Sagen rund um die Alvier-Kette

S Schlachtbödeli.
Vor vielen hundert Jahren kamen die Toggenburger auf die Grabser Alpen und raubten das Vieh, nachdem sie die Sennen und Hirten kopfüber in die siedende Milch geworfen hatten. Nur einem Hirten war es geglückt, diesem furchtbaren Tode zu entrinnen. Er kletterte auf eine Tanne und blies durch den Bürchel (Sprachrohr aus Rinde): «s Heara Chue heisst Blässi, un d’Toggeburger ‘nenn is s Veh un s Chessi!»
Er blies so stark und so lange, dass er tot niedersank. Katharina, des Pfarrers Köchin, hörte und erkannte die Stimme ihres Geliebten, sprang in die Kirche und meldete den Betenden, was sie vernommen.
Die Männer eilten mit Hellebarden und andern Kriegswaffen hinauf und nahmen den Toggenburgern nach blutigem Streiten das geraubte Vieh wieder ab. Die Stätte, wo dieser Kampf stattgefunden, heisst Schlachtboden. Noch lange nachher fand man dort aller Waffen. (Heinrich Hilty)

Venediger.
Unsere Berge sind erzreich. Das wussten vor Zeiten die Venediger; diese kamen her und sammelten kostbare Steine in ihre Säcke. Sie sagten, man werfe hier mancher Kuh einen Stein nach, der mehr wert sei als die Kuh selbst. Die Venediger fanden aber auch flüssiges Gold; an gewissen Stellen unserer Felsen stellten sie ein Gefäss hin, in welches das Gold träufelte. Waren die fremden Männer reich genug, so kehrten sie nach Venedig zurück, wo sie in schönen Palästen wohnten. Die Fussböden der Häuser, ja sogar die Strassen der Stadt waren mit Talern belegt. (Nach N. Senn, Chronik)

Der Lindwurm.
Auf den Grabser Alpen hauste einmal ein schrecklicher Lindwurm. Er war so gross wie ein Baumstamm, von Farbe dunkelrot und seiner Natur nach ausserordentlich bösartig; denn er frass Menschen und Tiere. Ihn los zu werden, fütterten die Grabser einen Stier sieben Jahre lang mit Milch und befestigten dann eiserne Haken an dessen Hörner, um ihn recht wehrhaft zu machen. Ein Mädchen, das um eines Vergehens willen zum Tode verurteilt worden, sollte den Stier mit dem Drachen zusammenführen. Der Kampf begann sofort, und er war wahrlich kein Kinderspiel. Endlich unterlag der Lindwurm. Aber der Stier war in eine solche Wut geraten, dass er sich nach errungenem Sieg über eine Felswand hinunterstürzte, wobei er ebenfalls ums Leben kam. Das Mädchen aber konnte entrinnen. (Nach N. Senn, Chronik)

Die Pest.
Im Spätsommer wollte ein Senn aus der Alp Malbun hinunter ins Tal; dort fand er nicht mehr seine Freunde und Verwandten. Die meisten waren dahingestorben. Weinend kehrte er zurück auf die Alp und wollte seinen Gefährten erzählen, wie er Jammer und Elend gesehen. Aber das Übel ergriff auch ihn, und sein Körper ward von schwarzen Beulen so entstellt, dass die Alpknechte ihren Gefährten nicht mehr kannten und daher nicht mehr in die Hütte hineinlassen wollten. Erst als er weinend und klagend um die Hütte lief, erkannten sie ihn. Mitleidig nahmen sie ihn auf, bestrichen seinen Körper mit frischer Butter und banden heilsame Kräuter auf die kranken Stellen. Drauf fielen die schwarzen Eiterbeulen vom Körper ab, und der Kranke ward gesund.
Im Herbste, als man das Vieh ins Tal trieb, irrte dasselbe lange in den Rhein-Auen umher; die Pest hatte die meisten Leute hinweggerissen, und niemand holte es ab.
In der Widen, bei Buchs, hatte ein Bauer zwei Söhne; der eine war einfältig, hing aber mit Liebe und Treue an seinem Vater; der andere war geschickt und witzig. Der Vater liebte nur diesen, um den andern bekümmerte er sich wenig. Als nun der schwarze Tod so viele hinwegriss, schickte der Bauer seinen Liebling auf die Alp, damit er von der Krankheit nicht ergriffen werde. Was geschah? Der einfältige Sohn, der im Tale beim Vater war, blieb am Leben, der auf der Alp starb.
Vier Fremdlinge kehrten in Buchs in einem Hause ein, wo man für zwölf Arbeiter den Tisch gedeckt hatte. Sie setzten sich hin, assen alles auf und sprachen leise miteinander. Die Leute im Hause verstanden folgende Worte: «Ich gehe in die Judengasse; du gehst an den Sevelerberg; dann wollen wir fleissig niedermähen». Drauf wollten die Fremdlinge bezahlen, aber man nahm ihnen nichts ab. Freundlich dankten sie und zogen weiter. Alsobald begann der schwarze Tod; am Sevelerberg starb fast alles weg. (N. Senn, Chronik)

Zahnweh.
Ein armer Mann von Rans, welcher beim Geissbachtobel, am Buchserberg, dürres Holz suchte, fiel über einen Fels hinunter und brach sich ein Bein. Den ganzen Nachmittag und die folgende Nacht musste er liegen bleiben und rief von Zeit zu Zeit um Hilfe. Endlich erschien ein wildes Männchen, welches, nachdem es erfahren, was dem Ranser fehlte, sagte: «So, ist es nur das? Ich habe geglaubt, du habest Zahnschmerzen!» Und damit entfernte es sich wieder. (Heinrich Hilty)

