Unglücksfall am Gamsberg

Alpine Unglücksfälle:
10. Oktober. Gamsberg (St. Galler Oberland). G. B. Litscher, Kunstmaler, 47 Jahre alt, ein tüchtiger Bergsteiger, auch als Alleingänger bekannt, wollte von Palfris aus den Gamsberg auf dem Wege über das Goldloch ersteigen und wurde am 15. Oktober als Leiche etwa 100 Meter westlich vom Goldloch, im Couloir zwischen Goldlochgrat und Fenstergrat, etwa 12 Meter unter dem Einstieg in die Felsenrinne aufgefunden. Der Absturz erfolgte wahrscheinlich am Goldlochgrat ob den letzten Legföhren in der Höhe von etwa 2000 Metern, da, wo der Grat abbricht. Vermutliche Höhe des Absturzes etwa 80 Meter. Neben der Leiche lag ein grosses Rasenstück, dessen Ausbrechen vielleicht den Sturz veranlasst hat. Der Gamsberg, ein Kletterberg, bietet verschiedene Anstiegsrouten; die von Litscher gewählte gehört zu den schwierigeren.
(Quelle: Jahrbuch 1899)

Unglücksfälle
Dienstag den 10. Oktober verlor Gottfried Bernhard Litscher, Kunstmaler in Sevelen, durch einen Unglücksfall am Gamsberg das Leben. Über die nähern Verumständungen des traurigen Falles, sowie über die Person des Verstorbenen werden wir in der nächsten Nummer einen ausführlichen Bericht bringen.

