Hütten nichts mehr, als höchstens noch etwas Heu und Holz. Jedenfalls sollte man, wenn man zu ungewöhnlicher Zeit in Alphütten übernachten will, außer dem Proviant auch Kochapparat und Decken mitnehmen.
Unsere etwas fatale Lage wohl erkennend, blieben wir lange auf beim flackernden Feuer, rauchten unsere Cigarren und besprachen die Projecte des nächsten Tages mit ihren verschiedenen Möglichkeiten. Da wir uns sagen mußten, daß die Schneeverhältnisse wahrscheinlich sehr ungünstige sein würden, so durften wir keine hochfliegenden Pläne schmieden. Wir kamen überein, einen Versuch auf den Punkt 2650 m zu machen, dann zum Wildsee abzusteigen, und am Schottensee und Schwarzsee vorbei und über die Vermialp nach Mels, resp. über Gamidauer nach Schwendi im Weißtannenthal zu gehen. Sollte aber dies des Schnee’s wegen unmöglich oder doch zu anstrengend sein, so würden wir zum Wangserseeli gehen und über die Laufböden, eventuell mit Besteigung eines der Lasaköpfe nach der Alp Pardiel und nach Ragaz hinuntersteigen. Bei über Erwarten guten Schneeverhältnissen dagegen würden wir nach Besteigung des Punktes 2650 m uns an den Piz Sol wagen und dann nach Weißtannen hinabgehen.
Die folgende Darstellung wird zeigen, wie wenig wir uns an diese Verabredungen gehalten haben, und wie wir trotz der schwierigsten Schneeverhältnisse mehr ausführten, als selbst unser größtes Project, das nur für gute Schneeverhältnisse berechnet war, in sich schloß. In den Bergen bindet man sich eben nicht einmal an selbstgemachte Projecte, geht freilich dann auch nicht immer straflos aus, wie wir dies genugsam erfahren mußten. Hinterdrein aber, wenn Alles glücklich vorbei ist, macht man sich aus diesen Strafen nicht viel, sondern findet sie am Ende gar noch interessant und lehrreich. Die Lehre jedenfalls haben sie uns gebracht, daß es nicht rathsam ist, solche Touren bei so später Jahreszeit und so schlimmen Schneeverhältnissen, wie wir sie fanden, zu unternehmen. Unsere Tour wäre bei schönem Sommer- oder Herbstwetter nicht nur viel leichter und gefahrloser, sondern auch ungleich schöner und genußreicher gewesen. Es wandert sich denn doch ganz anders im wonnigen Sommer, wenn Heerden und Hirten das Gebirge beleben, die Alpenmatten in tausendfarbigem Blumenschmuck prangen, rothe Alpenrosen, blaue Gentianen, gelbe Anemonen und weiße Steinbreche uns auf Schritt und Tritt begrüßen, und selbst Gletscher und Felsenhänge einiges Leben entwickeln, als im frostigen Winter, wenn alles Leben erstorben scheint, allüberall ein großes weißes Leichentuch uns kalt entgegenstarrt und tiefer weicher Schnee unsere Schritte hemmt und unsere Kräfte lähmt!
Es war eine lange Nacht in der kalten unwirthlichen Hütte, doch nicht ohne ihren eigenen Zauber: Bald nach unserer Ankunft glänzten plötzlich die Hörner und Felszacken unserer Umgebung, namentlich die Zanayhörner, fast wie bengaliseh beleuchtet in hellem Lichte auf, um sich dann nach einigen Secunden ebenso plötzlich wieder zu verdunkeln. Wir konnten nicht beobachten und uns auch nicht erklären, woher diese plötzliche grelle Beleuchtung kam. Rührte sie vielleicht von einem Meteor, von einer vorbeifliegenden Feuerkugel her? Sternschnuppen sahen wir viele fallen, allein von solchen konnte diese starke Beleuchtung nicht herkommen, dazu ist das Sternschnuppenlicht zu schwach. Der Sternhimmel war überhaupt prachtvoll: Es waren die schönen, aber winterlichen Sternbilder Leier, Schwan und Adler in gleichschenkligem Dreieck zusammengestellt, das herrliche Trapez des Orion, mit dem funkelnden Jakobsstab in der Mitte, dann der kleine und große Hund mit dem strahlenden Sirius, Fuhrmann und Zwillinge, Cassiopeja und Perseus u. A. m, die sich unsern Blicken zeigten und uns zu stiller Andacht stimmten. Doch endlich war die Nacht dahin und wir traten, nach kurzen Vorbereitungen, um 5 Uhr 30 Min. den Marsch aufwärts gegen Vaplona an.
Zuerst war der Schnee noch gut, aber bald hatte die Herrlichkeit ein Ende; der Schnee wurde immer weicher und tiefer, und das ermüdende Waten begann. Wir hielten uns möglichst hoch auf der nördlichen, nach Süden fallenden Seite von Vaplona, gewannen das kleine Tobel, das gegen den Punkt 2547 m ansteigt, wateten durch dasselbe hinauf und erreichten den genannten Punkt um 8 Uhr 45 Min. Hier sahen wir etwa 200 m unter uns den Schottensee mit Schnee und Eis bedeckt. Schottenseefurke wäre vielleicht, der Wildseefurke (2515 m) entsprechend, der passendste Name für diese Scharte zwischen den Punkten 2647 m und 2650 m. Wir blieben nicht lange hier, sondern stiegen bald wieder links auf, theils über Schnee, theils über Verrucanotrümmer, und betraten den Gipfelpunkt 2650 m um 9 Uhr 15 Min. Es ging ein schwacher Windzug, und das Thermometer zeigte auf -2 ° C., für diese Höhe und Jahreszeit eine noch ganz erträgliche Temperatur. Wir fanden weder ein Steinmännchen, noch sonst Spuren einer frühem Besteigung, und sind also vielleicht die ersten Besucher dieses Punktes, abgesehen etwa von Jägern und Geißbuben, von denen aber die Geschichte schweigt.
Der Punkt, der wohl passend Schottenseehorn genannt würde, ist sehr interessant und besuchenswerth. Er bietet einen guten Ueberblick über den geologischen Aufbau der Grauen Hörner, und eine prachtvolle Aussieht, die bei dem sonnigen Wetter und der reinen klaren Herbst- oder fast Winterluft wirklich entzückend war…
Denn einen höchst eigenthümlichen, befremdenden Anblick gewähren die Grauen Hörner! Zu unsern Füßen liegen die kraterähnlichen Becken des Wildsee’s und Schottensee’s. Jetzt freilich ist der Grund dieser Becken sammt den See’n und dem vom Wildsee gegen den Piz Sol ansteigenden Gletscher in den weißen Schneemantel gehüllt, und die See’n erkennt man nur an der ausgeglätteten Ebene. Ringsumher erheben sich seltsame, fast unheimliche Felsgestalten, die vielfach zerrissen und zerklüftet sind, und deren vorspringende Ecken und Thürme oft schief dastehen, ja zu wanken scheinen und mit Einsturz drohen. Diese Felsenhörner stehen nämlich gar nicht an ihrem Platz; weit unten in unterirdischen Räumen, viele hundert Meter unter ihrem jetzigen Ort sollten sie eigentlich sein und dem ganzen Gebirge als solide Grundlage dienen. Aber es gefiel eben diesen unruhigen Köpfen nicht, in untergeordneter Stellung die andern zu tragen; in frecher Selbstüberhebung haben sie alle Bande der Ordnung durchbrochen und sich emporgedrängt in lichte Höhen, für die sie nun einmal nicht passen. Dem Verfasser des trefflichen Itinerars erscheinen diese Häupter wie eine Versammlung von Clubveteranen. Uns scheinen sie eine viel gefährlichere Gesellschaft. Fast möchte man wähnen, unversehens einer Bande böser Anarchisten in die Hände gefallen zu sein!
Seht diese rauhen schrecklichen Gestalten ringsumher, wie sie finster und grimmig dreinschauen! seht, tragen sie nicht sammt und sonders Jakobinermützen? Ja, ja, Mützen von rothem Verrucano tragen diese sauberen Gesellen, aber sie sehen schrecklich zerrissen aus, auch müssen sie nicht farbächt gewesen sein, denn sie schillern in allen Farben: graugrün, schmutzig-violett, rostbraun. Einer Halsbinde vergleichbar zieht sich unterhalb der obersten Köpfe ein hellgraues Band von sogen. Lochseitenkalk um den Felsnacken, das wir namentlich beim Heraufsteigen von der Lasaalp beobachten konnten und das man im Sommer sogar von Schiers aus deutlich sehen kann, und dann kommt der Rumpf von dunkeln Schiefern und Kalken, die hinunterreichen bis in die Pfäverser Schlucht, wo sie reichlich Nummuliten enthalten. Da ist also Alles drüber und drunter gekehrt. Während die richtige, althergebrachte und bewährte Ordnung die wäre: unten ein festes Grundgestell und sicheres Fundament von Verrucano und andern altern Gesteinen, dann ein Etagenwerk von jurassischen Kalken und oben ein gutes Dach von eocänen Schieferplatten, so steht hier verkehrt Alles auf dem Kopf…
Jedoch der Zeiger an der Uhr und die Sonne am Himmel schreiten unerbittlich vorwärts und mahnen uns, daß auch wir weiter müssen, und so machen wir uns nach einstündigem genußreichem Aufenthalt um 10 Uhr 20 Min. wieder auf den Weg. Das Verständigste wäre nun gewesen, entweder über die Laufböden und Pardiel nach Ragaz zurückzugehen, oder allenfalls an Wildsee, Schottensee und Schwarzsee vorbei über Gamidauer und Vermialp nach Mels hinunter zu steigen. Aber das Wetter war so schön, und uns gefiel es hier oben so gut, daß wir wenigstens einen Versuch gegen den Piz Sol machen wollten. Um dem Schnee einigermaßen auszuweichen, stiegen wir zunächst zum Wildseefürkli 2515 m hinunter, und auf der andern Seite gleich wieder hinauf, gegen Punkt 2688 m (Wildseehorn), in der Hoffnung, dann von dort über die Punkte 2686 m, 2649 m und 2791 m eine ziemlich schneefreie Gratwanderung bis zum Piz Sol machen zu können. Wir kamen auch glücklich und ohne zu viel Schnee auf die zwei erstgenannten Punkte. Es war eine interessante, alle Aufmerksamkeit und Geschicklichkeit in Anspruch nehmende Felskletterei. Von Zeit zu Zeit kamen wir an einen gewaltigen Felsenthurm, der sich breit und trotzig in den Weg stellte und ein energisches: „ Halt, bis hieher und nicht weiter!“ zu gebieten schien. Dann galt es, an dem ungeschlachten Kerl herumzuspüren und herumzuklettern, zu kriechen und zu springen, bis sich irgendwo ein Ausweg fand. Meist konnten wir die Thürme auf der rechten Seite, also auf der Seite des Gletschers, umgehen; nur einmal ging’s links herum, mit Blick in gähnende Tiefe gegen Valgrausa. Einer dieser Felsobeliske war, wie durch einen Axthieb, von oben bis unten gespalten. Auf den Punkten 2688 m und 2686 m blieben wir je etwa 20 Minuten, denn die Aussicht von ihnen aus bot gegenüber Punkt 2650 m wenig Neues. Doch traten hinter der Albulakette noch die Berninagruppe und der Ortler hervor. Erwähnt sei noch, daß uns längere Zeit zwei gelbschnäbelige Bergdohlen umkreisten, die es offenbar auf die spärlichen Ueberreste unseres Proviants abgesehen hatten; sonst sahen wir auf diesem Grat im Schnee nur noch einige todte Fliegen. An einer geschätzten, sonnigen Stelle hatten wir schon vorher wenige Meter unter Punkt 2547 m (Schottenseefurke) in einer Felsenspalte ein ganzes Büschel schön blühender gelber Ranunkeln gefunden.
Vom Punkt 2686 m an konnten wir, ohne Führer und Seil, nicht mehr auf dem Grat weiter gehen. Also ließen wir uns durch eine steile, schneeerfüllte Runse auf das große Schneefeld hinunter, das jetzt den ganzen Felsenkessel ausfüllte, während im Sommer nur ein kleiner Gletscher sich vom Piz Sol gegen den Wildsee hinunterzieht. Jetzt war freilich vom Gletscher selber nichts zu sehen; er lag unter einer dicken weichen Schneedecke, die weit über ihn hinaus und hinauf reichte, so daß nur die obersten Gräte ihre starren, zerklüfteten Felsmassen zeigten. Auf diesem ansteigenden Schneefeld gab es nun furchtbar ermüdende und zeitraubende Arbeit. Fast durchweg sanken wir bis an oder über die Kniee in den weichen pulverigen Schnee ein, oft genug auch bis an die Brust, und manchmal mußten wir 4 bis 6 Schritte machen, ohne auch nur um ein paar Centimeter vorwärts zu kommen, indem wir an steileren Stellen immer wieder zurücksanken. Auf einer längeren Strecke mußten wir alle 20 bis 30 Schritte einen kleinen Halt machen, um Luft und Kraft zu schöpfen. Oft lag’s uns wie Blei in den Beinen und zeitweilig hatten wir auch mit dem Schlaf zu kämpfen. Aber „nit nahlah gwinnt”, und so arbeiteten wir uns unverdrossen vor- und aufwärts. Gegen Punkt 2791 m gab’s einmal eine ganz schlimme Kletterei durch ein steiles Couloir hinauf, in dem Hände und Füße keinen sichern Halt fanden, weil der Fels faul war, und die Steine, die als Angriffs- und Stützpunkte hätten dienen sollen, losließen und in die Tiefe stürzten. Das war eine höchst mißliche Stelle, aber wir waren, ich weiß nicht wie, hineingekommen und konnten ohne die größte Gefahr des Ausgleitens nicht mehr zurück, mußten also um jeden Preis aufwärts zu kommen suchen, was uns denn auch mit viel Mühe und unter Anwendung aller Vorsicht und von allerlei Kriech- und Kletterkünsten schließlich gelang. Die Höhe wurde ohne Unfall erreicht, und dann ging es wieder etwas leichter über den im Sommer schneefreien, jetzt aber stark verschneiten Grat zwischen Punkt 2791 m und Piz Sol hinweg. So erreichten wir ein steiles Kamin, das uns, weil es ebenfalls mit weichem Schnee erfüllt war, große Anstrengung kostete, aber uns direkt auf den mittleren und höchsten Gipfel des Piz Sol führte, den wir endlich um 3 Uhr 40 Min. erreichten. Wir hatten also für die kleine Strecke vom Punkt 2686 m bis Piz Sol, die im schneefreien Sommer jedenfalls in einer Stunde ganz gut gemacht werden kann, volle drei Stunden angestrengtester Arbeit gebraucht. Das hatte der weiche Schnee verschuldet. Wir erschraken nicht wenig, als wir bemerkten, daß es so spät geworden war, allein zu ändern war da nichts mehr. Lange aufhalten durften wir uns hier natürlich nicht, aber eine halbe Stunde mußten wir uns doch gönnen, um uns nach der mehrstündigen großen Anstrengung etwas zu erholen, und uns durch Brod, Fleisch und Wein wieder zu stärken…
Doch nun ist’s die höchste Zeit! Nachdem wir einen Zeddel mit unseren Namen in der zerbrochenen Flasche des Steinmännchens geborgen, treten wir den Abstieg gegen Weißtannen an. Es war 4 Uhr 10 Min., und das Bestreben darum wohl berechtigt, einen möglichst kurzen Weg einzuschlagen. Im Sommer oder bei tragendem Schnee würden wir auf den Gletscher hinunter gestiegen und an dessen linkem Rande gegen den Lavtinasattel 2593 m gegangen sein, um dann über den Stafinellegrat und Gafararücken (die Punkte 2402 m, 2080 m und 1766 m) nach Weißtannen zu eilen. Jetzt aber fürchteten wir, im Wildseekessel des weichen Schnee’s wegen fast nicht vom Fleck zu kommen, und dann von der Nacht überfallen zu werden. Darum wagten wir, in der Meinung, so viel schneller vorwärts zu kommen, den Abstieg vom Piz Sol gerade westlich durch die sogen. Gelbi hinunter direkt auf die Hütte von Oberlavtina zu. Das brachte uns nun gehörig in’s Pech. Zunächst allerdings ging’s in hellen Sätzen abwärts. Doch bald merkten wir, daß Vorsicht geboten sei, denn der Berg bestand hier vielfach aus losen Steinen, die zudem meist mit glattem Eis überzogen waren. So fiel ich einmal um, rutschte abwärts, wollte mich an einem vorspringenden Stein hatten; der aber ließ los und kollerte weiter, während es mich zwei Mal überwarf, bevor es mir gelang, mich an andern Steinen festzuhalten, wobei ich mehrere Finger ziemlich stark verletzte. Es war die höchste Zeit, daß ich mich halten konnte, denn wäre ich nur noch wenig weiter gerutscht, so wäre ich in eine bedeutende Tiefe gefallen. Nach dieser Episode kamen wir bald auf steile Schneefelder, durch die wir sitzend hinunterrutschten. Ganze Schneeströme fuhren mit uns und hinter uns her zu Thal, uns manchmal fast in sich vergrabend. Nun wurde die Stelle, die einen Abstieg zu ermöglichen schien, immer enger und steiler; Felsen starrten, mit gefrornen Wasserfällen behangen, in die Höhe, und Abgründe zeigten uns ihre gähnende abschreckende Tiefe. Jedes weitere Fortkommen schien unmöglich zu werden. Sollten wir umkehren und weiter oben einen andern Ausweg suchen? Drei Blicke genügten, um uns Alles versuchen zu lassen, auf dem einmal eingeschlagenen Weg weiter zu kommen: ein Blick aufwärts auf den zurückgelegten Weg, der uns zeigte, daß wir nur mit großem Zeitverlust und übermäßiger Anstrengung im weichen steilen Schneefeld wieder in eine Höhe kommen könnten, von der aus ein anderer Weg in mehr nordöstlicher Richtung unter dem Gipfel des Piz Sol durch sich versuchen ließe, ein zweiter Blick auf die Excursionskarte, der diesen neuen Weg nicht besser erscheinen ließ als den, auf dem wir waren, und ein dritter Blick an den Himmel, der uns die beängstigende Nähe der Nacht verrieth. Also steigen wir abwärts, langsam, Schritt für Schritt abwägend, einander zurufend, helfend, ermuthigend, aber in peinlicher Ungewißheit, ob wir nicht doch noch an eine Stelle kommen würden, wo wir nicht mehr weiter könnten. Plötzlich hatten wir eine senkrecht abstürzende Felsstufe unter unsern Füßen, weder rechts noch links eine Möglichkeit, sie zu umgehen. Jedes weitere Vordringen schien unmöglich. Allein, Noth, bricht Eisen und macht auch etwa erfinderisch. Fassen wir den Stier bei den Hörnern; der Fels ist nämlich nicht sehr hoch und wie der ganze Berg zerrissen und zerhackt; er bietet also vielleicht Anhalts- und Stützpunkte für Hände und Füße und – frisch gewagt ist halb gewonnen! Ich werfe Bergstock und Proviantbüchse hinunter in den weichen Schnee und beginne die Kletterei und – es geht! Langsam, vorsichtig, denn ein einziger loser Stein, auf den man sich stützte, ein einziger Fehltritt müßte Verderben bringen. Endlich komme ich unten auf dem weichen sichern Schnee an. Nun rückt Zwicky nach, unter meinen Commandorufen: rechts, links, weiter unten, größerer Schritt, weiter spannen, festhalten etc., und mit einem letzten Sprung ist er auch auf dem Schnee. Nun geht’s wieder in Rutschpartien, mit mächtig hinter uns her rauschenden Schneezügen abwärts, aber doch nur mühsam, mit Unterbrechungen und nicht ohne einige kleine Abenteuer, weil der Schnee zu weich und zu pulverig ist und zu wenig Halt bietet; schließlich jedoch kamen wir ohne größern Unfall unten beim Bach an und überschritten ihn etwas unter der Hütte von Oberlavtina, nachdem es bereits Nacht geworden war. Ohne Rast stürmen wir vorwärts. Dem Bach nach abwärts zu gehen, wagen wir nicht, denn es sieht in der Dunkelheit gar unheimelig aus dort unten in den Schluchten. Ohne die Karte zu berathen, steigen wir rechts an, gegen den Punkt, der auf dieser als Hochwart bezeichnet ist, in der Meinung, dann von dort in’s Thal hinunter steigen zu können. Allein dort angekommen, schreckt uns die grausige dunkle Tiefe zurück, und wir stürmen nun in der Angst gegen Punkt 2402 m hinauf, ohne recht zu wissen, wo wir sind. Aber die Erfolglosigkeit solchen Thuns bald einsehend, machen wir Halt und studiren bei mattem Schein eines Kerzenstümpchens, das wir für äußerste Fälle aufbewahrt hatten, die Karte. Auf Grund derselben entscheiden wir uns für den Weg durch’s Lavtinatobel, weil uns in der Dunkelheit der Bach eine bestimmte Leitlinie bietet und weil wir so hoffen dürfen, auch bei langsamem Gehen doch bald in größere Tiefe und aus dem Schnee zu kommen, wobei wir allerdings voraussahen, daß wir da hinunter wenigstens bis zum Punkt 1501 m sehr schlimmen Weg durch finstere Schluchten, steile Halden, Felsen und Rüfen haben werden.
In langem Zickzack steigen wir durch steile holperige Grashalden, die hier zu unserer Freude schneefrei sind, hinunter auf den Punkt zu, wo der Lavtinabach im Tobel aus der Südwestrichtung in die Westrichtung übergeht, und erreichen den Bach über dem Buchstaben p des Namens Krautplangg in der Karte. Nun tappen wir tapfer, theils im Bach, theils neben ihm, theils an den Gehängen rechts und links durch die Schlucht hinaus, was zwar sehr langsam, aber sonst im Ganzen nicht so übel geht. Freilich sind wir puncto Gangbarkeit des Terrains allmälig sehr genügsam und wenig wählerisch geworden. Hie und da gibt’s einen gehörigen „Patsch” bis an die Kniee in’s Wasser, dann steckt man mit den Füßen in tiefem Schlamm, dann fällt man über Steine hin und windet sich zwischen großen Blöcken hindurch, bleibt mit einem Fuß zwischen Steinen in einem Loch stecken, klettert etwas am rechten Abhang hinauf und dann wieder hinunter, je nach der Beschaffenheit des Bachbettes, verstrickt sich im Gesträuch u. s. w. Aber aus allem dem und vielem Andern, von dem die Geschichte schweigt, machen wir uns nichts mehr, wenn’s nur immer vor- und abwärts geht, denn darauf ist jetzt all’ unser Sinnen und Trachten gerichtet. Stellenweise wird die Schlucht unheimlich enge, und die schwarzen Felsgestalten scheinen uns erdrücken zu wollen. Wie Gespenster hängen besonders an den hohen linksseitigen Felswänden gewaltige Orgelpfeifen von Eis absturzdrohend herunter. Aber es geht doch immer vorwärts und endlich treten wir, indem wir ein wenig rechts ansteigen, aus der Schlucht heraus und kommen im wilden Felsenkessel von Badöni beim Punkt 1501 m an, der uns auch durch eine kleine, an den Felsen gelehnte verfallene Hütte erkennbar wird, und wir brauchen nun nicht mehr zu fürchten, an unpassirbare und gefährliche Stellen zu kommen.