Rentierflechte.
Ein armes, altes, schwankendes Männchen besuchte einst die Alp Malbun und bat die Sennen flehentlich um ein wenig Buttermilch, wurde aber ein Tagedieb, Faulenzer, Nichtsnutz etc. gescholten und fortgejagt. Es ging, wandte sich aber nochmals um und rief über die Alp hin: «Verflucht sei der Cyprio; Er soll immer und ewig düar do stoh!» Alsbald verschwand das Männchen; die Pflanze aber hatte von Stunde an ihren Saftreichtum verloren. (Wartmann, Volksbotanik)

Der feurige Drache in der Alp Maltschül.
Unter der roten Platte in der Alp Maltschül hält sich ein feuriger Drache auf. Er erscheint aber nur vor einer Überschwemmung. In den Jahren 1762 und 1764 ritt ein feuriger Mann auf dem Drachen durchs Buchserbachtobel heraus, und es kam bald nachher ein Gewässer, welches Häuser und Scheunen wegriss, Felder und Wiesen verwüstete. (Heinrich Hilty)

Auf der Alp von Buchs spie ein Drache Feuer und Rauch und lockte das Vieh auf eine Felsplatte, von welcher es herabglitt und seine Beute wurde. Zeigte er sich, so brach der Bach los. Jetzt, heisst es, sei er tot und liege unter der Platte. (Dr. Henne-Am Rhyn, Deutsche Volkssage)

Der Reiter in der Alp Farnboden.
Ein Altendorfer sah zur Nachtzeit in der Alp Farnboden (Sevelen) einen Mann auf einem Schimmel durch Stafanell hinaufreiten. Er glaubte, in dieser geisterhaften Gestalt einen Mann zu erkennen, der vor etlichen Jahren gestorben war. Auch andere wollten dieses Gespenst schon wahrgenommen haben. (Heinrich Hilty)

Verbannt.
Die Kapuziner können Geister, die an bewohnten Orten lästig werden, an eine einsame Stelle hinausbannen; zwei dieser Kuttenmänner nehmen ihn einfach in ihre Mitte und spazieren mit ihm eines schönen Morgens nach dem vereinbarten neuen Aufenthaltsort. Wer ihnen zufällig begegnet, hat sich nicht im mindesten zu fürchten; er sieht nur beiseite und schweigt fein still.
Ein solcher Geist sitzt im Geissbachtobel. Geht jemand auf die Alpen, und nimmt er zufällig im «Geissbachställeli» Nachtquartier, so kommt der garstige Kerl mitten in der Nacht und bläst dem Schläfer ins Gesicht, dass es bis am Morgen hoch aufschwillt und der Kopf so gross wird wie ein Melkeimer. (Nach N. Senn, Chronik)

Aus der Pestzeit.
Zur Pestzeit, da der Todesengel bei uns sehr viele Opfer forderte, kam in einer Nacht ein Gut am Sevelerberg durch Vererbung siebenmal in andern Besitz. Da der letzte Eigentümer am folgenden Tage auch das Zeitliche segnete und keine Erben mehr vorhanden waren, wurde das Gut herrenlos. Es wird jetzt noch verlorener Berg genannt. Nach dem Seveler Urbar trug es allerdings schon 1489 diesen Namen.

Das ganze ob Sevelen liegende Dörfchen St. Ulrich mit dem umliegenden Boden verblieb einem einzigen Manne. Dieser konnte sich seines Besitztums nicht lange erfreuen; denn nach kurzer Zeit hatte er all sein Gut verprasst. (Heinrich Hilty)

Die Hüttentüre in der Alp Farnboden hatte eine schlechte “Bschlussig”. Zigeuner und anderes Gesindel streiften in den Bergen herum. Darum wurde jedes Jahr vor der Alpabfahrt das grosse Kupferkessi im Boden vergraben, und nur der Senn, der Zusenn und der Handbub wussten, den Ort, wo es bei der Alpfahrt wieder zu finden war.
Dieses geschah auch in der Pestzeit, wahrscheinlich 1628. Hernach rückte die Seuche mit allen ihren fürchterlichen Folgen ein. Als dann die Alpfahrt wieder stattfand, konnte keiner der drei Männer mehr sagen, wo das Kessi vergraben worden war, weil sie der Seuche zum Opfer gefallen waren. Es ist nie mehr gefunden worden. (Heinrich Hilty)

Der Riese.
Auf der Alp “Altsäss” kam den Sennen ein Melkstuhl, so oft man ihn auf den Untersäss mitnahm, wieder auf den Obersäss zurück. Da hiess einst der Senn den Buben den Stuhl vom Obersäss herabholen und versprach ihm seine schöne Glockengeiss, wenn’s ihm gelinge. Der Bube lief, schlich, wie er oben ankam, zur Hütte, schaute durch eine Spalte hinein und sah auf dem Stuhle einen riesigen Mann am Kessel sitzen und feuern. Furchtlos, wie der Bube war, rannte er in die Hütte, riss den Melkstuhl unter dem Grossen weg, welcher rücklings niederstürzte, und lief mit seiner Beute dem Untersässe zu.
Statt aber Wort zu halten, lachte ihn der Senn aus. Da kam in der Nacht der Riesige aufs Hüttendach und rief mit schrecklicher Stimme durch die Schindeln hinunter:
“Dem Buben gehört die Glockengeiss!
Wären aber nit gewesen
Die Hitz und der Witz
Und die Beiss – die Glockengeiss
Wär din geblieben!” (Dr. Henne-Am Rhyn, Deutsche Volkssage)

