… denn was ich bieten kann, ist keineswegs ein geologischer Vortrag, sondern mehr nur ein Konglomerat von Bemerkungen über ein Gebiet, das ich allerdings mit Vorliebe begangen habe, und zwar hauptsächlich in jenem Teile, welcher als herrlicher Gebirgskranz den Hintergrund der tiefgelegenen Voralpsee-Mulde bildet und ihr seine Gewässer zusendet. Diese Gegend ist von hohem Interesse für den Botaniker, wie für den Geologen; nicht weniger befriedigt wird der Wanderer sein, welcher nur schöne Aussicht geniessen will. Auch der Freund des Klettersports findet hier Felsgerüste für seinen Thatendrang, und nur der Gletschermann wird seine Tummelplätze vermissen. …
… Allein die Hypothese über die Entstehung der Kettengebirge durch von unten wirkenden Druck, beziehungsweise durch Eruptivgesteine, hat heute den Boden gänzlich verloren. An ihre Stelle ist die Theorie der Faltung durch seitlichen Druck (Horizontalschub) getreten, … Dass aber auch die erstgenannte Hypothese auftreten musste, ist eine psychologische Notwendigkeit, ganz abgesehen von dem scheinbar dafür sprechenden Vulkanismus; denn der Mensch, der durch Experimente der Natur ihr Geheimnis abzulauschen sucht und die grossartigen Vorgänge in der Schöpfung sich im Kleinen veranschaulichen möchte, muss an einem Tuch, einem Teppich oder einer eigens zu diesem Versuch angefertigten Masse ja augenblicklich bemerken, dass auf zwei Arten Falten erzeugt werden können, entweder durch Druck von unten oder durch seitlichen Schub. …
… Wenn man von den Bergen zwischen Schilzbach und Weisstannenthal hinabsteigt ins Seezthal und dann am gegenüberliegenden Gehänge hinaufsteigt bis auf den Gipfel des Alvier, so durchläuft man eine vollständig normale Schichtfolge von stetig ziemlich flach gegen Nordosten abfallenden Schichten ohne jede zwischenliegende Störung, als einzig den Erosionseinschnitt des Thales. … Daran vermag die hohe kleine, normal nach Nordost streichende Falte des Sichelkammes … nichts zu ändern. Der ganze gewaltige Bergkamm von den Churfirsten bis in den Gonzen streicht eben als Ganzes samt den kleinern Jurafalten in seinem tiefern Teil und samt dem Kreidekomplex von Alvier und Kammegg und dem Kreidemantel bis nach Wartau und Buchs hinab thatsächlich von Nordwest nach Südost, um das Ende des Nordflügels der Glarner Doppelfalte herum angeschmiegt, also quer zum Säntis. Jene normal streichende Sichelkammfalte, sowie noch einige andere noch geringere Störungen von normalem Streichen erscheinen nur wie unbedeutende Runzelungen der Oberhaut in dem mächtigen Berggrat, Produkte der Kollision der normalen mit der abgelenkten Streichrichtung.
Das Seez-Wallenseethal wird also als Erosionseinschnitt angesehen. Es war zeitweilig das Thal des alten Westrheins, welcher einst aus Avers und Schams über den Kunkels floss, bis er durch einen über Reichenau ihm in die Seite schneidenden Arm des Ostrheins abgelenkt wurde. … Im untern Teil des Absturzes gegen das Seez-Wallenseethal treten die Jurabildungen hervor und reichen bis in ziemlich bedeutende Höhe. Östlich von der Gauschla tritt der Jura auf den Grat des Gebirges und bildet die prächtige, kraftvolle Gestalt des Gonzen, sowie die Abhänge gegen Trübbach hinunter. …
Die Fortsetzung des Gonzen aber finden wir im Fläscherberg an der Luziensteig.
Die Churfirsten-Alvierkette ist ein typisches Kalkgebirge. Da wechseln harte, feste Kalke mit weicheren, leicht verwitternden tonigen und mergeligen Schiefern. Der reiche Wechsel von verschiedenen Gesteinsstufen macht sich schon in der Terrassierung des Gehänges bemerkbar. Die harten Kalke bilden hohe, steile Wände; die weicheren, schiefrigen Schichten dagegen ertragen nicht so steile Böschung; als sanfter geneigte, mit Vegetation oder Schutt bedeckte Verwitterungsterrassen treten sie im Profil des Berges hervor, das sich als eine gebrochene Linie darstellt. Die Verwitterungsterrassen sind, im Gegensatz zu den Erosionsterrassen, niemals horizontal.