Aber nun folgt neue Enttäuschung. Anstatt, wie wir gehofft, aus dem Schnee heraus und auf einen ordentlichen Weg zu kommen, stecken wir auch hier wieder, und, wie wir bald merken, noch für lange, in tiefem, weichem Schnee, auf dem holperigen steinigen Grund eines immer noch engen schluchtartigen Thals. Stellenweise hatten wir auch Trümmerfelder mit wild durcheinander geworfenen großen und kleinen Blöcken zu passiren. Erst oberhalb der Hütte von Unterlavtina kamen wir auf besseren Weg, auf dem wir endlich einmal in ordentlichem Schritt vorwärts kamen.
Endlich standen wir um 12 Uhr 30 Min. vor dem Hotel Alpenhof in Weißtannen, mußten aber noch lange warten und läuten, klopfen, rufen und lärmen, bis wir Einlaß erhielten. Die freundlichen und sehr zuvorkommenden Wirthsleute waren nicht wenig erstaunt ob unserer Ankunft in so später Nacht und von solchen Orten. Am Morgen marschirten wir wieder rüstig durch’s romantische Weißtannenthal hinaus nach Mels, dann ging’s per Bahn nach Landquart, und zum guten Schluß wieder zu Fuß nach Schiers, wo wir Mitte Nachmittags wohlbehalten ankamen. So viel Mühe und Schwierigkeit uns unsere Herbstfahrt in Folge des vielen weichen Schnee’s bereitet hatte, waren wir doch, und sind es noch, von derselben in hohem Grade befriedigt, war es uns doch gelungen, mehrere Gipfel der Seehörner und das Haupt der Grauen Hörner, den Piz Sol, zu besteigen und herrliche Aussichten zu genießen, und war uns schließlich trotz aller Ungunst der Schneeverhältnisse und trotz unseres allerdings etwas unbesonnenen Vorgehens doch nichts Schlimmes zugestoßen! …
(Quelle: Eduard Imhof im SAC Jahrbuch 1888)
Auf das Grosse Zanayhorn 2825 m.
Am Morgen des 22. Juli kämpfte das Wetter lange zwischen Regen und Sonnenschein hin und her, bis endlich letzterer die Oberhand erhielt. Ich brach deßhalb erst um 10 Uhr 30 Min. auf. Ein schöner Fahrweg führt in mäßiger Steigung durch Buchen- und Tannenwald am linken oder nördlichen Ufer der Tamina hin bis gegen den Ausgang des Tersoltobels. Dieses vom Kanton St. Gallen zur Ausbeutung seiner Wälder angelegte Sträßchen bietet prächtige Ausblicke auf den Hintergrund des Kalfeusenthals, auf die Ringelspitzkette und rückwärts auf den Calanda. In einer Stunde hatte ich das einsame Gigerwaldgut erreicht. Es fällt mir, wenn ich aus Graubünden in das Gebiet der St. Galler- und Glarneralpen komme, jedesmal auf, wie ungleich wilder es hier bei gleicher Höhenlage ist, als in unsern rhätischen Thälern und Alpen. So liegt das Gigerwaldgut nur 1237 m hoch und ist ein vereinzeltes, rauhes Gut, so daß man sich billig darüber verwundern muß, daß Jemand dasselbe ständig bewohnen mag. Der Wald kommt dort nur noch in kleinen Fetzen vor und reicht nicht weit über das Gut hinauf.
Beim Aufstieg nach der Alp Tersol ging’s erst noch ein kleines Wäldchen hinauf, dann aber folgten abwechselnd abschüssige Grashalden und von Runsen durchfurchte Felsenhänge, in denen der schmale, holperige, steil auf- und absteigende Fußweg oft für längere Zeit ganz verschwindet. Ist das ein Tobel! Rechts und links, über und unter sich sieht man mit Staunen grandiose Felswände von furchtbarer Steilheit und Höhe. Unten in der engen Schlucht, in der der Blick nur selten bis auf den Grund hinabdringt, tobt und stürzt der Bach von Stufe zu Stufe in einer fast ununterbrochenen Folge von vielgestaltigen Wasserfällen, von denen manche von großer Schönheit sind. Da und dort wölben sich prächtige Regenbogen über den tiefen Abgrund und tanzen den fröhlichen Reigen auf dem feinen Wasserstaub, der aus der schwarzen Kluft emporwirbelt. An manchen Stellen sieht man das Wasser in wildem Wirbel durch glattpolirte, runde Felsennischen jagen, um dann plötzlich mit gewaltigem Sprung in die Tiefe zu stürzen und weiter unten das gleiche Spiel von Neuem zu beginnen. Hoch oben an den Wänden aber reiht sich ein Auswaschungskessel an den andern. Jetzt sind diese Erosionsnischen längst verlassen, aber sie sind Zeugen aus alter Zeit und verrathen das gewaltige Schaffen der Natur, die mächtige Kraft des erodirenden Wassers. Für den leicht bepackten Touristen mag nun freilich dieser Weg mit all’ seinen Naturwundern trotz seiner Steilheit recht angenehm, wenn auch durchaus nicht mühelos sein. Aber die zwei Männer, die ich unterwegs antraf und die sich mit unendlicher Anstrengung abmühten, einen 6 bis 7 m langen und 120 m dicken Balken nach der Alp hinauf zu tragen, mögen die Schlucht mit ganz andern Augen und Gefühlen betrachtet haben als ich. Da hat nämlich im vorigen Winter (1888/89) eine Lawine eine Hütte zerstört und die muß nun wieder aufgebaut werden. Die Alp liegt aber 1995 m hoch und ist weit von allem Wald entfernt und so müssen denn die Alpbesitzer das Bauholz vom Gigerwald aus 600 bis 700 m hoch hinauf tragen. Der Weg ist aber wohl der schlechteste Alpweg, den ich bis jetzt kennen gelernt habe. Ich habe absichtlich hier meinen Aufstieg verlangsamt, um diesem Balkentransport zuzuschauen und einen Eindruck von den damit verbundenen Schwierigkeiten, Gefahren und fast übermenschlichen Anstrengungen zu gewinnen. Wo es anging, nahmen die Männer den Balken auf die Schultern, der eine am vordem, der andere am hintern Ende, und schritten behutsam über steile, glatte Grashalden oder über schmale Felsenbänder hoch über dem Abgrund hin. Von Zeit zu Zeit kam eine scharf vorspringende Felsecke und zugleich ging der Weg aus, also mußte der Balken niedergelegt und mit untergelegten Steinen vor dem Sturz in’s Tobel bewahrt werden. Dann wurde er an’s Seil genommen und von den Männern, die den Felsen umklettert hatten, heraufgezogen und auf der andern Seite wieder vorsichtig hinabgelassen. Dann wieder wurde der Balken ein Stück weit steil aufwärts getragen, bis etwa eine kleine, krumme Seitenrunse wieder die Anwendung des Seils mit Heraufziehen und Hinunterlassen oder mit Hin- und Herschieben nöthig machte. An manchen Stellen, an denen der Weg in scharfen Ecken um Felsen bog, waren die Männer in der höchsten Gefahr, durch den an den Felsen streifenden, unbiegsamen Balken in den Abgrund gedrückt zu werden oder den Balken fahren lassen zu müssen und sich um die ganze Arbeit betrogen zu sehen. Auch sollen den Männern wirklich einige Balken entgangen und in der unzugänglichen Schlucht auf Nimmerwiedersehen verschwunden sein. Bei diesem Transport machten die Männer einige Stationen und schafften also einen Theil des Holzes vom Gigerwald zunächst nach der ersten Station, später von dieser nach der zweiten und so weiter, bis sie oben bei der Hütte ankamen. Auf solche mühe- und gefahrvolle Weise mußten die Besitzer der Alp eine größere Anzahl Balken und Bretter in die Alp hinauf schaffen. Und dabei rauchten sie noch gemüthlich ihr Pfeifchen!
Nachdem ich einige Zeit dieser harten Arbeit zugesehen hatte und mir nicht die mindeste Lust kommen wollte, mich an derselben zu betheiligen, schwang ich den Hut, eilte wieder schnelleren Schrittes aufwärts und erreichte die Hütte der Alp Tersol um 2 Uhr 10 Min. Es ist das eine sehr rauhe, von hohen zackigen Felshörnern umschlossene Galtvieh- oder Jungviehalp. Unter den Spitzen ragen namentlich die drei höchsten der Grauen Hörner hervor: Piz Sol im Norden, Sazmartinhorn im Westen und Großes Zanayhorn im Osten. Die Alp gehört 5 oder 6 Geschwistern aus Vasön und kann an 100 Stück Jungvieh und eine größere Anzahl von Schafen sömmern. Früher soll die Alp für die doppelte Stückzahl genügt haben. Infolge fortdauernder Verschüttung durch den von Jahr zu Jahr sich mehrenden Bergschutt nimmt aber ihre Ertragsfähigkeit fortwährend ab. Immerhin ist sie auch jetzt noch eine, wie es scheint, nicht ganz zu verachtende Verdienstquelle für ihre Besitzer, indem dieselben außer ihrem eigenen Jungvieh auch noch fremdes gegen Entgelt auf derselben sommern können. Aber wie lange wird es noch gehen, bis wir auch hier eine „todte Alp haben werden?
Tersol hat zwei Zugänge, von denen der eine schlechter ist als der andere. Der eine ist der eben beschriebene, der andere führt von Vasön über Vindels, Calvina und die 2577 m hohe Furggla. Auf diesem letztern wird das Vieh hergetrieben, weil der erste für dasselbe ungangbar ist. Nachdem das Vieh zur angesetzten Zeit von verschiedenen Orten her in Vasön sich versammelt hat, wird es mit Rufen und Johlen, Schreien und Fluchen, Stockschlägen und allerlei Hantirung der Furggla zugetrieben, um dann von dort wieder fast 600 m abwärts zu steigen. Dabei ist dieser Weg meistens sehr rauh, steinig und steil und besonders der oberste Theil desselben für das Vieh nicht ohne Gefahr, so daß bei regnerischem Wetter, wenn der Boden vielfach schlüpfrig wird, manchmal einige Stück „erfallen“. Da mag denn auch die Poesie der Alpfahrt an einem kleinen Ort sein! Auf der Alp residirt den Sommer über ein Hirt mit ein oder zwei Unterhirten oder Knechtlein. Er ist den Alpbesitzern für richtige Wartung des Viehes verantwortlich, erhält aber auch von ihnen einen wahrhaft fürstlichen Gehalt von, wenn ich nicht irre, Fr. 200, woraus er auch seine Beamten besoldet und dieselben wie sich selber beköstigt. Das Residenzpalais ist eine aus Steinplatten gebaute, kleine, niedrige Hütte ohne Fenster, aber mit einem fast viereckigen Loch als Thüre, durch das man, wenn man sich genügend bückt, ohne Anschlagen des Kopfes eintreten kann. Drinnen kann man, wenn man nicht zu groß ist und sich in die Mitte stellt, aufrecht stehen, und findet in einem Raum Küche, Schlafzimmer, Speisezimmer und Salon vereinigt. Das Bett besteht aus einer Pritsche mit etwas Heu und einigen ehemaligen Roßdecken, der Herd aus einigen Steinplatten. Die Pritsche dient zugleich als Stuhl und Canapé, die Kniee des Sitzenden als Tisch. Der Rauch entweicht, nachdem er zuvor den Raum in allen Theilen gehörig desinficirt bat, gelegentlich durch das Thürloch, wenn er nämlich dort nicht durch den Wind zurückgetrieben wird. Der Wirth empfing mich freundlich, reichte mir eine Schale Milch und bot zur Herberge mir sein Haus. Da ich wirklich hier zu übernachten gedachte, nahm ich das Anerbieten dankbar an.
Nach kurzer Ruhe und angenehmer Unterhaltung mit meinem Wirth über die damals brennende Wohlgemuthfrage und den darauf folgenden Notenwechsel machte ich mich um 3 Uhr auf eine Recognoscirung gegen das Große Zanayhorn. Diese Recognoscirung war von so gutem Erfolg, daß aus ihr gleich eine Besteigung des Horns noch am selben Nachmittag wurde.
Ich stieg nämlich auf dem Furgglaweg bis zu etwa 2400 m, ging dann dort in nordsüdlicher Richtung hin und her und untersuchte genau die Abhänge des Horns und die gegen dasselbe hinaufführenden Runsen. Zwei Stellen schienen mir für die Ersteigung günstig: die eine vom p im Wort Crisp der Karte durch eine Schuttrunse gegen das zweite a des Namens Zanayhörner, die andere vom Hügel 2410 m ebenfalls durch eine Runse gegen die Ziffern 82 in der Zahl 2825 m. Ich wählte sofort den ersteren Weg, um, wenn mich derselbe nicht an’s Ziel führen sollte, am folgenden Tag nur noch den zweiten versuchen zu müssen. Am linken Rand der Schuttrunse, wo dieselbe von einem herabsteigenden, verwitterten Felsenriff begrenzt wird, aufsteigend, kam ich trotz des rutschigen Bodens rasch aufwärts, da mir das genannte Riff gute Stützpunkte für die Füße und gute Angriffspunkte für die Hände bot. Die Runse führte mich gegen eine Einsenkung im Kamm, die, von unten gesehen, als geradlinige, kurze Schneide erscheint und von zwei hornartigen Spitzen begrenzt wird, von denen das nördliche das Große Zanayhorn ist. Fast in der Höhe der Schneide angekommen, stellte sich mir ein Felsband entgegen. Ohne den Versuch zu machen, dasselbe zu übersteigen, traversirte ich nun, weil mir das leichter schien, unter und längs demselben die Schutthalde nach Norden und kam so auf den Grat, der mich in wenigen Minuten und ohne weitere Schwierigkeiten auf die Spitze führte, die ich um 4 Uhr 45 Min. betrat.
Die Aussicht geht nicht gerade in die Weite. Im Norden und Nordwesten ist sie beschränkt durch den Hauptzug der Grauen Hörner (Piz Sol, Seehörner), im Westen durch die äußerst zerrissene, zackenreiche Kette des Sazmartin, von Südwesten bis Südosten durch die Ketten der Ringelspitze und des Calanda. Doch sieht man den ganzen Rhätikon und Theile des Plessurgebirges und der Silvrettagruppe, dann Gonzen und Alvier. Dagegen eignet sich der Punkt sehr gut zum Ueberblick über das Excursionsgebiet: Graue Hörner, Calanda, Ringelspitzkette mit allen ihren Spitzen und Hörnern. Besonders prächtig erscheint von hier aus die Kette der Ringelspitze und der wilde Geselle, das Sazmartinhorn. Tief zu Füßen liegen unter schauerlichen Schieferwänden die Zanay- und die Calvinaalp, getrennt durch den Zug der Vogelegg und des Monteluna. Weiter unten glänzen die grünen Terrassen von Vättnerälpli, Vättnerberg und Vindels, der Zanayalp gegenüber die Lasaalp unter den gerundeten Lasaköpfen. Von Tersol sieht man nur den obern Theil sammt Crisp, aber nicht die Hütten. Im Rheinthal lag Nebel.
Spuren von früherem Besuch fand ich keine. Da auch Führer David Kohler in Vättis nichts von einer frühern Besteigung dieses Horns weiß, so bin ich wohl der erste Tourist, der das Vergnügen hatte, dort oben zu stehen. Steinmännchen konnte ich keines bauen, da es mir an Zeit und naheliegendem Material dazu gebrach. Ich hinterließ also nur einen Zeddel mit meinem Namen und einigen Notizen über die Besteigung, den ich zwischen zwei Schieferplatten legte. Ich durfte schon deßwegen nicht lange hier oben weilen, weil ein scharfer Westwind ging und das Wetter sich verschlimmerte. Ueberall mehrten sich die Wolken und immer näher rückten dicke Nebelmassen. Nach einem Aufenthalt von 15 Minuten trat ich um 5 Uhr den Rückweg an und zwar auf derselben Linie, auf der ich gekommen war. Um 5 Uhr 35 Min. war ich wieder im Crisp und um 6 Uhr in der Tersolhütte. Da das Wetter für den folgenden Tag nichts Gutes erwarten ließ, so entschloß ich mich, sofort nach Vättis zurückzukehren, um für alle Fälle freie Hand zu haben.
Um 6 Uhr 15 Min. verabschiedete ich mich vom Hirten und eilte, so rasch ich konnte, thal- oder eigentlich schluchtauswärts, um wo möglich vor Eintritt völliger Dunkelheit im Gigerwaldgut anzukommen. Trotzdem mir der Nebel an mehreren Stellen in den Weg trat und mich öfters in ein Gefühl der Unsicherheit brachte, kam ich doch überall gut und schnell durch und war schon um 7 Uhr 15 Min. im Gigerwaldgut und um 8 Uhr in Vättis.
Herr Zimmermann, der Wirth zur Lerche, machte mir nachträglich fast die Haare zu Berge stehen durch ein Geschichtchen, das ich hier wiedererzählen will, weil es zeigt, in welche Gefahren der Wanderer im Gebirge manchmal kommen kann, auch an Orten, wo er von Schwierigkeiten oder Gefahren keine Ahnung hat. Der Wirth meinte nämlich bedeutungsvoll zu mir, ich werde doch nicht etwa im Tersoltobel über die große Lawine marschirt sein. Ich merkte nun schon, daß ich etwas verbrochen hatte, da ich wirklich diese Lawine, d.h. den von einer solchen im Tobel liegen gebliebenen Schnee passirt hatte. Der Wirth erschrak fast ob dieser Meldung, obwohl er mich unversehrt vor sich sah, meinte, ich könne von Glück reden, daß mir nichts zugestoßen sei, und erzählte mir nun Folgendes:
Vor einigen Jahren kam ein Mann – dessen Namen und Wohnort er mir nannte und den ich recht wohl kenne – auf der Suche nach einem verlornen Schaf nach Tersol. Den Rückweg nahm er durch’s Tobel und passirte die Lawine. Plötzlich brach die trügerische Decke unter ihm zusammen und er stürzte in die unheimliche Tiefe, wo er in dem mit ihm gefallenen Schnee stecken blieb. Es gab keine Möglichkeit, sich wieder hinauf an’s Tageslicht zu schaffen; auch im Flußbett war es unmöglich, fortzukommen, denn in beiden Richtungen, nach oben und unten, war dieses durch Wasserfälle unterbrochen. Ja, es lag die Gefahr nahe, daß der wüthende Bach den Mann sammt dem Schnee wegspülen und über den nur wenige Schritte weiter unten befindlichen Wasserfall hinauswerfen könnte. Der Mann war in furchtbarer Noth, erschöpft sank er nach langen, vergeblichen Anstrengungen zusammen und glaubte sich dem Tode geweiht. Da wollte es ein glücklicher Zufall, daß der Hirte von Tersol an diesem Tag mit seinen Arbeiten früher fertig wurde als gewöhnlich. Um für den folgenden Tag vorzuarbeiten, ging er gegen Abend auf die Holzsuche in dem Erlen- und Legföhrengebüsch des Tobels. Dabei kam er in die Nähe der Lawine und vernahm von dort her ein anhaltendes Rufen und Stöhnen. Zuerst meinte er, es komme von einem verirrten Menschen. Wie er aber dem Rufen nachging, kam er an das Loch in der Schneedecke. Nun wußte er wohl, um was es sich handelte, konnte aber doch nicht sogleich Hülfe schaffen, sondern mußte vorerst in der Alp ein Seil holen. Mit diesem konnte er endlich unter eigener Gefahr den Verschütteten aus seiner qualvollen Lage befreien, der schon vor Erschöpfung, Kälte und Angst dem Tode nahe war. Der Mann lebt noch, wird aber nicht so bald wieder über alten Lawinenschnee gehen, von dem man eben nicht wissen kann, wie weit er schon unterhöhlt ist. Auch Andere mögen sich daraus eine Lehre ziehen.
(Quelle: Eduard Imhof im SAC Jahrbuch 1889)
Piz Sol (Sonnenspitze) oder Pizol (Spitzlein)?
Das eidgenössische topographische Bureau in Bern giebt folgende Auskunft:
„Ursprünglich schrieben wir Piz Sol. Diese Schreibweise ist nach der Einsendung der Probeabdrücke an die Kantonsbehörde von derselben in Pizol korrigiert worden. Wir schreiben auch Pizalun, weil nach Ansicht obgenannter Behörden die Namen Pizol und Pizalun mit Sol und Luna nichts zu thun haben.“
Herr Dr. Wilhelm Götzinger schreibt in seinen „Romanischen Ortsnamen des Kantons St. Gallen“:
„353. Pizòl GG. Mels-Pfäfers, Bergspitze und
354. Pizòl G. Grabs, relativ geringe Erhöhung (1885m?) zwischen Tristenkolben und Sichelkamm.
Der Name wurde bis 1889 auf den meisten Karten Piz Sol geschrieben. Wie Pizalun ist dieser eine Ableitung von piz, Diminutivbedeutung, welche jedoch mit der Zeit abhanden gekommen zu sein scheint.“
Wir sind zu dieser Neuerung, soweit sie auf den Piz Sol der Grauen Hörner Bezug hat, weder bekehrt noch belehrt.
1. In Büchern und Karten vor 1889 findet man überall Piz Sol, Pizsol, nie Pizol.
2. Für Piz Sol kommt auch der Name Solstock vor. Schulbuch von Dr. Scherr für den Kanton St. Gallen 6,29.
3. Die Alp südlich am Piz Sol heisst Terrsol (Sonnenboden).
4. Ein Thal südöstlich vom Piz Sol in der Alp Zanai heisst Sonnenthal.
5. Die Analogie mit den naheliegenden Monte Luna (Mondberg) und Pizalun, Pizza Luna (Mondspitze) erfordert Piz Sol (Sonnenspitze).
6. Die Höhe des Piz Sol, 2849m, höchste Spitze der Gruppe, weist durchaus nicht auf die Verkleinerung Pizol (Spitzlein). Dagegen sagt Dr. W. Götzinger: „352. Pizalun ist eine Ableitung vom rätoromanischen pizz, pizza, Spitze, Bergspitze und bedeutet grosse Spitze.“ Also Pizol 2849m = kleine Spitze; Pizalun 1482m (eigentliche Spitze, aber nicht haushoch) = grosse Spitze; wie verkehrt.
7. Bei Iwan Tschudi hat das Wort Piz – mehr als 200 mal – stets ein Substantiv oder Adjektiv nach sich, ist also nie Diminutiv.
8. Der Piz Sol wird als hervorragendste Spitze seiner Gruppe von der Sonne zuerst und zuletzt beschienen. Das weist doch eher auf Piz Sol (Sonnenspitze) als auf Pizol (Spitzlein). Analog nennen die Melser und Sarganser das Gleckhorn Sonnenspitze, weil für sie die Sonne eine Zeit lang bei demselben aufgeht.