Der Fahlmann in der Alp Altsäss.
Der Fahl im Altsäss ist ein mit Felsköpfen unterbrochener, sehr steiler Abhang, der bis in den Bach hinunterreicht, welcher die Alpen Altsäss und Maltschül voneinander scheidet. Darüber hin führt ein schmaler Fusssteig, das Fahlwegli, welches auf ungefähr zwanzig Schritte für Kühe und Pferde äußerst “fällig” ist. Unter und ob dem Fahl befinden sich schöne Kuhweiden.
So oft der Küher vom Altsäss mit seiner Herde auf diese Stelle kam, trennte sich das Kühlein einer armen Seveler Witwe von den andern Tieren, ging übers Fahlwegli hinüber, und der Küher hatte jedesmal seine liebe Not, es wieder zur Herde zu bringen. Stockschläge oder ein scharfer Biss ins Ohr waren erfolglos.
Auf herzlose Weise half er diesem Übelstande auf immer ab. Er schlug einen Grozen (Tanne), löste die Rinde weg und legte sie, die innere Seite aufwärts, aufs Fahlwegli. Als dann das Kühlein wieder den verbotenen Weg ging und auf die schlüpfrigen Rindenstücke trat, glitschte es aus, verlor seinen Halt und fiel von Felsband zu Felsband in den Bach hinunter. Die arme Witwe mit ihren kleinen Kindern hatte ihr einziges Kühlein verloren.
Aber die Strafe kam. Der Hirt starb und fand keine Ruhe. Wenn man zu gewissen Zeiten zum Fahlwegli kommt, hört man in der Tiefe drunten ein Ächzen und Stöhnen, ein Jammern und Wimmern, dass einem ganz unheimlich wird. Diese Töne kommen immer näher. Schliesslich sieht man einen Mann, der mit grösster Mühe eine Kuh heraufschleppt, diese, sobald er sie auf dem Fahlwegli hat, wieder hinunterstösst und dann nach wüstem, markdurchdringendem Gelächter verschwindet. (Heinrich Hilty)

Das Kuhrücken auf der Alp Altsäss.
“Du, Hans”, sagte eines Abends der Senn der Alp Altsäss zu seinem Handbuben, der Trappli het si kündt; dia Chüa henn gruggt, un dia Nacht schneit’s; morn fahran mir vu Alp; richt dia Schleipf her.” Und wirklich, es geschah, wie es der Senn vorausgesagt hatte. Während der Nacht war so viel Schnee gefallen, dass man von der Alp fahren musste und auf der “Schleipf” die Molken ins Tal gebracht werden konnten.
Das Kuhrücken kennt man bei uns auch auf andern Alpen. Da stürmt die ganze Herde in grosser Angst der Hütte zu. Dann gibt’s Schneewetter. Auf der Alp Altsäss jagt der “Trappli” den Tieren diesen grossen Schrecken ein. Dieser Geist zeigt sich aber den Menschen nie.
Ein junger Mann von Sevelen, der das Kuhrücken schon mehrmals beobachten konnte, aber von Geistern nichts mehr wissen will, behauptet, dass wie die Stubenfliegen schon einige Stunden vor Eintritt von Regenwetter in Ställen und Häusern Unterkunft suchen, so fliehe das Vieh auf den Alpen auch, bevor Schneefall und Unwetter sich einstelle, an geschütztere Orte. Die Tiere gewahren solches vor den Menschen. (Heinrich Hilty)

Der Geissbachzopfi.
Der Geissbachzopfi reitet zur Geisterstunde auf einem Schimmel beim Majenpfüsis über die Schreja hinunter. Ein Sevelenberger mit dem Übernamen Wäspi sah ihn einmal; am folgenden Morgen hatte er einen geschwollenen Kopf. (Heinrich Hilty)

Der Schrättlig.
Ein alter Seveler erzählte mir folgendes: Als ich noch jung war, lag ich eines Abends in meines Vaters Kuhstall am Majenberg auf der Pritsche, halb schlafend, halb wachend. Der obere Teil der Stalltüre war geöffnet. Da kam etwas herein, setzte sich auf meine Brust, so dass ich mich nicht mehr bewegen und kaum noch atmen konnte. Mich drückte der Schrättlig. Endlich war es mir möglich, auszurufen: “In drei Tüfels Nama, mach dass d’furtchunnst!” Ich sah eine schwarze Katze, welche zum Oberlid der Türe hinaussprang. (Heinrich Hilty)