Das Gebirge ist ausgezeichnet durch seine sehr bedeutende relative Höhe. Aus der Region des Maises und des Weinstocks schwingt es sich auf zu den mit alpiner Flora gezierten Gebirgskämmen, die in ihren höchsten Erhebungen (Faulfirst und Gemsberg) die Ebene des Rhein- und Seezthales um 1900m überragen. …
Da, wo das oberste erratische Gestein sich findet, vielleicht noch etwas höher, muss der ungeheure Eisstrom, der aus dem Kanton Graubünden sich heruntersenkte, seine obere Grenze gehabt haben. … In der Churfirsten-Alvierkette hat natürlich die Höhe der Vergletscherung bedeutend abgenommen. Auf der Alp Malbun liegen die obersten, von der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft erworbenen Blöcke in einer Höhe von 1350-1370 Meter. Ein Block, der sowohl seiner hohen Lage als auch seiner Grösse wegen der Erhaltung würdig gewesen wäre, lag auf Gampernei, östlich von Bütz in einer Höhe von gut 1400 Meter. Er wurde leider im Frühjahr 1894 gesprengt und zu einer Baute verwendet. Am Grabserberg sah ich das letzte krystallinische Stück in einer Höhe von etwas unter 1300 Meter. Wir können also mit Sicherheit sagen, dass die Gletscherdecke im Werdenbergischen eine Mächtigkeit von mindestens 800 Meter hatte. Das Churfirsten-Alviergebirge ragte, umgeben von Rhein-, Linth- und Thurgletscher, als Insel aus dem Eismeere hervor. Ein überraschender Anblick müsste einem Sterblichen zu Teil geworden sein, dem es vergönnt gewesen wäre, von einer Höhe der Alviergruppe aus die Gletscherwelt des Rheinthals zu betrachten, in gewisser Beziehung ähnlich dem Anblick, den man heutzutage geniesset, wenn man im November und Dezember nach den Höhen steigt, wo blauer Himmel und Sonnenschein lachen, während das Nebelmeer in 400m dicker Schicht die Thalsohle verhüllt. … Kleinere Seitengletscher lagen vielleicht auch in den Thälchen Sisiz, Naus und Schlewiz. …
… Gewiss hat schon mancher Wanderer aufmerksam den Grabserberg betrachtet, jenes zwischen Simmi und Walkenbach sich erstreckende, breite und fruchtbare Gelände mit den zahllosen Heimwesen und den weiter oben liegenden Maienbergen. Die Grabser machen mit ihm sogar dem Heinzenberg den Rang streitig. In jüngster Zeit ist er auch zugänglicher gemacht worden durch Erbauung einer Strasse, die in landschaftlicher Beziehung unbestreitbar zu den schönsten und aussichtsreichsten der Ostschweiz gehört. Der südliche Nachbar des Grabserberges, der ebenfalls bewohnte Staudnerberg, bietet auch ein schönes Landschaftsbild, vermag aber mit dem ersteren keineswegs zu konkurrieren. Beide unterscheiden sich auf den ersten Blick von den Vorbergen bei Buchs, Sevelen und Wartau, die andern geologischen Stufen angehören. …
Sehr merkwürdig ist, dass an mehreren Stellen in dem Flyschschiefer ungeheuer grosse Blöcke fremdartigen Gesteines vorkommen, deren Herkunft man sich absolut nicht erklären kann und die zu verschiedenen, heute noch nicht abgeklärten Theorien Veranlassung gegeben haben. Gerade am Grabserberg findet sich ein ungemein interessantes Beispiel … das bei den Grabsern unter dem Namen Stein von Berglitten («unterm Stein») bekannt ist. … Man hat diese Vorkommnisse als «exotische Blöcke» bezeichnet, da sie weit von ihrer ursprünglichen Lagerstätte liegen …
Über die Maienberge aufsteigend, verlassen wir allmählich den Grabserberg. Der Wald ist hier stark zurückgedrängt worden … Oberhalb der Maienberge, in der Nähe von Gamperfin-Boden liegt ein mehrere Hektaren umfassendes Torfriet, dessen Ausbeutung seiner Zeit begonnen wurde, aber der weiten Entfernung und der zu hohen Transportkosten wegen nicht rentierte. Möglich, dass die Fortsetzung der Grabserbergstrasse hier eine Änderung bewirkt. … Durch das sogenannte Trämelries steigen wir hinauf nach Neuenalp, dem Obersäss von Gamperfin, und machen hier Halt, um dieses eigenartige Revier etwas näher zu besehen.
Das Gestein, auf dem wir uns befinden, ist der Schrattenkalk … Seine Oberfläche ist von zahllosen, mehr oder weniger tiefen Rinnen durchzogen, die in allen möglichen Richtungen verlaufen; grosse, tiefe Spalten durchsetzen den Felsen; rundliche, breite Rücken wechseln ab mit schmalen Furchen; messerscharfe Gräte, zackige Riffe, spitzige Köpfe, pfeilförmige Gebilde stehen überall hervor und sind oft nur durch einen dünnen Hals mit der kompakten Masse des Gesteins verbunden. Wo die Oberfläche stärker geneigt ist, ziehen parallele Furchen, kleine Wasserläufe, in der Linie des kürzesten Gefälls hinab und lassen zierliche Streifung entstehen. An andern Orten, wo die Oberfläche des Kalksteins fast horizontal ist, laufen die Rinnen und Rücken nach allen möglichen Richtungen ohne bestimmte Regel; mitunter ziehen sie sich von einem höchsten Punkte strahlenförmig nach allen Seiten. Dann findet man wieder Verwitterungsformen, die dem Wabenbau der Bienen ähnlich sehen (Steinwaben). Dabei ist zu beachten, dass das Ganze nicht etwa ein Trümmerfeld ist, sondern fest zusammenhängenden Fels bildet. Die merkwürdigsten Gebilde aber sind die weiten und tiefen Löcher, die verhältnismässig seltener, aber doch auf unserm ausgedehnten Karrenfeld in grosser Anzahl zu finden sind. Sie haben mehrere Meter im Durchmesser und oft bis 10 Meter Tiefe, gehen senkrecht in den Felsen hinab … Wollte man den Grund untersuchen, welcher bis tief in den Sommer hinein mit Schnee bedeckt ist, so müsste man Seil und Leitern haben.
… Versteinerungen sind häufig; auf dem frischen Bruche bemerkt man oft nicht viel davon; aber an der Anwitterungsfläche treten die Fossilien zahlreich hervor. Ein auch den Einwohnern bekannter Fundort ist die Alp Gampernei, besonders der «Kehr». Leider ist die Quantität grösser als die Qualität gut. … Die gesprengten Blöcke an dem 1894 zwischen Voralpsee und Roggenhalmsäge erstellten prächtigen Strässchen sind gespickt voll von Caprotinen. … Unser Gebiet enthält Stellen, die mit den berühmten Fundstellen am Altmann wetteifern. Eine derselben liegt an den «Weissen Frauen», einem pittoresken Grate, der vom Gemsberg sich nach Norden zieht und Langgen von Naus scheidet. Hartnäckiger Nebel verhinderte mich mehrmals, diese Örtlichkeit aufzufinden. Im Langgenthälchen sah ich viele Versteinerungen; sie sind aber so fest mit dem Gestein verwachsen, dass wenig schöne Exemplare zu erbeuten sind. Escher hat in den 1850er Jahren diese Gegend abgesucht. Der Schafhirte von Sisiz musste ihm ganze Lasten von Petrefakten auf einem «Räff» nach Buchs hinunter tragen. Der Reichtum an Arten soll sogar die Fundstellen am Säntisgebirge noch übertreffen.