9. Die neue Sektion Piz Sol des S. A. C. schrieb sich trotz offizieller Schreibart und trotz sprachgelehrter Erklärung ohne weiteres Piz Sol.
(Quelle: Johann Baptist Stoop in: Alpina 1894, S. 36)
Das Große Zanayhorn (2825 m).
Wer von Pfävers ins Taminathal hineinwandert, der sieht im Hintergrunde des jenseitigen Mühletobels links eine hohe schwarze Felswand weit über die andern Höhen und Gräte hinausragen. Es ist das Große Zanayhorn. In Vättis ist es unter diesem Namen weniger bekannt; es heißt dort unter den Hirten und Jägern durchweg der „Hochberg”.
Das Zanayhorn ist der Vereinigungspunkt dreier Gräte; einer führt vom Piz Sol her; ein anderer, der als Fortsetzung des ersten angesehen werden kann, verbindet das Große Zanayhorn über den Furgglapaß mit dem Vättnerkopf und Drachenberg; der dritte und wildeste Grat, nach der unten liegenden Alpweide am passendsten Scadellagrat genannt, verbindet unsern Gipfel mit der Vogelegg (2543 m) und in der weitern Fortsetzung mit dem Monte Luna, den man mit dem gegenüberliegenden Vättnerkopf (2670 m) als Seitengipfel des Großen Zanayhorns ansehen kann.
Alle diese Hörner und Gräte wurden schon vor Jahrzehnten von Vättner und Vasöner Hirten und Jägern betreten. Nebenbei bemerkt, war das Gebiet der Grauen Hörner früher sehr gemsenreich; aber wie an andern Orten wurde auch hier diesen alpinen Antilopen zu stark zugesetzt, so daß sich nur selten mehr eine blicken läßt.
Der erste Tourist, der auf das Große Zanayhorn gelangte, war Eduard Imhof. …
Bei meiner Besteigung vom 31. August letzten Jahres wählte ich den Weg über Ladils-Davos gegen die Furggla hin. In halber Höhe schwenkte ich rechts ab gegen die Runse zwischen dem Kleinen und Großen Zanayhorn. Dieser entlang erreiche ich gefahrlos über leichten Fels den Grat, wo sich mir ein prächtiger Ausblick in die nahe und ferne Bergwelt öffnet. Über lose Gesteinstrümmer, zwischen welchen gar manches frische Blümchen hervorguckt, mäßig steil ansteigend, erreiche ich bald die sonnige Höhe.
Unmittelbar neben dem Steinmann fällt die Nordwand ein Stück weit senkrecht ab gegen die Zanayalp, deren Hütten ich in schwindliger Tiefe erblicke. Freundlich grüßt der Piz Sol; trotziger schaut unser finsteres Gegenüber, das Sazmartinhorn, drein. Darüber hinaus bis in die blaue Ferne wimmelt es von Hörnern und Gräten. Über der Trinserfurka schimmern die zackigen Gipfel des Oberalpstock; neben dem Piz Segnes das breite Firnhaupt des Tödi. Das wilde Ringelgebirge steht in erdrückender Nähe; vom Simelhorn fährt eben eine Lawine nieder. Vom fernen Osten schimmert die Weißkugel; hinter dem Flüela-Schwarzhorn leuchtet das Schneefeld des Ortler; über dem Calanda winken die Firnen der Bernina, des Monte della Disgrazia. Wer nennt sie alle beim Namen, die weißen Höhen, wer zählt ihre Spitzen? Es ist ein Blick, erhaben in die Thäler, die Klüfte hinab, wundervoll auf die nahen und fernen Bergeshäupter.
Drei Wochen später, am 19. September, versuchte ich den Aufstieg über den östlichen Scadellagrat, den bisher noch niemand auf der ganzen Strecke begangen. Der wild zersägte Grat hat auch meine Erwartungen nicht getäuscht. Ich betrat, vom Vättnerberg ausgehend, zunächst den Grat der Vogelegg, der mit einem interessanten Felskopfe (oberhalb der Zahl 1904 der Siegfriedkarte, Blatt 402) beginnt. Natürlich konnte ich von einer Erkletterung desselben nicht abstehen, zumal ich bei seiner Beschaffenheit annehmen mußte, er sei noch nicht so oft bestiegen worden. Ein der Größe des Berges angemessener Steinmann wird die Heldenthat späten Zeiten verkünden, wenn nicht vorher der Berg mit samt seinem Turmwächter auf die Hütten von Calvina herunterpurzelt. Von da ging’s steil aufwärts bis zum Gipfel der Vogelegg, in welchem der vom Monte Luna herkommende Seeligrat einmündet. Auf diesem grasbewachsenen Felskopfe bietet sich der beste Überblick über die Zanayhorngruppe und ihre Verbindung mit den eigentlichen Grauen Hörnern. Das ganze Gebirge, das von der Ferne einen zahmen, milden Charakter zeigt, löst sich in der Nähe in die scharfen, zerhackten Formen der Eozänschiefer auf, die zu den runden Linien des Monte Luna und Vättnerkopfes einen malerischen Kontrast bilden. Das Große Zanayhorn zeigt sich als düstere, unnahbare Pyramide, und macht bei dem heutigen dunklen Wetter und dem Nebelspiele einen abschreckenden Eindruck. Doch so schnell läßt sich ein richtiger Clubist nicht einschüchtern. Indem er immer zuerst das nächste mustert und das folgende für nachher aufspart, dringt er weiter und weiter, bis er zuletzt einsieht, daß die Sache gar nicht so schwierig ist, wie sich’s ein anderer vorstellt.
Zunächst ging es noch ein Stück weit ziemlich eben vorwärts; dann begannen die Genüsse, wie sie ein recht zerrissener, messerscharfer Grat angesichts der beidseitigen jähen Abstürze bieten kann. Vorläufig kann ich mich auf der Schneide des Grates bewegen, bis plötzlich vor mir ein jäher Felsturm riesig hoch emporsteigt, an dem ich vergeblich nach einem Kletterpfade suche. Seine Größe und Wildheit imponieren mir derart, daß ich schnell seine Umrisse aufs Papier werfe. Ich klettere auf die Nordseite des Grates, wo noch frischer Schnee vorhanden war, mit dessen Hülfe ich ziemlich schnell und ungefährdet wieder auf den Grat gelange. Ein wohlthuendes Siegesgefühl belohnte mich für die überstandene Arbeit; der Turm ist verschwunden, und ich sehe, daß es bloß ein Absturz des Grates ist, dessen westliche Fortsetzung mir verborgen war. Schnell errichte ich eine steinerne Siegestrophäe. Von da geht’s leichter bis zur höchsten Spitze, wo sich mir eine neue Wand entgegenstellt, die ich aber leicht auf der Südseite umgehen kann. Bald bin ich am Ziele.
Damit wären nun die „ersten Leistungen” in diesem Gebiete erledigt. Der ganze Weg ist eine richtige Kletterei, die genügend Abwechslung in der Bewegung bietet; der Abstieg nach Calvina war wirklich eine Spielerei dagegen. Sonst hat diese Tour nicht viel auf sich. Wollen wir eine leichte, genußvolle Gratwanderung, so haben wir den Furgglagrat, und die First jenseits des Tersolthales.
Ich darf es kühnlich behaupten, daß außer dem Ringelgebirge eine Zanayhorntour auf obigem Wege über Calvina, mit Abstieg über den „Vättnerberg” oder Tersol, bei ihren geringen Anforderungen die genußvollste Tour des ganzen Taminathales ist, mit welcher sich weder ein Piz Sol, noch Calanda messen kann. Jenem fehlt der allseitig freie Blick in die Thäler, die hohen Gipfel seiner nahen Umgebung erwecken ein drückendes Gefühl. Auf dem Calanda vermissen wir den Blick über das endlose Heer der Glarner und Urner Alpen, welche vom Ringel und den Grauen Hörnern vollständig verdeckt werden.
(Quelle: Friedrich Wilhelm Sprecher: Aus den Bergen des Taminathales. SAC Jahrbuch 1894)
Das Sazmartinhorn (2848 m).
Im Hintergrund des Tersolthales erhebt sich das Sazmartinhorn als eine rauhe, finstere Pyramide, deren Gipfel drei scharfe Spitzen krönen. Mit dem Zanayhorn hat es in Bezug auf äußere und innere Gestalt die größte Ähnlichkeit. Beide bestehen aus Flyschschiefer der Jüngern Eozänperiode mit gegenseitig paralleler, steil nach Süden fallender Schichtung. An beiden hat die Erosion überraschend ähnliche Formen herausgebildet. Man kann das eine Horn förmlich das Spiegelbild des andern nennen, wie denn das ganze Tersolthal eine solche Symmetrie der beiderseitigen Abhänge, der Gräte, Felswände und Runsen zeigt, wie wir sie wohl selten in den Alpen wiederfinden. …
Die beiden Hörner, Sazmartinhorn und Zanayhorn, nehmen eine von der Piz Sol-Gruppe ziemlich unabhängige Stellung ein, wie sie auch an Höhe mit dem Piz Sol rivalisieren, und das mit Recht, denn in ihnen erreicht die normale Schichtung die höchste Erhebung, während jener den 1 m betragenden Vorrang seiner geliehenen, rot-grünen Verrucanokappe zu verdanken hat. Vom Taminathale bei Vättis ist weder das eine, noch das andere der beiden Hörner sichtbar. Auf dem Wege zum Calanda erblickt man sie erst in bedeutender Höhe.
Das Sazmartinhorn kann sowohl über seine Flanken, wie über die Gräte erstiegen werden. …
Im September 1892 bestieg ich … über St. Martin und Brändlisberg-First den höchsten Gipfel, von welchem ich durch ein schneeerfülltes Couloir, das mir stellenweise Rutschpartien bot, direkt ins Tersol gelangte.
Am 14. September letzten Jahres zog es mich wieder hinauf, um so mehr, da ich das Sazmartinhorn als einen vernachlässigten Berg kannte. … Es war ein herrlicher Herbstmorgen. Über die frisch beschneiten Berge stieg rosenrot die Sonne nieder. Ein früher Aufbruch am Morgen ist nicht meine Sache. Ich lasse gewöhnlich zuerst die Sonne aufstehen und das Geschick des kommenden Wetters verkünden, bevor ich mich zum Aufbruche entschließe. Infolgedessen sah ich auch bisher fast alle meine Touren vom besten Erfolge gekrönt. Der nächste Weg auf das Sazmartinhorn geht über Tersol; dahin wandte ich mich heute.
Schon die Wanderung durch das Calfeusenthal, das wenigstens in der ersten Hälfte an wilder Größe, an malerischer Abwechslung der wundervollen Scenerie seinesgleichen in der Schweiz sucht, ist eine genußvolle. Wie überall, muß man eben auch hier das Verständnis, ein gewisses poetisch-ästhetisches Gefühl mitbringen für das, was man genießen, was man lernen kann und soll, um auch dem Toten in der Natur Leben einzuhauchen, um auch das scheinbar Widerwärtige zu einem harmonischen Bilde vereinen zu können.
Das neue Sträßchen längs der wildrauschenden Tamina, meist durch kühlen Forst führend, ermöglicht mir, tapfer auszuschreiten. Hell schimmern die morgenroten Flühe des Brändlisberg und Hochgang durch die grünen Tannenwipfel herab. Wie ich aus dem Walde heraustrete, sehe ich hoch über dem dämmernden Thalgrund einen glänzenden Firn, mit den schwarzen Verrucanotürmen des Ringel. Eine hohe Brücke über den Tersolbach bringt mich zum Gute Gigerwald, und von da in den Eingang des Tersolthales. Die Waldgrenze ist bald überschritten, und es öffnet sich ein Bild von erhabener Pracht. Charakteristisch für dieses Kalkgebirge ist die Bildung von engen, schauerlichen Schluchten, wie die des Mühletobels bei Valens, des Radeintobels, Kreuzbachtobels und Tersoltobels bei Vättis. Mehr als eine Taminaschlucht ist in ihnen verborgen. Schäumende, tosende Wasserfälle drunten im Abgrund, wohin kein sterblich’Auge dringt, sorgen für die Lebendigkeit dieser wilden, verlassenen Welt. Links und rechts senden himmelhohe Wände das Echo rauschend zurück. Droben vom blauen Himmel winken die gelben Wände des Drachenberges herab, vom Morgenglanz übergössen; und blick’ ich zum Thal hinaus, seh’ ich die wild durchfurchten Felsenstirnen der Orgeln sich in den Sonnenstrahlen spiegeln, die fächerförmig über dem Calanda hervorschießen. Alles erwacht; auch in mir entfacht sich der frohe Clubistensinn zu neuer Lust und Begeisterung.
Ein Weg, urwüchsig wie die uns umgebende Natur, führt mich von Höhe zu Höhe. Beim „Leiterli” geht der alte Weg, den man aber Schritt für Schritt suchen muß, über steile Grashalden empor, bis er wieder gegen die Alp Tersol einbiegt. Statt dessen aber benützt man der Abkürzung halber die selten schmelzenden Lawinenreste, welche die Schlucht eine große Strecke weit ausfüllen. Heute aber fand ich keinen Schnee mehr vor; trotzdem drang ich durch die Schlucht hinauf, indem ich bald auf die eine, bald auf die andere Seite des Baches sprang. Gottlob dauerte das Abenteuer nicht lange; statt dessen grüßte mich bald die gastliche Hütte von Tersol.
Dieses in weitem Umkreise höchst gelegene Thal – die mittlere Höhe mag 2200 m betragen – machte im frischen Schneekleide einen recht hochalpinen Eindruck. Rings umgeben von hohen, wilden Hörnern und Gräten, bietet es eine eigentümliche Einsamkeit; man sieht nur Felsen, Matten und droben den Himmel; heute war mit dem Schnee auch das frische Grün der Weiden verschwunden. Das Bächlein, das zu Zeiten, wie der Zwerg in der Sage zum Riesen, zum verheerenden Wildstrome anwachsen kann, vermag die öde Stille kaum zu beleben; und fühlte es der einsame Wanderer nicht, das leblose Gerölle, das die einst herrlichen Weiden bedeckt, würde es ihm sagen, daß wir hier eine Alp haben, die dem Tode, der Zerstörung preisgegeben ist, so lange, bis die über ihr thronenden Bergeshäupter durch die Erosion so weit abgetragen sind, daß die geschiebeführenden Wildwasser und Lawinen ihre größte Kraft verloren haben.
Das Leben, das die Erosion geschaffen, zerstört sie wieder, um es nach Jahrtausenden wieder zu erwecken. Werden und vergehen, und vergehen, um zu werden, das ist der Kreislauf der Natur, der toten und lebendigen; das ist der Kreislauf des Menschenlebens, der Weltgeschichte; nur der ist ohne Werden und Vergehen, von dem das Werden kommt und zu dem es wieder zurückkehrt.
Ein frischer Trunk alpinen Nektars, vulgo Milch, in der gastlichen Hütte belebte mich zu neuer Arbeit. Das Trio Zanayhorn, Piz Sol und Sazmartinhorn hat man unmittelbar vor sich. Vor allem aber fesseln die nackten, schwarzen Wände des letztern hoch über dem Thale. Auf weichen Rasenhalden emporsteigend, betrete ich bald den Neuschnee, in welchem die „Munggen” ein förmliches Straßennetz eingetreten hatten. Ich bekam auch alsogleich einige Pfiffe zu hören, und sah einen solchen Kobold, wie er auf einer Steinplatte seine Kundschau hielt. Langsam stieg ich über den mühsamen Schnee gegen Punkt 2658 der Siegfriedkarte. Eine Erkletterung der Couloirs, die, in halber Höhe beginnend, direkt zur Spitze führen, und welche ich vor zwei Jahren zum Abstiege benutzte, schien mir bei den heutigen Schneeverhältnissen zu zeitraubend und gefährlich. Auf dem Grate schwenkte ich rechts gegen die südliche Spitze des Gipfels, welche von den zwei andern durch einen ziemlich bedeutenden Einschnitt getrennt wird. Eine kleine Kletterei, da ich diese Spitze nicht umgehen kann, bringt mich hinauf und bei etwas schwindligem Ausblick in die Lücke hinab, von wo ich über den scharfen Grat leicht zum höchsten Gipfel des Sazmartinhorns gelange. In dem neuen Schneekleide macht er wirklich einen ganz respektabeln Eindruck, als wäre er zum wenigsten ein 4000er. Aber in der Nähe Seiner Majestät, des Ringel, ist ein übertriebener Größenwahn nicht zu befürchten. Denn dieser Herrscher im Reiche der Tamina kann in seinem gewaltigen, türmereichen Massenbau von keinem andern Punkte aus besser studiert werden, als hier. Freilich erscheinen diese jähen, unnahbaren Wände mit den vielen Schneerinnen nicht gerade einladend. Auch der glänzende Ringelfirn oder Panäragletscher, wie er meist genannt wird, der aus seiner stolzen Höhe von 3200 m herabschimmert, schleudert dann und wann seine mächtigen Eiskolosse gegen Panära herab, wo sie als Lawine ihren rauschenden Fall beenden.
Die Aussicht ist im übrigen derjenigen des Zanayhorns und Piz Sol ähnlich. Dazu kommt hier noch der Blick auf das Dörfchen Weißtannen. Frei und offen ist der Blick in die Thäler Tersol und Valtüsch und den scharfen Nordgrat des Calfeusenthales. Nach zwei Stunden Aufenthalt brach ich auf.
Der Abstieg über den Westgrat gegen die Brändlisbergalp bot keine Schwierigkeiten, noch besondere Mühe. Bei genügend Schnee ließen sich die ergötzlichsten Rutschfahrten veranstalten. Heute aber kam ich immer und immer wieder auf den Grund, wie ich auch stoßen und rudern mochte. Den Weg über Brändlisbergalp und durch die Tannenwälder nach St. Martin darf man füglich einen herrlichen Spaziergang nennen. Den Aufstieg über Tersol auf den Gipfel, mit Rückweg über Brändlisberg, wie ich die Tour heute ausführte, ziehe ich jeder andern Kombination vor. Auf Wiedersehen, Sazmartinhorn!
Bei der inmitten der großartigsten Gebirgswelt wunderlieblich gelegenen St. Martinskapelle werfe ich einen letzten Blick auf den sagenumwobenen Sardonagletscher, der neben dem Felsturme des Ancapan herableuchtet. Eben war die Abendsonne hinter ihm hinabgestiegen, deren glühendes Rot noch von den Felsruinen der Orgeln niederschimmert.
Die altersgraue Kapelle auf ihren Felsen über der rauschenden Tamina wüßte noch manches Geheimnis verschwundener Geschlechter zu erzählen, die einst in diesem weltverlassenen Thale ihr kümmerliches Leben fristeten; wüßte zu erzählen von jener wunderschönen Alpe, an deren Stelle heute der Sardonagletscher den gottlosen lasterhaften Hirten mit all seinem Hab und Gut auf eisigem Grunde begraben hält. Das ist der Grund, weshalb der „Sauren” so ernst und düster niederblickt. Verschwunden und vergessen sind die Generationen von Jahrhunderten; niemand hat ihre Geschichte geschrieben, nur mangelhafte Daten melden uns von ihrer dahingesunkenen Existenz. Ihre Nachkommen sind hinausgezogen nach Vättis, oder noch weiter zu andern Völkern mit andern Sitten. Das heutige Geschlecht, das alljährlich am Jakobsfeste aus der umliegenden Gegend hierher pilgert zur Feier St. Martins, gedenkt ihrer kaum. Eine neue Zeit, eine neue Geschichte lebt in ihren Kindern.
(Quelle: Friedrich Wilhelm Sprecher: Aus den Bergen des Taminathales. SAC Jahrbuch 1894)
Die Reklame hat ihn eben vergessen.
… Am letzten Tage des vergangenen August führte mich das clubistische Sursum und nicht zum wenigsten das herrliche Wetter dort hinauf, und der reine, ungestörte Genuss, den ich auf der Tour sowohl, wie auf der Spitze empfunden, und die beschämend wenigen Beweise früherer Besteigungen veranlassen mich, diesem mit Unrecht vernachlässigten Berggipfel wieder zur gebührenden Ehre zu verhelfen.
Das grosse Zanayhorn, 2825 m, ist im Höhenrang der dritte Gipfel der Grauen Hörner und als die höchste Erhebung jenes Grates zu betrachten, der, beim Piz Sol beginnend, in südöstlicher Richtung über das hintere und grosse Zanayhorn, wo er sich verzweigt, teils über das kleine Zanayhorn und die Furggla zum Drachenberg, teils über Vogelegg zum Monteluna sich fortsetzt. Diese Zweiteilung des Grates ermöglicht den Niederblick in drei Thäler, ins Tersol-, Zanay- und Calvinathal, ähnlich wie beim gegenüberliegenden Satzmartinhorn. Jedes dieser drei Thäler bietet auch eine eigene Aufstiegsroute. Meines Wissens stieg der erste Besteiger des gr. Zanayhorns, Herr E. Imhof, von Tersol aus durch eine steile Runse zum Gipfel. Dieser Weg ist sehr mühsam und kann bei Schnee und Regenwetter auch gefährlich werden. Den Aufstieg von Calvina, der als der sicherste und bequemste bezeichnet werden darf, wählte ich bei meiner zweiten Besteigung vom letzten August. Man steigt am besten zur Runse zwischen dem kleinen und grossen Zanayhorn; von da beliebig durch die Runse oder die Felsen auf den Grat und über gefahrloses Geröll zum Ziele. Kletterpartieen können auf diesem Wege nach Wunsch eingeschaltet werden, sind aber nicht gefordert. Auch ist man auf dieser Seite weniger den Winden ausgesetzt.
Ein dritter und mühsamer Weg, der ziemliche Kletterei erfordert, führt von der Alp Zanay her durch das Sonnenthal in die tiefste Gratsenkung zwischen Gross- und Hinter-Zanayhorn, sodann über den zerhackten, zerrissenen Grat zum Gipfel. Von Valens aus ist dies der kürzeste, wenn nicht der bequemste Weg.
Für die obersten Partieen ist der Aufstieg von Calvina aus jedenfalls weitaus der beste und sicherste, der noch dadurch den Reiz gewinnt, dass er uns bis in die obersten Regionen den grössten Teil der Aussicht vorenthält, dann aber, wenn man sich über die umliegenden Gräte erhoben hat, wie mit einem Zauberschlage die ganze Herrlichkeit der weiten Alpenwelt aufdeckt. …
Das Aussehen des ganzes Gebirges ist, wie schon angedeutet, ein ausserordentlich wildes und rauhes, besonders von Norden und Osten her. Die Gräte sind durchweg zerhackt, scharf und schneidig, die Spitzen förmlich zugefeilt, so dass kaum ein ordentlicher Steinmann darauf Platz findet. Die Flora ist sehr reichlich vertreten; besonders finden sich Ranunculus glacialis, Geum reptans, Campanula cenisia, Linaria alpina, auch Sempervivum arachnoideum, Achillea moschata und andere.