Der Tanz auf Palfries.
Die Knechte auf der “Bäschneralp” hatten beschlossen, einmal einen lustigen Tag zu haben, und bestellten zu diesem Zwecke zwei Geiger und einige Mädchen aus dem Dorfe Bärschis auf die Alp. Mit diesen zogen sie nach der benachbarten Alp Palfries, wo im alten Rathausgebäude ein ordentlicher Platz zum Tanzen war.
Nachdem sich dann besagte Älplergesellschaft den ganzen Tag hindurch nach ihrer Art aufs tollste amüsiert hatte, wollten die Mädchen gegen abend wieder nach Hause zurückkehren. Allein die Knechte hielten sie zurück und tanzten mit ihnen bis zum kommenden Morgen, obwohl sich während der Nacht ein fürchterliches Donnerwetter mit Hagelschauer über die Alpen ergossen hatte und niemand zur Besorgung und Überwachung der Herde in der “Bäschneralp” geblieben war.
Der Leichtsinn kam die Knechte teuer zu stehen; denn während des Hagelwetters war fast die ganze Sente über die Felswände hinausgesprungen und zu Grunde gegangen, und die fahrlässigen Hirten mussten, so weit ihr Vermögen hinreichte, den Schaden vergüten. Nebst dem müssen sie seither auch nach dem Tode in den betreffenden Nächten und so oft Hagelwetter eintritt ihr sorgloses und mutwilliges Treiben auf Palfries fortsetzen.
Jäger Wildhaber von Sargans übernachtete im Spätherbst 1816 an der erwähnten Stelle und war eben damit beschäftigt, sich zu seinem Nachtessen einen “Tatsch” zu bereiten, der in einem Kesseli ob dem Feuer lustig brodelte, als ein Mann mit grünem Hute zur Türe hereintrat und ihm barsch befahl, sich schnell zu entfernen, weil eine Gesellschaft nachkomme und man ihn dann hier nicht brauchen könne. Wildhaber erwiderte: “Meinen Tatsch muss ich doch noch fertig backen”, und während er dies sagte, wendete er ihn im Kessel um, so dass die heisse Butter mit vielem Geräusch hochauf zischte.
Die angesagte Gesellschaft, bestehend aus 3 Paaren, war unterdessen schon in Begleit von 2 Geigern angerückt; Wildhaber hatte kaum noch Zeit, den “Tatsch” aus dem Kessel in seinen Filzhut zu schütten und damit zur Türe hinauszueilen, als die Musik begann und ein wilder Tanz eröffnet wurde. (J. Natsch. Manuskript, im Besitze des Hist. Vereins St. Gallen)

Das Bergmännli im Erzloch.
In der beinahe 600 Meter hohen Felswand des Gonzenhauptes befindet sich ein wahrscheinlich schon zur Römerzeit benutztes Eisenbergwerk, von den Sarganserländern “Erzloch” genannt. Es wurde bis um das Jahr 1870 immer noch betrieben. In den Gruben waltete das Bergmännlein, ein wohltätiger Berggeist, welcher jede Gefahr rechtzeitig verkündete. Wenn die Knappen in unergiebigem Gestein arbeiteten und die Öffnung neuer, besserer Erzgänge bevorstand, geschah es, während sie ahnungslos im Knappenhaus beim Essen sassen, dass vom Bergwerke her, über die Steine bis auf die hölzerne Stiege, laute Tritte erschallten, als ob dreissig und mehr Arbeiter mit schweren, eisenbeschlagenen Schuhen sich näherten. Die Knappen sprangen hinaus; aber nichts war zu sehen und zu hören.
Ungefähr im Jahr 1852 war der Knappe Martin Hobi von Hl. Kreuz mit seinem Bruder Christian in der “Lehmgrube” über einem schauerlich tiefen Schachte auf einem hölzernen Gerüste am Arbeiten. Da fing es an, kleine Steine nach ihnen zu werfen, anfangs ganz sachte, dann aber immer toller, so dass sie es endlich für ratsam hielten, ihren Posten zu verlassen. Kaum waren sie an einem sichern Orte angelangt, so stürzte das Gerüste zusammen und unter schrecklichem Gepolter in die grauenhafte Tiefe hinab. (J. Natsch)

Die Zwerge am Gonzen.
Auch der Gonzen hatte seine Zwerglein, was bei einem so erzreichen Alten eigentlich fast selbstverständlich ist. Oben beim Erzbild wohnten sie in den tiefen Löchern, aus denen der kühle Wind aufsteigt. Ihre Häuser waren von Eisen und Stahl, aber die Dächer von Gold und die Fenster von Silber. Im Sommer arbeiteten die Männchen fleissig; aber im Winter ruhten sie sich aus, sassen am grossen Herdfeuer und verschafften sich auch etwa ein Vergnügen. Sie liebten namentlich die Musik und zwar Geige und Pfeife; zu diesen tanzten sie. Oft hörte man ganz gut ihre lieblichen Weisen, als ob’s vom Himmel käme. Selbst die Murmeltiere, die am steilen Hang, ebenfalls tief in der Erde, ihren Winterschlaf halten wollten, wurden mitunter in ihrer Ruhe gestört. (Nach Dr. A. Henne)

Der Geldschatz vom Girenbüchel.
Im Jahr 1792 hatte Richter Anrig, der Vater des Kassier Anrig im Töbeli zu Sargans, einen Knecht, der auf seinem Gute Atschen, welches zunächst an der Hochwand am Schollberge liegt, das Vieh besorgen musste. Eines Tages nun kam er ganz hastig mit einer Tanse voll Milch nach Hause und verlangte, dass sie eiligst geleert werde; denn er müsse sogleich wieder zurück, um einen Geldschatz zu holen.
Anfänglich lachten die Hausgenossen darüber, wurden sodann aber mäuschenstille, als er erzählte, wie er, bei dem an der ältesten Schollbergstrasse liegenden Girenbüchel angelangt, eine entzückende Geigermusik gehört und neben dem unergründlich tiefen Loch hinter dem Büchel eine mit den glänzendsten Kostbarkeiten angefüllte, jedoch von einer daneben sitzenden Kröte verhütete Kiste gesehen habe.
Diese Erörterung war hinreichend, die Leute gläubig zu machen, und zwei herzhafte Männer entschlossen sich, den Knecht zu begleiten.
Versehen mit allen nötigen Gerätschaften, zog man aus und kam dann auch wohlbehalten an bezeichneter Stelle an, um leer wieder abziehen zu können, weil da weder Musik noch Schatz mehr anzutreffen war. (J. Natsch)

Die Zwerge in der Bärschner Alp.
Die Alpknechte von Bärschis hatten es einst bequem; die Zwerglein haben für sie gehütet, gemolken und gebuttert. Am Sonntag aber kam der „Fissler“ (der Gehilfe des Ziegenhirten) mit einem neuen Hut und „Tschöpli“ auf die Alp. Das Zwerglein fand Gefallen an diesen Dingen. Nach vierzehn Tagen legten ihm die Alpknechte ein ganzes „Häsli“ (Kleidchen) hin und meinten es damit zu erfreuen, dass es ihnen weiter so eifrig dienen werde. Dieses machte sich aber auf und davon und liess sich von jenem Tage an nie mehr blicken. (Nach Dr. A. Henne)

Einmal schien ein Zwerglein, das wie alle seines Namens höchst einfach gekleidet war, ein sehnliches Gelüsten nach einem eben so schönen und guten Gewande zu tragen, wie die Hirten von Bärschis sie besassen.
Der Hirte sorgte dafür, dass dem Männchen ein Brot und ein schönes, neues Wams verehrt wurde, was seine Stammesgenossen aber sehr übel gedeutet haben mussten; denn am Abend vor dem Betläuten brachte eine Kuh auf ihren Hörnern diese Geschenke zurück, und seit jener Zeit hat man von dem Zwergvölklein nichts mehr gesehen oder verspürt. (J. Natsch)

Die drolligen Zwergensagen kommen in mannigfaltigen Variationen vor. Das Originelle an der obstehenden ist, dass eine Kuh die Geschenke an den Hörnern zurückbrachte.

Das Goldloch am Gamsberg und der Venediger.
Am „gewaltigen Gamsberg“, wie der Geologe Mösch den schroffen Gipfel über der Tscherlacher Alp Sennis nennt, gelangt man auf der Südostseite von einem „ewigen“ Schneefleck, dem Rest eines nach seinen schönmodellierten Moränen ansehnlichen Gletschers, über ein breites, aber ungemein abschüssiges Felsenband zum Goldloch, einem grossen, mit Legföhren bekränzten Gufel (Felsüberhang), aus dem ein nasser, schlammiger, dunkler Gang aufwärts in den Berg hinein führt.
Vor vielen Jahren kam regelmässig alle Jahre ein Venediger auf die Alp und verlangte Nahrung und Obdach. Täglich sei der Venediger frühmorgens fortgegangen und habe in den Bergen nach Schätzen gesucht. Im Herbst belohnte der Venediger den Älpler reichlich und kehrte dann mit seinen Schätzen in die Heimat zurück. Nach mehreren Jahren wurde einer der Älpler von Neugier und Habsucht getrieben, dem Venediger heimlich nachzuschleichen; er kam gerade dazu, wie dieser ein Krüglein voll Gold aus dem Felsenloch hervorbrachte. Von da an kam der Venediger nie mehr. Aber der Älpler hat weder Gold noch andere Schätze gefunden. (J. B. Stoop)