Es hat wenig Wert, die Frage zu diskutieren, wo die Grenze zwischen den Churfirsten und der Alviergruppe zu ziehen sei. Als natürliche Grenze bietet sich auf der Nordseite überhaupt der Thalkessel des Voralpsees, und es fragt sich nur, ob von hier aus die Linie über die Schlewizer Niedere oder über Naus und Gulms zu ziehen sei. … Man könnte als Trennungslinie den relativ niedern, in Schrattenkalk eingeschnittenen Übergang der Schlewizer Niedere annehmen; denn in dieser Gegend fängt das Gebirge an, seinen Charakter etwas zu ändern. Der Hauptgrat springt im Zickzack von der geraden Linie ab, die er in den Churfirsten in fast rein westöstlicher Richtung hatte, und verläuft erst vom grossen Faulfirst an in grösserer Regelmässigkeit nach Südosten. … Auf der Südseite des Gebirges bezeichnet die ausgeprägte, weit sich hinziehende Terrasse, auf welcher die Alpen Tschingeln, Büls, Lösis, Sennis und Palfries liegen, ungefähr die Grenze zwischen Jura- und Kreidebildungen.
Noch viel eindringlicher als die Churfirsten lehrt uns die Alviergruppe, dass unsere Gebirge nur noch eine Ruine sind. … Die einstige zusammenhängende Decke von Seewerkalk ist hier nur durch klägliche Reste vertreten. Drei von diesen Resten liegen an topographisch sehr ähnlichen Stellen, nämlich diejenigen auf dem Kapf (Rosswies), auf dem Dossen (oberhalb Malbun) und auf Arin. Die Gaultrücken, von denen sie getragen werden, ziehen nach Nordosten und stürzen westlich in gewaltigen Steilwänden ab gegen die Thälchen des Voralpsees, von Valspus und Matschüel. Die Wand vom Kapf gegen Garnast hinunter ist der grossartigste Felsabsturz, den ich auf der Nordseite der ganzen Kette kenne. Da sind die Hauptstufen der Kreide entblösst und schon an der Abwechslung der Farben kenntlich (von oben nach unten: Seewerkalk hell, Gault dunkel, Schrattenkalk hell, Neocom dunkel). …
Die imposanteste Berggestalt der Churfirsten-Alvierkette ist unbedingt der Gemsberg* (Gamsberg 2385 Meter, Dufour). Als gewaltiges Trapez mit besonders steilem Westabfall, die stattlichen Breitseiten nach Süden und Norden gekehrt, präsentiert er sich dem Beschauer. … Gegen den Nordfuss fällt der einem Kirchendache vergleichbare Gipfelbau in einer Steilwand ab … Südlich von der höchsten Spitze bemerkt man eine Partie von Nadeln und Türmen. Der durchweg scharfe Gipfelgrat teilt sich im Osten. Der Hauptkamm zieht nach der Scharte «Zwischen den Bergen»; nach Norden aber springt der Grat des Tresterkopfs vor. Zwischen diesen beiden Gräten nun senkt sich ein ganz merkwürdiges, durch seine Regelmässigkeit auffallendes Felstobel nach Nordosten hinab. Seine rechte (südöstliche) Seite ist begrenzt von einem fast senkrechten Felswändchen, dann folgt ein plattiger, spärlich beraster Streifen, hierauf ein kaum fussbreite, wenig tiefe Rinne ** und endlich nochmals ein plattiger, aber durch Farbe und Kahlheit sich scharf abhebender Streifen.
*Auf die Frage, ob Gemsberg oder Gamsberg zu schreiben sei, die einmal Gegenstand einer Kontroverse war, lege ich selbstverständlich kein Gewicht. Ich ziehe die Bezeichnung Gemsberg vor, weil eben die Grabser den Gamserruck Gamsberg nennen und streng vom Gemsberg («Gämsberg») unterscheiden. …
**Diese Rinne ist gut gangbar und so einladend, dass ich bei meiner zweiten, allein ausgeführten Besteigung des Gemsberges am 16. August 1894 zuerst daran dachte, sie zum Aufstiege zu benutzen. Nur die Erwägung, dass es weiter oben kaum möglich sein dürfte, über die kahlen Platten wieder aus der Rinne heraus zu kommen, hielt mich schliesslich davon ab. Ich wählte dann den Aufstieg unmittelbar neben der Ausmündung des Felstobels. Hier gelangt man über einen plattigen Fels, der allerdings einige Vorsicht erfordert, ziemlich leicht auf einen Rasenfleck mit üppiger Vegetation. Von da aus giebt sich der weitere Aufstieg von selbst an die Hand. Es ist dies offenbar die leichteste Route. Diesmal überschritt ich den ganzen Gipfelgrat bis zum Absturz nach Westen (P. 2369 Dufour), wo Herr Stoop einen riesigen Steinmann erbaut hat. Das von Herrn Dr. Blodig in seinem Jägerhistörchen angeführte Rasenplätzchen, das ca. 30 m unter dem Westende des Horizontalkammes liegen soll, existiert nicht; es müsste denn darunter das leicht erreichbare Plätzchen gemeint sein, auf welchem jetzt der Steinmann steht. – Herr Blodig stieg von der Nordseite auf. Herr Stoop hat den Berg mehrmals von verschiedenen Seiten bezwungen und auch den grossartigen und interessanten, aber schwierigen Aufstieg von der Südseite ausgeführt. Schwindelfreien Berggängern sei die ungemein reizvolle und sehr lohnende Besteigung des Gemsberges warm empfohlen.
… Das zu der Scharte gleichen Namens hinaufführende Trümmerthälchen «Zwischen den Bergen» trennt den Gemsberg von dem gegenüberliegenden Grate des Sichelbergs (nicht zu verwechseln mit dem Sichelkamm). Auch hier beobachtet man fast senkrechte Schichtstellung. Der Grat nördlich vom Sichelberg wird jedem Besucher auffallen. Abgesehen davon, dass er durchbrochen ist, bietet er ein interessantes Bild durch mehrere riesige Tafeln von ungefähr 1 m Dicke, die in ziemlich grossen Abständen dem Westabhange wie hohe Mauern aufgesetzt sind. Es sind stehen gebliebene festere Schichten. …
Der grosse Faulfirst (2413 m Dufour, dort fälschlich als Gärtlisegg bezeichnet), der höchste Punkt der ganzen Churfirsten-Alvierkette, ist ebenfalls ein prächtiger Gipfel, wenn er auch nicht die gewaltigen Formen und Dimensionen des Gemsberges besitzt. Von Schaan oder Buchs aus gesehen erscheint er als fast bis oben grüne, feine und hohe Pyramide. … und es besteht, trotz des anrüchigen Namens, der oberste Teil thatsächlich aus festerem Gestein, als der Kamm des Gemsberges. … Der grosse Faulfirst ist mit Unrecht im Werdenbergischen als schwierig verschrieen. Wenn man den Nordostgrat zum Aufstiege wählt, so findet sich allerdings unmittelbar vor der höchsten Spitze ein schmales Grätchen, das für den nicht Schwindelfreien ohne Hilfe absolut unpassierbar ist. Es scheint aber nicht genügend bekannt zu sein, dass man diesen Grat gar nicht zu begehen braucht. Wenn man durch das Thälchen hinaufsteigt in die Scharte zwischen grossem und kleinen Faulfirst, so kann man von hier aus den grossen Faulfirst ohne jede Schwierigkeit und Gefahr betreten.
Werfen wir noch einen Blick auf den Zug vom Margelkopf bis zum kleinen Faulfirst. Der Margelkopf gehört nicht dem Hauptkamme des Gebirges an, zeichnet sich aber durch seine im Verhältnis zur vorgeschobenen Lage sehr bedeutende Höhe aus. Auf breiten, grünen Schultern erhebt sich, den Hintergrund von Valspus und das Rheinthal weithin dominierend, das weissgraue felsige Haupt. …
((ein Jahr später schreibt er in derselben Publikation:)) … Über den detaillierten Bau des Margelkopfs, der mich schwer geärgert hat, bin ich noch jetzt nicht im Klaren. …
… Der erwähnte Grat ((zwischen Glanenkopf und kleinem Faulfirst)) zeigt eine sehr malerische Partie. Wenn man im Thälchen westlich unter dem Grate steht, so sieht man zerfetzte Platten pyramidenartig kühn in die Höhe ragen. Steht man oben auf dem Grat, so zeigen sie sich als lange, dem Westabhang entsteigende meterdicke Mauern. Zwischen ihnen ziehen sich in gleichbleibender Breite eine Anzahl Hohlwege hinab. Auch hier witterten die weicheren Schichten heraus und liessen die widerstandsfähigeren Tafeln stehen. Diese Stelle ist eines Besuches wert und noch auffälliger als die auf gleichen Ursachen beruhenden, ähnlichen Bildungen am Sichelberg.