Für den Abstieg sind wieder drei Wege offen: einer nach Calvina, identisch mit dem Aufstiege, ein anderer zum kleinen Zanayhorn und von da durch das Geröll nach Grisp-Tersol; ein dritter führt ein Stück weit über den Nordgrat in die Lücke des hintern Zanayhorns, von dort ebenfalls durch Fels oder Geröll direkt nach Grisp-Tersol hinunter. Die ganze Tour von Vättis oder Valens hin und zurück lässt sich ganz bequem in einem Tage vollführen, wenn man auch unter den genannten Wegen beliebig wählt. Beim Zanayhorn fällt eben vermöge seiner vorgeschobenen Lage die lange Thalwanderung, wie wir sie beim Piz Sol finden, weg; man ist näher und schneller beim Ziele, und schneller wieder zu Hause, und hat trotzdem, oder vielmehr eben deshalb einen ebenso hohen Genuss gehabt.
Die Aussicht von der Spitze des grossen Zanayhorns halte ich unter übrigens gleichen Bedingungen für die schönste im Gebiete der Grauen Hörner, noch schöner als die vom Calanda oder Piz Sol. Denn im Vergleich mit dem Calanda ist das Zanayhorn höher und bietet infolge seiner Lage einen viel freieren Überblick über die Grauen Hörner selbst, sowie über die Ringelkette und Glarnerberge.
Und im Gegensatz zum Piz Sol ist das Zanayhorn nicht in einer Masse von Hörnern eingeengt, sondern der Blick dringt frei und offen nach allen Seiten in die Tiefe, der Piz Sol selbst zeigt hier seine schönste Seite, und den grandiosen Wänden der Ringelkette ist man hier teils näher gerückt, teils sieht man das ganze Gebirge mehr in der Längsrichtung, so dass dasselbe nicht mehr wie beim Piz Sol, in seiner ganzen Breite die dahinter liegenden Berge verdeckt. …
Ich habe Calanda, Piz Sol, Satzmartinhorn und Ringel mehrmals bestiegen, aber keiner von allen hat mir bei so geringer Mühe mehr wahren Genuss und Freude bereitet, als das grosse Zanayhorn. Und doch ist es, nach den zurückgelassenen Karten zu schliessen, ausser von Jägern, kaum 6-7 mal bestiegen worden. Die Reklame hat ihn eben vergessen, wie so manchen Menschen auch; aber dessenungeachtet wirft am hellen Morgen das Himmelsgestirn auch ihm das Purpurkleid um die Schultern, und glüht er am stillen Abend ebenso golden, wie mancher Alltagsberg; und wenn der Mensch oft in seinem Leben, durch falschen Glanz geblendet, das Kleinod in seiner Nähe vergisst, so verliert es deshalb seinen Wert und seine Schönheit nicht; ebenso, wie die Blumen, die noch auf dem Scheitel des Berges blühen, nicht weniger frisch und munter in die Welt hinausblicken, wie die, welche in der Tasche des Salontouristen von ihren Bergen scheiden.
Clubisten, vergesset das Kleinod nicht!
(Quelle: Friedrich Wilhelm Sprecher: Das grosse Zanayhorn, 2825 m. Alpina 1895, S. 69f.)
Piz Sol oder Pizol?
Es empört mich immer, wenn fernstehende, mehr oder minder Gelehrte sich bemühen, den Landesbewohnern die altherkömmlichen eingelebten, sinnvollen Orts-, Flur- und Bergnamen nach Schreibart und Deutung als unrichtig darzustellen und dafür ihre neuen, mehr oder minder geistreichen Spekulationen aufzudrängen. Das Beste ist, dass diese Neuerer in der Regel unter sich in Widerspruch geraten.
Piz Sol. Der Name ist zu schön, zu sinnvoll. Es muss heissen: Pizol, und bedeutet nach Dr. Götzinger „kleine Spitze“; nach anderen mit etwas mehr Sinn „Piz ault“, „hohe Spitze“. Sogar der vom Grabser Ingenieur Sulser richtig geschriebene Name Spizol, „beim Zaunpfahl“, Bezeichnung einer Weide in der Grabser Alp Schlewiz, musste nach der gelehrten Schablone im top. Atlas auch in „Pizol“ rektificiert werden. „Piz Sol und Monte Luna haben mit Sonne und Mond nichts zu thun“, spricht die „Wissenschaftlichkeit“. Aber Piz Sol wohl mit Tersol, der anliegenden Alp; Sol, Solstein, Solstock, Solberg sind doch unbestreitbare Analogien, bedeute nun Sol Sonne oder etwas anderes oder gar nichts.
Als im Jahre 1895 die Sektion Alvier auf den Vorschlag des damaligen Comités in Ragaz, nach meiner Ansicht kein glücklicher Einfall, sich in Sektion Piz Sol umgetauft hatte, wurde wegen der Rechtschreibung des Namens Piz Sol eine Anfrage an den in dieser Sache wohl kompetentesten Herrn Professor Muoth in Chur gestellt, der in einem vielseitigen Gutachten zum Schlusse kam, es sei an der Schreibart Piz Sol festzuhalten.
(Quelle: Johann Baptist Stoop in: Alpina 1902, S. 117)
Briefwechsel zur Enderlinhütte 1914 und 1915
Ragaz, 17. Februar 1914
Herrn J. Knecht, Präsid. der Sekt. Piz Sol S.A.C. Flums
Geehrter Herr Clubgenosse,
Es ist Ihnen bekannt, dass die in Touristenkreisen sehr beliebte Enderlinhütte auf Bargün, am Falknis, diesen Winter von einer Lawine vollständig zerstört wurde. Der Touristenverein der Naturfreunde (Sektion Ragaz) beabsichtigt nun, in dieser Gegend, eine Hütte wieder aufzubauen & hat in einem Schreiben vom 3. dieses Monats den Gemeinderat von Fläsch um Abtretung eines geeigneten Bauplatzes, sowie um unentgeltliche Lieferung des erforderlichen Bauholzes ersucht. Bevor der Gemeinderat von Fläsch aber in dieser Angelegenheit einen definitiven Beschluss fasst, würde er es vorziehen, in dieser Angelegenheit mit dem S.A.C. in Verbindung zu treten. Und er würde es begrüssen, wenn die Sektion Piz Sol die Nachbarsektionen des S.A.C. zu einer gemeinsamen Besprechung mit den Gemeindevorständen von Fläsch & Maienfeld einladen würde. Alt Bergführer Enderlin würde den Bau der Hütte übernehmen, vorausgesetzt, dass ihm eine finanzielle Unterstützung von Fr. 500 – 800 aus Touristenkreisen gesichert wird.
Im Auftrag des Gemeindevorstandes von Fläsch ersuche ich Sie hiermit höfl. um gelegentl. Einberufung einer Komiteesitzung der Sekt. Piz Sol, zur Besprechung der Angelegenheit.
Mit höfl. Club. Gruss: G. Grosjean
Flums und Mels, den 4. März 1914
Herrn Präsident der Sektion Rhätia, Chur
Herrn Prädident der Sektion Prättigau, Klosters
Sehr geehrter Herr
Von Seite des Gemeinderates von Fläsch erfahren wir, dass der Touristenverein der Naturfreunde, Sektion Ragaz, beabsichtige, als Ersatz für die Enderlinhütte am Falknis eine neue Hütte zu bauen und dafür um Abtretung eines Bauplatzes, sowie um unentgeltliche Lieferung des Bauholzes nachsuche. Bevor der Gemeinderat von Fläsch in dieser Angelegenheit einen definitiven Beschluss fassen wolle, würde er es vorziehen, mit dem S.A.C. in Verbindung zu treten und er würde es begrüssen, wenn die Sektion Piz Sol die Nachbarsektionen zu einer gemeinsamen Besprechung mit den Gemeindevorständen von Maienfeld und Fläsch einladen würde. Alt Bergführer Enderlin würde den Bau der Hütte übernehmen, falls ihm aus Touristenkreisen eine finanzielle Unterstützung von Frs. 500 – 800 zugesichert würde.
Auf diese Mitteilungen hin, hat der Vorstand der Sektion Piz Sol in seiner letzten Sitzung beschlossen, die beiden Nachbarsektionen Rhätia und Prättigau um ihre Stellungnahme zu der Angelegenheit anzufragen. Die Sektion Piz Sol selbst könnte, da sie am Bau der Piz Solhütte sehr stark engagiert ist, sich nur mit einem sehr kleinen Beitrage am Hüttenbau im Falknisgebiet beteiligen.
Wir bitten Sie also höflich, uns mitzuteilen, ob Sie für die Sache Interesse haben und, ob Sie an einer gemeinsamen Besprechung teilzunehmen wünschen.
Hochachtungsvoll:
Für das Comité der Sektion Piz Sol: Der Präsident J. Knecht. Der Aktuar: H. Bernold
Chur, 6. März 1914
Tit. Section Piz Sol
Ihr Schreiben von gestern werde ich in unserer nächsten Vereinsversammlung d.h. nächste Woche der Section vorlegen. Es trifft sich für unsere Section äusserst ungünstig, da wir durch das Jubilaeum, durch verschiedene nicht verschiebbare Projecte und durch den Unterhalt der Hütten und Rettungsstationen stark belastet sind. Wir haben auch durch einen Vertreter von Herrn Enderlin selbst ein Gesuch um Entgegenkommen erhalten.
Meine private Meinung ist nun die, dass der Alpenklub nicht leiden sollte, dass sich die Naturfreunde da oben einnisten. Man sollte mit oder ohne Herrn Enderlin wieder eine Unterkunft schaffen, sofern überhaupt der Aufstieg über Bargün und die Thürme wieder hergestellt werden kann. Es wäre vor allem Sache der Section Praettigau hier vorzugehen. Dann sollte aber auch das C.C. in Kenntniss gesetzt werden, dass die Gefahr der Naturfreunde droht, damit event. eine andere Section den Bau übernimmt oder unterstützt. Ich weiss, dass z.B. die Section Säntis vor einigen Jahren Lust zum Hüttenbauen hatte.
Sobald wir die Sache besprochen haben, werden wir Ihnen Bericht geben.
Mit clubistischem Gruss
Dr. Bener, Section Rhätia
Chur, 14. März 1914
Tit. Section Piz Sol!
Geehrte Clubgenossen!
Von Ihrem Schreiben betreffs Unterstützung des Baues einer Unterkunft auf “Bargün” wurde der Section Rhätia Kenntniss gegeben. In der Diskussion wurde allgemein die Wünschbarkeit einer Unterkunftsgelegenheit anerkannt, dagegen davor gewarnt an eine eigentliche Klubhütte zu denken, wie ich in meinem Schreiben erwähnt hatte in Analogie der Hochthürlihütte und anderen. Es wurde beschlossen, der Vorstand solle an einer von Interessenten einberufenen Kommissionssitzung theilnehmen und dort den Standpunkt der Rhätia vertreten. In Anbetracht der etwas bedrängten Centralkasse, in Bezugnahme auf den Klubhüttenbebauungsplan, der nicht immer wieder abgeändert werden sollte und des geringen Excursionsgebietes sei von einer SAChütte abzusehen. Es können von den Interessenten und Sectionen kleine Beiträge geleistet werden. Eventuell schade es hier weniger, wenn sich die Naturfreunde einnisten als in einem Gebiet wo die Gebirgsruhe und Schönheit durch deren Getriebe gestört würde.
Wir gewartigen also gerne Ihre gütige Nachricht, was weiter geschehen soll und zeichnen
mit clubistischem Gruss per Section Rhätia
Dr. Bener, Praesident.
Flums und Mels, den 17. März 1914
Tit. Central-Comite des S.A.C. St. Gallen
Sehr geehrte Herren!
Von Seite des Gemeinderates von Fläsch erfahren wir, dass der Touristenverein der Naturfreunde, Sektion Ragaz, beabsichtige, als Ersatz für die Enderlinhütte am Falknis eine neue Hütte zu bauen und dafür um Abtretung eines Bauplatzes, sowie um unentgeltliche Lieferung des Bauholzes nachsuche. Bevor der Gemeinderat von Fläsch in dieser Angelegenheit einen definitiven Beschluss fassen wolle, würde er es vorziehen, mit dem S.A.C. in Verbindung zu treten und er würde es begrüssen, wenn die Sektion Piz Sol die Nachbarsektionen zu einer gemeinsamen Besprechung mit den Gemeindevorständen von Maienfeld und Fläsch einladen würde. Alt Bergführer Enderlin würde den Bau der Hütte übernehmen, falls ihm aus Touristenkreisen eine finanzielle Unterstützung von Frs. 500 – 800 zugesichert würde.
Auf diese Mitteilungen hin, hat der Vorstand der Sektion Piz Sol in seiner letzten Sitzung beschlossen, die beiden Nachbarsektionen Rhätia und Prättigau um ihre Stellungnahme zu der Angelegenheit anzufragen. Die Sektion Piz Sol selbst könnte, da sie am Bau der Piz Solhütte sehr stark engagiert ist, sich nur mit einem sehr kleinen Beitrage am Hüttenbau im Falknisgebiet beteiligen.
Indessen hat uns die Sektion Rhätia geschrieben, dass sie die Wünschbarkeit einer Unterkunftsgelegenheit am Falknis anerkenne und beschlossen habe an einer von Interessenten einberufenen Sitzung teilzunehmen, sie warnt aber sehr vor dem Bau einer eigentlichen Clubhütte.
Davon ist natürlich keine Rede sondern es handelt sich nur um die Erstellung eines Heuschobers mit einem Zimmer oder wenigstens einer Küche für Touristen, ähnlich wie dies bisher der Fall war.
In der letzten Hauptversammlung der Sektion Piz Sol am 8. a. c. hat dieselbe beschlossen, besonders in Rücksicht auf die grossen Dienste welche ihr und der Sache des S.A.C. alt Bergführer Enderlin geleistet hat, in dieser Angelegenheit auch noch das C.C. anzufragen, ob vielleicht seitens des S.A.C. eine kleine Subvention für diese Hütte zu erhalten sei oder ob sich vielleicht irgend eine Sektion hiefür interessieren würde.
Wir haben uns erlaubt, Sie diesem Beschlusse gemäss mit dieser Sache anzugehen und Sie höflich um Ihren Rat zu bitten.
Hochachtend für das Comité der Sektion Piz Sol: Der Präsident J. Knecht. Der Aktuar: H. Bernold
Fläsch, den 27. März 1914
Herrn G. Grosjean, Reallehrer, Ragaz
Da der Aufbau einer Unterkunftshütte im Falkniss, an Stelle der alten Enderlin-Hütte einige Zeit in Anspruch nehmen wird & das dazu verwendende Bauholz vor Beginn des Baues etwas andörren sollte, so wäre es empfehlenswert, wenn die geplante Unterredung in nächster Zeit stattfinden könnte.
Hochachtend per Vorstand Fläsch Maier, Präs.
St. Gallen, den 28. März 1914
Herrn Hans Bernold, Ingenieur, Mels
Die Sektion St. Gallen hat gestern abend nach kurzer, trefflicher Begründung von Rau, für den Vater Enderli 200 Fr. ausgeworfen.
Grüssend
Oswald
St. Gallen, den 28. März 1914
Tit. Vorstand der Sektion Piz Sol S.A.C. Flums
Sehr geehrte Herren & Clubgenossen!
Ihr Gesuch vom 17. März ist in unserer Sitzung vom 25. crt. behandelt worden. Das C.C. muss äsusserste Sparsamkeit walten lassen & hatte auch gegen eine Subventionierung der vorgeschlagenen Art der Consequenzen wegen grundsätzliche Bedenken. Da wir der Sache aber sehr sympathisch gegenüber stehen & auch gerne dem alten Führerveteran Enderlin helfen möchten, haben wir beschlossen, die Sache zuerst an die Sektion St. Gallen weiter zu leiten. Dabei hat es die Meinung, dass dieselbe einen Teil der Mittel aufbringen & sich bei den andern benachbarten Sektionen für weitere Beiträge verwenden soll. Die Sektion St. Gallen hat in ihrer gestrigen Sitzung dies beschlossen & dem Vorstand einen gewissen Credit erteilt. Der Vorstand wird nun an die übrigen Sektionen gelangen & sollte das Ergebnis dieser Sammlung noch nicht vollständig befriedigen, so behält sich das C.C. vor, auf die Sache zurückzukommen & sein Scherflein beizutragen.
Eine Copie dieses Schreibens geht an Herrn Enderlin in Maienfeld, damit er über den Gang der Sache informiert ist & jetzt schon die Beruhigung haben kann, dass sein Unternehmen unterstützt wird.
Mit club. Gruss & Hochachtung
Namens des C.C. des S.A.C.
Der Aktuar Hartmann. Der Präsident Janggen.
Flums und Mels, den 28. März 1914
Herrn Alt-Bergführer Enderlin, Maienfeld
Bezüglich Ihres Gesuches um Unterstützung an den Wiederaufbau einer Hütte auf Bargün hat sich die Sektion Piz Sol mit den Sektionen Rhätia, Prätigau und mit dem Centralkomite des S.A.C. in Verbindung gesetzt. Von diesem letzteren haben wir heute telephonisch Bericht erhalten, dass es die Sektion St. Gallen für diesen Hüttenbau interessiert habe und dass diese letztere einen Beitrag von 200 Fr. leisten werde, falls auch durch andere Sektionen der Bau der Hütte ermöglicht werde.
Das Centralkomite und die Sektion Piz Sol sind durch das Hüttenprojekt am Piz Sol so sehr in Anspruch genommen, dass sie nur mit kleinen Beiträgen in Betracht kommen können, dass sie sich aber aus Dankbarkeit für Ihre dem S.A.C. geleisteten Dienste verpflichtet fühlen, soviel es in ihren Kräften steht, zur Unterstützung beizutragen.
Hochachtend für das Komite der Sektion Piz Sol: Der Präsident J. Knecht. Der Aktuar: H. Bernold
Mels, den 30. März 1914
Herrn Grosjean, Reallehrer, Ragaz
Herr Rau hat mir gestern telefoniert, dass die Sektion St. Gallen 200 Fr. an die Enderlin-Hütte gebe. Ich habe dies Herrn Enderlin sofort mitgeteilt. Von der Sektion Prättigau haben wir noch keine Nachricht erhalten.
Könnte nicht der Kur- und Verkehrsverein von Ragaz und der Sportklub einen kleinen Beitrag geben?
Mit freundlichem Gruss
Der Aktuar: H. Bernold
Flums und Mels, den 1. April 1914
Tit. Sektion St. Gallen S.A.C., St. Gallen
Sehr geehrte Herren!
Das Comité der Sektion Piz Sol spricht Ihnen hiemit seinen besten Dank aus für Ihre Opferwilligkeit die Sie für den Bau einer neuen Enderlin-Hütte am Falknis bewiesen haben.
Wir hoffen mit einem solchen Vorbilde noch weitere Kreise für diesen Hüttenbau gewinnen zu können.
Es ist beabsichtigt in nächster Zeit mit Herrn alt Bergführer Enderlin, den Gemeindevorständen von Fläsch und Maienfeld und mit Vertretern der benachbarten Sektionen eine Besprechung abzuhalten.
Wir werden Sie zu dieser Versammlung gebührend einladen und bitten Sie höflich Ihre Sektion an derselben vertreten zu lassen.
Mit freundlichem Clubgruss
für das Comite der Sektion Piz Sol: Der Präsident J. Knecht. Der Aktuar: H. Bernold
Flums und Mels, den 15. April 1914
Tit. Sektion Rhätia des S.A.C., Chur
Sehr geehrte Herren!
Die Sektion Piz Sol des S.A.C. ladet Sie hiemit höflich zu einer Versammlung der Interessenten* der Enderlinhütte auf nächsten Samstag, den 18. d. M. abends 8 45 Uhr im Hotel Bahnhof in Maienfeld ein.
Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 14. März teilen wir Ihnen mit, dass es sich nicht um den Bau einer eigentlichen Klubhütte handeln kann. Es soll, etwa den früheren bestandenen Verhältnissen entsprechend, eine Unterkunft geschaffen werden, deren Kosten in der Hauptsache aus Beiträgen der Interessenten bestritten werden sollen, ohne dass grössere Ansprüche an den S.A.C. gemacht werden. Indessen hat die Sektion St. Gallen bereits einen Beitrag von Frs. 200 in Aussicht gestellt und damit der Sache den besten Anlauf gegeben.
Mit achtungsvollem Clubgruss
für das Komite der Sektion Piz Sol: Der Präsident J. Knecht. Der Aktuar: H. Bernold
* Eingeladen wurden neben alt Bergführer Enderlin die Gemeindevorstände Maienfeld und Fläsch sowie der Kur- und Verkehrsverein Ragaz, der Sportclub Ragaz und die Sektion Prättigau.
Maienfeld, den 21. April 1914
Das Gemeindepräsidium Maienfeld an
Herrn Direktor Knecht Präsident der Sektion Piz Sol des Schw. A. C., Flums
Tit.
Ich nehme Bezug auf die Conferenz vom letzten Samstag Abend im Vilan betr. der Falknishütte und theile mit daß nun die Gemeinde Maienfeld darauf verzichtet, daß die Schafhirten in der neuen Enderlinhütte Logie bekommen.
Den Boden zum Bau überlassen wir gratis im Sinne von §675 des Sch. T. P. B.
Das Bauholz zur Hütte überlassen wir gemeinsam mit Fläsch ebenfalls gratis. Das Forstamt wird das Holz anweißen.
Fläsch hat in allen diesen Punkten seine Einwilligung, die auch möglich ist, selbst zu geben.
Achtungsvollst
M. Schnell, Vorstand der Gemeinde Maienfeld
St. Gallen, den 25. April 1914
Herrn J. Knecht, Präs. der Section Piz Sol, Flums
Sehr geehrter Herr!
Nachdem aus dem Briefe unserer Delegierten an der Zusammenkunft in Maienfeld vom 18. ct. hervorgeht, daß Enderli von seinem Gesuch um eine Hüttensubvention zurücktritt, haben auch wir dieses Traktandum als vorläufig erledigt bei Seite gelegt.
Wenn später eine S.A.C.-Section am Falknis eine Unterkunftshütte erstellen will, würden wir, darum gebeten, event. die Angelegenheit in Wiedererwägung ziehen. – Der Credit, der uns von der Sect. St. Gallen bewilligt wurde, ist aufgehoben worden.
Sie werden nun wohl auch nichts weiter mehr in Sachen tun wollen.
Mit frdl. Clubgruß
Section St. Gallen der Präsident: Tobler.
Maienfeld, den 3. Mai 1914
Herrn Ing. Bernold, Aktuar der Sekt. Piz Sol des S.A.C.
Sehr geehrter Herr!
Bezugnehmend auf d. Aussprachen im Hotel Bahnhof in Maienfeld am 18. April lezthin den Bau einer Unterkunftshütte im Falknis betreffend theile Ihnen mit daß nun endlich von den Gemeinde Vorständen von Maienfeld und Fläsch die servitutfreie Gratisabgabe eines Bauplazes zu einer Hütte sowie des benöthigten Bauholzes zugesagt wurde.