Unglücksfall am Gamsberg. Gottfried Bernhard Litscher, Kunstmaler von Sevelen, Mitglied der Sektion Piz Sol S. A. C., verliess Montag, 9. Oktober 1899, nachmittags, Sevelen. Er sagte zu seinem Freund und Clubgenossen Johannes Tischhauser, er gehe auf Palfries, werde im Kurhaus übernachten, am folgenden Tag den Gamsberg über das Goldloch machen und dann wieder heimkehren. Er erkundigte sich bei Tischhauser, der Messgehülfe bei der topographischen Aufnahme des Blattes Berschis war, über die Südseite des Gamsbergs. Tischhauser gab ihm den Rat, vom Nutz, 1693 m, aus den Aufstieg zu bestimmen. Dienstag am 10. Oktober war ein heller, kalter Morgen und den ganzen Tag Sonnenschein; ähnlich die zwei folgenden Tage.
Donnerstag 12. Oktober, abends 8 ¼ Uhr, telephonierte man mir von Sevelen, Litscher sei noch nicht zurückgekommen. Es wurde Hülfe angeordnet. Zwei Abteilungen kamen von Sevelen, die eine mit Tischhausers Sohn über Sisiz, «zwischen die Berge», um von dort aus die Nordseite des Gamsbergs bis zum Scheff, die andere mit Tischhauser Vater über Malun nach Sennis, um die Südseite abzusuchen. Ich stieg mit einem Mann von Flums hinauf und traf mit Clubgenosse Tischhauser und seiner Abteilung zusammen. Es regnete heftig. Wasser und Steine rieselten durch die steilplattigen Felsen und Klüfte herab. Ein Aufstieg in die 600 m hohe, schroff zerrissene Südwand hätte zwecklos weitere Leben gefährdet. Man suchte den Fuss des Gamsbergs vom Couloir zwischen Sichli und Gamsberg, im ganzen weiten Bogen bis herum hoch über die Spitzplank zwischen Gamsberg und Sichelkamm ab, jeden Bergschrund und besonders auch die tiefen Randklüfte und Löcher zwischen den Felsen und den am Fuss des Gamsbergs liegenden mächtigen Schneeresten. Die untern Partien des Gamsbergs mit den Feldstechern abzusuchen, war wegen des beständigen Nebels nur kurze Zeit möglich. Da der Regen in der Höhe in Schnee überging, kehrten wir, bis auf die Haut durchnässt, nach Flums zurück, machten dem Bezirksamt Sargans und dem Gemeindeamt Wallenstadt Anzeige, sowie für den Fall, dass Litscher gegen sein anfängliches Vorhaben sich noch zu andern Touren entschlossen hätte, auch den Nachbarsektionen Toggenburg, St. Gallen und Tödi.
Samstag, 14. Oktober, war Neuschnee bis 1200 m herab und eine Bergung auf der Südseite absolut unmöglich. Man benutzte den Tag, die wenigen Leute, die für vorliegende, ganz ausserordentliche Aufgabe in Betracht kommen konnten, in Dienst zu nehmen und sich mit der zur Bergung erforderlichen Ausrüstung zu versehen.
Sonntag, 15. Oktober, stieg ich mit Litschers Stiefbruder, mit Clubgenosse Johannes Tischhauser und seinem Sohn, Georg Tischhauser, mit Lukas Pfiffner und Anton Wildhaber von Flums hinauf. Wir fanden Litscher schon vormittags 10 ½ Uhr, und verständigten nach Abrede den auf der Laue zurückgebliebenen Stiefbruder, welcher mit dem Bericht bald nach Mittag in Flums ankam, worauf durch Verwandte und den Sektionsvorstand weitere Anordnungen getroffen wurden. Litscher lag an der vermuteten Stelle, etwa 100 m westlich vom Goldloch, im Couloir zwischen Goldlochgrat und Fenstergrat, etwa 12 m unter dem Einstieg in die Felsenrinne und 4 m unter dem Übergang in derselben. … Der Tote lag auf dem Rücken, ein wenig auf die linke Seite gedreht, Kopf thalwärts; Gesicht gerade aufwärts, nicht entstellt, wenig verletzt; … Bei der Leiche lag ein grosses Rasenstück. Die goldene Uhr in Lederetui 4 m höher, Glas zerbrochen, Zeiger auf 2 Uhr 7 Minuten, abgelaufen, … Rucksack etwa 25 m höher in der steilen, rauhen und nassen Felsrinne, in einer kleinen Mulde, etwas zerrissen, Inhalt Nahrungsmittel für einen Tag, zerschmetterte Glasflasche, Laterne, Karte und übliche Touristenrequisiten. Litscher war immer auf das sorgfältigste ausgerüstet, selbst der Fingerhut fehlte nicht.
Die Absturzrichtung war also bestimmt. Wahrscheinlicher Beginn des Absturzes am Goldlochgrat, ob den letzten Legföhren in der Höhe von etwa 2000 m, wo der Grat abbricht. Vermutliche Höhe des Absturzes … etwa 80 m. Über den Hergang können mangels Augenzeugen nur Vermutungen und Schlüsse gemacht werden. Es galt nun, die Leiche unseres Freundes zu bergen. Bei dieser entsetzlichen Arbeit wurden wir gestört durch fallende Steine, die von einem 400 m ob uns liegenden, schmelzenden Schneefleck abgelöst, wie Geschosse summend über uns hinflogen.
Wir legten den Körper auf eine Blahe, brachten die Glieder in passende Lage und wickelten die Leiche sorgfältig ein.
Wir hoben den Körper zuerst auf den 4 m höheren Übergang. Da begannen die Schwierigkeiten. Der Ausstieg aus der Schlucht ist nur wenige Centimeter breit und der Felsen mit scharfen Platten überhängend. Gletscherseil und Stricke fanden überall Widerstand, weshalb wir mit vollem Kraftaufwand ziehen mussten, so dass zu befürchten war, das Seil könnte an den vorstehenden scharfen Platten durchschnitten werden. Es war die grösste Vorsicht geboten. Wir befanden uns in einer sehr steilen, lockeren Grashalde, über 200 m tiefem Abgrund. Ein unerwarteter Ruck oder ein Seilreissen hätte uns hinabgeschleudert. Es ging. Doch auch der Transport durch die steile Grashalde war gefährlich, namentlich deshalb, weil es nicht möglich war, die Last auf alle gleichmässig zu verteilen. Wir versuchten Stützpunkte zu gewinnen durch Einschlagen von Pflöcken, die wir aus den Legföhren westlich vom Goldloch gehauen, aber die Rasenschicht war viel zu dünn, dieselben zu halten. Wir gingen langsam und ruckweise noch etwas vor, knüpften dann die Seile zusammen, die nun bis zu den Legföhren langten, an denen wir jetzt wenigstens einen sicheren Halt fanden. So wurde der Transport bis zum Goldloch fortgesetzt, wo wir uns erholten. Der Abstieg vom Goldloch war verhältnismässig leichter. Bis unten an die Laue mussten wir die Leiche abseilen, von da trugen wir sie zu vieren in die Alp Sennis hinab, wo uns durch Beat Hobi von Berschis ein Schlitten gebracht wurde. Auf Tannenäste gebettet, mit Tannenzweigen bedeckt, schlitteten wir den Toten zu Thal.
Nach Verhör der Teilnehmer durch das Bezirksamt und nach amtlicher und ärztlicher Leichenschau wurde der Körper in den Sarg gelegt und noch am gleichen Abend mit Fuhrwerk nach Sevelen in Litschers Haus gebracht. Mittwoch, 18. Oktober, wurde Litscher beerdigt. … (J. B. Stoop)
(Quelle: Alpina 1899)

Tourenberichte:
Gamsberg, 2383m. Touristen, welche diesen Berg von der Südseite, also von der Eisenbahnstation Flums aus besteigen wollen, werden aufmerksam gemacht, dass der Aufstieg durch die Spitzplank zum faulen Gang, zur Kluft und zur Schefflücke seit einiger Zeit durch vermehrten Steinschlag gefährdet ist. Der sicherste Aufstieg auf der Südseite ist beim Goldloch, durch das Felsenfenster auf dem Fenstergrat, und auch da nur für furchtlose, geübte Kletterer ratsam. Führer für diese Route giebt es bis jetzt keine.
(Quelle: Alpina 1900, J. B. S.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert