Alpenreise vom Jahre 1781. Gottlieb K. Storr.

… Von Tamins geht der Weg über den steilen Kunkelsberg, dessen herrschendes Gestein ebenfalls Kalk ist, ins Vättisthal. … Der Calanda hat das mit einem grossen Theile der Quergräte der Mittelalpen gemein, dass seine westliche Seite kahl, steil, und zerrissen, die östliche hingegen grün, mit Wäldern und Waiden bekleidet ist. Er stellt hier eine Reihe zackiger Gipfel vor, die sich häufig in dreieckige Blätter abschilfern. An einigen Stellen hatte er noch Schneeflecken, aber er behält, auch auf der Scheitel, den Schnee nicht immer.
Auf der Westseite hat man den Calveisserberg im Gesichte, an welchem sich ein von ihm benenntes rauhes Thal hinzieht, in welchem die Gletscher grosse Vorschritte gemacht, und die Einwohner zurückgedrängt haben.
An dieser Seite fällt eine Obeliskenförmige Felsenspitze in die Augen, die der Sennenstein genennt, und in der Gegend als ein sicherer Witterungsweiser betrachtet wird, indem man da aufsteigende Dünste, die die Aelpler trockne Heunebel nennen, für Vorboten heiterer Witterung ansieht.

Nachdem ich die Nacht in dem obersargansischen Dorfe Vättis zugebracht hatte, eilte ich am folgenden Morgen nach Valenz, dass nur zwei Stunden von Vättis, und unmittelbar über der Kluft ligt, in deren tiefem Abgrunde das Pfeffersbad versenkt ist.
Man hat in dieser Gegend öffentliche Oefen zum Dörren des Obstes, vornehmlich der Kirschen. Der Feuerheerd ist ins gevierte mit einer Mauer umgeben, und mit einer Steinplatte belegt, über welcher ein Kasten von Holz aufgerichtet ist, der sich an einer Seite öfnen lässt, zur Aufnehmung der Dörrbretter, die auf Dörrwagen eingesetzt werden.
Der Weg von Valenz zu dem Bade hinab geht an einer steilen Wand von grauem Kalkschifer hin, und ist für Pferde unzugänglich.

Die ganze Curgesellschaft versammelte sich um neun Uhr, da ich eben eintraf, in der Capelle, eine Sonntagsrede anzuhören, die von einem in der Gegend sehr geschätzten Redner, zwar mit auffallender Capucinermimik, und in dem Schulschritte seiner Mönchsrhetorik, doch, dem Inhalt nach, mit der aufmerksamsten Rücksicht auf die gemischte Versammlung, gehalten wurde.
Die Curgesellschaft war zahlreich; mit dem interessantesten Theile davon machte mich Lavater, der mit seiner Familie da war, schnell bekannt.
… Ein äusserst malerischer Anblick war es, den ganzen Weg vom Bade gegen Valenz zu, der sich an der steilen Felsenwand im Zickzack hinaufschlingt, gegen Abend gedrängt voll Menschen zu sehen.

… Aus einer Kluft an dem unteren Theile … der gegenüber stehenden … Felswand kommt die Badquelle siedend hervor, und wird durch eine Wasserleitung, mit der ein übel verwarter Stäg über die in der Tiefe hinrauschende Tamin verbunden ist, in das Badhaus übergeführt. Das Wasser kommt so warm dahin, dass die Trinklaube und die Bäder voll Qualm sind.

…Die grossen Heilkräfte des Pfeffersbads verdienen desto mehr Aufmerksamkeit, da sie sich nicht durch die gewönliche Eigenschaften vorzüglich wirksamer Heilwasser ankünden. Ausser einem unbedeutenden Kochsalzgehalte, zeigt sich nichts darinn von Salzen, Luftsäure, Schwefelleber, Eisen, oder einem andren Hauptbestandtheile der Heilwasser. Was das Pfefferswasser am meisten auszeichnet, ist ein äusserst feiner fettiger Stof, der sich durchs Gefül, auch einigermassen durchs Gesicht, und noch mehr durch einen eignen, wiewol geringen, Geschmack verrät, der mir, mit einer sehr verdünnerten Fleischbrühe die meiste Aenlichkeit zu haben schien. Von einer kalkänlichen Erde pflegt es etwas weniges zurückzulassen.
Vielleicht hat, neben der Wärme und Leichtigkeit des Wassers, die Mitwirkung der stärkenden Alpenluft, und die Gebrauchsart, die ausser den Alpen nicht sehr bekannt zu seyn scheint, auch wol nicht an jedem Orte uneingeschränkt nachgeahmt werden dürfte, an den grossen Curen, die da gemacht worden sind, den vornehmsten Anteil.
Die heroische Gebrauchsart, der man sich zu solchen Curen im Pfeffersbade, wie in anderen Bädern der Alpen, bedient, wird das Ausbaden, oder ausschlägig (nach der schweizerischen Mundart, usschlächtig) baden genennt. Man sucht, durch einen allgemeinen Hautausschlag eine Krise zu bewirken, und lässt in dieser Absicht, bei einem möglichst reichlichen, nicht nach der allzuüblichen, fehlerhaften Weise, auf den Morgen einzuschränkenden, sondern durch die ganze Tageszeit zu vertheilenden, innerlichen Gebrauche des Badwassers, täglich ein oder zweimal, nachdem es die Kräfte des Kranken erlauben, mehrere Stunden lang baden, bis ein Ausschlag auf der Haut hervorkommt. Wenn nicht die Menge des Auswurfs die Haut so sehr überfüllt, dass der Kranke sich kaum mehr zu bewegen vermag, wird der Ausschlag, durch fortgesetztes, doch vermindertes, und abgekürztes, Baden, zur Reifung und Abschälung fortgeleitet. Ausserdem schränkt man sich auf das Trinken des Badwassers ein.
Häufig war in sehr schweren Fällen schon das Abfallen des Ausschlags der Zeitpunkt der Genesung. In andren folgte die Wirkung später nach, und, was nicht unerwartet seyn kann, in noch andren war die Krise unvollkommen, oder, es hatte sich zwar der Ausschlag, aber nicht die Krise, bewirken lassen.

Auch Bäder von gemeinem Wasser würden, auf änliche Weise gebraucht, Ausschläge, und in manchen Fällen heilsame Ausschläge erregen. Selbst bei einem eingeschränkten Gebrauche veranlassen manche Gesundbäder zuweilen wider die Absicht der Badenden Ausschläge.

Ohne Rücksicht auf die besondere Eigenschaften des Pfefferswassers, scheint mir doch überhaupt der örtliche Vorzug sehr wesentlich zu seyn, den Curen dieser Art, in den Alpen, unter den Einflüssen der stärkenden Alpenluft, voraushaben, da hingegen in nidrigeren Ländern nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch die Sicherheit der Cur anders zu berechnen seyn möge, und bei gleich anhaltendem Gebrauche warmer Getränke und Bäder, der Mangel eines verhältnismässigen Gegengewichts, durch Erschlaffung, Nervenreiz, Zutriebe, und das manchartige Gefolge solcher Wirkungen, fülbar werden könnte.

(Quelle: Alpenreise vom Jahre 1781. Gottlieb K. Storr. Zweiter Theil. 1786)

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