Auf Grund dieses und der an jenem Abend in Aussicht gestellten Beiträge sind wir nun bereit eine Hütte zu erstellen. Ich glaube etwa mit F 800 einen einfachen aber heimeligen Bau zu errichten. 600 F wird der Bau, und etwa 200 F die Einrichtung zu stehen. Werde nach fertig stellen der Hütte genaue Rechnung ablegen.
Es wäre mir nun sehr lieb wenn Sie mir in thunlichster Bälde eine verbindliche Beitragsliste zusenden könnten, denn, wie ich schon damals erklärte, werde ich mich nach der “Deke streken” und die Hütte im Rahmen der gezeichneten Beiträge erstellen.
Empfangen Sie unsern herzlichsten Dank für Ihre Bemühungen und zeichnen mit Gruß und Hochachtung, Fortunat Enderlin J. P. Enderlin Sohn
Maienfeld, den 28. Juni 1915
Geehrter Hr. Präsident!
Theile Ihnen mit daß die Unterkunftshütte im Falknis nun fertig erstellt ist. Dieselbe hat Schlafraum für 10-12 Mann, ist mit genügend frischem Bettsheu und mit Wolldeken sowie mit Kuhn Eßgeschirr versehen.
Wollen Sie die Güte haben und uns den Tag Ihrer Besichtigung rechtzeitig mittheilen.
Achtungsvoll
Fortunat und J. P. Enderlin Bergführer
Der Grund der langen Verzögerung ist aber der durch den Krieg hervorgerufene viele Militärdienst.
Nachtrag zum Streit mit dem Touristenverein der Naturfreunde
Die Ortsgruppe St. Galler Oberland mietete im Jahr 1916 eine Hütte auf Birch ob Guscha, diese wurde feierlich am 13. Mai 1917 eingeweiht.
Der Originalbericht auf der Zeitschrift „Der Naturfreund“ (Jahrgang 1917, S. 90) lautet:
Eröffnung einer „Naturfreunde“-Hütte. Eine Naturfreunde-Zusammenkunft auf Guschaalp am 13. Mai 1917. Während dumpfer Donner, die Sprache der Kanone, von Westen her ertönte, versammelten sich die Naturfreunde auf Guschaalp, am stolzen Falknis. Es galt heute zwei Feste zu feiern: Einmal ein geselliges Fest, um sich einander näher kennen zu lernen, dann die Eröffnung unserer Klubhütte. Es war aber kein Fest voll rauschender Lustbarkeit, sondern ein Geniessen und Ruhen nach getaner Arbeit, eine selbstlose Freude am gelungenen Werk. Eine bescheidene Schöpfung zur Förderung unseres internationalen Touristenvereines. Weckt doch das Erfassen und Insichaufnehmen der Alpenschönheiten die Naturfreunde, die Sehnsucht nach der Freiheit, dem Ziel der Arbeiterbewegung. Früh am Morgen machte der Himmel ein finsteres Gesicht, doch die goldenen Sonnenstrahlen durchbrachen bald die Wolkenmauer und es funkelten gegen 8 Uhr die Spitzen des Gir und Falknis. Wie ein Wunder kam ein Strahlenbündel von der Rotspitze her zu unserer Hütte, als wollte es den Proletariern „Guten Tag“ wünschen. Schon am Abend des 12. Mai rückte ein Teil der Naturfreunde heran. Aus weiten Teilen der Ostschweiz kamen sie hier zusammen, von Arosa, Davos, Chur, Ragaz, Sargans, Buchs, Glarus, Wald, Zürich. Um das Erwachen der Natur, die Schönheit des Monats Mai vollkommen geniessen zu können, machten die Aroser Freunde den Weg von Arosa über Chur und die Davoser den Weg Malans-Maienfeld zu Fuss. Es war für sie ein köstlicher Genuss, nach sechs Wintermonaten wieder blühende Bäume zu sehen. Unter Abwechslung von Musik, Gesang und heiteren Vorträgen erlebten wir schöne Stunden. Ein Teil der Mitglieder liess es sich nicht nehmen, über den Guschagrat der Rotspitze einen Besuch abzustatten. Sie wanderten durch einen Garten mit tausenden und abertausenden Soldanellen, zierlichen Primeln und Anemonen geschmückt und konnten auf dem Rückweg in einem Lawinenzug fröhliche Talfahrt geniessen. Mit gesundem Appetit wurde das von der Ortsgruppe St. Galler-Oberland zum Selbstkostenpreis beigestellte und von zwei Vereinsgenossinnen bereitete Mittagessen eingenommen. Um 3 Uhr war es wieder Zeit an den Heimweg zu denken. Von allen Seiten hörte man den Wunsch, es möchten öfters solche Zusammenkünfte stattfinden. Auf Wiedersehen das nächste Mal auf Fronalpstock und Aroser Weisshorn!
Strassen und Strassenbau in den Bergen
1. Die Strasse von Ragaz zum Bad Pfäfers
… In diesem Schlunde, zwei Stunden aufwärts nach Süden, liegt das berühmte Pfeffersbad. Zwei Wege führen dahin, der längere über Valenz ist für Pferde gangbar, der kürzere nur bis zum Dorfe Pfeffers. Ich wählte den letztern, der bald hinter Ragaz äusserst steil hinansteigt. Die mühsame und schlechte Strasse wird von der herrlichen Landschafts-Ansicht vergolten, welche sich auf das breite Sarganser Thal und seine nördlichen Gebirge öffnet. Die Ruinen der ehemaligen Schlösser Freudenberg und Nydberg zeigen sich hier nahe unter dem Auge. In einer Stunde langt man auf der Höhe bei dem Kloster und Dörfchen Pfeffers an. Beide liegen an dem engen Ausgange des 5 Stunden langen Taminathales, welches von hohen und wilden Gebirgen ummauert ist. Dicht hinter dem Kloster wälzt die Tamina ihr tobendes Wasser in eine enge tiefe Schlucht. Die Bergabhänge, gut bebaut und mit Bäumen besetzt, steigen bis an den Rand dieses Abgrundes, und ohne ganz dicht hinan zu treten, bemerkt man nichts von dem Strom, dessen Schaum aus der Dunkelheit wie Blitze schiesst. Tiefe Gebirgsstille herrscht um die Abtei; dicht vor ihr über spielt ein lieblicher Wasserfall zwischen herrlichem Grün, wie ein heiteres schönes Mädchen, welches in frohsinniger Unschuld mit seinen Reizen gaukelt. Nach Südwesten fällt der Blick durchs Taminathal auf rauhe und hohe Gebirge, nach Osten über das Sarganser Thal, über die fruchtbaren Gegenden von Maienfeld, Jenins und Malans auf die nackten Felsenwände des Rhätikon, welcher sich von hier in seiner ganzen kühnen Wildheit darstellet. Der grösste pyramidenförmige Gipfel dieser Felsengruppe, Caesaplana, 1700 Klafter über dem Meer erhaben, trägt einen Stunden langen Gletscher, und schaut über alle benachbarten Gebirge auf Deutschlands Gefilde bis nach Ulm. Nicht weit davon am Ende eines Felsenkamms erhebt sich ein anderer Zingel (so nennen hier die Bergbewohner jedes hohen Felsenhorn), welcher den Grenzposten des Bündtner Landes macht, und etwas tiefer steht der Falknis, von dem die nackten Felsen bis an den Rhein bei Luziensteig abstufen. Ein alter Alpenbewohner, der meine Neugierde mit Vergnügen befriedigte, deutete mir rechts von der Caesaplana auf dem hohen Grat das Schweizer- und das Druchsesthor an, zwei Gebirgspässe aus Bündten ins Montafunthal, und ganz tief unterhalb den Felsenriss Klus, durch welche die wilde Landquart aus dem Brettigau heraus stürzt.
Mit besonderm innigen Vergnügen blickte ich zu meinen Füssen auf den jugendlichen Rhein herab, wie er hier, ganz im Charakter der Natur, die ihn erzeugte, wild, roh, ungestüm und trübe sein Geburtsland verlässt. Welche Hindernisse setzten sich seinem Laufe sogleich von allen Seiten entgegen, und welche Kämpfe musste er bestehen? Ueberall unübersteigliche Felsenmauern, aber seiner Riesenkraft war kein Widerstand zu gross. Mitten durch ungeheure Gebirge brach er sich nordwärts seine Bahn, und gelangte endlich nach unsäglicher Kraftübung in die freie Weite des Bodensees.
(Quelle: Ebel 1802 «Schilderung der Gebirgsvölker der Schweiz»)
2. Die Strasse von Pfäfers nach Vättis
St. Gallen. Für Strassenbauten im touristisch sehr berühmten Tamina- und Weisstannenthal und zwar für Pfäffers-Vadura-Vättis und Mels-Weisstannen hat der Grosse Rath des Kts. St. Gallen Fr. 66,500 budgetirt, jedoch werden einstweilen definitiv nur Fr. 10,000 in das Jahresbudget aufgenommen.
(Quelle: Die Alpenpost 1871)
Vättis (Kalfeuserthal). Mit der neuen Strasse Ragaz-Vättis erwacht an letzterem Orte auch der Speculationsgeist. Hr. Joseph Sprecher wird daselbst auf nächste Saison ein kleineres Hotel eröffnen und dadurch einestheils den Touristen Gelegenheit geben, die wahrhaft grossartige Gebirgswelt im Hintergrunde jenes Hochthales (Graue Hörner, Sardona, Ringelspitze, Calanda etc.) in’s Excursionsgebiet zu ziehen, anderntheils den Wanderern über den Foo- und Kunkelspass einen wohlverdienten, willkommenen Haltpunkt und endlich den Badegästen von Ragaz-Pfäfers ein beliebtes Ausflugsziel zu bieten.
(Quelle: Die Alpenpost vom 5. December 1874)
Vättis im Kalfeuserthal als Touristen-Station (950 M.). Durch den neuen „Gasthof zur Tamina“ (Besitzer Herr Josef Sprecher) und die neue Strasse von Ragaz aus ist endlich dies Bergthal auch für den Fremdenverkehr geöffnet. Der Gasthof, ein solider Steinbau, enthält 9 Logirzimmer nebst Saal und Restaurationslokalen, sowie eine Gartenwirthschaft. Als Bergführer hat der thätige Wirth bereits zwei junge, kräftige Männer, die Weg und Steg in jenen Gebirgen genau kennen, die Gemsjäger David Kohler und Bonifaz Sprecher, gewonnen und es ist daher zu erwarten, dass Calanda, Ringelspitze, Monteluna, Drachenloch am Gelbberg, Piz Sol, Sardona etc. schon nächsten Sommer stark von unseren Clubisten frequentirt werden, um so mehr, als Vättis sich auch als Sommerfrischlerort hervorthun wird und von Ragaz aus bequem in 3 Stunden zu Wagen erreicht werden kann.
(Quelle: Die Alpenpost vom 26. December 1874)
Ein schwerer Unsinn
Was der Widerstreit verschiedener Interessen vermag, hat sich auch bei Anlage der Vättiserstrasse gezeigt. Dieselbe erreicht mit starker Steigung ihren höchsten Punkt mit 982 m im ersten Drittel beim Bläserkreuz; dann senkt sie sich fortwährend wieder zum Theil beträchtlich bis St. Peter mit 876 m, um von da an wieder langsam zu steigen bis Vättis mit 951 m. Dem Schieferbruch zu Vadura, oder vielmehr dessen Besitzer zu lieb musste die Strasse dort hinauf geführt werden, anstatt sie tiefer durch zu legen und ein Verbindungsstück mit dem Schieferbruche zu bauen. Alle die schweren Holzfuhrwerke von Vättis hinaus müssen nach der Höhe von Vadura hinaufkeuchen – ein schwerer Unsinn, der nur dort vorkommen kann, wo Sonderinteressen vor die Gemeininteressen gestellt werden.
(Quelle: Fridolin Becker: Itinerarium für das Excursionsgebiet des S.A.C. 1888: Graue Hörner – Calanda – Ringelspitz. Glarus 1888, S. 34)
3. Die Strasse ins Weisstannental
Das durch manchfaltige Naturschönheiten und grosse Alpweiden sich auszeichnende Weisstannenthal (Sarganserland) soll durch eine Strasse mit dem Dorfe Mels verbunden werden. Da schon der Weg durch die imposante Schlucht der Seez bis zum Pfarrdorfe Weisstannen (4000’) reizende Partien zur Genüge bietet und die grossartige Bergwelt im Hintergrunde des Thales bald viele Touristen anziehen dürfte, aber auch für die vielen Viehtransporte von und nach den ausgedehnten Alpweiden schon längst das Bedürfnis eines bessern Weges sich geltend machte, so ist dies Projekt gewiss ein sehr zeitgemässes. Nach einem Plane des Ingenieur Jud sollen sich die Baukosten auf Fr. 140-160’000 belaufen, wovon die Gemeinde Weisstannen ¼ tragen will. Soviel würde wohl einzig der Mehrwerth der ausgedehnten Waldungen abwerfen.
(Quelle: Die Alpenpost 1871)
St. Gallen. Für Strassenbauten im touristisch sehr berühmten Tamina- und Weisstannenthal und zwar für Pfäffers-Vadura-Vättis und Mels-Weisstannen hat der Grosse Rath des Kts. St. Gallen Fr. 66,500 budgetirt, jedoch werden einstweilen definitiv nur Fr. 10,000 in das Jahresbudget aufgenommen.
(Quelle: Die Alpenpost 1871)
Am 31. v. M. fand die Collaudation der 2 ½ Stunden langen Bergstrasse von Mels nach Weisstannen statt, die dies herrliche Alpenthal dem Fremdenverkehr erschliesst. Das Gebiet der „Grauen Hörner“ wird dadurch zu einem der besuchtesten Excursionsziele des St. Gallischen Oberlandes werden. Die Touristen finden im neuen Hotel Alpenhof in Weisstannen treffliche Unterkunft und Pflege.
(Quelle: Die Alpenpost vom 14. November 1874)
Auch in’s Weisstannenthal führt erst seit wenigen Jahren eine Strasse; Sonderinteressen und kurzsichtige Verbohrtheit waren auch da lange dagegen, und es mag erwähnt werden, dass dem damaligen Pfarrer von Weisstannen das Hauptverdienst am Zustandekommen der Strasse gebührt.
Aus ähnlichen Gründen konnte bisher die Strasse von Vättis über den Kunkelspass nach Tamins nicht ausgeführt werden, obschon sich dieselbe durch den Mehrwerth der Liegenschaften vollständig bezahlen liesse. Die Schuld liegt am geringen Willen der sonst sehr reichen Gemeinde Tamins.
Hier sollte übrigens die Eidgenossenschaft einschreiten.
(Quelle: Fridolin Becker: Itinerarium für das Excursionsgebiet des S.A.C. 1888: Graue Hörner – Calanda – Ringelspitz. Glarus 1888, S. 34)
4. Die Strasse ins Calfeisental
Von Vättis aus soll in nächster Zeit ein Fahrsträsschen ins Calfeisental gebaut werden.
(Quelle: Alpina 1903, S. 137)
Sektion St. Gallen. Der Anteil an die Kosten des Calfeusensträsschens, welcher der Sektion als Besitzerin der Sardonahütte auferlegt wurde, konnte dank der Opferfreudigkeit unserer Mitglieder durch freiwillige Beiträge gedeckt werden. Unser Appell hatte einen so schönen Erfolg, dass wir einen Überschuss von Fr. 1000 zur Bildung eines Hüttenfonds verwenden konnten, was der Sektion gestatten wird, in absehbarer Zeit an den Bau einer zweiten Clubhütte zu denken.
(Quelle: SAC Jahrbuch 1906-07)
Von Vättis aus soll in nächster Zeit ein Fahrsträsschen ins Calfeisental gebaut werden.
(Quelle: Alpina 1903, S. 137)
Das neue Calfeisensträsschen, das diesen Sommer bis St. Martin vollendet wird, soll bis nächsten Sommer 1908 auch nach der Sardonaalp, bezw. 1 Stunde unterhalb der Sardonahütte fertig erstellt werden.
(Quelle: Alpina 1907, S. 127)
Aus dem Calfeisental.
Das von der jungen, wildschäumenden Tamina durchflossene steilwandige Calfeisental, das sich von der südlichsten St. Gallischen Ortschaft Vättis (950 m ü. M.), wo die romantische Poststrasse und der elektrische Draht von Ragaz ihr Ende nehmen, fünf Stunden weit bis zur stillen Sardonaalp (1750 m ü. M.) hinauf erstreckt, wird seit dem letzten Herbst von einem solid angelegten, überall sanft ansteigenden und das milchtrübe Bergwasser vier Mal überspringenden Fahrsträsschen durchzogen. Die Bauarbeiten wurden in zwei Etappen – Vättis-St. Martin im Sommer 1907 und St. Martin-Sardonaalp im letzten Jahre – ausgeführt.
Bei den letzten wetterschwarzen Hütten des vielbesuchten, einfachen Luftkurortes Vättis, wo sich die kristallhellen Wellen des vom Kunkels herkommenden Görbsbaches mit der grauen Flut der Tamina vereinigen, und ein moos- und lärchenbestandener Moränenhügel, der Büel, über dem in einem grünen Kessel weich gebetteten Bergdorfe treue Wacht hält, weist uns eine rote Tafel der Sektion St. Gallen des S.A.C. die Richtung nach Sardona. Auf dem rechten Taminaufer folgt die neue Strasse anfänglich in weitem Bogen der Spur des alten Pfades. Hier lassen wir den Blick hin und wieder zurückschweifen über das friedliche, von der trutzigen, kahlen Felsbastion des Calanda beherrschte Talgelände, mit seinen schwellenden Rasenpolstern, seinen zur Zeit der Schneeschmelze und der Hochgewitter von wilden Bergbächen angeschwemmten Geröllfeldern und dem schindelgedeckten, um ein altes Kirchlein mit niederem, rotem Helm kauernden Dörfchen. Das richtige Alpentalidyll! Bald aber verschwindet das freundliche Bild hinter den zu beiden Seiten der Strasse sich vorschiebenden Kulissen. Dort, wo unterm Bannwald der alte Pfad nach links abzweigt, nimmt uns die enge, von hohen, zerrissenen Felswänden gebildete Schlucht auf. Das Tosen und Brausen der in der Tiefe über gewaltige Felstrümmer dahinstürzenden Bergwasser klingt uns wie eine Ouvertüre zu der Reihe packender Naturbilder, die während der nächsten Stunden an unserem Auge vorüberziehen, aus der Tiefe entgegen. Immer enger und enger wird nun der Rahmen des freundlichen Alpentalidylls in unserm Rücken. Im Proszenium aber rückt Kuppe um Kuppe, Zacke um Zacke heran. Zur Rechten, hoch oben im blauen Aether sind es die zerrissenen Felsköpfe des nahen Drachenberges, die unser Auge besonders fesseln. Nach dem Ueberschreiten des Flusses nimmt uns die kühle Halle des Giegerwaldes auf und nun haben wir Musse, dem Wellenspiel der übermütigen Tamina zu lauschen. Bald mischt sich in der Ferne ein neues Motiv in die Sinfonie der rauschenden Wasser. Durch eine enge Klamm stürzt donnernd und brausend ein Wildbach hernieder, der in wenigen Kaskaden vom Satzmartinhorn niederspringt und auf Alp Tersol ein Dutzend Rinnsale entführt. Wie wir die „stäubende“ Brücke über dem brodelnden Hexenkessel passieren, lichtet sich das Laubdach und die sonnige Giegeralp, eine lichte Oase in kahler Felsenwelt, entzückt unser Auge. Hier dominieren die grauen, verwitterten „Kalkpfeiffen“ der Orgeln zu unserer Linken und im Vorblick grüssen uns bereits die schneeigen Zinken und Flühen der Ringelberggruppe. Bald tut ein „schwarzes, feuchtes Tor“ sich auf, um uns durch einen vorgeschobenen Querriegel hindurchzulassen. Aus dem Tunnelfenster bietet sich uns eines der fesselndsten Bilder des Tales dar: Tief unten in engem Bette die vom Schmelzwasser stark getrübte Tamina, darüber hinweg an steilem Hang kümmerlich gediehene Bergföhren auf morschem Gestein, zu beiden Seiten schroffe, hoch ansteigende Felswände und im Hintergrunde die langgestreckte Silhouette des hellbeleuchteten Calandamassives. Weiterhin füllen mächtige alte Schneerunsen das Felsental der Tamina aus. Die muntern Wasser haben sich weite, hohe Gewölbe durch die kompakte Masse gegraben und da und dort tragen die von der Natur geschlagenen Brücken unsern Fuss. Eine liebliche Wald- und Bergbachszenerie begleitet uns hernach bis St. Martin, einer Gruppe brauner, nur im Sommer bewohnter Alphütten, beherrscht von einem schlanken Felskegel, der „Teufelskanzel“, und beschirmt von einer alten, verträumten Kapelle, deren Inneres alte Skulpturen und Bilder, den heiligen Martin darstellend, bergen. Eine nahe Grube, in der noch Knochen des einstmal hier ansässig gewesenen gross gewachsenen Geschlechtes der Walser aufbewahrt werden, vermag unser Interesse nur in geringem Masse zu fesseln. Gelehrte und Forscher von Ruf haben hier im Laufe der Jahre ihre „Auswahl“ getroffen und nur ein kleiner Rest ist zurückgeblieben. Könnte ihm im Kirchlein selbst nicht eine würdigere Stätte angewiesen werden?
Zwei schöne Kehren der Strasse lassen uns rasch eine ordentliche Höhendifferenz überwinden. Ueber einen tiefgrünen Forst hinweg erblickt nun das Auge eine Reihe malerischer Kleinbilder in breitem, düsterem Rahmen. Drüben unter den gewaltigen Felsmauern des Ringelspitz und den Felslehnen des leuchtenden Glasergletschers reiht sich ein grüner, steiler Hang an den andern. Weisse Staubbäche flattern von blendenden Schneefeldern hernieder, um bald in der düsteren Schlucht der Tamina zu zerfliessen und im Vorblick treten bereits die obersten Spitzen der den weiten Kessel der Sardonaalp umschliessenden Bergriesen in den Gesichtskreis. In der Tiefe aber rauschen, unserem Blicke verborgen, die Schmelzwasser eine eintönige Melodie. In vielen Windungen und Biegungen, über muntere Rinnsale hinweg, steilen Hängen entlang, die kostspielige Stütz- und Schutzbauten erforderten, und durch herrliche Waldbestände rückt unser Weg seinem Ende näher. Da und dort wird in einer Waldlichtung der alte Pfad auf dem andern Ufer sichtbar, wie er sich ganz dem Terrain anschmiegend, steigt und fällt, bald in eine Klamm einbiegt, bald ein Schuttgebiet umgeht. Mit einem Male weitet sich das Tal. Der bis hieher ohne Unterbrechungen uns begleitende Bergwald löst sich in kleinere Bestände auf, zwischen denen sich wellige Triften, Ausläufer der grossen Malanseralp, ausbreiten. Wir sind in eine stille, weltabgeschiedene Alpenlandschaft, die Sardonaalp, vorgerückt. Ringsum liegen ausgedehnte, von starken Viehherden bestossene Weiden. Ein Dutzend feiner Wasserfäden vereinigen sich zuhinterst im Tale zur jungen Tamina. Von einem breiten Kegel blickt, weithin schauend, die freundliche Sardonaclubhütte der Sektion St. Gallen des S.A.C. zu uns herab; darüber hinweg schliessen einige Dreitausender – Trinserhorn mit Piz Dolf, Piz Segnes, Saurenstock und Scheibe – den Prospekt ab.
So haben wir nun vier Stunden lang ein stilles, romantisches Bergtal durchwandert, dem, trotzdem es jetzt durch einen neuen Fahrweg der Touristenwelt erschlossen ist, die Ruhe und Abgeschiedenheit eines Hochgebirgstales erhalten bleiben, da das schmale Strässchen keinen Durch- und Uebergang von einer Talschaft zur andern, sondern lediglich eine Zufahrt zu den einigen grossen St. Galler Oberländer Gemeinden zugeteilten Alpen bildet. Ein einziges Seitental – Tersol – zweigt von dem engen, steilwandigen Haupttal ab, in dessen untern und mittleren Teil die Kämme der beidseitigen grandiosen Felsenwände nur etwa fünf Kilometer von einander abstehen. Im obern Talgebiet geht dieser Abstand gar auf drei Kilometer zurück.
Wer sich die Mühe nimmt, die lokalen Flur-, Wald- und Alpennamen des Tales zu sammeln, der erhält eine interessante Blütenlese aus drei verschiedenen Ansiedelungsetappen.
So möge denn in der kommenden Wanderzeit das Calfeisental mit seinem reichgegliederten und von der letzten Talstation auf Sardonaalp rasch erreichbaren Sardonagebiet das Ziel manches Clubisten werden, der das romantische Tal der jungen Tamina, ob Vättis, von dem aus das Bündneroberland und das Glarnerkleintal bald erreicht sind, noch nicht kennt. Zwei gut getretene Pässe, der Heidelpass und Muttentalpass führen sodann hinüber ins Weisstannental und ins geologisch interessante Gebiet der Grauen Hörner. Es lässt sich mit dem Besuche des Calfeisentals manche lohnende Kombination verbinden.
(Quelle: F. W. Schwarz in: Alpina 1909, S. 103f.)
5. Die Strasse zum Kunkelspass
Eine fahrbare Strasse über den Kunkels
Wir wollen hoffen, dass in nicht allzu ferner Zeit eine fahrbare Strasse über den Kunkels gebaut werde. Mit leichten Fuhrwerken kann man zur Noth jetzt schon von Vättis nach Tamins gelangen, aber nicht wohl umgekehrt, wegen zu grosser Steigung im Engpass der Foppa.
Der Kunkelspass hat einen ähnlichen Charakter, wie der Maloja; vom Hauptthale aus führt der Weg sanft ansteigend nach der Passhöhe und fällt dann auf einmal stark nach der andern Seite; umgekehrt, ist man von Tamins aus steil angestiegen, so wandert man bequem und in gemächlicher Ruhe über ebene Wiesen nach Vättis hinaus. Bei den Quellen des Görbsbaches, wo der Landjäger-Zollwächter den Salzschmuggel bewacht, im übrigen aber mit seinem Hündchen ein beschauliches Dasein fristet, baut vielleicht ein speculativer Kopf einmal ein Kurhaus, genannt zum idyllischen Zöllner; der Platz dort ist wunderlieblich und Forellen muss es auch geben.
(Quelle: Fridolin Becker: Itinerarium für das Excursionsgebiet des S.A.C. 1888: Graue Hörner – Calanda – Ringelspitz. Glarus 1888, S. 36)
Auch wird das Projekt, eine Strasse von Reichenau über den Kunkelspass nach Vättis zu führen, lebhaft besprochen.
(Quelle: Alpina 1903, S. 137)
Auf dem neuen Strässchen des Kunkelspasses
Eine scharf gekerbte, dunkle Felsfurche samt einer höchst auffallenden, seitwärts ins Berggehänge greifenden, weiten Hohlkehle bezeichnet hinter Reichenau-Tamins die Grenze zwischen der Calandakette und der Ringelgruppe. Jene Scharte ist die „Foppa“, durch welche der alte und mühsame, steile und steinige Weg auf die Höhe des Kunkelspasses leitet, während die grosse Gebirgsnische unter dem mächtigen Rundwalle des Vogelsteins, Sessagit, Carschlinkopfes und Foppasteins die tiefen Gründe des „Schwarzwaldes“ von Tamins birgt. Es ist eine typische Bruchnische, deren ausgeräumte Bergsturzmassen heute die Kuppen und Hügel von Tamins und Reichenau, wie auch den ganzen bewaldeten Schuttriegel der Talebene zwischen dem Hinterrhein und vereinigten Rheinstrome zusammensetzen.
Durch den weiten Gebirgszirkus, aus dem die alten Schuttmassen herausbrachen, führt uns das neue Kunkelssträsschen am Gehänge zur freien Höhe empor. Es zweigt erst hoch über Tamins vom alten Weg ab, der uns hinter den Häusern des Dorfes anfänglich nur schwierig zu deutende Bodenaufschlüsse darweist. Sind es hier Blocktrümmer des grünen Verrucanogesteins oder ist es lebendiger Fels, der nach der Rheinseite abfällt? …
Hinter der Schuttbarriere von Tamins, nur nach dieser Seite geöffnet und hier starke, lebenskräftige Quellbäche entsendend, breitet sich der flache Talkessel des Girsch, dessen Boden aus Bergsturzschutt und Alluvionen gebildet ist und heute üppigstes Wiesland trägt. Er ist von Lärchen umsäumt und war einst ein See, der durch den augenscheinlich erst später vom Foppastein her erfolgten Sturz der Trümmer des Rascheuhügels abgedämmt wurde. Ueber dem Girsch folgen wir zwischen sonnigen Weiden, Gruppen und Streifen des Waldes noch dem alten, aber für den Strassenbau verbesserten Wege in den hintern Girschwald. Auch der Schwarzwaldweg, den wir am Fusse der hohen, von der Steilwand des Garschlinkopfes herabreichenden Felsschuttrüfen betreten, ist für die neue Alproute in Anspruch genommen, verbessert und wesentlich ausgestaltet worden. Auf jener breiten, unten mit eroberndem Grün durchwirkten Schuttwiese begann die Schwitzkur für den frühern Kunkelswanderer, der weiter oben in den Felsen noch andere Proben der Ausdauer zu bestehen hatte, während die Partie unter dem Passcheitel einen ordentlichen Kehrenweg aufwies. Wie schwer der Taminser Bauer und Arbeiter auf dieser Steilroute trug und schleppte und welche Qual das Alpvieh hier überstand, haben die Seufzer und Stösse des menschlichen Larynx, die Lungen und wunden Füsse der armen Quadrupeden allzulange illustrieren müssen. Dagegen führt das neue Alpensträsschen in mässiger, ausgeglichener Steigung (Maximum 14,8 Prozent) der Höhe entgegen. Es beginnt erst hinter der Schwarzwaldhütte in einer Meereshöhe von 1121 m und ist bei vortrefflicher Anlage in einer Breite von vollen 3 m erstellt. Die erste grosse Wegkehre erfolgt weit drinnen in der bewaldeten, mächtigen Gebirgsnische, wenig entfernt vom hohen Turme des Sessagit (2003 m) und seinem scharf gesonderten, an die 100 m aufragenden Obelisken. Sickerungen und kleine Quellen rinnen da und dort überm Gestein, das sich bei ca. 1570 m Höhe in grösserer Distanz als fester Fels des Malmkalkes mit wohl entwickelter Schichtung erweist; sein Material musste mittelst Aufzug für den Wegbau in den höher folgenden Geröllhalden unter grossem Kostenaufwand hinbefördert werden. …
Der neue Alpweg hat uns allmählich aus den dunkeln, schattigen Waldesgründen hoch ans Gehänge geführt und leitet bald darauf in die volle Romantik pittoresker Felspartien hinüber. Er überrascht hier oben durch kunstvolle Führung und prächtige Aussichten auf Gebirge und Tal. Erst quert er auf 220 m Länge eine steile Geröllhalde mit Steinschlagrinnen, aber gutem Felsuntergrund. Mächtige Mauern mit Oeffnungen zur Abwehr einer Häufung des Schuttgerölls in der Hinterfüllung schützen ihn und stattliche Geländer verleihen der Passage einen weitern Schirm. Bei 950 m Weglänge stehen wir hoch am Beginn der Tunnelgallerie in der Felswand südlich des Carschlinkopfes. Der Tunnel ist etwas über 200 m lang und in einer Steigung von 10 Prozent angelegt; aus seinen 6 hohen, aus einer 6 m kräftigen Felswand gebrochenen Fenstern hat man einen erst beschränkten, dann aber immer mehr sich weitenden Ausblick auf den hehren Gebirgsrahmen der Rheintäler, den Heinzenberg die Beverin- und Signinakette und Berge des Oberhalbsteins. Seltsame Verwitterungsformen des jäh abstürzenden Kalkgehänges, Felstürme und –Zacken von abenteuerlicher, grotesker Gestaltung ragen unter den Lucken der Felsenbrüstung und bieten beim Fortschreiten stets wechselnde Bilder. Das äusserst brüchige, stark verwitterte und zerklüftete Gestein gestattete hier nicht die Anlage einer blossen Gallerie, wie sie im Projekte vorgesehen war, und so ist diese Strecke eine sehr kostspielige Passage geworden. Nach dem obern Tunnelportal biegt das Strässchen nach Norden um; Fels und Fluh verschwinden, die grüne Rasendecke wölbt sich überm Schutte, und blau spannt sich der Himmel über den Weideflächen der Alp Ueberauf, einem der schönsten Alpenböden, wo der Weg bei den Schermen den höchsten Punkt, etwa 1361 m erreicht, 10 m überm Scheitel des Kunkelspasses. Etwa 200 m hinter den Schermen mündet er in den alten Kunkelsweg und findet nach 2193 m Länge sein Ende. Wir haben die Höhe von Tamins aus in etwas mehr als 2 Stunden gewonnen.
Die ganze imposante, von der Firma R. Wildberger u. Söhne projektierte Weganlage wurde am 14. Oktober 1914 nach erfolgter Kriegsmobilisation kollaudiert; sie hat einschliesslich der Verbesserung des Waldweges hinter dem Girsch 86,000 Fr. gekostet und bleibt ein ehrendes Zeugnis für die Gemeinde, die sie erstellen liess. Tamins hat damit 4 Alpen und sein liebliches Sommerdörfchen Kunkels um so wertvoller zu machen gewusst und sich für die Nutzung der ausgedehnten Waldungen in der Gegend des Kunkelspasses freie Hand verschafft. Kanton und Bund beteiligten sich mit 25 Prozent der Kosten im Betrage von 33,750 Fr. für eine angenommene Wegbreite von 2,5 m, die 67,500 Fr. erfordert hätte; die Mehrleistung für eine Ausführung des Alpweges in 3 m Breite übernahm die Gemeinde und sicherte sich so einen grossen Fortschritt. Das Erreichte blieb freilich hinter den Erwartungen einer frühern Zeit zurück, die in den 70er und 80er Jahren im Gedanken der Schöpfung einer Verkehrsstrasse Tamins-Vättis durch die Kantone Graubünden und St. Gallen gipfelten. Dieses Strassenprojekt hatte zu Beginn der 90er Jahre strategische Befürwortung durch die Obersten Hungerbühler, von Sprecher und Wassmer gefunden, und es fand darauf ein von den beiden Kantonsregierungen angeordneter Augenschein statt, der aber keine greifbaren Resultate lieferte. Trotzdem wurde in den Jahren 1896-97 die Projektierung von den Gemeinden Vättis, Tamins und andern Interessenten durchgeführt und auf Grund der Studien ein Kostenvoranschlag von 300,000 Fr. aufgestellt. Die Subventionierung durch die Kantone erfolgte jedoch nicht und infolge dessen auch kein Beitrag des Bundes, worauf 1911 das Strassenprojekt gänzlich fallen gelassen wurde. (Die im Vorstehenden benutzten technischen Notizen wurden einem von Hr. Kulturingenieur O. Good im „Bündner. Ing.- und Architektenverein“ am 3. März 1915 gehaltenen Vortrag entnommen, für welchen Hr. Präs. U. Färber-Tamins die historischen Daten geliefert hatte.) …
Die unübertrefflich schöne Flora der Bergwiesen, Quell- und Sumpffluren der freundlichen Maiensässe von Kunkels wird auf jeden Besucher von bleibendem Eindruck sein. … Wir folgen dem murmelnden, glucksenden Görbsbache zwischen den friedlichen Hütten. Etwa in halber Weglänge zwischen dem obern Kunkels und dem Dorfe Vättis, an der Grenzlinie von Graubünden und St. Gallen, öffnet sich zur Linken das Tälchen der Alp Ramuz… Eng ist das Tal und die Gebirgswelt von Vättis, aber seine nähere und weitere Umgebung bietet dennoch so Mannigfaltiges, Schönes und Belehrendes, dass sich ein Aufenthalt am Orte, wo die brausende Tamina den felsigen Engen des romantischen Calfeusertales entströmt, für jeden Alpenfreund reichlich lohnen muss.
(Quelle: Christian Tarnuzzer in: Alpina 1917, S. 94-97)
Die Anfänge des Skisports am Flumserberg
Der Schneeschuh (Ski) in der Form, wie er für unser Terrain, dessen Konfiguration derjenigen in Norwegen sehr ähnlich ist, passt, ist der sog. Christiania-Schuh (Telemarker-Gruppe), der aus einer Holzschiene (am besten Eschenholz) besteht, die 2-2,4 m lang und 7-10 cm breit ist. Vorn breiter als hinten wirkt die aufgebogene Spitze schneepflugähnlich, so dass der hintere Teil frei passieren kann. Da beim Fahren der Schuh flach und gleichmässig aufliegen soll, ist derselbe nach oben gebogen, am stärksten in der Mitte, wo auch die Dicke bereits 3 cm erreicht, während vorn und hinten 8-10 mm Stärke genügen. Auf der Gleitfläche ist eine Führungsrinne eingeschnitten. Ungefähr in der Mitte wird der Schuh durch starkes Riemenzeug festgeschnallt.
Die Erlernung des Laufens ist nicht schwierig, jedenfalls nicht mühsamer als beim Schlittschuhlaufen. Man beginnt auf flachem Boden, indem man die Schuhe nicht hebt, sondern parallel so dicht als möglich nebeneinander vorgleiten lässt. Durch elastischen Stoss rutscht man so vorwärts, indem beim Vorschieben des einen Beines das andere entlastet wird und zu neuem Stosse ausholt. Durch ziemliche Übung wird man „Gefühl“ in die Schneeschuhe bringen, d.h. in regelmässigen Schwingungen über eine Ebene fortkommen.
(Quelle: Christof Iselin: Praktische Ergebnisse des Schneeschuhlaufens in den Glarnerbergen im Winter 1892/93. Alpina 1893, S. 60)
Den Stock benütze man nicht zu viel, sondern strenge die Beinmuskeln an. Hauptzweck des Stabes ist Lenken und Bremsen. Ein systematisches Durchführen der ersten Übungen und genaues Beobachten der Regeln wird sich rasch lohnen. An die Übungen in ebenem Terrain schliesst sich die Fahrt von Abhängen herab an. Allzusteile Hänge sind zu vermeiden, da die Geschwindigkeit leicht zu gross wird. Die Hauptregel beim Abfahren ist: „Schuhe“ fest aneinander, Kniee gebogen, einen Fuss vorgeschoben, Oberkörper vorgeneigt.
Beim Bergaufwärtsfahren werden Hänge bis 15° durch einfaches Fortgleiten wie in der Ebene genommen, doch meist in ansteigenden Kurven oder im Zickzack; – oder aber bei grösserer Steilheit, indem man aufwärts stampft oder seitwärts treppenartig emporsteigt.
Besondere Übung bedarf das Springen; da dasselbe jedoch ausschliesslich sportlicher Natur ist, trete ich heute darauf nicht ein.
Sind so die Grundelemente eingeübt, so können, ein dem Skilauf eigener Reiz, grössere Ausflüge gemacht werden, im Gegensatz zum Schlittschuhlaufen. Dabei ist der Skiläufer gezwungen, seine eigenen Wege zu gehen: auf die Sommerpfade nicht mehr achtend, sucht er stets möglichst offenes Terrain, dessen Schneedecke intakt geblieben, auf, um mit Musse den Anstieg in bequem ansteigenden Kurven zu zerlegen.
(Quelle: Christof Iselin: Praktische Ergebnisse des Schneeschuhlaufens in den Glarnerbergen im Winter 1892/93. Alpina 1893, S. 60)
Skifahren, dieser neue Sport, gehört auch in das Gebiet der Alpinistik. Die Skier (norwegische Schneeschuhe) ermöglichen es, auch in der kalten Jahreszeit selbst hohe Gipfel zu besteigen oder lange Gebirgspässe zu befahren. Große, flachere Strecken durchläuft der Ski in relativ kurzer Zeit.
Wie man sich bis jetzt für Wintertouren im Hochgebirge verschiedener Sorten von Schneereifen, kanadischen Schneeschuhen etc. bedient hat, ist auch der Ski ein neues Mittel das Einsinken in den Schnee zu verhindern, nur mit dem Unterschiede, daß er gleitet, während die ersteren gehoben werden.
Sollen wir uns dieses Mittels begeben? Ist nicht der wahre Alpenclubist auch zur Winterszeit zu allen Thaten bereit? Versetzen wir uns zurück an einen klaren Wintermorgen. Hoher Schnee bedeckt Berg und Thal. Wenn dann das Gold der Morgensonne von den höchsten Spitzen winkt und sich allmählich herabsenkt in den Tannenwald, ruft eine innere Stimme: Oh, könnte ich doch hinauf aus dem düstern Thale in den glänzenden Sonnenschein, wo Herz und Blick sich weiten!
Um die praktische Verwendbarkeit der Ski im Gebirge klarzulegen, skizziere ich kurz die Fahrt von Matt (Sernfthal) nach Flums, deren Längenprofil in den verschiedensten Gefällen variiert. ….
Am 2. Januar 1897 trafen in den Winkelhütten (1520 m) im Krauchthal acht Mitglieder der Sektion Tödi S.A.C. zusammen, die mit Skiern und Bremsstöcken bewaffnet in ihrer nordischen Ausrüstung und Kleidung einen fast komischen Anblick boten. …
Das Wetter war wunderbar klar; kalt blies der Wind vom Spitzmeilen herunter. Die Schneelage zum Fahren war ausgezeichnet, staubig und dicht. Schon von Unter-Rieseten an leisteten die Skier gute Dienste. Mühsam arbeitete sich der uns begleitende Träger (der Decken für das Nachtquartier hatte) durch den meterhohen Schnee bis an die Brust einsinkend, während wir ohne Anstrengung, kaum 10 Centimeter einfallend, das Terrain durchfurchten. …
Aufbruch am 3. Januar 7 Uhr 30 Min. Wetter wundervoll. Temperatur -15° Celsius. Richtung Werbenhütten zu hinterst im Thale. Einer hinter dem andern schleifend, sind wir schon um 8 Uhr bei der Vereinigung der Quellbäche und orientieren uns für den Aufstieg ins Stäfeli. Der Sommerweg ist zu steil, führt durch kleine Couloirs und ist lawinengefährlich. Der Skiläufer benötigt bequemen Anstieg, nicht zu steile, möglichst breite, nicht coupierte Fläche, um große Zickzacklinien ziehen zu können. … 36 Kehren waren nötig, um sich auf diese Höhe (400 Meter ob der Thalsohle) emporzuschrauben. Die Steigung der Bahn betrug durchschnittlich 15°, beim Seitwärtstreten bis 35°. Von Wichtigkeit ist es, das Kehren der Skier an einen möglichst ebenen Platz zu verlegen; dadurch werden die Beinmuskeln geschont. …
Doch vorwärts! Noch steht ein weiter Weg bevor. Das Angenehmste, die Abfahrt, in Minuten hinabzusausen frisch und keck, wo im Sommer halbe Stunden nötig sind, ist ein herrliches Vergnügen, das alle Mühen des Aufstieges vergessen macht.
In 10 Minuten sind wir schon drüben am Ostende der gleich hohen Schönegg, dann im Fluge hinab zu dem Hüttendörfchen Fursch (1734 m). … Die Abfahrt nach Fursch ist so herrlich, daß wir nochmals ein großes Stück emporsteigen, um ein zweites Mal hinabzusausen. Die von Karrenlöchern sonst stark coupierten Plateaus des Madseeli und von Bell waren vom Föhnschneesturm fast ausgeebnet worden. Wunderliche Trichter hatten sich durch den wirbelnden Schnee ausgebildet; der Vorfahrer mußte wohl aufpassen, nicht hineinzugeraten. Gwächten von einigen Metern Dicke krönten die Abstürze, auch da war große Vorsicht am Platze. Die Schneehöhe im Mittel betrug 1,2 bis 2 Meter.
Den kleinen Aufstieg zu den Banüölhütten spüren wir ordentlich in den Beinen. Nach ¼ Stunde ist er überwunden und um 2 Uhr stärken wir uns vor den stattlichen Gebäuden sitzend, allen guten Vorsätzen zum Trotz, mit Veltliner. …
3 Uhr Abfahrt nach Prod (1570 m), links und rechts vom Sommerweg abweichend, Serpentinen ziehend, den hochstämmigen Tannenwald durchstreifend, über Steine und kleine Absätze hinwegspringend wie Gemsen.
Prod, das wäre der richtige Ort für eine Skiläuferkolonie. Auf den flachen Alpen sich herumzutummeln, die entzückende Rundsicht vor Augen, wäre ein Hochgenuß. In schönen Proportionen steigt das Silvrettagebirge empor, Kätikou und Hochwang dienen ihm als Piedestal. Dieses scharf perspektivisch wirkende Bild werden wir nie vergessen, coulissenartig schieben sich die einzelnen Ketten hintereinander und bauen sich zugleich amphitheatralisch bis zum Piz Buin auf.
Da blieben wir, bis die hereinbrechende Nacht uns zwang, Abschied zu nehmen. Auf den Skiern sitzend, ging’s in lustiger Fahrt nach Flums, von wo wir noch gleichen Abends per Dampf zu unsern Penaten gelangten.
Die befahrene Strecke von Winkel bis Flums mißt rund 30 Kilometer. Wir brauchten also, 2 ½ Stunden Rast abgerechnet, 9 Stunden, gewiß eine hübsche Leistung, wenn man noch berücksichtigt, daß einer der Teilnehmer noch Anfänger im Skifahren war und seine häufigen Purzelbäume uns zwangen, oft zu warten.