Zwischen dem Nordgrat des kleinen Faulfirst und dem Sichelberg liegt die ausgedehnte Sisizer Schafalp, im Hintergrunde beherrscht von einigen wenig bekannten Gipfeln (darunter Rosswies 2337 Meter).
… Touristisch wird das Gebiet vom Sichelkamm bis zum Faulfirst immer noch viel zu wenig gewürdigt. Abgesehen von dem Reize, den die Gipfelbesteigungen ausüben, sind schon die Aufstiege zu den Alpen höchst abwechslungsreich. Grossartige Scenerien bieten namentlich die Wege vom Voralpsee über Langgen oder über Garnast und Schlösslikopf nach Sisiz.
Auch wir wählen einen von diesen Wegen; denn unsere Wanderung geht zu Ende. Von den aussichtsreichen Höhen steigen wir hinab zu den Ufern des Voralpsees.
Er liegt 1103 Meter hoch, also so hoch wie Wildhaus und hat ungefähr ½ Quadratkilometer Fläche. Seine Umgebung hat bei aller Lieblichkeit einen vorwiegend ernsten Charakter, wozu die abgeschlossene Lage und die himmelanstrebenden Felsen der Ostseite nicht wenig beitragen. … Das Seebecken ist thalauswärts abgeschlossen durch einen hohen Trümmerwall, der sich da, wo der Weg darüber hinführt, immer noch ca. 80 Meter über den Seespiegel erhebt. Es hat keinen sichtbaren Abfluss. Das Wasser sickert durch den Wall wie durch einen natürlichen Filter, und erst einige Kilometer weiter unten, gegen die Roggenhalmsäge hin, treten die herrlichen Quellen hervor. An Quellwasser bester Qualität sind die Grabser wahrlich nicht arm. Der See ist aber auch ein willkommener Ableiter für Hochwassergefahr, die sonst bei dem grossen Sammelgebiete des Walkenbaches drohend werden könnte. Jenes hochgelegene Reservoir nimmt die einmündenden Wassermassen auf und lässt sie nicht so schnell wieder los. Es braucht schon unendliche Regengüsse, wie im Jahr 1889, bis das Dorf wirklich bedroht wird.
Den Trümmerwall und damit die Seebildung verursachte ein Bergsturz, der aus der Gegend der spitzigen Köpfe (Spitzköpfe) niederging, wo die Schichten des hohen Rückens von Rosswies und Gampernei sich gegen das Thälchen hinunter biegen. … Geschichtlich ist über den Bergsturz nichts bekannt.*
*Es existiert eine darauf bezügliche Sage, die in ähnlicher Form auch in andern Alpengegenden wiederkehrt: Wo jetzt der See liegt, war einst eine schöne Wiese. Ein Mädchen, das an der Grabser Chilbi dort heuen sollte, aber lieber mit dem Geliebten zum Tanz gegangen wäre, wünschte am vorhergehenden Tage voll Überdruss, dass die Wiese zu einem See werden möchte. In der Nacht erfolgte der Bergsturz, der das Mädchen sowohl als den Geliebten unter den Trümmern begrub. – Gewöhnlich hat bei solchen Katastrophen in den Alpen der Böse seine Hand im Spiel, und so finden wir denn auch hier an der steilen Seite im Absturzgebiet die «Teufelslöcher».
(A. Ludwig, Lehrer)
(Quelle: „Bericht über die Thätigkeit der St. Gallischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft während des Vereinsjahres 1893/1894“ St. Gallen. Zollikofer’sche Buchdruckerei, 1895)
***
… Die Wildbäche, welche die rechtsseitigen Abhänge des Seeztales durchfurchen, haben einen grossen Teile ihres Sammelgebietes in diesen schiefrigen Schichten. In diesen Grenzschichten zwischen Jura und Kreide liegt auch das Gebiet des Bergrutsches von Tscherlach. Das Sturzmaterial ist meist bläulicher Schiefer. In den Jahren 1888 und 1889 löste sich ein grosser Teil der Felswände etwas östlich oberhalb Verachten ab und überschüttete die darunter liegenden Waldpartien. Im regenreichen Sommer 1889 durchweichten die abgestürzten und die darunter liegenden erdigen, auf steil abfallenden Felsen ruhenden Massen, gerieten in langsames Abgleiten, stürzten durch die engen Felstrichter und breiteten sich im Dörfchen Tscherlach als ungeheurer schwarzer Schlammstrom aus, gewaltigen Schaden anrichtend. Entwässerung und Erstellung einer gewaltigen Talsperre am Fusse des ganzen Bruches haben weitere Gefahr beseitigt.
Im gleichen Sommer 1889 wurde auch Bärschis verheert infolge eines Gewitters und Hagelschlages über den Alpen Sennis und Malun. Die kostspieligen Verbauungen des Bärschnerbaches (Voranschlag 283.000 Fr.) haben auch hier die Gefahr bedeutend vermindert. Die hintersten Verbauungen finden sich unter jenen dunkeln Schieferwänden, welche unter dem Namen „Schwarzrüfe“ bekannt sind und die Alpen Sennis und Malun von einander scheiden. Weil es hier an tauglichen Steinen fehlte, mussten die Blöcke für die Sperren vom Schuttkegel des kleinen Alvier hergeholt und auf einem extra erstellten Weg an den Rand der Schwarzrüfe geliefert werden. (Nach gef. Mitteilung von Herrn Ingenieur Bernet, der in der Sektion St. Gallen S. A. C. über die Wildbachverbauungen im Alviergebiete referierte.) Durch die letztere konnten sie nur mit grosser Mühe ins Bachbett befördert werden; denn diese Schieferwände sind lange nicht so steil, wie sie aus der Ferne aussehen, und es rollten die Blöcke keineswegs ohne Unterbrechung hinab. – Die Verbauungen werden auf lange Zeit hinaus ihre Wirkung nicht verfehlen; noch besser und vollständiger würde, wenn sie möglich wäre, die Wiederbewaldung des Abrissgebietes diesen Zweck erfüllen.
… Schönplank, Scheff und einige andere hochgelegene wilde Plätze dienten früher noch als Schafweide. Das hat jetzt aufgehört. „Unsere Berge sterben ab“, sagte mir wehmütig ein alter Senn.
… Es erhebt sich südwestlich vom kleinen Faulfirst ein überaus wilder namenloser Gipfel (P. 2305). Es ist der einzige höhere Gipfel der Alviergruppe, den ich nicht bestiegen habe, und seine Besteigung ist ohne Zweifel unter allen weitaus die schwierigste. Herr Stoop, ein eminenter Kletterer, hielt ihn von der Nordseite her für unbezwingbar und war der Ansicht, dass hier ausnahmsweise die Südseite mehr Aussicht auf Erfolg bieten dürfte, aber auch da nur mit scharfer Kletterei. Im Sommer 1896 gelang Stoop dann in der That die Besteigung des noch jungfräulichen Gipfels. Wollte man den Berg benennen, so dürfte die Bezeichnung „Breitwand“, wenigstens für den Anblick von der Nordseite, nicht unpassend sein. Mit seiner sehr steilen Schichtstellung scheint dieser Gipfel gar nicht in seine Umgebung zu passen. Ein Teil ist merkwürdig nach Süden vorgeschoben. Leider kann ich die Streichrichtung der Schichten, die sich der östlichen nähern wird, nicht angeben. Dennoch würde ich keinen Augenblick zögern, den Berg dem steilen Mittelschenkel der Faulfirstfalte zuzuweisen und ihn also tektonisch die gleiche Stellung einnehmen zu lassen, wie die stattliche Nordwestwand des kleinen Faulfirst. Nur das südliche Fallen der Schichten auf der Südseite des Berges kann ich mir noch nicht recht erklären; man müsste denn annehmen, es sei der Mittelschenkel hier noch überliegend, habe sich aber schon am kleinen Faulfirst senkrecht gestellt.
(A. Ludwig, Lehrer)
(Quelle: „Bericht über die Thätigkeit der St. Gallischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft während des Vereinsjahres 1894/1895“ St. Gallen. Zollikofer’sche Buchdruckerei, 1896)