Hat einer die gefährliche Platte passiert, so gelangt er in die Grotte, welche ca. 18 Meter lang und etwa 9 Meter breit ist. Am Ende der Grotte öffnet sich ein Gang, der so gross ist, dass ein Mann in gebückter Stellung vorwärtskommen kann. Die Steigung in einer Länge von etwa 18 Meter ist eine leichte; hat er diesen Gang passiert, so kommt er zu einer Tanne, die als Leiter dient und die erste Etage mit dem Anfange einer weiten Öffnung verbindet. Eine merkwürdige Erscheinung ist diese Tanne im geheimen, dunkeln Schacht. Es ist keine Rinde mehr an ihr; sie ist eingetrocknet wie eine Mumie, weiss von Farbe, die Äste kurz und vor Alter zugespitzt. Wie lange mag wohl dieses Skelett schon hier gestanden haben, und wer hat es und zu welchem Zwecke hiehergestellt?
Man kann ohne alle Mühe weitere 18 – 24 Meter in die Höhe steigen; dann aber geht die reine Luft aus, das Licht brennt nicht mehr; gern oder ungern muss der Besucher dieser Höhle den gefährlichen Rückweg antreten, ohne das wahre Goldloch, welches weiter oben sich befindet, gesehen, und ohne etwas von den geheimen Schätzen, die dort offen liegen sollen, erbeutet zu haben.
Auf der Alp Castelun war vor zirka 50 Jahren ein Hirt, der viele Sommer hindurch die Herden hütete. Weil der Mann hochblonde Haare trug, nannte man ihn den „roten Hirten“. Alle Jahre um den St. Magnustag besuchte ihn ein Männchen, in gemeine Kleider gehüllt und mehrere kleine Säcke bei sich tragend. Sein Aufenthalt dauerte höchstens zwei Tage; dann ging es schwer beladen von dannen.
Der rote Hirt bemerkte, dass der kleine Mann unter der schlechten Kleidung eine solche von feinem Tuch trug, und er sann lange nach, was wohl dieser Fremdling mit sich fortnehme.
Als der Hirt einst die Herde wieder zur Alp trieb, trug er ein entlehntes „Spektive“ (Fernrohr) bei sich in der Absicht, wenn der geheimnisvolle Fremdling wieder erscheine, zu erspähen, wohin er gehe. Der Kleine kam richtig wieder, und der Rote setzte sich auf einen Hügel und schaute durch sein Rohr. Jener schlug den Weg nach dem beschriebenen Loche ein und verschwand in der Grotte. Bald kam er schwer beladen in der Hütte an und nahm dankend Abschied; da zog es den Hirten mit unwiderstehlicher Gewalt, den Ort auch aufzusuchen. Vorerst besprengte er sich mit Weihwasser und betete um Schutz zum Himmel.
Er fand das Goldloch, durchschritt mutig die dunkeln Gänge, in der Hand eine dreifach gewundene brennende und geweihte Kerze haltend. Weit, weit im tiefen Berg drinnen fand er eine geräumige Höhle, aus der kein weiterer Gang sich öffnete. Hier fand der rote Hirt nichts Besonderes, nur gelbschimmernde, schwere Steine, mit denen er seine Säcke in Hosen und Rock füllte. In seiner Hütte verbarg er die Steine in einem Salzsäcklein im „Fickler“ unter die Streue. An der Herbstalpfahrt nahm er die Steine in sein Bündel und zog mit der Herde zu Tal. Nachher ging er mit dem Funde zu einem gebildeten Manne nach Wallenstadt. Mit ernster Miene und mit seltsamen Blicken schaute dieser den Roten an, ihn versichernd, dass es kostbare Steine seien, für welche er eine bedeutende Summe erhalten werde.
Die Steine wurden nach Zürich gesandt, und der rote Hirt ging an jenem Abende seelenvergnügt und etwas angesäuselt zu seiner Familie zurück, ihr die frohe Botschaft von zukünftigem Reichtum bringend. – Im kommenden Frühling zog der Hirt wieder auf die Alp Castelun; von Zürich war noch kein Bericht gekommen.
Am St. Magnustage erschien der Fremde wieder und machte den gewohnten Gang. Zurückgekehrt aus dem Goldloch, fragte er den Hirten mit barschen Worten, ob er etwa das Goldloch besucht und Steine weggenommen habe. Der Hirt bejahte die Frage aufrichtig. Der Fremde sagte dann mit aufgehobenem, drohendem Finger: «Ich bin aus Venedig und kenne die Schätze dieser Erde; ich besitze auch die Kunst, in meiner Heimat mir missbeliebige Personen, und mögen sie auch noch so entfernt sein, aus der Welt zu schaffen. So gewiss du noch einmal die Grotte dort drüben besuchst, so gewiss bist du ein Kind des Todes». Sprach’s und entfernte sich. Er kam nicht wieder, und auch der Hirt besuchte das Goldloch nie mehr; denn im folgenden Winter starb er. Was aus den nach Zürich gesandten Steinen geworden, darüber schweigt die Geschichte. (J. Natsch)

Der silberne Baum.
Hoch oben an der Steinwand, die senkrecht in grauenhafte Tiefe gegen die Talebene zwischen Bärschis und Tscherlach abfällt, sickert an deren Westseite zuzeiten etwas Wasser aus einer Spalte und zeichnet weithin ein nasses Band an dieselbe. Einmal habe ein Venediger, der von Weesen her den Walensee passierte, mit seinem Bergspiegel diesen Fels und sein Wasserband genau und lange fixiert und dann gesagt: „Hinter dieser Wand, unweit der Stelle, wo das Wässerchen zu Tage tritt, steht ein riesengrosser Baum, der aus reinem Silber besteht. Wer ihn gewinnen könnte, würde überaus reich werden.” Der Baum steht noch; denn keiner hat es bisher versucht, den Weg zu ihm zu finden. (O. Giger)

Köstliche Steine.
Durch die Tscherlacher Alp Sennis fliesst der Sagenbach. Dieser führt hinauf in eine Felsenbucht, zwischen Sichli und Gamsberg. In Eindrittelshöhe des letzteren sieht man eine tief und weit eingebohrte Grotte, „Goldloch“ genannt. Von genannter Schlucht aus führt schrägauf ein 20 Meter breites, nacktes Felsband an diesen Ort, der nur von geübten, schwindelfreien Bergsteigern zu erreichen sei, und der Gang dahin müsse barfuss gemacht werden, um dem Fuss festern Halt zu geben. Von daher hätten die Venediger in alten Zeiten unermessliche Schätze an gediegenem Golde geholt und zu den Alphirten gesagt: „Mancher Schweizerbauer wirft seiner Kuh einen Stein nach, der mehr wert ist als die Kuh selbst.“ (O. Giger)

Annelis Grötzli.
Wenn man so vor 60 – 70 Jahren den obern Teil der Bärschner Alp durchquerte, stiess man von ungefähr auf eine Rottannenleiche. Ihr modernder Stamm zeichnete eine ziemlich gerade Linie am Boden hin, die ihre einstige Höhe genau andeuten mochte. Ihr zur Seite lagen die weissgraugebleichten Astüberreste. Dieser Baum wurde „Annelis Grötzli“ geheissen und zwar aus folgenden Gründen:
Ein altes Weib, mit Namen Anna, sei mit Tod abgegangen (ob an dieser Stelle oder wo anders, wird nicht gesagt) und müsse hier wegen eines zu Lebzeiten begangenen Verbrechens „wandeln“ und zwar so lange, bis es von jemandem erlöst werde. Es erscheine in schwarzer Kleidung und weissgrauer Haube, gehe in gebückter Stellung einher, werde von Hirten nicht selten gesehen und nicke gegen sie, wenn es sehe, dass es von ihnen beobachtet werde. Doch die Stunde der Erlösung kam für das arme Weib. Als nämlich einmal ein Knecht dem Sennen erklärte, er fahre mit dem Vieh nicht mehr dahin zur Weide, da das Anneli ihm wieder erschienen sei und den Drohfinger gegen ihn erhoben habe, da hätte dieser im Unmut seinen Stock ergriffen, sei hingeeilt, habe auch sofort das Anneli gefunden und zwar in Gestalt eines halbverfaulten Baumstrunkes, in Mannshöhe mit einem seitlich ausgewachsenen grauweissen Schwamme geziert. Diesen riss der Senn weg, übergab ihn, in der Hütte angekommen, dem Knechte mit den Worten: „Nun habe ich das Anneli erlöst – zum Danke dafür schenkte es mir seine Haube, und ich schenke sie dir nun zum Angedenken an deinen heute bewiesenen Heldenmut in dieser jetzt glücklich abgeschlossenen Schauergeschichte.“ (O. Giger)

Die Mahnung.
In dem untern Teile der Alp Malun breitet sich der schöne Dreierwald aus. Dieser wird nicht selten, namentlich gegen die Zeit hin, wo man anfängt, von Alpentladung zu sprechen, von einem unheimlichen, schrillen Pfeifen durchtobt, aber nur nachts. Dies bringt immer böses Wetter. Eines Abends, die „Vonalpfahrt“ sollte in nächster Zeit stattfinden, wurde das Gepfeife wieder und zwar in ganz scharfer Weise wahrgenommen. Das Vieh wurde unruhig, und der Senn sagte: „Es wäre gut, wenn es daheim in den warmen Ställen seine Ruhe fände.“ Aber es war da weiter nichts zu machen, und Senn und Knechte begaben sich zur Ruhe.
In der gleichen Nacht, kurz nach Mitternacht, weckte der Nachtwächter im tief unten liegenden Bärschis die Bauern. Bald streckten diese die Köpfe zu den Fenstern heraus, und auf ihr Fragen: „Was gibt’s?“ antwortete jener: „Ich höre unser bekanntes Kuhglockengeläute weit droben auf Hinterschindeln und fürchte, unser Vieh ist ausgebrochen aus der Alp und befindet sich auf dem Heimweg.“ Die Bauern spitzten die Ohren und vernahmen gleichfalls das Schellengetön. Bald ging es aufwärts gegen die Alp hin. Bei „Zerfinenplatte“ auf Schuhegg angelangt, liess sich das Geschelle und Gemuhe schon vom Rossmen und Gafortsch her in ohrenzerreissendem Konzert vernehmen. Auf Forkels trafen Vieh und Eigner zusammen, und nun ging’s bei strömendem, kaltem Regen dem Dorfe zu. Anderntags trafen der Senn und die Knechte mit den Kuhketten und andern Gerätschaften ebenfalls ein. Solches veranlagte der Dreierwald mit seinem nächtlichen Pfeifen. (O. Giger)

Triefaugen.
Christian Gall, ein Bärschner, machte sich eines Abends spät von der Alp Malun auf den Heimweg. Drunten auf Forkels hörte er von weit droben aus der Gegend vom Isenberg einen sonderbaren, unschönen, etwas kreischenden Jauchzer abgeben. Er antwortete mit einem in seiner Meinung weit gelungeneren. Doch dieser wurde ihm übel belohnt; am andern Morgen beim Erwachen hatte er blutunterlaufene Triefaugen und behielt sie sein Leben lang. (O. Giger)

Hexentanz.
Zwischen Schuhegg und dem Malunbach, hoch über dem abstürzenden Wasserfall, ist das „Egli“. Dort hielten die Hexen ihre lustigen Feste und Tänze in Gegenwart und unter Anführung ihres schwarzgrünen, bockbeinigen Tanzmeisters.

Die Lilien.
Ihrer zwei, die sich drunten im Tale nicht vertragen wollten, konnten dies auch droben nicht in der Alp, wo sie einmal unverhofft einander trafen. Auch da gab’s Händel, und der eine erschlug den andern und verbarg die Leiche so, dass er hoffen konnte, sie wäre nicht gar aufzufinden. Bald machte er sich auf den Heimweg. Auf einem Felsband, nahe am Wege, sah er einen Busch prächtiger „Ilgen“ (Berglilien). Er brach eine und steckte sie auf seinen Hut. Im Dorfe traf er mit Bekannten zusammen. Die fragten ihn, wie er zu der sonderbaren Hutverzierung gekommen sei. Er besah den Hut und statt der Blumen fand er dort eine Menschenhand. Sprachlos und leichenblass stand er da. Man nahm ihn fest. Er bekannte und gab die Stelle an, wo die Leiche zu finden sei. Der Täter wurde zum Tode verurteilt und mit dem Schwerte hingerichtet. (O. Giger)

Auf dem St. Georgenberg.
Fahrende Schüler haben durch den Bergspiegel in die Felswand hineingeschaut und da, wie an der höher gelegenen Steinwand und im Goldloch der nahen Alp Sennis, unermessliche Schätze von Gold und Silber entdeckt. Den Venedigern verwandelten sich die Steine dieser Gegend in Gold, und aus ihr sollen sie sich alle ihre Reichtümer geholt haben. An der glatten, gewöhnlichen Menschen unzugänglichen Felswand mitten unter den Kapellen befindet sich eine Türe, die ins Innere des Berges zu den Schätzen führt. Diese öffnet sich zuzeiten am hellen Tag. Geistliche Herren treten aus ihr hervor, steigen, man begreift nicht wie, an der Felswand empor zum Gipfel und sonnen da zwischen den Kapellen ihre Messgewänder und allerlei kostbare Geräte. Während dieser Zeit getraute sich niemand, die Höhe zu besteigen. Haben sie ihre Schätze lange genug gesonnt, so kehren sie zurück, verschwinden im Berge, und die Türe schliesst sich wieder. In der Nacht aber gehen auf der Höhe noch viel unheimlichere Dinge vor. Oft, wenn in Flums oder Bärschis die Glocken die Mitternachtstunde geschlagen haben und das Tal im tiefsten Dunkel liegt, wird es da oben plötzlich hell, und man sieht schwarze Gestalten zwischen den zwei Kapellen Kegel schieben. Mit zwei goldenen Kugeln werfen sie unermüdlich nach silbernen Kegeln, und deutlich hört man unten das dumpfe Rollen der Kugeln, das Fallen der getroffenen Kegel und die verworrenen Männerstimmen, bis Schlag ein Uhr plötzlich alles verstummt und verschwindet. Von den schwarzen Gestalten tragen einige eine weisse Kopfbedeckung; bei den meisten aber ist nichts Weisses mehr zu sehen. Jene sind noch erlösbar, diese nicht. (O. Giger)

Wodan, der Gott der Winde, ist auch der Gott des bewegten nächtlichen Spiels. An seine Stelle trat in der christlichen Zeit vielfach der hl. Georg, der Patron der Ritter und reichen Herren. Wirklich ist das sehenswerte alte Wallfahrtskirchlein dem hl. Georg gewidmet, und das lärmende Gefolge des einstigen Heidengottes wurde zu einem Heer unruhiger Geister, die mit ihrem Spuk noch die Gegenden erfüllen, an denen ihr Herr und Gebieter einst am eifrigsten verehrt ward. Der St. Georgsberg ist ohne Zweifel eine uralte Kulturstätte; er war ein natürlicher Opferaltar für die heidnischen Festgelage; auf ihm stand auch ein römisches Kastell, dann im Mittelalter ein kleines Beguinenkloster, was alles der Volksmund in seinen Sagen bis auf unsere Zeit festgehalten hat. (Nach Dr. E. Buss)

Getroffen.
Ein Jäger zu Bärschis ging ins nahe Gebirge auf die Jagd. Er wurde eines Fuchses ansichtig, konnte aber nicht zum Schusse kommen, obschon er mehreremale in die Nähe des Wildes kam; denn der Fuchs wusste immer noch rechtzeitig durch einen Busch oder eine Kluft zu entwischen.
Als der Jäger auf dem Heimwege unten am Waldsaume bei einem alten Häuschen vorbeikam, schlüpfte der besagte Fuchs soeben durch ein Hinterfenster hinein. Bevor dieser aber noch ganz in Sicherheit war, sandte ihm der Jäger noch flink einen wohlgezielten Schuss nach und begab sich dann selbst in die Hütte mit der Hoffnung, die Beute endlich erwischen zu können. Er fand niemand anwesend als ein Kind, welches sich in der Stube befand und auf die Frage, wo die Mutter sei, mit betrübter Miene antwortete, diese sei soeben heimgekommen, habe an den Beinen stark geblutet und liege nun im Bette. Nun wollte der Jäger nicht weiter dem Fuchse nachspüren und machte sich aus dem Staube. (J. Natsch)

(Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen von J. Kuoni. St. Gallen, 1903)

***

Ein schöner Brauch im St. Galler Oberland ist das Alp-Einsegnen. Etwa drei oder vier Wochen, nachdem zur Alp gefahren ist, geht der Ortspfarrer, von den Gemeinderäten begleitet, auf die Alp und spricht gewisse Gebete, dass Gott die Knechte, das Vieh und die Alp gnädig erhalten und vor Unglück bewahren möge.
Der Besitzer eines höheren «Säss» sandte dem Pfarrer als Dank jeweils einen prächtigen Alpkäse ins Tal hinab; dafür aber musste der Pfarrer zum Einsegnen in das obere «Säss», obwohl ein sehr steiler und rauher Weg dahin führte. Einmal dachte der gute Pfarrer, er könne eigentlich den Segen von unten herauf geben, er brauche dann den mühsamen Weg nicht zu machen. Gedacht, getan. Diese Einsegnung hat aber den Senn furchtbar geärgert. Als die Zeit kam, in welcher er dem Pfarrer allemal den Käse geschickt hatte, ging er in die Hütte, holte einen mächtigen Käse, stellte sich mit diesem auf eine Anhöhe, von welcher er schön auf das Dorf und den Pfarrhof hinunter sehen konnte, hob den Käse mit beiden Händen in die Höhe, machte damit auf und ab und links und rechts, wie wenn er mit ihm den Segen geben wollte, und trug ihn nachher in den Keller. Auf diese Weise konnte sich der Senn den beschwerlichen Transport des Käses in den Pfarrhof ersparen.

(Quelle: Schwänke und Schildbürgergeschichten aus dem Sarganserland. Schweizerisches Archiv für Volkskunde, 1911)

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