Geübte Skiläufer werden (ohne Rast) 6 Stunden brauchen, 4 für den Aufstieg und 2 für die Abfahrt. Wer aber genießen will, kommt unter 9 Stunden nicht weg.
Die Erfahrungen aus dieser ((und anderen ausgeführten Touren)) sind sehr mannigfaltige. Ich will versuchen, dieselben in einige kurze Sätze und Winke zusammenzustellen.
1) Der norwegische Schneeschuh (Ski) eignet sich gut für die flachern Teile des Hochgebirges, als Alpenweiden, Paßübergänge, Firnfelder etc.; das Terrain soll offen, nicht coupiert und nicht zu stark accentuiert sein.
2) Mit großem Kraftaufwand können auch steile Hänge im Zickzack oder durch Seitwärtstreten genommen werden. Schneereifen sind hier im Durchschnitt vorzuziehen. Mit den Skiern soll nicht geklettert werden.
3) Vor Antreten einer Gebirgstour soll die Beschaffenheit der Schneelage bekannt sein. Bei ganz durchweichtem Schnee hat man Grundlawinen, bei trockenem, staubigem Schnee, der mit dem hartgefrorenen Boden nicht verbunden ist, Staublawinen zu befürchten oder kann solche durch sein Gewicht verursachen. Nach Schneefall muß man 1 bis 2 Tage mindestens warten, bis sich der Schnee konsolidiert hat. Die beste und sicherste Bahn giebt die mit dem Boden fest verbundene (angefrorene) Schicht, auf der eine Lage staubigen Schnees von 10-20 Centimeter liegt. Harter Schnee taugt gar nichts, der Aufstieg ist sehr mühsam, die Abfahrt gefährlich.
4) Die Ausrüstung soll sich auf das notwendigste beschränken. Der Skiläufer soll sich nicht zum Träger erniedrigen. Wollene Kleider mit Reserve sind zu empfehlen. Als Fußbekleidung haben sich die russischen Gummischneeschuhe, die über die andern Schuhe angezogen werden, sehr bewährt. Ein 2 Meter langer Bambusstock mit Stahlscheibe ist notwendig.
Ich hoffe, dass diese Aufschlüsse manchem Club- und Skigefährten willkommen sein werden. Der Skilauf, dieser herrliche neue Sport, erschliesst uns das Gebirge auch im Winter; er wird für die Mitglieder des S.A.C. eine neue Ära von Thaten eröffnen und in düsterer Jahreszeit fröhliche Gedanken wecken.
(Quelle: Jahrbuch SAC Band 32 1896)
Geheuer ist es nicht mehr am Berg
Dieses Jahr [1903] brachte eine ganz entscheidende Wendung in das Leben der Sektion. Schon vor drei Jahren hatte Herr Hch. Spoerry an einer Hauptversammlung ein Paar lange, schmale, an der Spitze aufgebogene Bretter vorgezeigt und den staunenden Bergkameraden erklärt, solche Hölzer, Ski genannt, würden in Schweden und Norwegen dazu benützt, um rasch und sicher durch tiefen, unwegsamen Schnee zu fahren. Er selber möchte die Sache auch hier ausprobieren, und er sei überzeugt davon, dass mit diesen Brettern die Möglichkeit bestehe, sogar im tiefen Winter Bergbesteigungen durchzuführen. Es scheint aber, dass die Piz Söler dem neuen Fortbewegungsmittel kein grosses Vertrauen entgegenbrachten, wenigstens ist aus den Protokollen nichts von Kursen und Skiinstruktoren zu ersehen. Ein alter Wildschütz aber erzählte mir was folgt: „In einer kalten Winternacht lauerte ich, in meinem Gaden unterhalb der Molseralp, auf einen alten Fuchs. Doch der wollte und wollte nicht zum Vorschein kommen. Mit kalten Händen und Füssen wartend, murmelte ich etwas von „der Tüfel solls holen“ und im gleichen Augenblick schoss eine, nein zwei, drei, tiefvermummte, mächtige schwarze Schatten werfende, unheimliche Gestalten in höllischem Tempo, sodass der tiefe Pulverschnee weit zur Seite gefegt wurde, direkt auf mein Versteck zu. Die Haare standen mir zu Berg, und über meinen Buckel lief es heiss und kalt. Schon glaubte ich, auf der Vordiele das Klappern von Hufen zu vernehmen, und jeden Augenblick erwartete ich den glühenden Griff des „Gottseibeiuns“ im Genick. Aber alles war still. Nach schlafloser, angstgepeinigter Nacht traute ich mich im ersten Morgengrauen heim. Bei der Tschudiwiese sah ich wieder etwas Unerklärliches. Am steilen Hang kreuzten sich drei Fährten, wie Schlittenspuren, aber ganz eng beisammen, und manchmal war ein tiefes Loch im Schnee. Und an der Bergstrasse hörte der ganze Spuk auf. Geheuer ist es nicht mehr am Berg.“
(Quelle: Hans Müller: 75 Jahre Sektion Piz Sol SAC 1873-1948, Festschrift, S. 20)
Der Skisport hat seine Berechtigung, wie kaum einer, in idealer, gesundheitlicher und praktischer Beziehung und wer sich ihm ergeben, bleibt ihm treu. Bei tiefem Schnee, unter dem alle Widerwärtigkeiten des Terrains, Stock und Stein und Sumpf, verschwinden, bei stärkender Winterluft, von Hitze und Schweiss und Staub unbelästigt, mit viel weniger Anstrengung als im Sommer die höchsten Pässe zu überwinden, ja die obersten Gipfel zu erreichen, die im Winter wunderbar reine, oft wolkenlose Aussicht zu geniessen und nachher fast mühelos in sanftem, sausendem Flug zu Tale zu schweben, ist das eine Lebenslust, ein Impuls zum Leben und Schaffen!
(Quelle: Johann Baptist Stoop: Zur Clubhütte beim Spitzmeilen. In: Alpina 1903, S. 132)
Im Winter ist der Piz Sol ein Skiberg idealster Art. Die in alpinen Kreisen hoch angesehene Abfahrt vom Fusse des Piz Sol-Gipfels über den Piz Sol-Gletscher und über den Wildsee, desgleichen die Abfahrt vom Wangsersee über die Gaffia nach Wangs suchen ihresgleichen. Diese beiden Abfahrten waren es auch, die dem Piz Sol unter den Skifahrern der Ostschweiz und selbst Süddeutschlands so viele Freunde und Bewunderer werben.
(Quelle: W. Wirth in: Alpina 1915, S. 236)
Eichhörnchen-Plage und andere wilde Tiere
Der graue Geier:
Der graue Geier (Vultur cinereus), Europas grösster Vogel (er misst bei einer Länge von 4 Fuss 9 Fuss Flugbreite), mit dunkelbraunem Mantel, bläulichem, nacktem Halse, schiefer, bräunlicher Halskrause und einem Federbusche auf jeder Schulter, sonst nur auf den Hochgebirgen Südeuropas heimisch und in seiner Lebensweise mit dem weissköpfigen Geier übereinstimmend, ist in neuster Zeit zum ersten Male in der Schweiz bemerkt und bei Pfäfers erlegt worden.
(Quelle: Das Thierleben der Alpenwelt. Friedrich von Tschudi. 1856)
Wildbret:
An Wildbrät giebt es in der Ebene und den untern Theilen der Gebirge nichts anderes als Füchse, Hasen, Tachse, Wachteln, sehr wenige Reb-Hüner, kleine und grosse Schnepfen, Enten und Halb-Enten, Wasser-Hüner und Heken-Schnarren.
In den hohen Gebirgen aber halten sich Gemsen, Auer-Hahnen, Lauf- und Schild-Hüner, Bernisen, weisse Hasen, eine Menge Marmotten oder Murmelthiere, wilde Dauben und Ring-Amseln, ferner sehr grosse Goldadler und Gold-Geyern, auf, welche aber so wol unter den jungen Gemsen, als auch unter den Schaafen und Gizzen sehr grossen Schaden thun.
(Quelle: Johann Conrad Fäsi, Die Grafschaft und Landvogtey Sargans, 1765-1768)
Eichhörnchen:
Ragaz. Die Beschädigungen der Eichhörnchen in den Wäldern zeigen sich seit Frühjahr neuerdings wieder in bedeutendem Maase. In den Staats- und Ragazer Gemeindewäldern, Badtobel, und in den Wäldern der Gemeinde Pfäfers sieht man gegenwärtig sehr viele Lärchen mit abgestorbenen Gipfeln, an denen die Nadeln dürr geworden. Der Schaden besteht nämlich darin, dass diese Thierchen 5-15’ unterhalb des Gipfels meist an mehreren Orten die Rinde abnagen, und zwar ringsum, do dass der obere Theil absterben muss, der Stamm gipfellos wird, gewöhnlich dann anfault und überhaupt zum Krüppel wird und bleibt! Nicht nur jüngere Lärchen, sondern auch ältere und leider oft sehr werthvolle Stämme unterliegen diesen Beschädigungen, und mancher schöne Waldbestand wird arg ruinirt.
(Quelle: Alpenpost 1874)
Ragaz. Wie haben schon wiederholt berichtet von dem Schaden, den die grosse Zahl von Eichhörnchen in den Waldungen des Bezirkes Sargans angerichtet, und von den Verfügungen, welche der Regierungsrath zum Schutze der Waldungen getroffen. Die Verfügungen haben sich als unzureichend herausgestellt. Aus einem Berichte des Fortinspektorats vom 11. l. M. geht hervor, dass der an ca. 2000 20-40jährigen Lärchen angerichtete Schaden auf 20’000 Fr. anzusetzen und dass namentlich die Waldungen von Vasön, Valens, Pfäfers und Ragaz, weniger diejenigen von Oberterzen und Berschis beschädigt sind.
Es werden daher die Gemeinderäthe von Pfäfers, Ragaz, Quarten und Wallenstadt angewiesen, mindestens je 6 zuverlässigen Schützen die Jagd auf die verderblichen Nager bis Ende Mai zu gestatten und ihnen für jedes erlegte Thierchen ein Schussgeld von 1 Fr. auszusetzen. Die gleiche Bewilligung und die gleiche Entschädigung wird den Bannwarten des Staates und der Gemeinden ertheilt. Das Schussgeld soll von den Verwaltungen der betreffenden waldbesitzenden Gemeinden bestritten werden.
(Quelle: Alpenpost 1874)
Steinböcke:
Man erinnert sich, dass seiner Zeit in Arosa Versuche gemacht wurden, den Steinbock in unsern Bergen wieder einzubürgern; leider ohne Erfolg. In neuerer Zeit hat sich Herr Fr. Bertschinger, Seidenfabrikant in Wallisellen, grosse Mühe gegeben, am Fluhbrig (Kt. Schwyz) das gleiche Ziel zu erreichen. Zu diesem Zwecke erwarb er grosse Strecken Landes, auf dem er junge Steinböcke und anderes Wild aufzog. Die günstigen Aussichten, die sich anfänglich zeigten, schlugen aber infolge schlimmer Witterung und anderer Umstände fehl, sodass die tatkräftigen Bemühungen bis jetzt nicht den Erfolg hatten, welchen der Eifer des Unternehmers verdient hätte.
Nun vernehmen wir, dass ein neuer Versuch gemacht werden soll, und zwar diesmal von behördlicher Seite aus. Zwischen der Regierung des Kantons St. Gallen, dem eidgen. Oberforstinspektorat und der Wildparkkommission in St. Gallen ist eine Vereinbarung getroffen worden, nach welcher die genannte Kommission dem Staate fünf Steinböcke aus der Wildparkkolonie Peter und Paul bei St. Gallen überlässt. Es ist ein dreijähriger Bock, eine Geiss und ein Bock von je zwei Jahren und zwei einjährige weibliche Exemplare. Die Tiere sollen ausgesetzt werden auf der ca. 1 ½ Stunden von Weisstannen entfernten, auf der linken Seite des Lavtinatales gelegenen Alp „Rappenloch“ (ca. 1600m), die hiefür speziell als geeignet betrachtet wird.
(Quelle: Alpina 1911, S. 13f.)
Im Osten von Elm stehen die beiden Scheiben, als nördliche Pfeiler des Saurenstockes oder Piz Sardona. Sie sind nur von wenigen bewohnten Punkten aus sichtbar, haben keine berühmte Aussicht und sind so rauhe Gesellen, dass deren Bekanntschaft zu machen nicht verlockend ist. Nur die Steinböcke im nahen Asyl der Grauen Hörner scheinen Interesse an den schwarzen Felszacken zu finden, denn Jäger wollen letztes Jahr zwei dieser scheuen Tiere in den Felsen der Scheibe beobachtet haben.
(Quelle: SAC Jahrbuch 1930. Rudolf Streift.)
Gletscherschwund auch im St. Galler Oberland
Das Zurücktreten der Gletscher in den Alpen
Die Gletschermannen des S.A.C., die von den diesjährigen Hochgebirgs-Excursionen zurückkehren, können ihrer Verwunderung über das gewaltige Zurücktreten der Gletscher seit einigen Jahren und besonders in diesem Sommer kaum genug Luft machen. Die Dufourkarte stimmt in der Gletscherregion mit der Wirklichkeit an sehr vielen Orten nicht mehr, indem kilometerlange Moränen an die Stelle vieler Gletscherränder getreten sind. Wenn dieses Abschmelzen in dem Masse vor sich geht, wie in den letzten Jahren, so werden mehrere kleinere Gletscher nach einem Decennium nur noch auf den ältern Karten zu finden sein. Von einem Rauherwerden unseres Climas kann also keine Rede sein, vielmehr gehen wir einer wärmern Epoche entgegen. «Die Gletschermannen sollten daher bei Zeiten das Project der Unterwassersetzung der Wüste Sahara unterstützen, um ihre Eisfelder vor dem Untergange zu retten,» meinte jüngst ein ängstlicher Bergfex.
(Quelle: Die Alpenpost 1874)
Das gemüthliche Privatgletscherchen
Aus der neuern Zeit erkennen wir eine bedeutende Abnahme des sog. ewigen Schnee’s. Bei vielen der kleinen Gletscher sehen wir das Zurückweichen der Zunge an den verlassenen Moränen, andere sind ganz verschwunden; eine Vergleichung der ältern (aus den 40er Jahren stammenden) und der neuern Aufnahmen gibt darüber Aufschluss. Am Calanda liegt, mit Ausnahme von Lawinenresten, nach besonders schneereichen Wintern kein perennirender Schnee mehr. In den Grauen Hörnern haben wir noch das gemüthliche “Privatgletscherchen”, genannt Pizsolgletscher, das aber auch um ca. 400 m, fast seine halbe Länge, zurückgegangen ist, daneben 2 Fetzen östlich und westlich des Pizsol. Um den Erstern wäre es schade, wenn er verschwinden müsste, er gibt jenem Kessel mit den schwarzen und rothen Hörnern ringsum und dem blauen See, den man erst erblickt, wenn man von allen Seiten Gräte überklettert, einen ganz wundervollen Reiz. Wir glauben in einem alten Krater zu weilen, den die Natur ganz vergessen hat, den auch die Sonne nur halbwegs ausgebrannt. In dem besonders schneefressenden Sommer 1886 sah es schon sehr frühe um die Grauen Hörner herum bedenklich grau aus; dem entsprach auch eine ausserordentliche Abnahme der Pfäverser-Therme. In der Ringelspitzkette haben wir dieselbe Erscheinung einer starken Abnahme der Gletscher nach Ausdehnung und Tiefe; doch sind dort die Reste noch etwas solider, namentlich am Ringelspitz selber sitzt noch eine wackere Kappe.
(Fridolin Becker: Itinerarium für das Excursionsgebiet des S.A.C. 1888: Graue Hörner – Calanda – Ringelspitz. Glarus 1888, S. 12)
Erstellung und Unterhalt der Bergwege in den Churfirsten
1. Allgemeines zu den Bergwegen
Das Komite beschließt, die Anregung zu machen, an vielbegangenen oder interessanten Bergübergängen Weg- und Orientirungszeichen mit roter Ölfarbe anzubringen, welche bei Nebel und Schneewetter ungemein zur Sicherheit beitragen, mit Hinweis auf das Gebiet des D. Ö. A. V. In Aussicht genommen sind vorläufig: Malun Faulfirst; Scheff Kalttäli Sichelkamm; Vergada Gulms Naus; Lüsis Niedere Schlewiz; Valsloch Hinterruck; Schleichübel Selun; Gacht Leistkamm; Galanstürli Erdis Mühlebach; Wißmil Mühlebach; Mad Schönbühl Krauchtal.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 9. Februar 1895 Rebstock Flums)
Betr. Verbesserung und Markirung der Kurfürstenwege werden vorgelegt: 1 Schreiben der Sektion Toggenburg, welche im Säntisgebiet noch ganz beansprucht sei, aber den Verkehrsverein Obertoggenburg zur Mitwirkung ermuntern wolle; ferner 1 Schreiben von Gmdamm. Zagy zu den “7 Kurfürsten”, welcher in Aussicht stellt, daß der Falzlochweg von verschiedenen Interessenten in Wallenstadt verbessert werde, und daß er auf der andern Seite der Kurfürsten die Gemeindammänner von Alt St. Johann, Wildhaus und Grabs für die Sache interessirt habe. Präsident Knecht teilt mit, daß er mit der Erstellung des Weges in der Gacht den Bergführer Josef Thoma Vater Wallenstadt beauftragt habe. Kassier Lippuner will mit dem Zurüsten und Aufstellen von Stangen über die Niedere Lüsis heuer beauftragen, womit man einverstanden ist.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 4. Mai 1899 im Rebstock in Flums)
Das Anerbieten unseres Clubgenossen Major Egli in Wallenstadt, die Kurfürstenpässe bei Militärausmärschen auf Staatskosten mit Farbe markiren zu lassen, wird mit bester Verdankung angenommen.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 23. Mai 1899 zum Löwen Flums)
Auf das Schreiben der Sektion Toggenburg wegen Verbesserung und Markirung der Kurfürstenpässe wird erwidert, daß Gacht und Falzloch auf unserer Seite letztes Jahr verbessert bezw. markirt worden seien. Dagegen sind wir bereit, für gemeinsame Verbesserung und Markirung des Niederepasses etwas zu tun. Es sollen auch die Gemeinden Wallenstadt, Wildhaus und Grabs bei der Verbesserung dieses vielbegangenen Passes sich beteiligen.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung Sonntag 11. März 1900 in der “Linde” in Berschis)
Wegverbesserung in den Churfirsten:
Laut Angaben in der Comitésitzung vom 22. Dezember 1900 im Löwen in Flums erhielt die Section Piz Sol vom Gemeinderat Wallenstadt einen Beitrag von Fr. 200 für Verbesserungen & Anlagen von Wegen im Gebirge der Gemeinde Wallenstadt. Hievon waren Fr. 50 bestimmt für Verbesserungen im Falzloch. Nach dem Bericht vom 27. Dezember 1900 wurden diese ihrer Bestimmung gemäss verwendet. 150 Fr. waren bestimmt für eine Wegverbesserung: Lüsis-Niedere. Davon wurden 85 Fr. zur Markierung dieses Weges verwendet. Die Ausführung der Anlage scheiterte am Mangel weiterer Unterstützung. Es trat ein anderes Projekt in den Vordergrund: Eine Wegmarkierung resp. Anlegung von Schrina-Obersäss durch den Steinlebach ins Brisithal. Bei Gelegenheit des Baues einer Zufahrtslinie für obige Route durch den Verkehrsverein von Wallenstadt-Berg beschliesst das Comitée der Section eine Unterstützung von Fr. 50. Nach Anfrage an den tit. Gemeinderat von Wallenstadt wurde dieser Beitrag auch verabreicht. Die sog. Zufahrtslinie Buch-Sitzstein-Tschingla wurde denn auch vom Verkehrsverein Wallenstadt-Berg recht gut ausgeführt. Hiemit wurden verausgabt:
für Valsloch Fr. 50
für Lüsis-Niedere Fr. 85
für Buch-Sitzstein Fr. 50
Summa 185.00 Fr.
Der Aktuar H. Bernold
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitéesitzung am 29. Mai 1901 im Schäfle in Mels)
Sektion Piz Sol..… Die im letzten Jahresberichte angeregte Weganlage zum Zwecke der Erschliessung der mittleren Kurfirsten, Palischrinna-Brisithal, wurde nach eingehendem Studium von der Versammlung zur Ausführung beschlossen. Ferner wurden für das kommende Jahr Wegmarkierungen im Gebiete der Grauen Hörner gutgeheissen.
(Quelle: SAC Jahrbuch 1901-1902)
Berichterstattung über das Subventionsgesuch beim Centralcomité in Winterthur
Von dem engern Comité wurde folgende Zusammenstellung gemacht und mit Hochdruck dem Centralcomité ans Herz gelegt:
Zusammenstellung
A. ausgeführte Arbeiten
Kosten gewünschte Subvention
Fr. % Fr.
1. Wegmarkirung: Calanda Vättis 70.- 50 35.-
1898 ausgeführt
2. Wegmarkirung im Falzloch 50.- 50 25.-
1900 ausgeführt
3. Wegmarkirung: Lüsis-Niedere 90.- 50 45.-
1900 ausgeführt
4. Weganlage Buch-Sitzstein und Verbesserung 70.- 50 35.-
in der Gacht, 1901 ausgeführt
5. Verbesserung am Tril Schräa Wisli 100.- 50 50.-
1901 ausgeführt
380.- 190.-
= Total der ausgeführten Arbeiten
B. Projektierte Arbeiten
Kosten gewünschte Subvention
Fr. % Fr.
1. Weganlage: Balis-Balisniedere 400.- 75 300.-
2. Wegmarkirung & Verbesserung: 100.- 50 50.-
Alp Lavtina – Piz Sol
3. Wegmarkirung: Gaffia & Lasa – 100.- 50 50.-
Wildseefürkli – Piz Sol
4. Wegmarkirung auf La Gauschla 150.- 50 75.-
5. Verbesserung am Tril auf Gaffia 100.- 50 50.-
6. Mobiliarerneuerung in Schräa Wisli & 200.- 70 140.-
Alp Gaffia
Total: 1430.- 855.-
Total der gewünschten Subvention: Fr. 855.
N.B. Eine ausführliche Begründung des Subventionsgesuches nebst detailirten Voranschlägen entsprechend dem eingesandten Original findet sich in der Bibliothek.
Beschlussfassung über die Anhandnahme der Projekte & Arbeiten für Weganlagen
Die Ausführung der Arbeiten im Gebiete der grauen Hörner übernimmt Herr Cassier Fritz Schmid & gedenkt dazu die Führer Hobi & Rupp zu verwenden.
Die Leitung der Arbeiten im Churfirstengebiet will der Actuar an Hand nehmen & wünscht dass die Arbeiten an Hans Linder (Schuhmacher) Wallenstadt Berg übergeben werden, da sich derselbe durch die solide Ausführung des sog. Sitzstein-Weges bestens empfohlen hatte. Dem Actuar wurde Vollmacht zu Unterhandlungen erteilt.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Comitésitzung d. 5. April 1902 z. Schäfle in Mels)
Versicherungs-Angelegenheit für Wegbauunternehmer
Nach den Erkundigungen des Herrn Praesidenten bei 2 Versicherungsgesellschaften stellen sich die zu erfüllenden Bedingungen so hoch, dass in Rücksicht auf die Cassa von einer Versicherung der Arbeiter im Churfirstengebiet, die eben in Frage sind vorläufig keine Rede sein kann.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Vorstandssitzung Samstag 3. Mai [1902] Abends 8 Uhr Schäfli Mels)
Bericht über die Anhandnahme der Arbeiten des Brisiweges: Der Entwurf des vom Unternehmer Hans Linder Wallenstadt Berg zu unterschreibenden Vertrages wird genehmigt. Der Vertrag behandelt lediglich den Einheitspreis & die Bauvorschriften.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Vorstandssitzung am 17. Juli 1902 im Schäfli, Mels)
Wegbauten im Churfirstengebiet:
Am 22. Juli verunglückte bei den Arbeiten am Brisiweg der Unternehmer Johann Linder von Wallenstadt Berg. Nach allen Angaben erfolgte der Tod durch Steinschlag. Sohn Johann Linder & Mitarbeiter Emil Linder von Wallenstadt Berg anerbieten sich die Arbeit weiterzuführen. Ihrem Anerbieten wird gerne entsprochen & wird der Actuar in diesem Sinne beauftragt.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Vorstandssitzung 2. August 1902 im Schäfle, Mels)
Von den Accordanten des Brisiweges liegt eine Rechnung vor im Betrage von Fr. 465.
Nach dem Ausmaass durch den Actuar beträgt die Weglänge vom Eingang in die Tännlibach-Runs bis auf den Grat des Brisithales rund 900 m was zu dem vereinbarten Einheitspreis von Fr. 0,50 die Summe von 450 Fr. ausmacht. 15 Fr. wurden als Taglohn verrechnet für Verbesserung und Markierung der Zugänge. Die Rechnung wird anerkannt & dem Cassier überwiesen.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Vorstandssitzung 16. Aug. 1902 im Schäfli Mels)
Es wurden auch verschiedene Wegmarkierungen ausgeführt im Churfirstengebiet und beim Galanstürli, um Unglücksfällen vorzubeugen, wie sie an letzterem Ort infolge mangelhafter Wegkenntnis der Touristen vorgekommen sind.
(Quelle: SAC Jahrbuch 1906-1907)
2. Die Gacht (Gocht)
Section Alvier. Wegverbesserungen wurden ausgeführt am Leistkamm (Churfirstenkette); indem die von diesem Gipfel zu den Wallenstadter Alpen hinunter führende Gacht besser gangbar gemacht wurde, ist die herrliche Tour Amden-Leistkamm-Wallenstadt auch mittelmässigen Touristen ermöglicht.
(Quelle: SAC Jahrbuch 1880)
Es wird beschlossen, mit den Wegmarkierungen bei der Leistkammtour durch die Gacht hinauf den Anfang zu machen.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 19. Mai [1895] Post Flums)
Wegmarkirung: Sälz Gacht Leistkamm.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 31. Januar 1896 im Rebstock Flums)
Es wird beschlossen, von Schwaldis durch die Gacht eine Wegverbesserung ausführen zu lassen durch unsern patentirten Bergführer Josef Thoma Vater Wallenstadt mit einem Beitrag aus der Sektionskasse.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 8. Januar 1899 im Löwen Flums)
Betr. Wegverbesserung in der Gacht wird beschlossen, dieselbe durch unsern Bergführer Josef Thoma Vater in Wallenstadt ausführen zu lassen. Für Verbesserung des Weges durch das Falzloch glaubt Clubgenosse Gmdamm. Zagy in Wallenstadt die Alpgenossenschaft Bülz und andere Interessenten gewinnen zu können.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 12. April 1899 im Löwen in Flums)
Bergführer Josef Thoma Vater in Wallenstadt soll aufgefordert werden, die ihm übertragene Wegverbesserung in der Gacht unverzüglich auszuführen.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 30. Juni 1899 im Rebstock Flums)
Wegbau bei der Gacht
Im «Fremdenblatt für die Ostschweiz» lesen wir: Auf Anregung der Sektion Piz Sol, welche letztes Jahr aus eigenen Mitteln den Weg durch die Gacht (1959m) zum zweiten Mal erstellen liess, hat der Gemeinderat von Wallenstadt einen Beitrag von Fr. 200 zur Verbesserung der Churfirstenpässe beschlossen, und zwar Fr. 150 an den Weg von Lösis auf die Niedere (1833m) und Fr. 50 an den Weg durch das Falzloch zum Hinterruck und zum Käserruck. Es ist zu erwarten, dass die andern interessierten Gemeinden, Korporationen, Verkehrsvereine u.s.w. durch entsprechende Leistungen die Erstellung eines ordentlichen Fusswegs ermöglichen, als Verbindung der sonst durch ein unwegsames Felsengebirge von durchschnittlich 2000m Höhe auf eine Strecke von über 20 Kilometern getrennten Landschaften Toggenburg und Werdenberg einerseits und Sargans anderseits.
(Quelle: Alpina 1900)
Anstiegsvariante zur Gacht am Leistkamm
Anregende Kletterei liebende Clubisten, die der herrlichen Aussichtswarte des Leistkamms von Süden aus einen Besuch abzustatten gedenken, seien auf folgenden direkten Anstieg zur Gacht aufmerksam gemacht:
Von den 2 ½ Stunden ob Quinten gelegenen Alphütten «Laubegg», deren stets reichliches Heulager als ordentliches Nachtquartier und Ausgangspunkt in Betracht fallen, verfolgt man vorerst den in östlicher Richtung über «Stäfeli» zur Alpterrasse, P. 1554 ansteigenden Weg, der sich nunmehr wenig an Höhe einbüssend, zur buchtartig eingefressenen Mulde des Aubaches hinüberzieht. Hier, direkt südlich unter der Ausmündung des Gachtsteilhanges leitet die Fortsetzung des im obern Teil meist trockenen (im T. A. deutlich eingezeichneten) Bettes in Form einer kaminartigen Rinne zu den 300 m höher liegenden Bändern unter den Wänden des Vorderleist, die mit ihrem soliden Gestein die Aufstiegsvariante darstellt. Eine nicht unschwierige Felspartie zur Linken vermittelt den Einstieg in das bezeichnete Kamin, das mit seinen gestuften Absätzen in prächtiger, mittelschwerer Kletterei begangen wird. Ein hoher, eingeklemmter und glattgescheuerter Block, dessen Ueberwindung auch den Kraxlern, die mit langen Extremitäten ausgestattet sind, als klettertechnischer Leckerbissen zu schaffen gibt, und einige flotte Ausweichstellen bald links, bald rechts der Rinne sorgen für hübsche Abwechslung. Das Kamin verliert bei der Ausmündung auf die obgenannten charakteristischen Rasenbänder sein auffallendes Gepräge. Mit einer kurzen Horizontaltraverse nach rechts erreicht man die markierten Pfadspuren des eigentlichen Gachtsteiges direkt bei der Ausmündung, und vollzieht den weitern Aufstieg auf dieser altbekannten, wegen ihrer wilderhabenen Naturschönheit aber stets aufs Neue anregenden Route. In Verbindung mit der Ueberschreitung der drei Leistkammgipfel, deren «Mittlerer» scheint’s immer noch nicht «Modeberg» geworden ist, lässt sich die geschilderte Anstiegsvariante als eine technisch wie landschaftlich äusserst lohnende Voralpenexkursion qualifizieren, die dank günstiger Bahnverbindungen gegenüber gleichartigen Bergen ausserdem den grossen Vorzug hat, dem Bergsteiger auch in beschränkter Zeit die Abwicklung eines hübschen Programms ohne Hast zu ermöglichen.
(Quelle: Alpina 1912)
Ebenso macht Herr Bankverwalter Stoop in Flums auf die Gefährlichkeit des Abstieges nach der sog. Gacht aufmerksam und macht den Antrag die Section möge eine bessere Wegmarkierung erstellen.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Comitésitzung 12. Sept. 1906 in der Krone Ragaz)
3. Das Falzloch
Auf die Anregung der Rechnungskommission betr. Erstellung eines leichteren Aufstieges vom Lüsis zum Tristenkolben, bezw. eines besseren Überganges aus dem Sarganserland ins Obertoggenburg von Wallenstadt über Bülz Kammsäßli Falzloch Schlachtboden Alt St. Johann oder Wildhaus wird beschlossen, durch Publikationen und Korrespondenzen das erforderliche Interesse und nach erforderlichere finanzielle Unterstützung zu suchen.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 29. März [1896] im Rebstock Flums)
Sektion Piz Sol. … Erstellung des Weges vom Jahre 1445 aus dem Sarganserland ins Obertoggenburg über den Schlachtboden; alpines Notsignal; Anwendung der Signale der Gotthardtruppen beim S. A. C.
(Quelle: SAC Jahrbuch 1896-97)
Zur Wiederherstellung des 1445 angelegten Paßweges aus dem Sarganserland ins Obertoggenburg durch das Falzloch wird beschlossen, gelegentlich das eidgenössische Generalstabsbüreau auf die Bedeutung dieses Passes für den Waffenplatz Wallenstadt und in allg. militärischer Beziehung aufmerksam zu machen und dafür zu interessiren.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 7. März 1897 im Rebstock Flums)
Der Weg durch das Falzloch wird dem Bergführer Josef Thoma Vater in Wallenstadt zur Ausführung im Taglohn übergeben.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 28. Mai 1900 in der “Linde” in Berschis)
Betr. Weg im Falzloch solle Präsident Knecht mit Bergführer Thoma in Wallenstadt über die Ausführung abmachen.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 3. Juli 1900 in den Kurfürsten in Wallenstadt)
Bergführer Josef Thoma Wallenstadt meldet die Ausführung des Falzlochweges. Derselbe soll baldmöglich durch eine Abordnung des Comites begangen werden.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 31. Juli 1900 im Löwen Flums)
Die Kostenrechnung von Josef Thoma Bergführer in Wallenstadt für die Erstellung des Weges im Falzloch im Betrag von Fr. 80.- wird genehmigt, mit der Bedingung, daß Thoma nächstes Jahr noch einige Verbesserungen mache. Der Gemeinderat von Wallenstadt soll um Auszahlung des beschlossenen Beitrages von Fr. 50.- an den Weg im Falzloch ersucht werden.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 6. Oktober 1900 im Löwen in Flums)
4. Der Niedereweg
Es wird auch noch die Markirung des Passes Lüsis Niedere Wildhaus in Aussicht genommen, und zwar durch Stangen wie auf den Amdener Höhen sind, und durch Farbanstrich an Felsen. Die Sektion Toggenburg soll eingeladen werden, dasselbe auf ihrer Seite zu tun.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 12. April 1899 im Löwen in Flums)
Nachdem der Gemeinderat von Wallenstadt an den Weg über die Niedere einen Beitrag von Fr. 150.- und durch das Falzloch Fr. 50.- genehmigt hat, wird beschlossen, die Strecke Lüsis-Niedere zu begehen, den Weg auszustecken mit 20-25% Gefäll, Plan und Kostenvoranschlag zu erstellen, der Regierung des Kantons St. Gallen und dem Central-Comite mit Subventionsgesuch einzusenden. Als Fachleute werden beigezogen Bernold, Bürer und Wildhaber. Eingeladen wird der Gemeinderat von Wallenstadt, die Ortsverwaltung von Tscherlach und das Comite der Sektion Toggenburg, auf Pfingstmontag Abmarsch Morgen 5 Uhr vom Landhaus in Tscherlach.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 28. Mai 1900 in der “Linde” in Berschis)
Betr. Niedereweg wird folgendes Schreiben beschlossen:
An den Regierungsrat des Kantons St. Gallen
Seit vielen Jahren wurde wiederholt und von verschiedenen Seiten die Anregung gemacht, es solle über die Niedere 1833 m. ein guter Fußweg erstellt werden, als Verbindung der sonst durch ein unwegsames Felsengebirge von durchschnittlich 2000 m. Höhe auf eine Strecke von über 20 Kilometer getrennten Landschaften Toggenburg und Werdenberg, Thurtal und Rheintal einerseits und dem Sarganserland, Seeztal und Wallensee anderseits. Da diese Verbindung vorwiegend einen volkswirtschaftlichen und militärischen Wert hat, sollte man auch eine Unterstützung von Kanton und Bund erwarten dürfen. Der Gemeinderat von Wallenstadt hat der Sektion Piz Sol des Schweizer Alpen-Clubs, die letztes Jahr einen vorwiegend dem Touristenverkehr dienenden Weg durch die Gacht 1957 m. auf ihre Kosten zum zweitenmal erstellen ließ, für den Weg vom Lüsis auf die Niedere Fr. 150.- zur Verfügung gestellt, wenn die Sektion Piz Sol für weitere Beiträge und für die Ausführung sorge. Auf das hin haben zwei Comitemitglieder mit Beizug des Präsidenten der Ortsgemeinde Tscherlach und drei Fachmännern Ingenieur Bernold, Baumeister Bürer uns Bauführer Wildhaber die Strecke begangen und einen Weg ausgesteckt nach beiliegendem Plan von Inge. Bernold, wobei folgendes in Betracht gezogen wurde: Soweit das Gebiet Privateigentum ist, hatten wir keine Befugnis, vom bisherigen Weg abzuweichen, obwohl derselbe unter der Treienruns von Kurve 1380-1420 sehr schlecht ist. Auf dem Gebiet der Ortsgemeinde Tscherlach waren wir auf die Richtung des bisherigen Weges auf dem Rücken zwischen Treienruns und Heuries angewiesen, welches den Vorteil hat, daß dieser Zug wegen seiner Lage und einigem Holzwuchs dem Steinschlag und Schneerutschen nicht ausgesetzt ist, auch an einer schöngefaßten Quelle vorbeiführt. Als Neigung nahmen wir 25-27% an. Wir steckten den Weg im Aufstieg aus und maßen denselben im Abstieg mit einem Maßband ab; abgesteckte Länge 1580 m., Breite 30-50 cm. Kostenvoranschlag von Baumeister Bürer für die Ausführung, Vorarbeiten und Aufsicht nicht inbegriffen, Fr. 800. – 900.- Diese Summe übersteigt unsere Mittel um das vielfache. In der Meinung, daß es hauptsächlich Aufgabe des Kantons sei, drei große und dichtbevölkerte Landesteile und Talschaften durch eine gute Wegsame zu verbinden, gelangen wir an Sie, den Regierungsrat des Kantons St. Gallen, mit dem Gesuch, die Erstellung des Weges über die Niedere in der Ihnen gutscheinenden Weise zu fördern und zu unterstützen, und Ihre Stellungnahme zu unserer Anregung mitzuteilen. Beilagen: 1. Schreiben des Gemeinderates von Wallenstadt 20. Mai 1900; 2. Plan des Niedereweges im Maßstab 1:2500 von Ingenieur Bernold. An das Bezirksamt Sargans zur Begutachtung und Beförderung. Hochachtend! Für das Comite der Sektion Piz Sol des Schweizer Alpen-Clubs der Präsident J. Knecht; der Aktuar: J. B. Stoop.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 12. Juni 1900 im “Landhaus” in Tscherlach)
Betr. Weg über die Niedere wird das beschlossene Schreiben an die Regierung des Kantons St. Gallen gutgeheißen; einstweilen sollen auf Lüsis Wegweiser und Stangen aufgestellt werden, wofür die Herren Lippuner und Thün besorgt sein wollen.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 3. Juli 1900 in den Kurfürsten in Wallenstadt)
Der Präsident übernimmt die Besorgung der beschlossenen Wegweiser nach Lüsis Niedere.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 31. Juli 1900 im Löwen Flums)
Kassier Lippuner berichtet, daß auf Lüsis und Niedere die Wegweisertafeln und Wegmarkirungsstangen erstellt seien; letztere seien von der Landstraße aus sichtbar.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 6. Oktober 1900 im Löwen in Flums)
Die Rechnung von Lehmann-Good Ragaz Fr. 16.- für die Wegmarkirung Lüsis-Niedere soll die Kostenrechnung verlangt und bezahlt werden.
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Komitesitzung 22. Dezember 1900 im Löwen in Flums)
An den Gemeinderat von Wallenstadt!
Mit Schreiben vom 30. Mai sicherten Sie uns für die Ausführung eines Weges über die Niedere Fr. 150.- und für Wegverbesserungen im Falzloch Fr. 50.- Beiträge zu. Auf das haben wir durch Hrn. Ingr. Hans Bernold von Wallenstadt beiliegenden Plan ausführen lassen. Der Kostenvoranschlag für 30-50 cm. Wegbreite belief sich auf Fr. 600.- 900.- Wir erwarteten vom Kanton St. Gallen einen Beitrag, wurden aber, wie Sie aus beiliegenden Protokollauszug und Schreiben entnehmen, abgewiesen, ebenso von den interessirten Gemeinden und Korporationen. Deshalb mußten wir von der Erstellung eines Weges über die Niedere vorläufig absehen und uns auf eine Wegmarkirung mit Wegweiser und Richtungsstangen beschränken, welche ausgeführt, aber noch nicht bezahlt ist, mangels Rechnungseingaben. Im Falzloch ließen wir durch Bergführer Josef Thoma in Wallenstadt den Weg verbessern, wofür bis jetzt Fr. 80.- Auslagen hatten. Auf nächstes Jahr sind noch einige Ergänzungen und Sicherungen der Weganlage im Falzloch vorgesehen.
Wir ersuchen Sie hiemit um gefl. Verabfolgung der beschlossenen Beiträge an unsern Kassier Herrn Joh. Lippuner in Tscherlach. Beim Beitrag an den Niedereweg müssen wir es Ihnen überlassen, ob Sie denselben redigiren, oder aber ganz verabfolgen wollen unter der Bedingung, daß wir den Überschuß für Weganlagen im Gebirge der Gemeinde Wallenstadt verwenden und Ihnen darüber Bericht und Rechnung ablegen. Wir gedenken speziell eine ganz sichere und für jedermann gangbare Route durch den Tannlibach in die Pallis-Chrinna, Brisital, anzulegen für die mittlern Kurfürsten, sowie als Verbindung mit den Alpen Sillamatt, Breitenalp und Selun und mit den Ortschaften Alt St. Johann, Starkenbach und Stein.
Daß die Zahl der Touristen im Kurfürstengebiet in den letzten Jahren eine bedeutende Zunahme aufweist und daß damit auch materielle Interessen von Wallenstadt gefördert werden, darf man wohl der Tätigkeit des Alpenklubs zuschreiben, womit auch eine finanzielle Unterstützung wohl begründet ist.
Ihre bewiesene Freundlichkeit und Mitwirkung bestens verdankend, verbleiben hochachtend
für das Comite der Sektion Piz Sol des Schweizer Alpen-Clubs
Der Präsident: J. Knecht. Der Aktuar: J. B. Stoop
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Brief: Flums, 27. Dezember 1900)
Sektion Piz Sol. … Es wurde eine Verbesserung der Wegsame im Curfirstengebiet angestrebt, namentlich des Passes über die Niedere (1833 m) zwischen Wallensee- und Seezthal einerseits und Rheintal und Thurthal anderseits. Durch die Clubgenossen Ingenieur Bernold und Baumeister Bürer wurden Vermessungen, Plan und Kostenvoranschlag gemacht. Da aber die eigentlichen Interessenten mit Ausnahme des Gemeinderates von Wallenstadt keine Beiträge zusicherten, wurde von der Erstellung eines Weges über die Niedere, der doch mehr allgemeinen als clubistischen Wert hätte, der Kosten wegen abgesehen, und man beschränkte sich auf eine Markierung mit Wegweisern und Richtungsstangen, ebenso die Sektion Toggenburg auf der nördlichen Seite der Passhöhe. Dagegen liessen wir im Falzloch zum Hinterruck (2309 m) und Kaiserruck durch Bergführer Josef Thoma von Wallenstadt erhebliche Wegverbesserungen ausführen, welche nächstes Jahr ergänzt werden sollen. Ebenso ist infolge der gelungenen Sektionstour auf Zustoll und Brisi die Erstellung eines sichern und für jedermann gangbaren Weges in die Pallis-Chrinna, Brisithal, als Aufstieg von Wallenstadt in die mittlern Curfirsten, in Aussicht genommen. Der Gemeinderat von Wallenstadt übergab der Sektion für diese Weganlagen Fr. 200, welche noch in Reserve sind. … Auf verschiedene Wünsche angebrachte Wegweiser von der Station Flums für Alvier, Faulfirst, Gamsberg und Sichelkamm wurden, vermutlich von den Grundbesitzern, welche auch sonst sich dagegen auflehnten, zerstört und entfernt. Es muss daher der Umweg über Berschis gemacht werden.
(Quelle: SAC Jahrbuch 1900-1901)
Der Gemeinderat von Wallenstadt an den Vorstand der Sektion Piz Sol des Schweizer Alpen-Club, in Flums
Der Gemeinderat hat nach Kenntnisnahme Ihres Schreibens vom 27. Dez. 1900 in seiner Sitzung vom 29. Dezember 1900, in Erwägung,
1. daß die Ablehnung eines Beitrages seitens der Regierung an den geplanten Niedereweg begründet erscheint; 2. daß aber aus der Gemeinde Grabs ein ansehnlicher Beitrag an die projektirte Wegverbesserung hätte vermerkt werden dürfen; 3. daß die bis dahin in fraglichen 2 Richtungen (Niedere und Valsloch) getanen Arbeiten der Sektion Piz Sol, sowie die weiter in Aussicht genommenen Wegverbesserungen in die Mitte des Churfirstengebietes auf herwärtiger Seite Anerkennung und Aufmunterung verdienen, beschlossen, a. es sei der früher beschlossene Beitrag von zusammen Fr. 200.- auf Grund der nun ausgeführten Arbeiten, sowie zur weitern Verwendung für Wegverbesserungen im Gebirge der Gemeinde Wallenstadt im Sinne des Schreibens vom 27. Dezember 1900 unverkürzt an die Sektion Piz Sol auszuhändigen; b über die Verwendung erwarte man gelegentlich weitern Bericht.
Fraglicher Beitrag von Fr. 200.- ist bereits unterm 18. Januar 1901 an Ihren Kassier Herrn Johann Lippuner in Tscherlach ausgehändigt worden. Eingesandte 4 Aktenstücke, als Plan betr. den Niedereweg, Regierungsratsbeschluß, Schreiben an Reg.Rat Zollikofer und Schreiben der Sektion Toggenburg folgen in Beilagen zu unserer Entlastung retour. Hochachtend,
der Gemeindeammann A. Heer Nam. des Gemeinderates
der Gemeinderatsschreiber Alois Wilhelm
(Quelle: Protokollbuch der Sektion Piz Sol: Brief: Wallenstadt, den 5. Februar 1901)